Читать книгу Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 18

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»Wer zum Teufel hat denn das hier erlaubt!?«

Eine Faust traf die Zeitung, auf deren Titelseite übergroß das Foto des ekelerregenden Inneren eines Abfallcontainers prangte. Beinahe wäre die Plastiktasse mit dem lauwarmem Kaffee umgekippt. Roland saß im Besprechungszimmer. Nach dem Ende der verspäteten Morgenkonferenz hatte er den diensthabenden Polizisten vom gestrigen Einsatz am Container gebeten, noch einen Moment zu bleiben. Der große Polizist stand aufrecht vor seinem Chef, aber heute strahlte er nicht dieselbe Autorität aus wie am Vortag am Container.

»Hierzu habe ich keinerlei Erlaubnis gegeben. Aber wie auch immer – immerhin kam ja etwas dabei heraus«, versuchte sich der junge Polizist mit einem unsicheren schiefen Lächeln auf den Lippen zu verteidigen. Roland entspannte sich ein wenig. Es hatte geholfen, die Stimme zu heben und mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Er hatte schon immer Probleme gehabt, sein Temperament zu zügeln. Er gab seinen süditalienischen Genen die Schuld. Und dann hatte er heute Nacht nur ein paar Stunden geschlafen. In dem Moment, als er endlich zu Irene ins Bett geschlichen war, hatte ihr Enkelkind angefangen zu weinen – ihre Erkältung machte dem Mädchen zu schaffen. Die Kopfschmerzen von der Zigarre des Schwiegervaters hatten die ganze Nacht lang in seinem Kopf gebohrt. Der Hund des Nachbarn hatte gebellt. Aber es war nicht nur das gewesen; er hätte auch sonst nicht schlafen können. Jedes Mal wenn er ein Auge zutat, war ihm das Bild des toten Mädchens mit den dunklen Locken voll Schlamm wie ein Nachbild auf der Innenseite seiner Lider erschienen. Er sah sie an einem finsteren Ort gefesselt. Wo war dieser Ort? Wie könnten sie ihn ausfindig machen? Wie sehr er es auch versuchte, es erwies sich als völlig unmöglich, sich in die Gedanken des Mörders zu versetzen. Er fühlte sich schlapp und kraftlos. Er winkte den jungen Polizisten weg.

»In Ordnung, Dan. Wir unterhalten uns später noch mal darüber.«

Passiert ist passiert. Es nutzte nichts, Dan Vorwürfe zu machen, auch wenn er schon oft genug gute Lust gehabt hätte, ihm einen Tritt in den Hintern zu geben. Ihm kam es manchmal so vor, als glaube der noch reichlich unerfahrene junge Polizist, dass es völlig ausreiche, eine schicke Uniform überzuziehen, um Polizist zu sein. Mit der Zeit würde er ganz sicher schon noch lernen, dass es da doch um viel mehr ging. Außerdem war es Roland immer schwergefallen, mit einem Mitarbeiter zu schimpfen, der seine Fehler offen zugab, statt mit allen möglichen und unmöglichen Ausreden anzufangen oder zu versuchen, die Schuld auf andere abzuladen. Denn das hasste er. Dann wurde er wirklich wütend. Und der Junge hatte ja recht. Vielleicht war ja wirklich etwas Brauchbares bei der Sache herausgekommen. Zuallermindest ist dieses Foto ein Beweis dafür, dass wir in der Tat sehr ungeschickt vorgegangen sind, dachte er missgestimmt. Warum hatte die Polizei die zweite Türöffnung auf der Rückseite des Containers nicht entdeckt? Oder zumindest Henry Leander! Sein alter Freund hatte doch sonst Augen für alles wie ein trainierter Jagdhund. Womöglich war der Jagdhund ja mittlerweile zu alt geworden. Oder vielleicht ich selbst, schob er rasch nach, als er entdeckte, dass er gerade dabei war, genau das zu tun, was er am meisten verabscheute – den Schwarzen Peter an andere weiterzugeben.

Zudem war es Henry Leander gewesen, der die Puppe entdeckt hatte. Sie war auf dem Foto aus dem Artikel der Journalistin nirgendwo zu sehen, wohl aber auf den rechtsmedizinischen Fotos. Auf dem Zeitungsfoto dagegen war die Puppe weg. Vier Männer hatten danach gesucht. Sie hatten den stinkenden Containerinhalt durchwühlt, aber die Puppe war und blieb verschwunden. Jemand musste sie zwischenzeitlich entfernt haben – aber warum und wie? Sie hätten sie mitnehmen sollen, bevor sie den Container versiegelten, aber es war kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Puppe und dem Mord an dem Mädchen zu erkennen gewesen. Es befand sich ja so viel Zeug dort. Und könnte es denn überhaupt die Puppe des Mädchens gewesen sein? Sie war gefesselt gewesen – hätte sie eine Puppe da nicht längst verloren gehabt? Roland beugte sich über den Tisch, griff nach der Thermoskanne und schenkte sich Kaffee nach. Der Tisch wies noch die Spuren der Morgenkonferenz auf. Michael hatte eine zerknüllte Serviette mit Butterflecken hinterlassen, und Kim hatte seine leere Tasse stehen gelassen, obwohl sie alle die klare Anweisung hatten, den Tisch nach den Besprechungen abzuräumen. Niemand hatte die Stühle an ihren Platz zurückgeschoben oder die Kaffeeflecken und Brotkrümel auf dem Tisch abgewischt. Manchmal war es eine Plage, Mitarbeiter zu haben, deren Ehefrauen oder Mütter tagtäglich hinter ihnen herräumten.

Der frühe Termin im Institut für Rechtsmedizin hatte den ganzen Tag durcheinandergebracht. Er hatte Irene nicht einmal Guten Morgen sagen können. Sie hatte diese Woche Urlaub genommen, um sich um Marianna kümmern zu können. Er hätte an der Identifizierung eigentlich nicht teilnehmen müssen, aber er hatte es einfach nicht lassen können. Auch die Eltern sollte man sich in so einem Fall näher ansehen. Sie hatten das Mädchen nicht als vermisst gemeldet, weil sie davon ausgegangen waren, dass sie bei der Schulfreundin übernachtete, die sie für jenen Montagnachmittag zu ihrer Geburtstagsparty eingeladen hatte. Erst am nächsten Tag hatten sie erfahren, dass ihre Tochter bei dieser Feier nie aufgetaucht war und in dieser Nacht also auch nicht bei der Freundin geschlafen hatte. Gitte hieß sie. Gitte Mikkelsen. Dass ihre Mutter – die verzweifelte und völlig geschockte Frau, die das tote Mädchen unter dem weißen Laken im Institut für Rechtsmedizin sofort als ihre Tochter erkannt hatte und danach beinahe in Ohnmacht gefallen wäre – zu berichten wusste, dass ihre Tochter in der Tat eine Puppe bei sich gehabt hatte, als sie das Haus verließ, bedeutete noch nicht gleich, dass es sich auch um genau jene Puppe aus dem Container handelte. Aber die Tatsache, dass diese Puppe jetzt verschwunden war, machte ihn misstrauisch. Die Mutter hatte sodann auch die Puppe identifizieren müssen. Auf den Fotos natürlich. Die Frau war hochschwanger. Einen Moment lang hatte Roland schon befürchtet, dass sie gleich an Ort und Stelle im rechtsmedizinischen Institut niederkommen würde.

Er blickte auf die Tafel an der Wand mit den Fotos von dem bleichen, toten Mädchen. Die Augen starrten ihn direkt an. Ihre Lippen waren trocken und blätterten ab. Wenn diese Lippen nur sprechen könnten, ihm erzählen könnten, was geschehen war ... Was hatten diese starrenden Augen gesehen, bevor sie glanzlos wurden? Da hingen auch Nahaufnahmen von ihren misshandelten Handgelenken und den Flecken auf ihrem Rücken. Er stand seufzend auf und hängte ein Foto von der Puppe in die Reihe. Dann konzentrierte er sich wieder auf das Bild auf der Titelseite des Tageblatts und zündete sich eine Zigarette an. Aha, Anne Larsen hieß die Journalistin. Wahrscheinlich nicht die Anne Larsen, überlegte er und dachte an die gleichnamige Kochbuchautorin, deren Werke über Diätküche bei Irene zu Hause auf dem Küchentisch lagen. Lieber würde er diese Bücher verbannen, das magere Fleisch durch ein richtiges Beefsteak mit Fettrand ersetzen und die wässrig dünne Soße durch eine sämige mit Fettaugen. Seinen Käse bevorzugte er ohnehin kräftig; nicht dieses trockene fünfzehnprozentige Magerzeug, das Irene jetzt kaufte. Aber wenn er sich den Anblick seiner Schwiegermutter vor das geistige Auge rief, dann verstand er Irene.

Die halb leere Plastiktasse Kaffee in der Hand ging er zurück in sein Büro, griff nach dem Telefonhörer und wählte die Nummer der Zeitungsredaktion. Und dabei war gerade er es gewesen, der soeben in der Morgenkonferenz gesagt hatte, dass sie die Presse so lange wie möglich aus der Sache heraushalten sollten. Verkehrte Welt, dachte er.

Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1

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