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September 2014 – Nahe Eston Castle – Erkundungen
ОглавлениеAm Morgen fuhren sie nach einem kurzen Frühstück erneut in Richtung Eston Castle. Rayan war noch nie dort gewesen, seit Tahsin dort zur Schule ging. Es war bereits das dritte Schuljahr, in dem dieser das Internat hier besuchte. Und nun fuhr Rayan innerhalb weniger Stunden gleich zweimal dorthin.
Beide waren recht schweigsam. Sie waren wenig Schlaf gewöhnt, vor allem Rayan, aber drei Stunden waren selbst ihm zu wenig. Vor allem da ihnen von den vorhergehenden Tagen noch der Schlaf fehlte.
Für die Mittagszeit hatte Rayan einen Besuchstermin beim Direktor ausgemacht, der über eine Bitte um einen derart kurzfristigen Termin zwar überrascht gewesen war, aber trotzdem eingewilligt hatte, sich die Zeit freizumachen.
Mit dem R8 waren sie diesmal in einer knappen Stunde vor Ort. Es war inzwischen fast zehn Uhr. Sie fuhren zunächst zu den Koordinaten, an denen sich Jassims Handy zum letzten Mal eingeloggt hatte, wie sie den GPS-Daten entnommen hatten. Inzwischen musste der Akku leer sein, denn es kam kein Signal mehr, das Cho verwerten konnte. Rayan hoffte, dass ein leerer Akku der einzige Grund der nun erstorbenen Verbindung war.
Bereits einen Kilometer vorher hielten sie an und gingen zu Fuß weiter. Etwa zweihundert Meter vor dem vermeintlichen Ziel fanden sie hinter einem Schuppen ein geparktes Auto. Dem Kennzeichen nach einem Mietwagen. Das Fahrzeug sah aus, als stünde es schon länger an der gleichen Stelle. Jassims Auto? Rayan knackte kurzerhand das Schloss und fand im Handschuhfach einen Vertrag, der auf den Namen seiner Firma ausgestellt war. Als Fahrername war Jassim eingetragen - also doch. Hanif und er überlegten, ob dies nun eine gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Aber auf jeden Fall hatten sie auf diese Weise einen zweiten Wagen, für den Fall, dass Jassim den Schlüssel noch haben sollte. Wo auch immer er sich befand.
Ein Stück weiter kamen sie an ein altes Steinhaus, wie so viele hier in der Gegend. Es musste in seiner besten Zeit ein Bauernhof gewesen sein, umstehende Gebäude waren eindeutig als heruntergekommene, verwaiste Stallungen erkennbar. Auch das Haupthaus selbst hatte offenbar das Ende seiner Nutzung vor Längerem gesehen. Die Fenster waren trüb und standen vor Schmutz.
Rayan wäre niemals etwas Besonderes an dem Bau aufgefallen, aber genau hier hatten sie die Koordinaten, die ihnen Cho genannt hatte, erreicht.
Da das GPS auf fünf Meter genau war, konnte ihr Freund ihnen auch sagen, dass das Telefon nicht innerhalb des Gebäudes sein konnte. Sie kamen zu einer Buschgruppe, die genau zwischen dem Auto und dem Haus lag. Hier fanden sie schließlich das gesuchte Handy. Wie vermutet, war der Akku inzwischen leer.
Rayan stand eine Weile still und analysierte, was hier vermutlich passiert war. „Jassim muss auf etwas gestoßen sein. Er ist vom Schloss kommend zunächst vorbei gefahren, hat sein Auto dort drüben abgestellt und ist anschließend bis hierher zu Fuß zurückgelaufen. Genau an dieser Stelle muss ihn dann jemand überrascht haben. Er hat das Handy fallen lassen. Vielleicht sogar absichtlich, damit wir ihn lokalisieren können. Er weiß schließlich, dass der Sender darin ist. Im Haus würde der nicht funktionieren. Oder er hat es unabsichtlich fallen lassen, weil er niedergeschlagen wurde. Auf jeden Fall ist es demjenigen nicht aufgefallen, oder es war ihm egal. Hätte er Angreifer das Satellitentelefon mit ins Haus genommen, hätten wir keinerlei Daten mehr bekommen, ohne freie Verbindung zum Himmel …“
Lautlos schlichen sie als Nächstes zum Haus. Nachdem aus dem alten Schornstein oben am Dach Rauch kam, musste jemand den Ofen entzündet haben. Kein Wunder bei diesen Temperaturen. Hanifs anfängliche Begeisterung für den Regen hatte sich schnell gelegt. Inzwischen verfluchte auch er die Nässe, die einem bis in die Knochen vorzudringen schien. Vor allem zwei Männern, die sonst die Hitze und Trockenheit der Wüste kannten. Beide waren daher froh, dass es im Moment nur bedeckt war und endlich einmal aufgehört hatte zu nieseln.
Sie zogen sich langsam am Fenster empor und versuchten, ins Innere zu blicken. Aufgrund des Zustands der Fenster kein einfaches Unterfangen. Aber sie konnten zumindest erkennen, dass etwa drei bis vier Männer im Haus sein mussten.
Diese alten Bauernhäuser hatten in der Regel nur wenige Räume und so schien auch dieses Gebäude neben dem Hauptraum nur noch einen kleinen Zweitraum zu haben, etwas größer als ein großer Kleiderschrank. Wenn Jassim nicht völlig zusammengestaucht war, würde er dort wohl kaum hineinpassen. Eher unwahrscheinlich. Aber wo konnte er dann sein?
Da sich die Männer völlig sicher fühlten, fiel es Hanif und Rayan leicht, komplett ums Haus zu schleichen, um es von allen Seiten in Augenschein zu nehmen. Dabei entdeckten sie eine Tür, die nach unten zu führen schein. Eventuell ein alter Kartoffel- oder Kohlenkeller. Schon wahrscheinlicher, dass Jassim dort war! Rayan hoffte inständig, dass er noch am Leben war und sie dort unten nicht nur seinen Leichnam finden würden.
Sie zogen sich etwas weiter vom Haus zurück, um eine Weile ihre Optionen zu analysieren. Sollten Sie sofort handeln? Doch dann kamen sie zum Schluss, dass es zu gefährlich war, Jassim jetzt von hier zu befreien. Wenn es auch nur einem der Männer gelingen sollte, im Schloss Alarm zu schlagen, war es um Tahsin geschehen.
Also beschlossen sie, sich aufzuteilen. Das würde nicht leicht werden, weil sie zeitlich genau abgestimmt agieren mussten.
Hanif war ein hervorragender Kämpfer, der es mit vier Männern leicht aufnehmen konnte. Die Anzahl von Rayans Gegner konnten sie nicht vorhersehen, doch hofften sie, dass es ausreichte, wenn Rayan überraschend Tahsin aus dem Internat einfach mitnahm. Die Idee war, dass der Spion, der Tahsin im Auge behielt, erst zu spät merkte, was gespielt wurde, und Rayan mit Tahsin unbehelligt davonfahren konnte.
Rayan wollte zunächst um zwölf Uhr den Termin mit dem Direktor wie geplant besuchen. Dann aber spätestens um 12 Uhr 15 Tahsin wie besprochen am Pool treffen.
Er verabschiedete sich für den Moment von Hanif und ließ ihn dann zurück, um nach Eston Castle zu fahren.
Der große Schwachpunkt an seinen Plan war, dass nicht auszuschließen war, dass der Direktor selbst der Informant sein könnte. Dann wussten die Gegner schon Bescheid und würden ihn erwarten. Doch dieses Risiko war er bereit, in Kauf zu nehmen. Was blieb ihm auch anderes übrig?
Heute war bereits der sechste Tag nach der Entlarvung und Hinrichtung von Sachra, sie hatten also keine Zeit mehr zu verlieren, denn lange würden die Hintermänner nicht mehr warten. Und sobald sie neue Anweisungen senden würden, würden sie auch merken, dass Rayan schon lange nicht mehr in Zarifa war.