Читать книгу Rayan - Zwischen zwei Welten - Indira Jackson - Страница 8
September 2014 – Tal von Zarifa – Reisevorbereitungen
ОглавлениеTahsin war wohlbehalten in seinem Internat in Eston Castle in England angekommen. Er hatte keine Ahnung von der Gefahr, in der er schwebte, und das sollte auch so bleiben. Rayan wollte nicht, dass sein Sohn sich Sorgen machte. Außerdem schütze ihn im Moment noch die Unwissenheit. Je weniger er wusste, desto geringer war die Chance, dass die Unbekannten ihn angriffen. Schließlich war der Vater das Primärziel, der Sohn nur Mittel zum Zweck. Rayan würde Tahsin daher erst einweihen, wenn es sich überhaupt nicht mehr vermeiden ließ.
Jassim hatte den Sohn des Scheichs auf dessen Befehl hin den ganzen Weg von Zarifa nach England begleitet, im Schloss abgeliefert, danach war der Kontakt zu ihm abgebrochen. Rayan hatte am Vorabend mit Tahsin telefoniert, der ihm einige Episoden von ihrer Reise berichtet hatte, ansonsten aber völlig normal geklungen hatte. Der Leibwächter dagegen hätte sich nach seinem Aufbruch aus Eston Castle auf dem Rückweg melden sollen und Rayan hatte inzwischen mehrfach vergeblich versucht, ihn anzurufen. Sein Satellitentelefon blieb unbeantwortet, es klingelte durch.
Und dann war die E-Mail gekommen:
„Wir haben Jassim, und wenn du nicht genau das tust, was wir dir sagen, dann schicken wir ihn dir in Einzelteilen zurück.
Außerdem haben wir eine Person unseres Vertrauens in Eston Castle. Wenn du nur einen Schritt von dem Weg abweichst, den wir dir vorgeben, dann stirbt dein Sohn auf die gleiche Weise wie seine Mutter.
Als Zeichen deines guten Willens mit uns zusammenzuarbeiten, schickst du auf der Stelle deine kleine ungläubige Freundin nach Hause. Keine Angst, an ihr sind wir nicht interessiert, also werde sie los – morgen noch. Sonst interessieren wir uns in Zukunft vielleicht doch noch für sie.
Wenn du tust, was wir sagen, wird keinem anderen etwas passieren - wir wollen DICH, und nachdem du in Dubai mehr Glück als Verstand gehabt hast, haben wir uns jetzt etwas anderes einfallen lassen.
Der arme Khalid Raisuli, letzten Endes war er nur unser Werkzeug.
Jetzt tu‘ genau, was wir sagen und halte ansonsten die Füße still. Bleib, wo du bist.
Wir melden uns wieder.“
Diese E-Mail änderte alles. Rayan hatte zusammen mit seinem langjährigen Gefährten Hanif und seiner Adoptivmutter Julie kurz in Erwägung gezogen, Carina ins Vertrauen zu ziehen und ihr den Grund für ihre Abreise zu erzählen, doch war die Gefahr zu groß, dass sie dann ebenfalls ins Visier der Erpresser kommen würde.
Freilich konnte er sich nicht zu hundert Prozent darauf verlassen, dass Carina auf diese Weise sicher war, doch hoffte er, dass sein Gespür ihn nicht getrogen hatte.
Und so hatte er der Frau, die er liebte, kurzerhand eine Lüge über Leila aufgetischt, die angeblich hier die Frau des Hauses sei und bereits auf dem Weg hierher sei. Natürlich hatte es Carinas Stolz nicht zugelassen, dass sie auch nur einen Moment länger hierblieb.
Rayan grübelte noch einmal darüber nach, wie einfach es gewesen war, Carina diese Lüge glaubhaft zu machen. Er wusste, dass er überzeugend sein konnte, wenn er es wollte. Aber kannte sie ihn denn immer noch nicht gut genug? Hatte er ihr nicht in den letzten Tagen bewiesen, wie viel sie ihm bedeutete? Wieder hatte er einen Moment lang das Gefühl, eine eiskalte Hand krampfe sich um sein Herz. Er seinerseits kannte Carina gut genug, um zu wissen, dass es nicht leicht sein würde, sie davon zu überzeugen, ihm diese Abfuhr jemals zu verzeihen, selbst wenn sie später irgendwann die Wahrheit erfuhr.
Er seufzte. Dafür hatte er jetzt keine Zeit, er musste einen Schritt nach dem anderen machen.
Er ging aus seinem Schlafzimmer hinaus in das nebenan liegende Büro. Auch in diesem Raum gab es eine Fensterscheibe, die über die ganze Breite der Wand ging und eine uneingeschränkte Aussicht auf den hinter dem Haus liegenden Garten bot, der wie eine blühende Oase im Kontrast zu den dahinterliegenden schroffen Felsen des Talkessels stand. Doch er hatte heute keinen Blick für die Schönheiten, die dieses Panorama bot.
Er setzte sich an seinen Schreibtisch aus poliertem dunklem Holz und drückte den Knopf, der das Computerterminal aus der Tischplatte herausfahren ließ.
Dann checkte er zunächst seine E-Mails. Keine neuen Nachrichten, zumindest keine, die ihm im Moment weiterhelfen würden. Weder hatte sich Jassim auf diesem Wege gemeldet, noch gab es weitere Neuigkeiten von den Erpressern. Aber das hatte er auch nicht wirklich erwartet.
Als Nächstes griff er zum Telefon und machte sich daran, die Liste abzutelefonieren, die er in seinem Kopf hatte. Rayan war ein geschickter Stratege, der seine Gefühle völlig ausschalten konnte.
Erstens rief er noch einmal seinen technisch begabten Freund in Amerika, Cho, an. Der japanisch-stämmige Amerikaner hatte das Tracking des Satellitentelefons von Jassim übernommen.
Er war es auch gewesen, der all ihre Telefone mit GPS Sendern ausgestattet hatte. Keine schlechte Idee, angesichts der langen Strecken, die Rayan immer wieder in der offenen Wüste zurücklegte. So konnten sie im Notfall angepeilt werden. Nie hätte er gedacht, dass er diese Funktion einmal aus diesem Grund würde nutzen müssen.
Cho informierte ihn, dass der Sender von Tahsin sich innerhalb des Internats befand und sich hier in den üblichen kleinen Schritten bewegte, vermutlich wenn Tahsin den Klassenraum wechselte. Hier in Zarifa war es inzwischen Nachmittag, für Tahsin in England musste aufgrund der vier Stunden Zeitverschiebung gerade Mittagspause sein.
Der Apparat von Jassim hatte sich dagegen nicht mehr bewegt. Es stand noch immer an der gleichen Stelle in England still, wie heute Morgen, als er die E-Mail bekommen hatte. Gemäß Koordinaten schien dieser Ort ganz in der Nähe von Tahsins Internat sein.
Diesbezüglich also nichts Neues. Die interessanten Neuigkeiten die Cho hatte, betrafen den E-Mail-Verkehr von und an Zarifa. Es war ihm gelungen, einige Mails zu ihrem Ausgangspunkt zurück zu verfolgen. Diese Information bestätigte Rayans Verdacht über die Identität des Verräters. Er gönnte sich einige Minuten des Nachdenkens, was das bedeutete und wie er vorzugehen hatte, um diese Person auszuschalten.
Als Zweites rief er seinen Freund Harun Said an. Er hatte ihn vor dreizehn Jahren kennengelernt, als sie gemeinsam dafür gesorgt hatten, dass ihr Widersacher Scheich Yuemnue ein für alle Mal ausgeschaltet wurde. Seitdem trafen sie sich immer wieder, um sich über die neuesten Ereignisse auszutauschen oder unternehmen gemeinsame Reisen. Harun hatte nie vergessen, dass es Rayan gleich doppelt zu verdanken war, dass sein jüngerer Bruder Sarif noch am Leben war. Zum einen hatte der Scheich das Leben des Jungen in einer direkten Konfrontation geschont und dann hatte er ihm nach einer schweren Verwundung medizinische Versorgung gewährt, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch offiziell Feinde gewesen waren.
Harun hatte gute Beziehungen zur saudischen Armee und genau diese Verbindung benötigte Rayan nun. Er wusste, wenn er nach England wollte, musste er schnell sein. Denn wenn Jassim verwundet war, konnten unter Umständen Stunden entscheidend für sein Leben sein. Er aber saß hier in Zarifa fest, von wo aus er alleine bis Alessia sechs Tagesritte benötigte. Harun hörte ihm aufmerksam zu, stellte einige wenige präzise Fragen, und versprach dann, alles Notwendige zu veranlassen. Das war einer der Gründe, warum sich die Männer so gut verstanden – wenn es darauf ankam, hielten beide nichts davon, viele Worte zu verschwenden.
Als Drittes rief Rayan nochmals seinen Freund und Anwalt Taib Riad an. Mit ihm hatte er gleich mehrere Themen zu besprechen. Zum einen sollte er Mazin wissen lassen, dass Carina auf dem Rückweg war, damit er sich um ihre Flüge und angemessene Unterkünfte für sie in Alessia und Dubai kümmern sollte.
Des Weiteren sollte er von seiner Seite aus ebenfalls schon einmal alle Kanäle anzapfen, ob es irgendwo Informationen gab, wer ihm schaden wollte.
Und schließlich würde er endlich das Projekt in Auftrag geben, welches Zarifa besser an die Zivilisation anbinden sollte. Bisher hatte er das absichtlich vermieden, denn hier war sein Zufluchtsort, den er sich bewahren wollte. Es hatte ihm bis dato nichts ausgemacht, dass Zarifa nur zu Pferd oder Kamel nach sechs Tagen Ritt durch die Wüste erreichbar war. Er war technisch bestens angeschlossen. Was brauchte er mehr als seinen Computer, E-Mails, das Internet und sein Hightech-Telefon? Doch nun sah er ein, dass diese langen Ritte nicht mehr zeitgemäß und in einem derartigen Notfall auch äußerst unpraktisch waren.
Er hatte bereits vor einigen Monaten einmal Pläne für den Bau einer Landebahn in einem Seitental von Zarifa anfertigen lassen. Damit wäre das Gebirge zwar nur für ganz spezielle Flugzeugtypen erreichbar, die mit einer sehr kurzen Landebahn auskämen, und auch die Landung selbst wäre nur für geübte Piloten durchführbar, aber es wäre möglich, Zarifa besser zu erschließen.
Sein Zögern kam unter anderem daher, dass er bei seinen vielen Einsätzen genügend Erfahrungen gesammelt hatte, um zu wissen, dass auf diesem Wege neben dem Nutzen auch die Gefahr größer würde. Er war sich bewusst, dass er viele Feinde hatte. Was wenn sie sich auf diesem Wege einschleichen konnten? In den undurchdringlichen Bergen rund um das große Tal konnte man sich jahrelang verbergen, wie er von seiner Kindheit aus eigener Erfahrung wusste.
Aber andererseits war er nun bereit dieses Risiko einzugehen. Er wollte für die Zukunft die An- und Abreise für sich, seine Familie und Freunde verkürzen. Taib sollte das Bauprojekt beauftragen und auch beaufsichtigen.
Bereits in wenigen Monaten konnte alles fertiggestellt sein.
Nach diesem Telefonat blieb er noch einen Moment sitzen und überlegte, ob er an alles gedacht hatte.
Dann rief er als Letztes Julie und Hanif an, und bestellte sie zu sich in sein Büro. Er benötigte ihre Hilfe. Es galt, den Verräter so auszuschalten, dass er seine Hintermänner nicht mehr warnen konnte.