Читать книгу Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 16
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Оглавление»Gehst du schon?«
Vera versuchte, den Vorwurf in seiner Stimme zu ignorieren. »Du weißt doch, dass heute Abend die Besprechung ist, oder hast du das vergessen, Troels? Wo warst du überhaupt? Wer hat dich nach Hause gebracht, und wo ist dein Auto?«
Sie blieb in der Türöffnung zum Wohnzimmer stehen und griff nach der Schultertasche. Er sah sie nicht an. Der Fernseher war laut aufgedreht – ein Sportkanal; jedes Mal wenn der Ball in der Nähe des Tors war, brüllte der Kommentator los und führte sich auf wie ein Idiot. In solchen Momenten vergaß er offenbar, dass er ein Mikrofon hatte. Auch seine ständigen Sportsendungen konnte sie nicht ausstehen. Es war nervig, wenn er vom Laden nach Hause kam und sogleich die Glotze einschaltete. Noch schlimmer war es, wenn er, wie jetzt, betrunken eintrudelte und sie nicht wusste, wo er gewesen war. Sein unbekümmerter Umgang mit der Zeit war der Grund gewesen, warum sie sich ihren eigenen kleinen gebrauchten Ford hatte kaufen müssen. Sie hatte nie wissen können, ob und wann das Auto zu Hause war.
»Okay, dann tschüss. Ich werde zusehen, dass ich rasch wieder nach Hause komme.«
Wuchtvoll knallte sie die Tür zu, um den Ton des Fernsehers zu übertönen. »Das brauchst du verdammt noch mal gar nicht«, murmelte er – aber erst, nachdem er die Tür hatte knallen hören.
In der Halbzeit des Fußballspiels holte er sich ein neues Bier aus dem Kühlschrank. Unter einem Stück Alufolie hatte sie ihm das Essen bereitgestellt, er musste es nur noch in die Mikrowelle schieben. Er hatte keine Lust nachzusehen, was es war. Es war selten etwas Interessantes. »Karrierefrauen haben keine Zeit, anständiges Essen für ihre lausigen Männer zu machen.« Er verzog sein Gesicht und öffnete das Dosenbier so energisch, dass es auf den Küchenboden spritzte. Er wischte die Sauerei mit einem Tuch auf, bevor er sich schwerfällig wieder aufs Sofa plumpsen ließ. Die Pausen waren beim Fußball das Schlimmste. Es nervte, dazusitzen und sich all die Spezialisten anhören zu müssen, die vorherzusagen versuchten, was in der zweiten Halbzeit passieren würde. Warum, zum Teufel noch mal, ließ man sie nicht einfach weiterspielen?
Immer mussten Spezialisten alles beurteilen. Sogar der Krieg im Irak musste von klugen Kriegsspezialisten analysiert werden. Oder von Politikern, die dort unten mal schnell einen Zwischenstopp eingelegt hatten und nun glaubten, alles gesehen zu haben und zu Hause erzählen zu können, dass alles unter Kontrolle sei. Er schnaubte verächtlich. Die hatten doch keine Ahnung, was die Soldaten dort unten durchzumachen hatten. Es war so einfach, außen vor zu stehen und zu urteilen. Sie, die Soldaten, waren es, die bleiben mussten und für die nun die Worte aus jener bekannten dänischen Hymne – »Kämpfe für alles, was du lieb hast, stirb, wenn es sein muss« – eine ganz andere Bedeutung annahmen. Bomben am Straßenrand, Angriffe aus dem Hinterhalt, Selbstmordattentate. Eine Militäruniform, die sie nicht einmal am Abend durch Zivilkleidung ersetzen durften. »Es ist kein Ferienlager«, hieß es. Aber daran bestand ja wohl auch kein Zweifel. Ihm wurde schlecht, wann immer er an die Hitze und den Gestank zurückdachte, die dort geherrscht hatten – und an die Angst, auch wenn er sie sich nicht eingestehen wollte. Nicht jetzt, nachdem er wieder zu Hause im kleinen, sicheren Dänemark angekommen war. Aber des Nachts konnte er sie nicht mehr unter den Teppich kehren. Die schrecklichen Albträume, die eigenen lauten Schreie ließen ihn fast jede Nacht hochschrecken. Es war ein Glück, dass Vera ihn längst aus dem nun nicht mehr gemeinsamen Schlafzimmer verbannt hatte. Aber wahrscheinlich hörte sie ihn trotzdem noch immer.
»Bla, bla, bla«, äffte er den Kommentator nach und zappte weiter. Von Sender zu Sender nur Werbung, Werbung, Werbung – und von so einem Zeug lebte dieser Kerl, den er im Restaurant getroffen hatte. Den Leuten Lügen erzählen, damit sie mehr Geld ausgaben. Ihnen längeres und seidiger glänzendes Haar versprechen – oder überhaupt noch irgendeinen Haarwuchs. Er lächelte verächtlich. Was für eine schwule Beschäftigung. Und dann war der Typ noch so ein heiliges Arschloch, das nicht trank und für andere den Lebensretter spielen wollte. Er hätte sehr gut selbst nach Hause fahren können, das hatte er doch schon tausendmal vorher gemacht und oft genug, wenn er noch weitaus mehr intus gehabt hatte. Troels zappte weiter und landete bei einem Sender, der Tänzerinnen in einem Nachtklub von Miami zeigte. Er nahm einen großen Schluck aus der Bierdose, während er die festen, jungen Mädchenkörper betrachtete, mit Beinen in langen schwarzen Lackstiefeln, die ihnen bis zu den Knien reichten. Sie wanden sich wie Schlangen um die glänzenden Stahlrohre, die wie in einer kleinen Feuerwache auf der Bühne aufragten. Eines der Mädchen hockte sich vor einen der Nachtklubbesucher und flirtete schamlos frech mit der Zunge mit ihm.
Sie war schön, braun und gut gebaut. Troels spürte das Pochen im Schritt wie einen Schmerz. Wie ein Höhnen. Dann richtete sich die Tänzerin auf und schubste den erregten Kunden mit einem Lachen von sich. Der konnte auch nicht. Troels’ Griff um die Bierdose wurde so fest, dass das Metall nachgab. Er zappte zurück auf den Sportsender. Die zweite Halbzeit war gerade angepfiffen worden.
Es dauerte nicht lange, bis die Bierdose leer war. Er holte die Whiskyflasche aus dem Schrank mit der Hausbar und betrachtete liebevoll die goldene Flüssigkeit, bevor er sich einschenkte.
Das Spiel endete unentschieden. Er ging in die Küche und hob die Alufolie an. Koteletts von gestern, die nur aufgewärmt werden mussten. Er rümpfte die Nase. Jetzt nicht. Es hatte auch keine Eile, weil die Sitzungen ohnehin immer lange dauerten, und vielleicht wollte sie sich ja anschließend noch amüsieren gehen. Er nahm wieder vor dem Bildschirm Platz. Nach all dem Wein im Restaurant, dem Bier und dem Whisky fühlte er sich jetzt betrunken. Trotzdem schenkte er sich noch einmal nach. Als er die Erkennungsmelodie der Spätnachrichten hörte, beschloss er, den Fernseher ausschalten. Er konnte all die Meldungen über den Irakkrieg und die Selbstmordattentäter dort nicht mehr ertragen, das Entsetzen lag noch immer wach unter seiner Haut. Aber als der Nachrichtensprecher nun mitteilte, dass in einem Container in Brabrand ein ermordetes Mädchen gefunden worden sei, hielt sein Finger auf der Fernbedienung inne. Die Leiche war noch nicht identifiziert, und die Polizei verfügte über keine weiteren Informationen. Das Unbehagen rieselte ihm den Rücken hinunter. Er leerte das Glas mit einem großen Schluck.