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2.3 Weitere Publikationen von John Hattie

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Es ist sinnvoll, die sogenannte Hattie-Studie im Zusammenhang mit weiteren Publikationen des Forschers zu betrachten.

Im Jahr 2012 hat Hattie ein Buch mit dem Titel: Visible Learning for Teachers. Maximizing Impact on Learning veröffentlicht (HATTIE 2012; deutsche Übersetzung HATTIE 2013). Darin überträgt er die Ergebnisse seiner Studie auf den Unterricht. Es folgt eine ausführliche Darstellung von der Vorbereitung und Planung über die Durchführung bis hin zur Evaluation durch vielfältige Formen des Feedbacks. Interessant ist der leidenschaftliche, geradezu missionarische Stil des Forschers, den man schon aus Teilen der vorangegangenen Studie, z.B. dem Kapitel 3 (Hattie 2009: 22–38), kennt. Dieser Stil, der im Gegensatz zum nüchternen Ton der wissenschaftlichen Analysen steht, macht den Reiz von Hatties Veröffentlichungen aus. Dazu schreibt Ivo Arnold (2011: 2):

I find the visible learning story a convincing story. I believe most teachers will agree with the book’s main message that effective instruction cannot take place without proper feedback from student to teacher on the effectiveness of the instruction. Hattie also convincingly argues that the effectiveness of teaching increases when teachers act as activator instead of as facilitator, a view which I find refreshing in a time when teaching approaches such as problem-based learning have the effect of sidelining the instructor. My problem with the book is, however, that I would have been convinced even without the empirical analysis.

In der Tat ist die „Geschichte“, die Hattie über das Lernen zusammenfügt, nicht nur überzeugend, sondern aus meiner Sicht auch spannend. Viele Lehrpersonen werden Hattie darin folgen, dass Unterricht nur dann wirklich effektiv ist, wenn (auch) die Schülerinnen und Schüler der Lehrperson ein geeignetes Feedback zur Wirkung des Unterrichts geben. Auch sonst kann man Arnold zustimmen: Hattie wird viele Lehrpersonen davon überzeugen, dass ihr Unterricht lernwirksamer sein kann, wenn sie ihn aktiv gestalten und sich nicht damit begnügen, die Lernenden nur stützend zu begleiten. Hatties Ausführungen sind in der Tat erfrischend in einer Zeit, in der Ansätze wie problem-lösendes Lernen die Lehrperson als Randfigur erscheinen lassen. Das Problem, welches Arnold mit Hatties Publikationen hat, ist der Eindruck des Rezensenten, dass er von Hatties „Lern-Geschichte“ auch ohne die empirische Analyse überzeugt wäre.

Auffällig ist auch der teilweise freie Umgang von Hattie mit den Ergebnissen seiner Mega-Analyse, den man als Empiriker beklagen mag, als Praktiker aber vermutlich begrüßen wird. Was eine Übernahme von Hatties Unterrichtskonzept erschwert, sind folgende Punkte:

1. Konkrete Beispiele fehlen im Rahmen der unzähligen Empfehlungen für die Praxis fast vollständig. Die wenigen Vorschläge, die Hattie ausführt, lassen sich nicht ohne Weiteres auf den deutschsprachigen Kontext übertragen.

2. Es wird eine geradezu verwirrende Fülle von Kategorisierungen, Klassifizierungen und Unterteilungen vorgenommen. Mit anderen Worten: Man braucht viel Ausdauer, um auch nur die wesentlichen Punkte von Hatties Unterrichtsmodell aufzunehmen.

3. Hattie besteht auf der vollständigen Übernahme seines Unterrichtsmodells. Dafür fehlen aber bei uns die Voraussetzungen: So dürfte es schwer sein, die erforderlichen Übereinkünfte mit Bildungspolitikern und der Schulaufsicht zu treffen, die Zeit und die Bereitschaft für den notwendigen Austausch unter den Kolleginnen und Kollegen zu finden, die Unterrichtsverpflichtung der Lehrpersonen so zu reduzieren, dass sie die detaillierten Unterrichtsvor- und -nachbereitungen leisten können, und die Verlage oder pädagogische Institutionen zur Erstellung der geeigneten Lehr- und Lernmaterialien zu veranlassen (vgl. WELLENREUTHER 2004, 22010).

Diese Einschränkungen bedeuten nicht, dass die Ergebnisse von Hatties Arbeit für uns nicht relevant sind. Es ist unsere Aufgabe, sie im Vergleich zu anderen evidenzbasierten Vorgaben zu prüfen und die Anregungen zu übernehmen, die für Lehrpersonen und Lernende im deutschsprachigen Raum richtungsweisend sind und die wir mit gutem Willen unter den gegebenen Umständen umsetzen können. All denen, die Zeit und Muße haben, sei die Lektüre von Hatties „Lehrer-Buch“ in Gänze empfohlen, am besten auf Englisch, denn nur so kommt man in den Genuss von Hatties mitreißenden Ausführungen.

Unbedingt empfehlenswert ist die Lektüre der Kapitel 1–3 der Publikation von 2012 (Chap. 1: Visible learning inside, HATTIE 2012: 1–6), (Chap. 2: The source of the ideas, ibid.: 9–12), (Chap. 3: Teachers: the major players in the education process, ibid.: 22–34). In diesen einleitenden Kapiteln fasst Hattie seine Studie knapp zusammen. Im letzten Kapitel (Chap. 9: Mind frames of teachers, school leaders, and systems, ibid.: 149–170) ist der Teil Eight mind frames – gemeint ist Geistes- und Gemütsverfassung – (ibid.: 159ff.) aufschlussreich, auch wegen des in den abschließenden Übungen enthaltenen Your personal health check for visible learning (ibid.: 169).

Am Rande vermerkt sei, dass die Zahl der synthetisierten Meta-Analysen in der Publikation von 2012 auf über 900 angewachsen ist. Mit dieser Erweiterung versucht Hattie auch der Kritik zu begegnen, viele der in der vorangegangenen Hattie-Studie berücksichtigten Meta-Analysen seien zu alt und daher in Teilen überholt, z.B. was den Faktor Lehrerbildung angeht (vgl. TERHART 2011: 284f.). Es ist freilich nicht zu ändern, dass eine Zusammenschau von Forschungsergebnissen mehr oder weniger „historisch“ ausfällt. Das gilt nicht nur für Hattie. Dabei gehen Forscher häufig stillschweigend davon aus, dass die Zukunft absehbar ist und sich von der Gegenwart nicht wesentlich unterscheidet.

Zusammen mit Eric M. Anderman von der Ohio State University, USA, hat Hattie im Jahr 2013 einen Sammelband herausgegeben: International Guide to Student Achievement (HATTIE & ANDERMAN 2013). In erster Linie soll diese umfangreiche Publikation belegen, dass die von Hattie untersuchten Kategorien und auf der Basis der Effektstärken propagierten Konzepte nicht vorrangig von ihm, sondern von Forscherinnen und Forschern weltweit vertreten werden. Auch dieses Projekt hat gigantische Ausmaße: Auf ca. 500 Seiten erläutern Forscher bzw. Forschergruppen in über 150 Beiträgen ihre Positionen. Dass so viele zu Wort kommen, haben die beiden Herausgeber ermöglicht, indem sie die Länge der einzelnen Beiträge auf durchschnittlich drei Druckseiten festgelegt haben. Die Beiträge sind – zur leichteren Orientierung – gleich aufgebaut: Nach einer kurzen Einleitung folgt ein Abschnitt zu den empirischen Belegen (Research Evidence), an den sich die Zusammenfassung mit Empfehlungen und das Literaturverzeichnis anschließen.

Sieht man das neunseitige Inhaltverzeichnis durch, stellt man fest, dass die neun Sektionen im Großen und Ganzen dem Aufbau der Hattie-Studie von 2009 folgen. Die erste und einleitende Sektion wird von Hattie und Anderman selbst betreut. Im gesamten Handbuch stammt nur ein einziger Beitrag von Hattie, und zwar 4.7 Class size (HATTIE 2013: 131ff.). Die Aussage von Hattie, dass eine Verringerung der Klassenstärke von 25 auf 15 nur unwesentlich zur Verbesserung der Lernleistung beitrage und man das Geld besser an anderen Stellen investiere, löst einerseits Begeisterung bei Schulleitern und Schulverwaltungen sowie bei Bildungspolitkern aus, hat aber andererseits zahlreiche Kritiker auf den Plan gerufen.

Als Beispiel für Hatties Vorgehen gehe ich kurz auf den Faktor Class size ein. In der Studie von 2009 erreicht die Klassengröße lediglich eine Effektstärke von d = 0.21 und rangiert auf Rang 106 von 138 (HATTIE 2009: 85–88). In früheren Analysen, nämlich einer Übersicht von Effektstärken (table of effect sizes, vgl. Hattie o.J.), auf die Petty (22009: 69) sich stützt, hat Hattie die Lernwirksamkeit von kleineren Klassen sehr viel positiver dargestellt.

Im Sammelband (HATTIE 2013: 131ff.) räumt Hattie ein, dass man eigentlich nichts über die Wirkung kleinerer Klassen hinsichtlich der Lernleistung aussagen kann. Studien deuten darauf hin, dass die Reduzierung der Klassenstärke im Primarbereich zu größeren Lerneffekten führt als in höheren Klassen. Generell hat sich aber herausgestellt, dass die Lernwirksamkeit kleinerer Klassen vor allem deshalb so gering ausfällt, weil die Lehrpersonen genauso unterrichten wie in Klassen mit 25 und mehr Schülern, d.h. dass es für den Unterricht in kleinen Lerngruppen einer zusätzlichen Qualifizierung bedarf. Hattie schließt seinen Beitrag im Sammelband wie folgt (ibid.: 132): “Given the enormous costs and the high levels of advocacy by teachers and parents for lower class size, it is necessary to rephrase the key question from does class size reduction positively influence student achievement toward how can we optimize teaching in small classes.”

Aufgrund der enormen Kosten für kleinere Klassenstärken und der hohen Zustimmung, die sie bei Lehrpersonen und Eltern genießen, muss die Schlüsselfrage neu formuliert werden, und zwar von: Beeinflusst die Verkleinerung der Klassenstärke die Lernleistung der Schüler positiv? zu: Wie können wir das Unterrichten in kleinen Klassen verbessern? Ich erinnere an das oben angeführte Falsifikationskriterium von Popper (vgl. 1.9): Eine Theorie hat nur solange Gültigkeit, bis sie widerlegt und durch eine bessere ersetzt wird.

Auch in seinem 2014 zusammen mit G. Yates veröffentlichten Buch: Visible Learning and the Science of How We Learn gibt es hinsichtlich der Klassengröße keine neuen Erkenntnisse. Generell dient diese Publikation der Untermauerung von Hatties Unterrichtsmodell auf der Grundlage von neueren (empirischen) Untersuchungen.

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