Читать книгу RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4) - Indira Jackson - Страница 116

2001 - Oase von Zarifa - Lebenslänglich

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Hanif betrat nervös die Hütte von Sedat. Dem ging es augenscheinlich schon viel besser. Er war seit dem letzten Besuch vor zwei Tagen nicht mehr hier gewesen, zu sehr schämte er sich.

Nun hatte der Scheich ihn wieder zu sich bestellt. Er hatte also keine Chance mehr, weiter auszuweichen, sondern musste sich der Realität stellen. Vermutlich wollte Sedat ihm seine Strafe verkünden.

Der hatte ja recht: ER war der Schuldige hier. ER hatte seinen Herrn so schwer verletzt, dass er beinahe gestorben wäre und nun für immer gelähmt bleiben würde. „Ich werde nie wieder auf einem Pferd sitzen können“, die Worte des Scheichs hatten Hanif die ganze Zeit über verfolgt, am Tag - aber auch in den Nächten, in denen er nicht schlafen konnte.

Dass Sedat nicht das Ziel seines Anschlages gewesen war, machte keinen Unterschied.

Hanif erwartete täglich, dass Sedat es den anderen verraten würde. Oder Yasin/Rayan. Aber auch der schien niemandem von seiner Tat berichtet zu haben. Naja, im Gegenzug hatte er selbst ja auch dessen Geheimnis für sich behalten. Sie waren sich in den vergangenen beiden Tagen aus dem Weg gegangen.

Wie würden die anderen reagieren, wenn sie es wüssten? Würden sie Yasin noch immer so respektvoll behandeln, wie sie es jetzt taten? Oder würden sie empfinden wie er, Hanif?

Wobei er sich inzwischen selbst nicht mehr so sicher war, was er eigentlich empfand. Worin hatte der Verrat Rayans damals eigentlich bestanden? Er war von zuhause weggelaufen und hatte sich irgendwelchen Rebellen angeschlossen. Im Vergleich dazu schien sein eigener Verrat viel größer zu sein!

Denn dass er selbst ebenfalls ein Verräter war, hatte er inzwischen begriffen. Auch wenn er Rayan, wie eigentlich beabsichtigt, getroffen hätte, wäre es Verrat gewesen. Schließlich kämpften sie auf der gleichen Seite.

Was war ihm bloß eingefallen, ihn hinterrücks erschießen zu wollen? Wie ein feiger Hund? Noch nie hatte er zu derartigen Mitteln gegriffen.

Sedat hatte recht! Er hatte jede Strafe verdient, die dieser für ihn ersinnen würde.

Der Scheich schien ihm anzusehen, was ihm durch den Kopf ging, denn er lächelte ihm aufmunternd zu. „Hanif, wie schön dich zu sehen. Komm setz dich.“ Hanif begrüßte seinen Herrn auf die traditionell übliche Art und versicherte ihm, wie gut er schon wieder aussah.

„Ich danke dir. Aber du kannst dir denken, dass ich dich nicht gerufen habe, um Höflichkeiten auszutauschen“, kam Sedat unverzüglich zur Sache.

„Zuerst möchte ich dir noch einmal klar machen, dass ich dich liebe wie einen Sohn. In den letzten fünf Jahren warst du mir eine wichtige Stütze und immer für mich da. Dafür bin ich dir dankbar.

Aber du hast eine schreckliche Schuld auf dich geladen. Ich spreche dabei nicht von meiner Verletzung, mein Junge. Sondern davon, dass du einen deiner eigenen Kameraden feige hinterrücks erschießen wolltest. Dass er noch lebt, ist nicht dein Verdienst. Diese Schuld wird dich dein ganzes Leben lang begleiten. Ich weiß, dass du nicht du selbst warst, du warst geblendet von Eifersucht. Doch das macht es nicht besser, sondern schlimmer. Eifersucht ist so eine niedrige Empfindung, dass nur die Schwachen ihr verfallen.

Wahre Krieger stehen über derartigen Empfindungen! Warum bist du nicht zu mir gekommen und hast mit mir gesprochen? Auch das hat mich tief enttäuscht.“ Er hielt inne, um die Wirkung seiner Worte auf Hanif zu beobachten.

Hanifs Wangen wurden feuerrot bis zu seinen Ohren. Die Scham brannte lichterloh in ihm. Er fühlte sich wie ein Schuljunge und er wusste, dass er nichts anderes als diese harten Worte verdient hatte.

Sedat merkte, dass seine Worte zu Hanif durchdrangen und dieser sich abgrundtief schämte.

Er seufzte daher und sparte sich den Rest seiner Predigt.

„Mein Junge, du bist noch sehr jung, das vergesse ich manchmal. Junge Menschen müssen ihre Fehler machen. Wenn diese Fehler jedoch so weitreichende Konsequenzen haben, müssen sie gesühnt werden.“ Und ganz leise und sanft fügte er hinzu: „Das verstehst du doch?“

Hanif nickte stumm. Er hatte nun Tränen in den Augen.

„Rayan ist mein Sohn, mein Fleisch und Blut. Und egal was ich, du oder er tut, daran wird sich nie etwas ändern! Du kannst das nur akzeptieren. Aber auch du bist mir wie ein Sohn ans Herz gewachsen und so wäre es meine größte Freude gewesen, wenn ihr beiden Freunde geworden wäret.“ Wieder hielt er einige Sekunden lang inne, um Hanifs Reaktion zu beobachten und erneut nickte dieser stumm. Was hätte er auch sagen sollen?

„Ich möchte dir dein junges Leben wegen dieses einen Fehlers nicht zerstören und deshalb werde ich die Wahrheit über meinen „Unfall“ mit ins Grab nehmen. Unter einer Bedingung!“

Hanif schaute ihn überrascht an. Niemand sollte von seinem Verrat erfahren? „Welche Bedingung?“, fragte er mit zitternder Stimme.

„Dass du die Strafe, die ich für dich erdacht habe, ohne Murren annimmst und mir schwörst, dein ganzes Leben nach dieser Vorgabe auszurichten und wenn es sein muss, dafür zu sterben.“

Das mulmige Gefühl ergriff wieder von ihm Besitz. Das waren ernste Worte, die der Scheich da aussprach.

Sedat fuhr fort: „Auslöser für deine schändliche Tat war deine Abneigung gegen Rayan. Darum wird er es sein, an dem du deine Schuld abgelten wirst.“

Hanif sah ihn verständnislos an und so fuhr Sedat fort: „Du wirst Rayan mit der gleichen Hingabe dienen, mit der du mir gedient hast. Du wirst ihn stets respektvoll behandeln, seine Interessen wie die deinen vertreten und jegliches Schlechtreden seines Namens durch andere ahnden. Du bist ein sehr guter Kämpfer, also wirst du all deine Fähigkeiten einsetzen, sein Leben zu schützen und wenn es notwendig sein sollte, dein Leben für ihn geben. Nur so kannst du deinen Verrat wieder gut machen!“

Hanif fühlte sich, als ob man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen hatte. Er hatte sich Schmerzen, Scham und sogar Vertreibung ausgemalt, jedoch war er in seinen kühnsten Träumen nicht auf diese Idee gekommen. Er sollte dem Objekt seiner Abneigung, ja seines Hasses, dienen?

„Ihr schickt mich weg von Eurer Seite?“, fragte er den Scheich ungläubig.

Sedat nickte. „Ja mein Junge, so ist es leider. Auch wenn es mir nicht leichtfällt. Aber du weißt selbst, was geschrieben steht.“

Hanif konnte es nicht fassen, bloß Sedat konnte auf eine derartige Idee kommen. Doch wie er es drehte und wendete, er erkannte, dass der Alte recht hatte.

War es nicht so geschrieben, dass eine Schuld nur durch eine gute Tat an dem getilgt werden konnte, dem das Unrecht zugefügt worden war.

„Aber, … wie lange?“, stammelte er.

„Ein Leben für ein Leben“, entgegnete Sedat.

Hanif erblasste noch mehr. Er fühlte sich, als hätte man ihn zu lebenslangem Gefängnis verurteilt.

„Wirst du die Strafe annehmen?“, fragte Sedat nun so deutlich und feierlich, dass Hanif ihn noch ein letztes Mal verzweifelt ansah. „Habe ich denn eine Alternative?“

Doch Sedat lächelte nur hintergründig.

Hanif gab sich einen Ruck. Er hatte sich diesen Schlamassel ganz alleine eingebrockt und nun musste er sehen, wie er damit klarkam.

„Ich nehme die Strafe an. Ich werde Eurem Sohn die Treue schwören und ihm mit Hingabe dienen. Ich werde ihn stets mit Respekt behandeln und alle meine Fähigkeiten einsetzen, um sein Leben zu schützen. Solange ich lebe!“ Die letzten Worte kamen fast tonlos über seine Lippen.

„Ich bin sehr stolz auf dich mein Junge! Und ich weiß, dass du dein Versprechen stets halten wirst. Du wirst so deine Ehre wiedererlangen, vertraue mir! Bald wird dein Fehltritt verblassen und in Vergessenheit geraten.“

Im Stillen gratulierte sich Sedat selbst zu seinem Coup. Denn er war sich sicher, dass dies die einzige Möglichkeit war, wie „seine beiden Söhne“ doch noch Freunde werden würden.

„Dann lass uns jetzt einmal Rayan rufen“, sagte er fast ehrfürchtig.

RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4)

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