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1975 - Rio - Favela - heiß - arm

Die Hütten mussten weichen.

Der Bürgermeister von Rio wollte eine neue Strategie ausprobieren, von der er aus Indien hörte. Dort wurden die Bewohner umgesiedelt und die Hütten der Slums abgerissen. Das sollte nun an einer kleinen Favela ausprobiert werden. Dazu entsandten sie ein Polizeikommando, das erst die Drogenbanden vertreiben sollte, die das Gebiet beherrschten, und dann die Bauarbeiter beschützen. Doch es gab erheblichen Widerstand und viele Leute wollten nicht gehen.

Es war ihre Heimat.

Ihr Leben.

Doch der Bauarbeitertrupp und das Sondereinsatzkommando achteten nicht auf die Schreie der Favelados. Ignorierten die verzweifelten, bettelnden Versuche der Bewohner, sie zu verschonen.

Sie taten es.

Machten alles platt.

Ohne sich um die Leute zu kümmern.

Sie räumten die Bewohner auf Seite, wie die Bauarbeiter die Hütten.

Das war ihr Auftrag.

Ein Auftrag, der die Leute der Spezialeinheit, wie immer, zwischen die Fronten brachte. Zwischen die der Banden, der Bewohner der Favelas und der Politiker. Darüber hinaus sollten sie keine Meinung und duften keine Gefühle haben. Die einzigen Gedanken, die sie sich zu ihren Aufträgen machen sollten, waren die, wie sie ihre Befehle erfolgreich und gewissenhaft ausführen konnten.

Sie waren Befehlsempfänger.

Nicht mehr, nicht weniger.

Das war ihr Job.

Ein Job, der sie überall verhasst machte und verachtet.

Auch von denen, die ihnen ihre Aufträge gaben.

Sie saßen zwischen allen Stühlen, aber dafür hatten sie sich entschieden.

Also taten sie, was sie zu tun hatten.

Und wer wurde schon geliebt?

Wenn, dann war das immer nur vorübergehend.

Eine andauernde Liebe gab es nicht.

Nicht hier.

Nicht in dieser Stadt.

Nicht in diesem Job.

Sex, Drogen, Geld, Musik, Sonne und Alkohol - ja, das gab es.

Aber keine Liebe.

So war er eines Tages in die Rocinha gekommen, der größten Favela Rios.

Wieder ein Auftrag.

Dort machte er eine Erfahrung, die sein Leben ändern sollte.

Tiago hatte es schon lange satt, an der Verelendung der Armen mitzuwirken. Mit seinen Freunden beim Kommando hatte er wiederholt darüber diskutiert. Doch er erkannte, dass das die meisten nicht interessierte. Die Favelas und ihre Bewohner waren für sie nur schmutzig, unwürdig und Kriegsgebiet. Mehr nicht. Es stellte sich heraus, dass viele seiner Kumpels innerlich kalt waren. Eiskalt. Und teilweise bösartig.

Er war nie bösartig gewesen, aber kalt.

Und das ließ ihn nicht mehr los.

So wollte er nicht sein.

So wollte er nicht leben.

Wenn es keine Liebe gab, so wollte er doch nicht um Hass betteln.

Dann war die Sache in der Rocinha passiert. Ein Kind war vor seinen Augen von einem rücksichtslosen Motorradfahrer angefahren worden und der hatte es einfach schwer verletzt liegen gelassen. Hatte seine Maschine zurückgesetzt und war über das auf den Boden liegende Kind gefahren.

Tiago war erschüttert. Wie konnte jemand so unmenschlich sein? Er stoppte den nächsten Motorradfahrer, brachte das Kind ins Krankenhaus und sorgte mit Geld dafür, dass es sofort und gut behandelt wurde. Es überlebte und dank Tiagos schneller Hilfe sollte es ohne bleibende Schäden genesen.

Und dann erfuhr er:

Es gab Liebe.

Es gab viel Liebe.

Wenn man nur das Richtige tat und den Richtigen half, wurde man regelrecht mit Liebe, Zuneigung und Wertschätzung überschüttet. Die Eltern des Kindes erdrückten ihn fast damit. Und er stellte fest: Wenn er starb, dann wollte er so sterben: Erdrückt von Liebe und Zuneigung.

Es gab nur keine Liebe, erkannte er, wenn man die Falschen unterstützte. Die, die alles hatten und doch nie befriedigt waren. Die, die alles aussaugten und wenn sie es hatten, damit wieder nicht zufrieden waren und noch mehr wollten. Die, die sich nie bedankten und die nur Hass und Zwietracht streuten, nur um noch höher zu steigen. Diese Leute konnten keine Liebe geben und auch keine erzeugen. Sie brachten nur Gewalt und Tod, Blut und Schmerzen. Diesen Götzen wollte er nicht mehr dienen.

Er hatte seine nette Seite erkannt. Das Nagen in ihm, das ihn seit einiger Zeit beunruhigte, dieses Zerren hatte nun die Oberhand gewonnen. Er wollte nicht mehr wegsehen. Konnte sich keine Gleichgültigkeit mehr vorspielen. Die unglaubliche Ungerechtigkeit, dessen Opfer ausschließlich die Bewohner der Favelas waren, konnte er nicht mehr ertragen. Dieser zutiefst netten, freundlichen und lebensfrohen Menschen. Er wollte ihrem Leiden nicht mehr tatenlos zusehen. Ihr Dahinvegetieren unter der Knute der bestialisch brutalen Drogenbanden, den gnadenlosen, verwahrlosten und bestechlichen Polizisten und der gierigen und korrupten Politikerkaste, für die alle Leute aus der Favela Verbrecher waren. Lediglich Dreck. Abschaum, dem alles abgenommen gehört. Sie alle hatten nur eins im Sinn: Wie bereichere ich mein Leben auf Kosten der Favelados.

Nun setzte er seinen Entschluss in die Tat um.

Er ging.

Und überließ den Anderen diese schmutzige Arbeit in der Spezialeinheit.

Diesen Scheißjob.

Jetzt hatte er eine andere Aufgabe.

Nun half er.

Packte mit an die Dinge zu verändern.

Half den Bewohnern der Favela und wurde dadurch immer geachteter. Er sammelte Spenden für die Armen und ging regelmäßig in die Kirche. Unterstützte den Priester, wurde selbst Priester.

Er war beliebt.

Und dann lag eines Tages ein Baby vor seiner Tür.

Niemand wusste, von wem das Kind stammte. Man hatte eine unbekannte Frau bemerkt. Aber das war auch schon alles. Tiago nahm das Kind bei sich auf und gab ihm den Namen Antônio.

Der Kleine war ein lustiges, aufgewecktes Kind und er war schnell von Begriff. Er wuchs und je älter er wurde, und je mehr er verstand, desto mehr Liebe und Zuneigung hegte er

für seinen Vater. Vor allem, als er erfuhr, dass er nicht Tiagos leibliches Kind war.

Dank der Unterstützung seines Ziehvaters wuchs er zu einem klugen und talentierten Jungen heran. Antônio besuchte die Schule und wurde Klassenbester. Er wollte gut sein, wollte seinem Vater zeigen, dass dieser richtig gehandelt hatte. Wollte zurückgeben, was Tiago ihm gab.

Er liebte seinen Vater

Und sein Vater liebte ihn

Tödlicher Samba

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