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September 2014 – Flug von Alessia nach London – Traum oder Erinnerung
Оглавление„Nein!“ Rayan stieß das Wort so plötzlich und heftig aus, dass Hanif vor Schreck fast von seinem Flugzeugsessel aufgesprungen wäre. Sie waren beide an Bord des Learjet von Scheich Rayan Ibn Sedat Suekran al Medina y Nayran und flogen in Richtung London.
Sie würden einen Zwischenstopp in München zum Auftanken machen müssen, hatte der Pilot ihnen vor dem Start gesagt. Die Flugzeit dorthin betrug etwas mehr als sechs Stunden. Sie würden also gegen 20 Uhr dort ankommen. Danach waren es nur noch etwas mehr als eineinhalb Stunden, bis sie in London am Cityairport landen würden.
Seit ihrem eiligen Aufbruch aus Zarifa vor fünf Tagen hatten beide nicht viel Rast gehabt, aber Rayan hatte besonders schlecht geschlafen. Er war erst jetzt, wo sie an Bord und auf dem Weg in Richtung England waren, endlich in einen unruhigen Schlummer gefallen. Einige Minuten lang hatte er noch über Hanifs und Leilas offensichtliche Zuneigung nachgedacht, dann hatte der Schlaf ihn übermannt.
Er hatte bereits einige Minuten vorher undeutliche Worte gemurmelt, doch nun sprach er auf einmal ganz klar. Hanif beugte sich vor, um zu sehen, ob er wach war, aber Rayan war definitiv noch immer im Land der Träume. „Wohl eher ‚Land der Albträume‘ “, dachte Hanif für sich.
Es musste der Stress und die Sorge um seinen Sohn Tahsin sein, die ihn derart zu beunruhigen schien. Denn Hanif hatte bereits so viele Stunden bei ihren unzähligen Ritten durch die Wüste mit Rayan verbracht, auch während dieser schlief, aber niemals hatte er auch nur geschnarcht, geschweige denn während des Schlafes gesprochen.
„ ….kann es nicht sagen, wir werden alle sterben …muss sie beschützen.“ Dann stöhnte er leise und murmelte wieder vor sich hin.
„Aufhören! Es tut so weh …nein nicht das Salz!“
Hanif lief es eiskalt den Rücken herunter. Salz? Zwischen den Wortfetzen die er verstehen konnte, stöhnte Rayan immer wieder und murmelte vor sich hin, doch die letzten Worte waren so deutlich, dass ein Irrtum ausgeschlossen war.
Er überlegte, ob er seinen Freund und Herren wecken sollte, denn dass dies kein angenehmer Traum sein konnte, war ihm klar. Er streckte gerade seine Hand nach Rayan aus, als dieser wieder zu sprechen begann: „Vater! Sag ihnen, sie sollen aufhören! Ich - ich sterbe!“ …und Hanif hielt wie vom Donner gerührt inne, denn nun wusste er, von welchem Ereignis Rayan da träumte.
„Vater, warum hilfst du mir nicht …?“
Noch bevor Hanif sich entscheiden konnte, ob er Rayan nun wecken sollte, schreckte dieser mit einem letzten Laut hoch und wachte auf.
Im ersten Moment wusste Rayan nicht, wo er war. Das passierte ihm nur äußerst selten und war eine Folge des Albtraums, den er gerade gehabt hatte. Er sah sich nach Hanif um, doch der schien zu schlafen.
Vorsichtig stand er aus seinem Sessel auf, er wollte Hanif nicht wecken, denn nach einem Gespräch war ihm jetzt nicht zumute.
Er ging zur kleinen Bar des Fliegers, nahm sich ein paar Eiswürfel in ein Gefäß und etwas Sodawasser.
Seine Hände zitterten leicht beim Einschenken der Flüssigkeit.
Er hob das Glas und hielt kurz an seine Stirn, Rayan fühlte sich, als hätte er Fieber. Er trank einige Schlucke des kalten Getränks und spürte erleichtert, dass er etwas ruhiger wurde.
„Nur ein Traum“, sagte er leise zu sich selbst. Dabei fiel sein Blick in den Spiegel der Bar.
Eine Weile musterte er sich selbst, wie er so dastand. Die teure europäische Kleidung stand ihm gut. Das weiße Hemd betonte die Farbe seines Teints, das Dunkelblau des Anzugs passte hervorragend zum Blau seiner Augen. Diese Augen waren das auffälligste an der ohnehin bemerkenswerten Erscheinung des Scheichs.
Sie waren ein Erbe seiner deutschen Großmutter, der er zusätzlich auch noch seine Sprachbegabung zu verdanken hatte. Denn Rayan sprach mehrere Sprachen fließend. Deutsch unter anderem sogar so gut wie akzentfrei. Meistens ließ er seine Gesprächspartner allerdings über diese Veranlagung im Dunkeln. Er liebte es nicht, zu viele Informationen über sich selbst preiszugeben. Umso interessanter, wenn manche Personen unvorsichtig genug waren, sich in seinem Beisein offen zu unterhalten, weil sie der Meinung waren, er verstünde sie nicht. Am liebsten noch über ihn. Die einfachste, aber äußerst effiziente Methode, ihre wahre Meinung zu erfahren.
Auch sein Körper ließ kaum Wünsche offen: Er war 1,89 m groß und durchtrainiert. Von seinem Vater hatte er das tief dunkelbraune, fast schwarze Haar geerbt. Alles in allem ein Anblick, der es ihm in der Frauenwelt einfach machte, zu bekommen, was er wollte.
Allerdings nicht nur dort. Denn wenn sich der Scheich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es unter Umständen gefährlich, ihm zu widersprechen. Er hatte den Einfluss, die Mittel und vor allem auch die Ausstrahlung, sein Umfeld in seinem Sinne zu beeinflussen.
Gegenüber seinen Feinden galt er als gnadenlos und war daher gefürchtet. Bei seinen Freunden dagegen zeichnete er sich durch Treue und Großzügigkeit aus. Lediglich sein Temperament machte ihm manchmal zu schaffen.
Heute jedoch sah Rayan im Spiegel nur, dass er aufgrund der Strapazen der letzten Tage und der psychischen Anspannung und inneren Unruhe trotz seiner natürlichen Bräune ungewöhnlich blass wirkte und tiefe dunkle Augenringe hatte. Einen Moment schloss er die Lider und sinnierte wieder dem Albtraum nach, den er soeben gehabt hatte. Als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass Hanifs ihn beobachtete, was seine Meinung bestätigte, dass dieser sich vorher nur schlafend gestellt hatte.
Ihre Blicke kreuzten sich und dabei realisierte er Hanifs Gesichtsausdruck: Eine Mischung aus Verlegenheit und Entsetzen.
Rayan seufzte und fragte noch immer mit dem Rücken zu Hanif: „Ich habe wohl im Schlaf gesprochen?“, dabei beobachtete er dessen Reaktion. Hanif zögerte einen Moment. „Ja, ihr habt einen sehr unruhigen Schlaf gehabt und Euch hin und her geworfen und auch einiges Unverständliches gemurmelt …“, dabei wurde er leicht rot.
Rayan lächelte sanft: „Seit wann lügst du mich an Hanif?“
Nun glich Hanifs Gesicht der Farbe einer Tomate. „Verzeiht mir Herr, ich wollte nicht …“ Er brach ab, denn er wusste nicht, was er sagen sollte.
Rayan schenkte ein zweites Glas Wasser ein, drehte sich um und ging zu seinem Platz zurück. Er reichte Hanif das Wasser und setzte sich hin.
„Also Hanif, sag mir, was habe ich im Schlaf erzählt?“
Einen Moment lang war Hanif noch verlegen, doch dann setzte er sich gerade hin, schaute Rayan direkt in die Augen und sagte:
„Es war offenbar ein Albtraum. Ihr habt gesagt, dass es wehtut, und ihr es nicht mehr aushalten könnt. Aber müsst, weil Eure Freunde sonst sterben werden. Dann habt ihr mit Eurem Vater gesprochen und ihn angefleht, er möge Euch helfen und ‚sie‘ dazu bringen aufzuhören, weil ihr sonst sterbt.“
Nun war es an Hanif, Rayan prüfend zu beobachten. Dieser entgegnete nichts und sinnierte eine Weile über die Worte seines Freundes. Dann fragte er ihn: „Und was denkst du von diesem Traum?“
Ohne zu zögern antwortete Hanif: „Ich glaube nicht, dass es lediglich ein Traum war – ich bin mir sogar sicher, dass es eine Erinnerung war.“