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Vorrücken an anderer Front

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Mr. Perkins erholte sich von seinem Schock und verwöhnte Mr. Butler. Er verdoppelte sein Gehalt. Er bemerkte, dass Duke kein Kapital aus seinen Vorzügen schlug – der ärmlichen Herkunft, der Hautfarbe und seiner neuen familiären Verbindung mit den Stones. Für seine Ausbildung blieb keine Zeit mehr. Dukes Abreise stand kurz bevor. Seine Beziehung zu Lili Stone würde enden.

Doch was für eine Beziehung war es? Die beiden lebten miteinander in einer Art maßvoller Neutralität, der die Stones nicht auf den Grund kamen. Provinzler und Schwarze waren doch alle versessen auf Sex, oder? Der hier war es nicht. Sie schliefen in getrennten Zimmern. Und doch achteten sie selbst im Schlaf aufeinander und erwachten Tag für Tag genau im selben Moment. Die Stones schliefen schlecht und waren immer früh wach. Sie hörten Geraschel, junge Menschen, die sich anzogen. Das reife Paar hatte mit Feinden zu kämpfen, von denen diese jungen Menschen nichts ahnten – Kissen mit unsichtbaren Krallen, die ihnen über Nacht das Gesicht zerharkten und Matratzen, die sie einquetschten. Sie wachten geschunden auf, humpelten in die Küche, wo Duke und Lili aus unterschiedlichen Richtungen in die Morgensonne blinzelten.

Lili saß am hinteren Ende des Küchentischs und schaute Duke beim Kochen komplizierter Gerichte zu, Kräuteromelett zum Beispiel oder Pfannkuchen mit Walnusssplitterfüllung. Helfen durfte sie ihm nicht. Sie probierte und lobte seine Kochkunst in höchsten Tönen.

Die Stones waren an schwarzen Kaffee, Zigaretten, mehrere Ladungen Zeitungspapier und Schweigen gewöhnt. Das Essen gefiel ihnen besser als die Geräusche.

Noch nie hatte man so oft Lilis kehlige Stimme vernommen. Duke ließ sie reden und machte zur Erwiderung Brat- und Rührgeräusche. Dann machte er Abwaschgeräusche, und Lili las ihm währenddessen aus der Zeitung vor, wobei sie Walter Cronkites heroischen Tonfall und seine ruckenden Kopfbewegungen imitierte, ein Kunststück, das Duke stets von Neuem amüsierte.

Nachdem sie ausgiebig gefrühstückt hatten, gingen Lili und Duke zusammen aus dem Haus und kehrten auch zusammen heim, meistens etwas später, nachdem sie sich, wie sie zugaben, irgendwo zum Abendessen getroffen hatten. Zu Hause blieb jeder für sich, und sie berührten sich nie. Zu Bett gingen beide gleichzeitig.

Bucky ertappte die beiden dabei, wie sie sich, einen Gutenachtkuss gaben, bevor sie sich in ihre Zimmer zurückzogen, und war begeistert. Sie berichtete Vlado von ihrer Beobachtung – ein Kuss auf die Wange! –, während das altehrwürdige Paar sich an den Händen nahm, um einzuschlafen: »Ihre Beziehung ist platonisch. Jetzt bin ich mir sicher. Gott, diese Generation ist mir wirklich ein Rätsel.«

»Ob Lili wohl mit Dr. MacBride darüber spricht.«

»Dr. Schwartz glaubt, dass Dr. MacBride das Thema Sexualität bei seinen weiblichen Patienten ausspart.«

Auch wenn er die Beziehung nicht durchschauen konnte, versicherte Dr. Schwarz Bucky, dass niemand »verwirrter« deswegen sei als Duke und Lili selbst.

Dabei handelt es sich hier nicht um Raketenwissenschaft, höchstens um Physik für Anfänger: »Gegensätze (N und S) ziehen sich an.« Die beiden widersetzen sich der magnetischen Anziehung, weil sie vor ihr Angst haben. Lili war es, die Duke auf die Wange geküsst hatte, aber ansonsten berührten sie sich nie. Sie waren oft allein zu Hause. Es zog sie zum Sofa. Dort saßen sie am jeweils anderen Ende und führten lange Gespräche. Einmal lehnte sich Duke zu ihr, um eine Wimper wegzuwischen, bei dieser Gelegenheit legte Lili ihr Gesicht in seine Hand. Er zitterte, und beide lehnten sich schnell zurück. Sie fingen an zu plappern, damit der andere nicht merkte, dass ihre Zähne vor Aufregung klapperten. Er wollte viel von ihr wissen, vor allem, wie es sich anfühlte, als eine Stone aufzuwachsen. Jedes Fitzelchen Information, das sie ihm schenkte, war wie ein Schatz. Sie erzählte ihm sogar von ihren Tagträumen, die ihr einst geholfen hatten, ihr Leben als dickes, unbeliebtes, aber kluges Mädchen zu vergessen. In einem war sie eine tyrannische Königin, die die Enthauptung ihrer Eltern befahl. In einem anderen war sie arm, ungebildet und schwarz und lebte mit vielen Brüdern und Schwestern in Harlem. Dort ging sie in die Kirche und spielte auf der Straße.

Sein einziger Tagtraum verblasst im Vergleich: Er wollte es in der Army zu etwas bringen. Von seiner eigenen Familie gab es nicht so viel zu erzählen. »Ich sehe sie kaum vor mir«, gestand er. »Sie sind wie Schatten hinter mir. Und das Licht liegt vor mir. Das Licht bist du.« Nach diesem plötzlichen Kompliment sprang er auf, weil er noch einen Telefonanruf machen musste.

Seine Verschlossenheit faszinierte Lili. Nach einem Monat miteinander haben Menschen normalerweise die eigene Lebensgeschichte mindestens zehnmal durchgekaut. Aber Duke hatte Lili so wenig über sich anvertraut – sie wusste, dass er aus Dunmovin, Florida kam – dass sie ihn sich nie erklären würde können. Mit einer in Jahren der Therapie erworbenen Gewandtheit steuerte sie den Löwenanteil biographischer Angaben bei, doch sie drängte ihn zu nichts. Immerhin war sie erst achtzehn Jahre alt, verglichen mit ihr war er ein Elder Statesman, mit einundzwanzig Jahren schon alt genug, um zu wählen und Alkohol zu trinken. Sie wusste, dass er seine Unschuld verloren hatte – in Kenia war er auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin zu einer Prostituierten gegangen, und in Vietnam hatte es ein paar unvermeidliche Partys gegeben. Zur selben Zeit hatte die uncoole Lili im College ihre Jungfräulichkeit gegen zahllose Bittsteller verteidigt, die darauf brannten, die Tochter berühmter Eltern ins Bett zu bekommen. Lili fürchtete sich weniger vor dem Uncoolsein als vor ihrer eigenen Kälte – sie hatte Angst, dass ihr jeder Mann unsympathisch wäre, der nach dem intimen Zusammensein mit ihr Besitzansprüche erheben würde.

Umso überraschender war die plötzliche Erkenntnis gewesen, dass sie ihm gegenüber niemals kalt sein könnte. Dr. MacBride hatte hart daran gearbeitet, sie »fähig für Intimität« zu machen. Schließlich hatte einfach eine höhere Macht ihr Herz geöffnet und die Heizung aufgedreht. Sie waren einander nah, ohne sich zu berühren, und quatschten pausenlos, um wenigstens so zu dem anderen vorzudringen. Lili sonnte sich in Dukes Gegenwart und wollte sich ausziehen. Und tat es nicht. Sex war eine Fremdsprache, die sie nicht gelernt hatte. Sie überließ es Duke, sie darin zu unterrichten, wann immer ihm danach war. Doch der hielt die körperliche Distanz zwischen ihnen aufrecht. Sein plötzliches Glück hatte ihn aus der Bahn geworfen, und jetzt war er unfähig, die Initiative zu ergreifen.

Dann, eines Abends, als die Stones zum Essen ausgegangen waren, verführte die Jungfrau, ohne Hintergedanken, den behutsamen Hausfreund.

Da sie allein zu Hause waren, wollten sie Familienfotos angucken. Sie setzen sich auf die Wohnzimmercouch. Zwischen ihnen stand eine schäbige Holzkiste, vollgestopft mit Fotos – für die meisten ein kostbares Gut, das zu ehren und in Ordnung zu halten war. Die Stones hatten nie eine Kamera besessen und alle Fotos, die man ihnen aufnötigte, in die Kiste geschmissen. Ein Mangel an Nostalgie, der Lili auf einmal wütend machte. Sie schwor sich, Alben anzulegen, die man zu besonderen Anlässen anschauen konnte, schnappte sich die schwere Kiste und hielt sie hoch. Für immer würde Duke den Anblick ihrer in die Höhe gestreckten Arme in Erinnerung behalten und die ruckartige Bewegung, als sie die Kiste umkippte. Die Bilder flatterten und fielen wie abgeschossene Vögel vom Himmel. Als die Kiste leer war, schleuderte Lili sie in die Ecke und starrte auf den leeren Platz zwischen sich und Duke. Dann betrachtete sie die Bescherung auf dem Fußboden und verkündete: »Meine Eltern haben mich nicht verdient.« Mit diesen Worten wischte sie sich die Brille von der Nase und sank vom Sofa hinab auf die Bilder, rekelte sich darauf und schaufelte sie auf sich, bis sie fast vollständig bedeckt war. Unter dieser Decke öffnete sie den Reißverschluss ihrer Jeans und zog sie aus und dann auch ihren schulmädchenhaften weißen Baumwollschlüpfer. Sie knöpfte ihr Hemd auf, und als ihr Körper für Duke sichtbar wurde, langte sie nach seiner Hand und zog ihn ebenfalls herunter.

Wochenlang hatte sich die Sehnsucht angestaut. Für Furcht oder Finesse blieb keine Zeit. Dukes Liebe detonierte. Ihre eigene dehnte sich aus, das Begehren war eine Empfindung, die sie als Schmerz identifizierte, und während dieser Schmerz durch den Körper der Krankenschwesternschülerin raste, stufte sie ihn, auf einer Skala von eins bis zehn, bei zwanzig ein. Eine Zeit lang lagen sie umklammert da, in Nachbeben versunken. Sie war soeben auf spektakuläre Weise entjungfert worden, das wusste Lili, und sie war sich sicher, dass ihnen ein langes und glückliches Leben bevorstand.

Jeder für sich standen sie auf, ohne Worte. Beide tasteten sie nach ihren Brillen. Ein Foto war zerknickt. Lili strich es glatt und sah, dass es mit Blut befleckt war. Das Bild zeigte eine Beatnikfamilie, zwei dreckige Erwachsene in Arbeitsanzügen und Stiefeln, zwischen ihnen ein niedliches Mädchen in einem Kleid. Es hielt ein Kaninchen beim Nacken in die Höhe und starrte in die Kamera, während die Eltern verlegen den Hoppel anguckten.

Lili säuberte das Foto mit ihrer Jeans und zeigte es Duke, der bemerkte: »Ich mag keine Kinder.« Worauf Lili erwiderte: »Ich auch nicht. Für mich gibt es jetzt nur noch dich.« Die beiden schaufelten die Bilder in die Kiste zurück; einige klebten zusammen. »Pass auf! Jetzt sorge ich für Ordnung«, sagte Lili und warf die ganze Kiste in den Mülleimer. Den Stones würde das nie auffallen. Es fiel ihnen allerdings auf, dass ihr exotischer Gast sich von nun an nachts in Lilis Einzelbett quetschte. Buckys Angebot, dem Paar ein größeres Bett zu kaufen, stieß auf Ablehnung. Kein Zentimeter sollte sie voneinander trennen.

Schwarz und Weiß

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