Читать книгу Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 5

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Die Stimme des Nachrichtensprechers im Radio berichtete von verschiedenen Unruhen und Selbstmordattentaten im Mittleren Osten. Ohne zu verfolgen, was im Einzelnen gesagt wurde, lauschte sie der Stimme. Es war alles so weit weg. Wie auf einem anderen Planeten, schien es ihr. Dänemark ist einem Terrorangriff näher gekommen, seit wir zusammen mit den Amerikanern im Irak in den Krieg gezogen sind, sagte ihr Mann zwar immer wieder. Und dass die Welt grausam sei. Aber es war nicht ihre Welt. Sie fühlte sich in Dänemark geborgen, vor allem in Jütland und insbesondere in Aarhus, wo selten mehr passierte als ein paar Überfälle und die eine oder andere Vergewaltigung. Natürlich war so etwas schon schlimm genug, aber selbst das bewegte ihre kleine Welt in ihrem Haus im Aarhuser Stadtteil Brabrand nicht – eine Welt, die von einer hohen Ligusterhecke geschützt war.

Die Nachrichten waren zu Ende und wurden von Musik abgelöst. Beim Lied »Kære lille mormor« des dänischen Schlagersängers Richard Ragnwald summte sie mit. Dabei sah sie durch das Küchenfenster, wie ihre Teenager-Tochter zum Haus zurückgerannt kam. Der Abfalleimer an der Haustür war übervoll gewesen, weil sie vergessen hatten, ihn am Abend zuvor für die Müllabfuhr heute Morgen an die Straße zu stellen. Und deshalb hatte sie Maria, die ohnehin die ganze Zeit nur mit ihrem sogenannten iPod in ihrem Zimmer herumhing, gebeten, ihn hinunter zum Container zu bringen. Sie verstand sich nicht auf all diese modernen Geräte, die junge Mädchen heutzutage haben mussten.

Mit den beiden anderen, die nun längst schon von zu Hause weggezogen waren, war es nicht so gewesen. Sie hatten eigentlich nicht geplant gehabt, noch einmal ein Kind zu bekommen, aber dann ...

Sie richtete den Blick in den Himmel. Bald würde es wieder regnen. Wo blieb diesen Sommer die Sonne? Lange war kein Sommer mehr so verregnet gewesen wie in diesem Jahr 2007.

Maria taumelte atemlos in die Küche, ohne die Schuhe auszuziehen.

»Mama, Mama! Irgendwas liegt im Container!«

»Was soll da liegen?«

Im Radio hatte ein Journalist eine Diskussion mit einem Politiker angefangen. Sie schaltete aus.

»Eine Hand.« Marias Stimme zitterte.

Meine Teenager-Tochter schaut zu viele Filme, dachte sie lächelnd und fuhr fort die Schwarzbrotscheiben für das Mittagessen zu schmieren. Und an Fantasie hat es ihr auch nie gemangelt.

»Ach, da hat wahrscheinlich nur jemand eine Puppe weggeworfen, glaubst du nicht?«

»Nein!« Das Mädchen atmete schwer.

Als sie den Blick auf ihre Tochter richtete, wurde ihr bewusst, dass hier wohl wirklich etwas nicht stimmte. Maria war leichenblass. In ihren Augen leuchtete eine Angst, wie sie sie noch nie zuvor an ihr erlebt hatte. Verkrampft hielt sie die Abfalltüte noch immer fest in der Hand. Dann fing sie an zu weinen und ließ die Tüte auf den frisch geputzten Küchenboden fallen.

Beunruhigt trocknete sie sich die Hände an der Schürze ab. »Aber so was, Liebes, du musst dich täuschen. Das kann doch nicht sein!«

Sie zog sich schnell einen Pullover über.

»Dann gehe ich mal selbst hin und kläre, was genau das ist, was du da für eine Hand hältst.«

Mit sanftem Druck gebot sie Maria, die nun am ganzen Körper zitterte, sich auf einen Stuhl am Küchentisch zu setzen. Sie füllte schnell ein Glas kaltes Wasser aus dem Hahn und stellte es vor ihre Tochter hin.

»Trink einen Schluck, ich bin gleich zurück.«

»Nein, Mama, du darfst da nicht hingehen. Was ist, wenn der Mörder noch in der Nähe ist?!«

Sie lächelte nachsichtig. »Sehen wir erst einmal nach, worum es sich überhaupt handelt.«

Auf dem Weg zum Abfallcontainer fühlte sie trotzdem, wie die Unruhe in ihr aufstieg und größer wurde, und ihre Beine begannen zu zittern. Wenn es wirklich stimmte, was ihre Tochter sagte, was sollte sie dann tun? Sogleich schüttelte sie den Kopf über ihre Gedanken. Natürlich lag da keine Hand im Abfallcontainer. Die Luft war schwülwarm und feucht. Sie zog an ihrer Bluse, hielt sie vom Leib weg, um sich etwas Kühlung zu verschaffen. Die abgenutzten Clogs, die sie in Eile angezogen hatte, behinderten ihren schnellen Gang.

Der Container war ein großes, geschlossenes Modell. Jetzt war er rostig braun, aber irgendwann war er wahrscheinlich rot gewesen. Vorne befanden sich drei Klappen. Eine stand offen. Maria war offenbar weggerannt, ohne sie zu schließen. Sie blickte hinein, und ein lauwarmer Geruch von Verwesung schlug ihr entgegen. Fliegen schwirrten. Sie entdeckte die Hand zwischen den schwarzen Abfalltüten und einem alten, fleckigen Stuhlkissen. Sie hielt den Atem an. Ihr Herz fing an zu hämmern. Sah aus wie eine Menschenhand. Sie schaute sich nach einem Gegenstand um, der lang genug war, und entdeckte einen Stock auf dem Boden. Sie hob ihn auf. Er reichte genau bis zur Hand. Sie hob sie vorsichtig mit dem Stock an. Bei der Bewegung sackte eine der schwarzen Tüten zur Seite und legte den ganzen Arm frei, dazu eine Schulter und ein Stück weißen Halses. Im Licht, das durch die Klappe fiel, konnte sie sehen, dass die Farbe des dünnen Halses mehrere Schattierungen von kreideweiß bis bläulich-schwarz durchlief. Sie wusste nicht, woher sie den Mut nahm, und verstand auch noch nicht wirklich, was sie da sah. Alles verlief wie in Trance. Langsam hob sie den Stock wieder und schubste den Karton beiseite, der die Stelle verdeckte, wo der Kopf sein musste. Der Karton fiel um. Sie folgte ihm mit den Augen, während er wie in Zeitlupe ein paar Kippbewegungen vollzog, ehe er zur Ruhe kam. Dann erst richtete sie den Blick auf die Stelle, wo er gelegen hatte. Sie wollte schreien, aber es ging nicht. Es schnürte ihr die Kehle zu.

Ein Gesicht war zum Vorschein gekommen. Die Augen starrten tot und leer zum Dach des Containers hinauf, der Mund stand offen, und die Lippen waren blauschwarz. Es war ein kleines Kind. Ein kleines Mädchen.

Sie warf den Stock weg und rannte mit der Hand vor dem Mund zum nächsten Gebüsch. Ihr Zwerchfell krampfte, und sie konnte nichts dagegen tun. Der bittere Geschmack stieg hoch und brannte ihr im Rachen. Sie nahm die Hand weg, als die warme Flüssigkeit kam, und erbrach sich zwischen den Büschen.

Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1

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