Читать книгу Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 17

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Das Geräusch der Türglocke hallte im Haus wider. Tarzan lag zusammengerollt auf dem Sofa wie ein schwarzes, flauschiges Kissen. Sie war wie ein Tornado in der Wohnung herumgewirbelt und hatte Ordnung gemacht, als sie vom Restaurant nach Hause gekommen war. Jetzt war sie sehr erleichtert, dass sie das getan hatte. Sie warf noch einen raschen bewundernden Blick über das fast aufgeräumte Wohnzimmer, dann öffnete sie die Tür.

Jan hatte Nina bei sich; einen Rosenstrauß aus dem eigenen Garten in der Hand, den sie nun Kamilla entgegenstreckte. Kamilla selbst hatte die Stöcke an einem kühlen Abend vor langer Zeit im Garten des Hauses in Mårslet bei Aarhus gepflanzt. Der Anblick von Nina ließ ihr Herz einen mittleren Galopp einlegen. Ein peinigendes Gefühl von Unzulänglichkeit übermannte sie jedes Mal, wenn sie sich in der Nähe jener Frau befand, die Jan ihr und Rasmus vorgezogen hatte.

»Wir waren gerade ein bisschen mit dem Auto unterwegs und da haben wir uns gedacht, wir fahren mal bei dir vorbei und schauen, wie’s dir so geht«, sagte Jan.

Kamilla wusste, dass das nicht stimmte. Sie nahm den Strauß entgegen und bat die beiden zögernd ins Haus.

»Stören wir gerade?«, fragte Nina rücksichtsvoll, als sie eingetreten waren.

»Nein, gar nicht. Wollt ihr eine Tasse Kaffee?«

»Nein, danke, wir fahren gleich wieder.«

Mit seinen langen, selbstsicheren Schritten, die sie aus zehn Ehejahren so gut kannte, schritt Jan ins Wohnzimmer hinüber. Seine roten Haare hatte Rasmus von ihm gehabt. Jan trug Freizeitkleidung: Jeans und ein hellblaues Hemd, das das strahlende Blau seiner Augen noch intensiver wirken ließ. In blauen Hemden hatte ihn Kamilla schon immer besonders anziehend gefunden, und es irritierte sie, dass sie jetzt noch immer dasselbe fühlte.

Ninas Kleidung stand zu derjenigen Jans in deutlichem Kontrast. Sie sah immer aus wie jemand, der sich gerade auf dem Weg zu einer Festlichkeit befindet, und ihre Frisur saß, als käme Nina direkt aus dem Haarsalon. Ihre hochhackigen Schuhe hatte sie höflich im Flur ausgezogen, damit sie auf dem glatten Holzboden keine Spuren hinterließen. In ihrem verwaschenen T-Shirt und der schäbigen Hose fühlte sich Kamilla wie eine graue Maus, und ihr Haar war noch von der Dusche nass. Da sie vorgehabt hatte, bald ins Bett zu gehen, trug sie auch kein Make-up. Sie setzte sich ihnen gegenüber aufs Sofa. Sie hatten beide ihre Jacke nicht abgelegt. Jan saß einfach nur da, trommelte mit den Fingern auf den Couchtisch und starrte auf das Foto von Rasmus im Regal. Rasmus drückte einen Fußball an sich und sein kleines Gesicht strahlte ernsten Stolz aus. Das Foto war aufgenommen worden, als er gerade mit dem Fußballspielen anfing. Sie erinnerte sich noch deutlich an jenen Abend. Jan war sehr stolz gewesen, dass sein Sohn dem Fußballverein beitreten wollte. Das ist Vaterstolz, hatte sie gedacht. Auch wenn Jan weder bei den Geburtsvorbereitungen dabei gewesen war noch beim Windelwechseln seinen Beitrag geleistet hatte, so war er doch stolz auf seinen Sohn. Kamilla erschauderte, als sie nun den Hass in Jans Augen bemerkte. Glaubte er womöglich immer noch, dass sie damals nicht gut genug auf ihren Sohn aufgepasst hatte?

Nina hatte sich eine Zigarette angezündet. Zwischen ihren langen, dünnen Fingern mit den gepflegten, lackierten Nägeln zitterte sie leicht. »Es ist gelogen«, bekannte Jan.

Kamilla kannte seine Lügen. Seine Lügen, dass er Überstunden hatte machen müssen, auf Geschäftsreise ging, ein spätes Geschäftsessen hatte – all die erfundenen Geschichten, die sie ihm damals blind abgenommen hatte. Zum Glück war Rasmus zu diesem Zeitpunkt erst fünf Jahre alt gewesen und hatte noch nicht richtig begriffen, dass sein Vater und seine Mutter nun nicht mehr zusammen waren. Sie selbst hatte es schwieriger gehabt. Plötzlich war sie mit einem kleinen Jungen allein – nur weil sein Vater ins Panikalter gekommen war und sich eine Lolita gesucht hatte. Nina war viel jünger als sie selbst. Jan könnte fast schon ihr Vater sein. Aber Kamilla hatte fest daran geglaubt, dass sich Jan zuletzt dennoch für seine Familie entscheiden würde – für sie und für Rasmus. Sie hatte sich geirrt.

»Was ist gelogen?«, hakte sie nach.

»Wir sind gerade nicht einfach nur ein bisschen mit dem Auto unterwegs gewesen«, räumte Jan ein. »Wir waren auf dem Friedhof. Es war das erste Mal. Ich habe bisher noch nicht ... gekonnt.« Er schwieg und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als wolle er den Anblick wegwischen, der sich ihm auf dem Friedhof geboten hatte.

Nina schnippte die Asche der Zigarette in den Aschenbecher, den sie auf den Couchtisch gestellt hatte, als sie sich hinsetzte. »Ich habe ihn mitgeschleppt«, ging sie dazwischen. Sie nahm einen tiefen Lungenzug und blies dann den Rauch aus dem Mundwinkel. »Ansonsten begreift er die Wirklichkeit nie. Und jetzt will er den Mann finden, der Rasmus ermordet hat.«

Sie blickte zu Jan hin, als habe sie soeben eines seiner größten Geheimnisse gelüftet.

»Was willst du? Aber warum, Jan? Warum jetzt?«, fragte Kamilla und versuchte, ihm in die Augen zu schauen. Er beugte sich nach vorn.

»Ist dir eigentlich bewusst, dass dieses Schwein dafür, dass es unseren Sohn getötet hat, nur vier bis sechs Monate Gefängnis bekommen hat? Er ist längst wieder draußen. Fährt wieder Auto. Trinkt wieder. Vergnügt sich wieder! Er hätte lebenslänglich kriegen sollen!«

»Nein, Todesstrafe!« Nina schnippte wütend die Asche von der Zigarette, obwohl sie es doch soeben erst getan hatte.

»Es ist jetzt über ein Jahr her, Jan! Was willst du diesem Mann denn sagen, wenn du ihn gefunden hast?« Kamilla hatte bislang keinerlei Kraft dazu gehabt, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie der Fahrer des Wagens bestraft worden war – geschweige denn ihn irgend kontaktieren zu wollen.

Jan starrte wieder auf das Foto von Rasmus. Der Hass leuchtete aus seinen Augen. Er antwortete nicht. »Da ist nichts mehr zu machen, Jan«, versuchte sie es wieder. »Selbst wenn du ihn ermordest, bekommen wir Rasmus nicht zu...« Ihre Stimme versagte.

»Er hätte eine höhere Strafe erhalten sollen! Wenn er sich an jenem Abend nicht betrunken ans Steuer gesetzt hätte, wäre der kleine Rasmus noch hier!« Mit einer aggressiven Bewegung zerquetschte Nina die Kippe im Aschenbecher und stand auf. Jan tat es ihr nach. Als ihr klar wurde, dass die beiden schon wieder gehen wollten, erhob sich Kamilla ebenfalls. Sie wusste, dass Nina Rasmus wirklich sehr gemocht hatte und dass Rasmus seinerseits Nina vergöttert hatte. Es war um seinetwillen gewesen, dass sie sich gezwungen gefühlt hatte, Nina zu akzeptieren, obwohl sich die Eifersucht tief in sie bohrte, wann immer sie die beiden zusammen gesehen hatte. Eine Zeit lang hatte sie befürchtet, dass Jan und Nina ihr Rasmus wegnehmen würden, aber zum Glück war das nicht geschehen. Nicht sie hatten ihn ihr weggenommen.

»Ich hatte gehofft, du würdest uns in dieser Sache unterstützen«, meinte Jan vorwurfsvoll, als sie draußen im Flur standen.

»Nein, vergiss es, Jan! Schlag es dir aus dem Kopf, diesen Mann zu finden, das bringt uns allen nichts. Es ist am besten, wenn wir ihm fernbleiben. Soll ich Majken fragen, ob sie sich die Zeit für ein Gespräch mit dir nehmen kann?«

»Eine Psychologin? Nein danke, ich brauche keinen Seelenklempner. Ich habe Nina, mit der ich sprechen kann.«

Er griff nach Ninas Hand, die sie ihm bereitwillig entgegenstreckte. Kamilla sah, wie er sie fest drückte.

Sie folgte ihnen bis zur Tür und blickte ihnen nach, bis das Auto auf die Straße bog und zwischen den Bäumen verschwand. An der gleichen Stelle hatte sie Rasmus zuletzt lebend gesehen – mit der großen Sporttasche und dem Fußball auf dem Gepäckträger, auf dem Weg zum Training. Der Schmerz stach ihr wieder heftig in der Brust. An jenem Abend hatte sie zuvor noch mit ihm geschimpft. Erst, weil er seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte, dann, weil er seine Sporttasche noch nicht gepackt hatte, obwohl er für sechs Uhr mit Jonas in der Turnhalle verabredet war, und schließlich, weil er wieder nicht aufgegessen hatte. Es waren alles so unbedeutende Kleinigkeiten gewesen, über die sie wirklich nicht hätte schimpfen sollen.

Sie saß noch lange auf dem Sofa, wo eben noch Jan gesessen hatte, und starrte auf das Foto von Rasmus. Ein merkwürdiges Gefühl begann in ihr aufzusteigen. »Sechs Monate«, wiederholte sie laut ihre Gedanken. »Sechs bis neun Monate für ein Kinderleben.« Dann stand sie auf und leerte den Aschenbecher, in dem Ninas Zigarettenkippen mit ihrem roten Lippenstift auf dem Filter lagen, in den Mülleimer.

Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1

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