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Mozart war aufgestiegen.

Er holte keine Päckchen mehr und lieferte sie bei Reizho ab. Viele Päckchen hatte er geholt und abgeliefert, als der Dono ihn eines Tages fragte, ob er als Wachmann aushelfen möchte. Einer war ausgefallen. Er war sofort Feuer und Flamme.

»Aber das Ding da, will ich nicht sehen, wenn du Schmiere stehst!«, sagte Reizho ernst und deutete auf Mozarts Walkman. »Du musst alles jederzeit hören, sehen und riechen können. Alle deine Sinne müssen immer hellwach sein. Du musst immer konzentriert sein. Es kann jederzeit sein, dass irgendwelche Arschgesichter versuchen, den Hügel zu übernehmen. Vielleicht siehst du sie nicht, aber hörst sie. Capisce?«

»Ja, Dono, ich verstehe«, antwortete Mozart ernst.

Er bekam eine Taurus 9-mm, ein Walkie-Talkie und eine 50er. Dann sollte er einen Posten am Rande des Hügels, wie sie die Favela nannten, besetzen. Sein Job war es, alle Unbekannten zu kontrollieren. Niemand Unerwünschtes sollte in das Innere der Rocinha gelangen.

Da die Hauptverkehrsader, die Estrada da Gávea, die die Rocinha in zwei Teile zerschnitt, nicht zu kontrollieren war, weil täglich abertausende Autos, Busse und Motorräder und ein nie enden wollender Strom aus Menschen tagein, tagaus hinauf und hinunterschaukelte, wollten schon Reizhos Vorgänger wenigstens ein Mindestmaß an Kontrolle. Sie etablierten etliche Wachposten, die an neuralgischen Punkten stationiert waren - Gassen, Straßen und Plätze, die man passieren musste, um weiter in die Zentren der zweigeteilten Favela zu gelangen -, fremde Personen überprüften und auch an den Zufahrtsstraßen zur Favela Ausschau hielten, um verdächtige Personen oder Gruppen zu melden, damit diese beobachtet und bei Bedarf ebenfalls kontrolliert wurden.

Was für die Bandenbosse eine Notwendigkeit war, stellte die Favelados vor große Probleme, da mehrere Banden das riesige Gebiet der Rocinha untereinander aufteilten. Wenn die Bewohner von einem Territorium ins andere wollten, mussten sie sich ausfragen lassen und strengen Kontrollen unterziehen. Erst mit Dudu, dem Boss der Gang vor Reizho, wurde es einfacher, denn dieser schlug alle seine Konkurrenten aus dem Feld und beherrschte die gesamte Favela.

Auch er behielt die Regelung bei, überall Aufpasser zu postieren, die wichtige Orte beobachteten, um bei Bedarf tätig zu werden, denn das System hatte sich immer wieder bewährt.

Als der Dono Mozart die Taurus gab, fragte er ihn, ob er schon jemals eine Waffe in der Hand gehabt hätte. Er schüttelte den Kopf. Reizho rief nach einem Mann: »Vierauge, hole mal Washington, er soll Mozart alles erklären.«

Vierauges Name war Rui, seinen Spitznamen verdankte er seiner Brille. Er war die gute Fee des Hauses. Der Dono der Rocinha wünschte sich etwas und Vierauge musste es herzaubern, schaffte er es nicht, bekam er die Wut seines Chefs zu spüren.

Washington kam und ging mit Mozart zum Scheiterhaufen; ein Platz am Rande der Favela, wo die Urteile vollstreckt wurden. Jeder in der Favela kannte den Ort, niemand wagte sich dorthin. Mozart hatte Angst. Washington sah ihn mit seinen dunklen, stets wachen Augen durchdringend an. Er war kohlrabenschwarz und wer ihn nicht kannte, dachte, sein Gemüt wäre ebenso schwarz, da er auf Fremde sehr verschlossen wirkte und kaum eine Gefühlsregung zeigte. Doch das war nur der Anschein. Wer ihn kannte oder mit ihm zu tun hatte, lernte ihn als erstaunlich lebensfrohen und gefühlsbetonten Menschen kennen.

»Hab‘ keine Angst, ich muss dir zeigen, wie du mit der Knarre umgehen musst, nicht dass du dich selbst erschießt.«

Er erklärte ihm, wie man die Pistole sichert und entsichert, wie man sie lädt und wie man gefahrlos damit umging. Dann stellte er ein paar Flaschen auf und zeigte Mozart, wie man schießt und weihte ihn in das Geheimnis von Wettkämpfern ein, die erst schossen, nachdem sie ausgeatmet hatten. So hätte man eine ruhigere Hand. Wenn es möglich ist, sollte er sich etwas suchen, auf dem er seine Schusshand abstützen konnte. Aber das Wichtigste war immer, dass er die Waffe schnell zog.

»Eine Waffe in der Hose ist bei einer Schießerei das Schlechteste, was es gibt«, klärte er Mozart auf und dass die Westernhelden ihre Halfter eingeölt hatten, damit sie die Knarre schneller ziehen konnten. Er solle auch üben, aus der Hüfte zu schießen und versuchen trotzdem zu treffen. All das konnte von Vorteil sein.

Mozart nahm die Pistole, legte an und schoss. Er war ein Naturtalent und traf mit dem ersten Schuss.

»Wow, du bist ja der Hammer, gleich beim ersten Schuss - das hat noch nicht mal der Dono geschafft«, sprach ein perplexer Washington.

Vor Stolz wuchs Mozart um ein paar Zentimeter.

»Nun wollen wir aber mal sehen, ob du nicht nur Glück hattest«, sagte Washington gespannt. »Schieß auf die da drüben«, und deutete auf eine andere Flasche. Mozart legte an. Da die Flasche ein wenig weiter weg stand, ließ er sich etwas mehr Zeit und konzentrierte noch stärker, dann schoss er. Und traf wieder. Washington nickte anerkennend: »Aus dir wird noch ein Großer«, lobte er.

Er forderte Mozart auf noch ein paarmal zu schießen, wobei dieser von zehn Schüssen acht Mal traf. Bewundernd klopfte ihm Washington auf die Schulter und machte ein Daumen-hoch-Zeichen. Danach wollte er ihn aufklären, wie das Walkie-Talkie funktioniert. Aber Mozart winkte ab, nahm es und zeigte ihm, dass er sich auskannte. Er hatte die Posten schon oft damit beobachtet. Als sie zurück zum Haus gingen, fragte Washington: »Bist du schon mal 50er gefahren?«

»Nö, aber Fahrrad.«

»Na, dann bekommen wir das schon hin. Dann kannst du zumindest das Gleichgewicht halten. Ich fahre die 50er erst einmal weg, sonst lachen dich die Anderen aus, wenn du einen Fehler machst.

›Washington ist cool und nett‹, dachte Mozart erfreut, ›nicht so wie viele andere, die immer schadenfroh sind.‹

Er hatte Washington schon oft gesehen. Hatte bisher aber stets Angst vor ihm, da Washington immer sehr streng schaute und er ihn noch nie hatte lachen sehen. Deshalb fühlte er sich bei dessen Lob umso besser.

Washington zeigte ihm, wie man die 50er fuhr und ließ ihn dann selbst machen. Als Mozart jedoch mit der Maschine umzukippen drohte, setze er sich hinten drauf und stabilisierte sie.

»Ok, hier bist du kein so ein Talent, aber das schaffen wir schon. Du musst die Maschine nur im Gleichgewicht halten, das ist ganz leicht. Siehst du«, stellte Washington fest. Dann stieg er wieder ab und Mozart hielt die 50er alleine.

»Was ist? Möchtest du nicht starten und losfahren?«, fragte Washington. Er zog die Schultern hoch und antwortete: »Ich weiß nicht wie …« Washington setzte sich wieder hinter ihn. »Du musst die Kiste so starten«, und trat den Kickstarter kräftig durch und gab gleichzeitig etwas Gas.

»Dann schaltest du mit dem linken Fuß in den ersten Gang nach oben, lässt die Kupplung langsam kommen und dann merkst du, wann der Gang greift. Dabei gibst du ein bisschen Gas, damit die Kiste nicht absäuft. Dann lässt du die Kupplung ganz kommen und schon fährst du. Die anderen Gänge gehen nach unten. Wenn du hochschaltest, ziehst du die Kupplung, nimmst aber gleichzeitig das Gas zurück, legst den Gang ein und lässt die Kupplung wieder kommen und gibst zeitgleich wieder Gas. Ok? Verstanden?«

Mozart nickte unsicher.

»Egal, das lernst du schon. Ok, die Handbremse vorne ist hier rechts am Lenker und die hintere Bremse ist rechts das Pedal. Kapiert?«

»Ja, kapiert.«

Er versuchte es und fand den Punkt, aber den Gashebel drehte er zu weit auf. Die Maschine jaulte auf. Sie zog an, als Mozart vor Schreck die Kupplung losließ und nach vorne hoppelte. Nach zwei Metern soff sie ab. Als er nach hinten blickte, sah er Washington das erste Mal in seinem Leben lächeln. In den Leerlauf schaltend startete Washington die Maschine erneut. Dann legte er Mozarts Hände auf den Lenker und seine darüber, mit dem linken Fuß dirigierte er dessen Fuß auf der Gangschaltung. Die Kupplung kommen lassend legte er wieder den ersten Gang ein, gab sanft Gas und sie fuhren davon. Er legte den zweiten Gang ein und sie wurden schneller. Mozart grinste von einem Ohr zum anderen.

Das war toll.

Washington stoppte und zeigte ihm nochmal, wie das Spiel mit Kupplung und Gas funktionierte und ließ ihn nun alleine machen. Und es klappte. Erst ein wenig ruppig, so das Washington nochmals stoppte, aber nach dem dritten Mal ging es wie geschmiert und sie rauschten davon.

Nun war Mozart Wachmann.

Wachmann mit 50er.

Er tauschte seine kleine Trommel, mit der oft unterwegs gewesen war, gegen eine Knarre ein. Jetzt war er richtig cool.

Er reihte sich ein in die finstere Riege der barfüßigen, Bermudashorts tragenden Jungen und Männer, die mit nackten Oberkörper oder Bodyshirts, die Favela bewachten. Die Pistole verwegen und für jeden ersichtlich, in die Short gesteckt oder das Maschinengewehr unmissverständlich über der Schulter hängend, damit jeder wusste, wen er vor sich hatte.

Nachdem Mozart die 50er hatte, meinte Washington, er sollte als vollwertige Wache nun auch ein MG bekommen. Sie wurde zu seinem Mädchen, so hatte es ihm Washington aufgetragen.

»Das ist nun deine Frau, und anders als diese, beschützt sie dein Leben, nicht du ihres. Du musst sie in und auswendig kennen und sie sollte immer gut geschmiert sein, damit es flutscht. Das ist wie beim Bumsen - ist es trocken, tut es weh«, scherzte er und klopfte Mozart auf den Rücken.

Er saugte Washingtons Worte auf und hielt sich genau daran. So saß er nun da und betrachtete liebevoll sein neues MG in seinem Schoss liegend. Mit der Zeit machte er sich damit so vertraut, dass er die Waffe innerhalb kürzester Zeit auseinanderlegen und wieder zusammenbauen konnte.

Er nahm seinen Job sehr ernst.

Er war immer konzentriert.

Eines Tages sagte Reizho: »Hey Mozart, ich denke du warst nun lange genug Wachmann. Ich brauche dich für eine andere Aufgabe. Du musst jemanden ersetzen und du bist jetzt alt genug, um zu beweisen, dass noch mehr in dir steckt. Das ist ein verantwortungsvoller Job«, betonte er.

Von nun an versorgte Mozart die Drogenverkäufer mit Nachschub und holte das Geld ab.

Alles lief gut und er bekam viel mehr Kohle.

Er hatte es geschafft.

Er war jemand.

Dann kam der Tag, als ein Typ seine Drogen nicht bezahlen wollte. Er hatte sie dem Verkäufer, einem noch etwas jüngeren, abgenommen und ihn geschlagen.

Sein Todesurteil.

Wie sich herausstellte, war er aus einer anderen Favela. Auch dort hatte er es sich verscherzt und wurde gesucht. Er war abgetaucht.

Doch Reizho fand ihn.

Mozart war dabei.

Der Dono befahl: »Mozart, leg ihn um!«

Mozart war geschockt.

»Warum zögerst du? Du kannst doch so gut schießen?«, herrschte ihn der Boss der Rocinha an.

»Ich habe aber noch nie auf einen Menschen geschossen.«

»Na, jeder hat sein erstes Mal. Dein erster Fick, dein erstes Auto, dein erstes Opfer. Nun mach‘ schon, wäre es eine Pussy, würdest du nicht lange zögern und deinen kleinen Schwanz reinstecken.«

»Ich kann nicht, Dono, ich schaffe das nicht.«

Das Opfer kniete vor Mozart und zitterte vor Angst. Er hatte die ganze Zeit um sein Leben gefleht und wiederholt, es täte ihm leid, was er getan habe und er würde alles wieder gutmachen. Um Gnade bettelnd, stammelte er, er würde so etwas niemals mehr tun.

»Stimmt!«, antwortet de Dono der Rocinha eiskalt und schoss ihm zwischen die Augen, während er dabei Mozart scharf ansah und zischte: »Mozart, du bist kein Mann. Du bist eine jämmerliche Pussy!«

Ab nun war er:

Mozart, die Pussy

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