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Mai 2002 – Große Wüste – Die Spur ist noch heiß
ОглавлениеDie Räuber und vor allem Entführer hatten fast einen kompletten Tag Vorsprung. Doch hatten sie ihre reichliche Beute dabei, die sie verlangsamte. Daher schätzte Rayan die Chance gut ein, dass sie der Spur problemlos würden folgen können.
Er verabschiedete sich von Aiman Abdullah, der ihn segnete und für die Jagd Erfolg wünschte.
Und tatsächlich waren die Hufabdrücke der Pferde und Kamele nicht allzu schwer zu verfolgen.
Ibrahim, Hanif und Rayan ritten dem Trupp voran und besprachen, welche Stadt oder Oase wohl das Ziel der Entführer war. Wo konnte dieser Markt stattfinden?
Sie versuchten, aus ihren Karten Informationen zu ziehen, doch die gaben hier inmitten der Rub’al Khali keine allzu verlässlichen Angaben preis. Dies war die offene Wüste. Es gab Oasen, die bereits Morgen versandet und nicht mehr zu gebrauchen waren. Entsprechend zogen die Menschen dann weiter und gründeten die nächsten Ansiedlungen mehrere Kilometer weiter, sofern es dort Wasser gab. Es gab Ansiedlungen von Nomaden, die jeweils nur wenige Tage oder Wochen an der gleichen Stelle verblieben und stets der Spur des Wassers folgten.
Während der Nacht hielt der Rettungstrupp nur kurz an, um möglichst viel von ihrem Rückstand gutzumachen. Zwar kamen sie erheblich schneller voran, als die Räuber mit ihren Schätzen, aber an manchen Stellen war der Untergrund steinhart und wie gebacken von der Hitze. Sie mussten genau aufpassen und immer wieder absteigen, um den Boden aus der Nähe zu betrachten, um die Spur nicht zu verlieren.
Die Verbrecher waren schlau genug, ihr Ziel nicht in direkter Linie anzureiten. Auf den Böden, die am wenigsten Abdrücke zuließen, führten sie Richtungsänderungen durch, um eventuellen Verfolgern das Leben schwer zu machen.
Trotzdem gelang es Rayan und seinen Reitern, die Spur immer wiederzufinden, vor allem, nachdem sie den Trick der Entführer einmal durchschaut hatten.
Am dritten Morgen nach ihrem Aufbruch sahen sie am Horizont eine Stadt auftauchen.
„Kennt jemand diese Stadt?“, fragte Rayan in die Runde, doch keiner der Männer bejahte die Frage, einige zuckten die Achseln, andere schüttelten den Kopf.
„Also gut. Hier ist der Plan: Du, Mohammed“, Rayan deutete auf einen seiner Männer, „reitest voraus in die Stadt. Bleib möglichst unauffällig. Wenn einer fragt, gibt dich als Besucher des Marktes aus. Du suchst eine Sklavin. Schau dir genau die Befestigung der Stadt an. Und halt‘ die Augen nach unseren Männern offen. Komm so schnell du kannst zurück, vor allem aber vor dem Abend, denn vermutlich werden sie nachts die Stadt abriegeln. Wir werden hier erst einmal außer Sicht der Stadt das Lager aufschlagen.
Wenn wir alle dort gemeinsam ankommen, sind wir zu auffällig. Falls die Diebe bemerkt haben, dass wir ihnen folgen und eine Falle aufstellen, reiten wir mitten hinein. Diese Männer machen das nicht zum ersten Mal, und wie wir an ihrer Art die Richtung zu wechseln gesehen haben, sind sie nicht dumm.“
Mohammed verbeugte sich und ritt los.
Die anderen waren eine Zeit lang mit den üblichen Tätigkeiten wie Aufstellen der Zelte und Versorgen der Pferde beschäftigt, doch dann ging das Warten los.
Eine kleine Felsformation bot ihnen Sichtschutz, sodass man ihr kleines Lager selbst mit einem Fernglas von der Stadt aus nicht würde sehen können. Selbst abends, wenn sie Feuer machten, um zu kochen.
Es war fast schon dunkel, als Mohammed zurückkam.
„Die Stadt ist unglaublich gut befestigt. Keine Chance da rein oder raus zu kommen, wenn sie die Tore erst einmal dichtmachen. Sie sind Fremden gegenüber ziemlich misstrauisch, denn sie wissen wohl genau, dass die Herkunft der einen oder anderen Frau und auch der Waren nicht rechtlich einwandfrei sein kann. Andererseits treiben sich viele Fremde aufgrund des anstehenden Marktes zurzeit dort herum. Aber wenn wir alle auf einmal dort hinkommen, passiert genau das, was ihr, Herr“, er verneigte sich kurz in Richtung von Rayan, „gestern schon vermutet habt – dann schlagen sie Alarm. Wenn, dann können wir da nur einzeln hin.“
Mohammed holte einen Moment Atem; er war schnell geritten, um noch vor der Dunkelheit wieder bei ihnen zu sein. „Der Markt ist übrigens morgen früh. Die Sklavinnen werden auf einem kleinen Platz am Südtor angeboten, das ist das Tor auf der von uns abgewandten Seite.“ Hanif schnaubte laut vernehmlich, am liebsten wäre er mit brennenden Fackeln sofort losgezogen. Rayan legte ihm beruhigend die Hand auf seinen Arm.
Mohammed fuhr fort: „Dort lagern übrigens auch unsere Räuber. Sie sind wohl ebenfalls misstrauisch, was passieren könnte, wenn sie mitten in der Stadt sind. Jemand hat mir erzählt, dass sie einmal im Jahr kommen, immer um diese Zeit. Und jedes Mal lagern sie einige Hundert Meter vor dem Südtor. Dann haben sie es am betreffenden Tag nicht so weit und können auch schnell wieder heraus.“
Rayan nickte Mohammed lobend zu „Ich danke dir, das hast du sehr gut gemacht!“
Der Angesprochene richtete sich stolz auf, seine Augen leuchteten im Feuerschein. Was für eine Auszeichnung vor Allen anderen von ihrem Herrn so herausgestellt zu werden!
Einen Moment lang dachte Rayan nach. Dann fasste er seinen Entschluss: „Mohammed, du gehst morgen mit zwei weiteren Männern voran. Danach gehst du, Ibrahim, ebenfalls mit zwei weiteren Männern. Ich reite zusammen mit Hanif direkt außen herum zum Südtor. Dabei können wir einen Blick auf das Lager unserer ‚Freunde‘ werfen. Wir sind dann drinnen zu acht. Wir sollten uns verteilen, dann können wir uns im Notfall den Weg freikämpfen.“ Er hielt kurz inne. Es war von hier aus schwierig abzuschätzen, ob der Plan im Ernstfall wirklich erfolgreich wäre, doch er versuchte, Zuversicht auszustrahlen. „So und nun lasst uns essen und so schnell wie möglich schlafen gehen, wir müssen früh raus.“
Er ging schon ein Stück in Richtung zu seinem Zelt, dann wandte er sich an seinen Leibwächter: „Ibrahim du teilst wie üblich die Wachen ein, dann kommst du noch einmal zu mir.“
Rayan war aufgefallen, dass Ibrahim während der Einteilung der Teams für den morgigen Tag die Augenbrauen in die Höhe gezogen hatte. Ihm war klar gewesen, dass es seinem Freund nicht gefallen würde, nicht selbst mit Rayan zu reiten, doch er hatte vor den Männern nichts sagen wollen. Das war auch besser so, denn wenn man Rayan eine Schwäche vorhalten konnte, war es seine Empfindlichkeit, wenn Untergebene ihm in der Öffentlichkeit widersprachen. Er unterstützte, dass seine Männer, vorwiegend seine Gruppenführer, ihm ihre Meinung offen sagten. Doch immer unter vier Augen, niemals vor den anderen.
Rayan hob abwehrend die Hand, als Ibrahim wenig später förmlich ins Zelt gestürzt kam. „Ich weiß, ich weiß, du willst lieber mit mir reiten. Das geht aber nicht. Hast du nicht gesehen, wie Hanif sich schon die ganze Zeit benimmt? Er ist eine tickende Zeitbombe. Die Erinnerung an seine Vergangenheit macht ihm wohl zu schaffen. Am liebsten würde ich ihn morgen ganz hierlassen, aber das ist dann auch keine Garantie, dass er nicht doch noch etwas Dummes macht. Ich will ihn im Auge behalten. Also werde ich morgen mit ihm reiten – alleine! Und ihm auf dem Weg noch einmal ins Gewissen reden.“
Ibrahim war noch immer nicht überzeugt, gab sich aber geschlagen. Er hasste es, wenn Rayan ohne ihn loszog. Rayan lächelte. Manchmal fühlte er sich fast ein wenig zu sehr bemuttert durch seinen alten Freund.