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Welche Stadt wollte seine Hilfe, Cochrane?»

«Tarent, Herr.»

«Sehr gut, und weiter?»

«Eine Schlacht war entbrannt, Herr.»

«Sehr gut, und wo?»

Des Knaben leeres Gesicht sah hinüber nach dem leeren Fenster.

Zusammengefabelt von den Töchtern der Erinnerung. Und doch war sie irgendwie, wenn nicht so, wie Erinnerung sie zusammenfabelte. Ein Satz der Ungeduld dann, Rauschen von Blakes Exzessschwingen. Ich höre den Zusammenbruch allen Raumes, zerschmettertes Glas und zusammenstürzendes Mauerwerk, und Zeit ist nur eine fahle, erlöschende Flamme. Was bleibt uns dann?

«Ich habe den Ort vergessen, Herr. 279 v. Chr.»

«Ausculum», sagte Stephan und guckte nach dem Namen der Jahreszahl in dem blutigrot genarbten Buch.

«Ja, Herr. Und er sagte: Noch ein solcher Sieg, und wir sind verloren.»

Diesen Satz hatte die Welt nie vergessen. Dumme Bequemlichkeit des Geistes. Von einem Hügel über einer leichenbesäten Ebene spricht ein General zu seinen Offizieren und stützt sich dabei auf seinen Speer. Irgendein General zu irgendwelchen Offizieren. Sie leihen Ohr.

«Du, Armstrong», sagte Stephan. «Welches war das Ende des Pyrrhus?»

«Ende des Pyrrhus, Herr?»

«Ich weiss es, Herr. Fragen Sie mich», sagte Comyn.

«Warte. Du, Armstrong. Weisst du irgendwas über Pyrrhus?» Ein Säckchen mit Feigenkuchen lag in Armstrongs Tornister versteckt. Er drehte sie dann und wann in den Händen und kaute sie ganz leise. Kleine Teilchen blieben an seinen Lippen haften. Süsser Knabenatem. Wohlhabende Leute, stolz, dass ihr ältester Sohn bei der Marine war. Vico Road, Dalkey.

«Pyrrhus, Herr? Pyrrhus, ein Pier.»

Alle lachten. Freudloses lautes spöttisches Gelächter. Armstrong sah seine Klassengenossen an, dumme Freude im Gesicht. Gleich werden sie lauter lachen, wenn sie merken, dass ich keine Disziplin halten kann, weil ihre Papas ja bezahlen.

«Und jetzt sag mir mal», sagte Stephan, indem er mit dem Buch leicht auf des Knaben Schulter schlug, «was ein Pier ist.» «Ein Pier, Herr», sagte Armstrong. «So ’n Ding draussen im Wasser. Eine Art Brücke. Kingstown Pier, Herr.»

Wieder lachten einige: freudlos, aber mit deutlich erkennbarer Absicht. Zwei in der hinteren Bank flüsterten. Ja. Sie wussten: hatten niemals gelernt, weil sie niemals unschuldig waren. Alle. Mit Neid beobachtete er ihre Gesichter. Edith, Ethel, Gerty, Lily. Ihresgleichen: auch ihr Atem duftete süss nach Tee und Marmelade, ihre Armbänder klirrten leise, wenn sie sich balgten. «Kingstown Pier», sagte Stephan. «Ja, eine enttäuschte Brücke.» Die Worte liessen sie verwirrt aufblicken.

«Wie, Herr?» fragte Comyn. «Eine Brücke geht doch über einen Fluss.»

Für Haines’ Sammlung. Keiner hier, der ihn hörte. Heute abend aber ging’s wieder los, wieder wildes Saufen und Gerede, den glatten Panzer seines Geistes zu durchdringen. Was dann? Ein Narr am Hofe seines Herrn, geduldet und missachtet, den der Herr gnädig lobt. Warum hatten sie alle diese Rolle gewählt? Sicher nicht nur, um caressiert zu werden. Auch für sie war Geschichte eine Erzählung wie irgendeine andere, die man zu oft gehört hat, ihr Land ein Pfandhaus.

Wäre Pyrrhus nicht in Argos durch die Hand eines alten Weibes ums Leben gekommen, wäre Julius Cäsar nicht zu Tode gemessert worden. Sie können nicht weggedacht werden. Zeit hat sie gebrandmarkt, und gefesselt liegen sie im Raume der unendlichen Möglichkeiten, die sie evinciert haben. Aber können diese denn möglich gewesen sein, die nie waren? Oder war nur das allein möglich, was war? Webe, Weber des Windes. «Herr, erzählen Sie uns eine Geschichte.»

«Ach ja, Herr. Eine Gespenstergeschichte.»

«Wo waren wir hier stehen geblieben?» fragte Stephan und öffnete ein anderes Buch.

«Weep no more», sagte Comyn.

«Dann mal los, Talbot.»

«Und die Geschichte, Herr?»

«Später», sagte Stephan. «Fang an, Talbot.»

Ein dunkler Knabe öffnete ein Buch und lehnte es flink unter den Deckel seines Tornisters. Ruckweise sagte er Verse auf und blickte dabei heimlich auf den Text:

Weep no more, woful shepherd, weep no more

For Lycidas, your sorrow, is not dead,

Sunk though he be beneath the watery floor. . . .

Es muss also eine Bewegung sein, eine Wirklichkeit des Möglichen als möglich. Der Satz des Aristoteles formulierte sich in den heruntergeleierten Versen und schwebte hinaus in die eifrige Stille der Bibliothek Sainte Geneviève, wo er, geschützt gegen alle Sünde von Paris, Abend für Abend gelesen hatte. Neben ihm studierte eifrig ein zarter Siamese in einem Handbuch der Strategie. Genährte und sich nährende Hirne um mich: unter Glühlampen, aufgespiesst, mit schwach schlagenden Fühlern: und in meines Geistes Dunkelheit ein Faultier der Hölle, widerspenstig, lichtscheu, seine drachenschuppigen Falten vorwärtsschiebend. Gedanke ist der Gedanke des Gedankens. Ruhige Helle. Die Seele ist in einer Art alles was ist: die Seele ist Form der Formen. Plötzliche Stille, weit, weissglühend: Form der Formen.

Talbot wiederholte:

Through the dear might of Him that walked the waves,

Through the dear might. . . .

«Blättere nur um», sagte Stephan ganz ruhig. «Ich sehe nichts.» «Wieso, Herr?» fragte Talbot einfach und beugte sich nach vorn. Seine Hand schlug die Seite um. Er lehnte sich zurück und fuhr fort, als wäre es ihm gerade wieder eingefallen. Of Him that walked the waves. Auch über diesen zaghaften Herzen liegt sein Schatten und auf des Spötters Herz und Lippen und auf meinen. Er liegt auf ihren eifrigen Gesichtern, die ihm den Zinsgroschen anboten. Dem Kaiser, was des Kaisers ist, aber Gott, was Gottes ist. Ein langer Blick aus dunklen Augen, ein rätselhafter Spruch, der auf der Kirche Webstuhl gewoben und immer wieder gewoben wird. Ach!

Rate mich, rate mich, randi räh.

Mein Vater gab mir Samen,

Dass ich ihn sä’.

Talbot flitzte das geschlossene Buch in den Tornister.

«Hab ich alles gehört?» fragte Stephan.

«Ja, Herr. Hockey um zehn, Herr.»

«Halbfreier Tag, Herr. Donnerstag.»

«Wer kann ein Rätsel raten?» fragte Stephan.

Sie packten ihre Bücher weg. Bleistifte klapperten, Seiten raschelten. Sie drängten sich zusammen, riemten und schnallten die Tornister zu, wobei alle lustig schnatterten.

«Ein Rätsel, Herr. Fragen Sie mich, Herr.»

«Nein, mich, Herr.»

«Ein schweres.»

«Dies ist das Rätsel», sagte Stephan:

Der Hahn krähte,

Der Himmel war blau:

Die Glocken im Himmel

Schlugen elf.

Es ist Zeit für diese arme Seele

In den Himmel zu gehen.

«Was ist das?»

«Ja, was?»

«Nochmal, Herr, wir haben’s nicht ordentlich verstanden.» Ihre Augen wurden grösser, als er die Verse wiederholte. Nach kurzem Schweigen sagte Cochrane:

«Was ist es denn, Herr? Wir geben es auf.»

Stephan, dem es im Halse juckte, antwortete:

«Der Fuchs, der seine Grossmutter unter einem Ilexstrauch begräbt.»

Er stand auf, lachte nervös; Schrecken echoten ihre Schreie.

Ein Stock schlug an die Türe, und im Korridor rief eine Stimme: «Hockey.»

Sie stoben auseinander, schoben sich seitwärts aus ihren Bänken, sprangen darüber. Schnell waren sie draussen, und aus der Rumpelkammer klang Geklapper von Stöcken und Lärm ihrer Stiefel und Zungen.

Sargent, der allein zurückgeblieben war, kam langsam heran, zeigte ein offenes Heft. Sein wirres Haar und hagerer Nacken verrieten Unbereitwilligkeit, und durch die nebelige Brille sahen flehend schwache Augen. Auf seiner kalten, blutleeren Wange war ein leichter Tintenfleck, dattelförmig, frisch und feucht wie einer Schnecke Spur.

Er zeigte sein Heft vor. Auf der ersten Linie stand das Wort: Aufgaben. Darunter standen verrutschte Ziffern und unten blindbuchstabig eine krumme Unterschrift und ein Klecks. Cyril Sargent: sein Name und Siegel.

«Herr Deasy hat mir gesagt, ich sollte sie alle noch einmal abschreiben», sagte er, «und sie Ihnen zeigen, Herr.»

Stephan berührte den Rand des Buches. Nutzlosigkeit. «Weisst du denn jetzt, wie sie gerechnet werden?» fragte er. «Nummer elf bis fünfzehn», antwortete Sargent. «Herr Deasy sagte, ich sollte sie von der Tafel abschreiben.» «Kannst du sie auch allein lösen?» fragte Stephan.

«Nein, Herr.»

Hässlich und nutzlos: hagerer Hals und wirres Haar und ein Tintenfleck, einer Schnecke Spur. Und doch hatte eine ihn geliebt, ihn in ihrem Herzen getragen und ihren Armen. Wäre sie nicht gewesen, die wilde Jagd der Welt hätte ihn unter die Füsse getreten, eine zerquetschte, knochenlose Schnecke. Sie hatte sein wässeriges, schwaches Blut geliebt, das stammte aus ihrem eigenen. War das denn wirklich? Das einzig Wahre im Leben? Auf den daliegenden Leib seiner Mutter trat der feurige Columbanus in heiligem Eifer. Sie war nicht mehr: das zitternde Skelett eines Zweiges, der im Feuer verbrannte, ein Duft nach Rosenholz und feuchter Asche. Sie hatte ihn davor bewahrt, dass er nicht unter die Füsse getreten wurde, und war gegangen, nachdem sie kaum gewesen. Eine arme Seele, eingegangen in den Himmel: und auf einer Heide, unter blinkenden Sternen ein Fuchs, roten Raubdunst im Fell, mit grausamen, hellen Augen wühlte er in der Erde, lauschte, wühlte die Erde auf, lauschte, wühlte und wühlte.

Stephan setzte sich neben ihn, löste die Aufgabe. Er beweist mit Hilfe der Algebra, dass Shakespeares Geist Hamlets Grossvater ist. Sargent schielte von der Seite durch seine schiefe Brille. Hockeysticks klapperten in der Rumpelkammer: der hohlklingende Schlag vor den Ball und Rufe vom Spielplatz.

Über die Seite bewegten sich in ernstem Mohrentanz in der Verkleidung ihrer Ziffern die Symbole, trugen seltsame Kappen aus Quadraten und Kuben. Geben die Hände, gehen hinüber, verbeugen sich vor dem Partner: so: Kobolde der Phantasie der Mauren. Auch von der Welt verschwunden, Averroes und Moses Maimonides, dunkle Männer in Aussehen und Bewegung, die in ihren narrenden Spiegeln die dunkle Seele der Welt aufblitzen liessen, eine Dunkelheit leuchtend in Helle, die Helle nicht verstehen konnte.

«Verstehst du es jetzt? Kannst du die zweite selbst lösen?» «Ja, Herr.»

In langen, zittrigen Strichen schrieb Sargent die Data ab. Immer auf ein Wort der Hilfe wartend, bewegte seine Hand treu die unstetigen Symbole, wobei leichte Scham hinter seiner matten Haut flackerte. Amor matris: Nominativ und objektiver Genetiv. Mit ihrem schwachen Blut und ihrer sauren Milch hatte sie ihn genährt und vor den Augen anderer seine Windeln verborgen. Wie er war auch ich, dieselben hängenden Schultern, anmutlos. Meine Kindheit beugt sich neben mir. Zu fern, als dass ich sie mit leichter Hand nur einmal noch berühren könnte. Meine ist fern und seine geheimnisvoll wie unsere Augen. Geheimnisse, still, steinig, sitzen in den dunkeln Palästen unserer beiden Herzen: Geheimnisse, müde ihrer Tyrannei: Tyrannen, die entthront werden wollen. Die Aufgabe war fertig.

«Es ist ja so einfach», sagte Stephan und stand auf.

«Ja, Herr. Ich danke auch», antwortete Sargent.

Er trocknete die Seite mit einem dünnen Löschblatt und ging dann mit seinem Heft an seinen Platz.

«Du solltest auch lieber deinen Hockeystick nehmen und zu den anderen gehen», sagte Stephan, während er bis an die Tür hinter der anmutlosen Gestalt des Knaben herging.

«Ja, Herr.»

Im Korridor hörte man, wie vom Spielplatz her sein Name gerufen wurde.

« Sargent!»

«Lauf los!» sagte Stephan, «Herr Deasy ruft dich.»

Er stand im Torbogen und beobachtete, wie er in träger Eile nach dem zerwühlten Spielplatz lief, wo laute Stimmen stritten. Sie waren in Gruppen eingeteilt, und Herr Deasy schritt mit begamaschten Beinen über Grasbüschel. Als er das Schulhaus erreicht hatte, riefen ihn wieder streitende Stimmen. Er wandte ihnen seinen bösen, weissen Schnurrbart zu.

«Was ist denn wieder los?» rief er immer wieder, ohne auch nur zuzuhören.

«Cochrane und Halliday spielen auf der selben Seite, Herr», rief Stephan.

«Warten Sie doch bitte einen Augenblick in meinem Studierzimmer», sagte Deasy, «ich will hier nur eben Ordnung schaffen.» Und als er nun geschäftig wieder über den Spielplatz ging, rief seine alte Stimme streng:

«Was ist los? Was ist denn wieder los?»

Von allen Seiten umschrien ihn laute Stimmen: ihre vielen Gestalten umdrängten ihn von allen Seiten, der grelle Sonnenschein bleichte den Honig seines schlechtgefärbten Kopfes.

Schale, rauchige Luft hing mit dem Geruch der braunen, abgenutzten Lederstühle im Studierzimmer. Wie am ersten Tage, als er hier mit mir verhandelte. Wie es zu Anfang war, ist es jetzt. Auf dem Buffet das Brett mit den Stuartmünzen, gemeiner Schatz aus einem Sumpf: und ewig soll sein. Und in dem warmen Löffelkasten mit dem verschossenen, purpurnen Plüsch die zwölf Apostel, die allen Heiden gepredigt haben: endlose Welt. Ein hastiger Schritt durch den steinernen Torbogen und auf dem Korridor. Deasy plusterte seinen dünnen Schnurrbart auf und blieb am Tisch stehen.

«Zuerst mal unsere kleine finanzielle Regelung», sagte er.

Aus dem Rock zog er ein Taschenbuch, das ein Lederriemen zusammenhielt. Es schnappte auf, und er entnahm ihm zwei Noten, eine aus zusammengeleimten Hälften, und legte sie sorgfältig auf den Tisch, schnallte es wieder zu und

«Zwei», sagte er, schnallte sein Taschenbuch zu und steckte es ein.

Und jetzt ins Gewölbe für das Gold. Stephans verlegene Hand fuhr über den Muschelnhaufen in dem kalten Steinmörser: Kinkhörner und Kaurimuscheln und Leopardenmuscheln: und dann diese, gewunden wie der Turban eines Emirs, und diese, die Kammuschel des heiligen Jakobus. Eines alten Pilgers Beute, toter Schatz, leere Muscheln.

Ein blanker, neuer Sovereign fiel auf die weiche Masse der Tischdecke.

«Drei», sagte Deasy und drehte seine kleine Geldbüchse in der Hand. Nett und handlich.

«Sehen Sie: dies ist für die Sovereigns. Dies hier für Shillings, Sixpence und halbe Kronen. Und hier für Kronen.» Er schoss zwei Kronen und zwei Shilling aus den Fächern. «Drei zwölf», sagte er. «So stimmt’s wohl.»

«Danke sehr», sagte Stephan; in scheuer Hast raffte er das Geld zusammen und steckte es in eine Hosentasche.

«Nichts zu danken», sagte Deasy, «Sie haben es ehrlich verdient. »

Stephans Hand, die wieder frei war, kehrte zurück zu den hohlen Muscheln. Auch Symbole der Schönheit und Macht. Ein Klumpen in meiner Tasche. Durch Gier und Elend beschmutzte Symbole.

«Tragen Sie es doch nicht so mit sich rum», sagte Deasy. «Irgendwo ziehen Sie es aus der Tasche und verlieren es. Sie sollten sich gleich auch so ein Ding kaufen. Ist riesig praktisch und bequem.» Irgendwas antworten.

«Meins wäre oft leer», sagte Stephan.

Der gleiche Raum, die gleiche Stunde, die gleiche Weisheit: und ich derselbe. Dreimal jetzt. Drei Schlingen hier um mich. Nun. Ich kann sie diesen Augenblick zerreissen, wenn ich will.

«Weil Sie nicht sparen», sagte Deasy und hob warnend den Finger. «Sie wissen noch nicht, was Geld ist. Geld ist Macht, wenn Sie so lange gelebt haben wie ich. Ich weiss es, ich weiss es. Wenn Jugend nur wüsste. Wie sagt doch Shakespeare? Tu Geld in deinen Beutel.»

«Jago», murmelte Stephan.

Er hob den Blick von den leeren Muscheln und sah in des alten Mannes starre Augen.

«Er wusste, was Geld war», sagte Deasy. «Er machte Geld. Ein Dichter, aber auch ein Engländer. Wissen Sie, was der Stolz des Engländers ist? Kennen Sie das stolzeste Wort aus dem Munde eines Engländers?»

Beherrscher der Meere. Seine seekalten Augen blickten auf die leere Bucht: hierfür ist die Geschichte verantwortlich: auf mich und meine Worte, hasslos.

Stephan sagte: «Dass in seinem Reiche die Sonne nie untergeht. »

«Bah!» sagte Deasy. «Das ist nicht englisch. Das sagte ein französischer Kelte.»

Mit dem Daumennagel knipste er leicht an die Spardose.

«Ich will Ihnen sagen», sagte er feierlich, «welches sein stolzester Ruhm ist: Ich habe alles bezahlt.»

Guter Mann, guter Mann.

«Ich habe alles bezahlt. Nie in meinem Leben borgte ich auch nur einen Shilling. Können Sie das nachfühlen? Ich schulde nichts. Können Sie?»

Mulligan, neun Pfund, drei Paar Socken, ein Paar Schuhe, Schlipse. Curran, zehn Guineas, McCann, eine Guinea. Fred Ryan, zwei Shilling. Temple, zwei Mittagessen. Russel, eine Guinea, Cousins, zehn Shilling, Bob Reynolds, eine halbe Guinea, Köhler, drei Guineas, Frau McKernan, Pension für fünf Wochen. Der Klumpen, den ich habe, ist nutzlos.

«Augenblicklich nicht», antwortete Stephan.

Deasy lachte in heller Freude und steckte seine Geldbüchse wieder ein.

«Das wusste ich», sagte er lustig. «Aber eines Tages werden Sie es fühlen. Wir sind ein edelmütiges Volk, aber wir müssen auch gerecht sein.»

«Ich fürchte so grosse Worte», sagte Stephan, «die uns so unglücklich machen.»

Ernst blickte Deasy kurze Zeit auf das Bild eines gut gebauten Mannes im buntgewürfelten Faltenröckchen der schottischen Bergbewohner über dem Kamin: Albert Eduard, Prinz von Wales.

«Sie halten mich für einen alten, konservativen Stockphilister und Tory», sagte seine nachdenkliche Stimme. «Seit O’Connells Zeit sah ich drei Generationen. Ich erinnere mich noch an die Hungersnot. Wissen Sie, dass die Orangistenlogen zwanzig Jahre vor O’Connell für Aufhebung der Union agitierten, zwanzig Jahre bevor die Prälaten Ihrer Gemeinde ihn als Demagogen anzeigten? Ihr Fenier vergesst manches.»

Glorreiche, fromme und unsterbliche Erinnerung. Die Diamantloge im herrlichen Armagh, drapiert mit Papistenleichen. Heiser, maskiert und bewaffnet, der Bauern Bund. Der finstere Norden und die echte, wahre Bibel. Rebellen, ergebt euch. Stephan skizzierte eine kurze Handbewegung.

«Ich habe auch Rebellenblut in mir», sagte Deasy. «Von Mutterseite her. Aber ich stamme von Sir John Blackwood, der für die Union stimmte. Wir sind alle Iren, alle Söhne von Königen.» «Leider», sagte Stephan.

«Per vias rectas», sagte Deasy fest, «war sein Wahlspruch. Er stimmte für sie, zog seine Stulpstiefel an und machte sich von den Ards of Down nach Dublin auf den Weg.»

Hopp, hopp, hopp.

Den steinigen Weg nach Dublin.

Ein mürrischer Junker zu Pferde mit blanken Stulpstiefeln. Schönes Wetter, Tag, Herr John. Schönes Wetter, Euer Gnaden. . . . Wetter. . . . Wetter. . . . Zwei Stulpstiefel schlenkern wackelnd nach Dublin. Hopp, hopp, hopp.

«Da fällt mir grade was ein», sagte Deasy. «Sie können mir einen Gefallen tun, Herr Dädalus, bei einigen Ihrer literarischen Freunde. Ich habe hier einen Brief für die Presse. Nehmen Sie doch einen Augenblick Platz, ich muss nur noch den Schluss schreiben.»

Er ging an den Tisch in der Nähe des Fensters, rückte zweimal in seinem Stuhl und las dann einige Worte vom Blatt auf der Walze seiner Schreibmaschine.

«Setzen Sie sich doch. Entschuldigen Sie mich», sagte er über die Schulter, «. . . . die Forderungen des gesunden Menschenverstandes..... Es dauert nicht lange.»

Unter seinen zottigen Brauen sah er auf das Manuskript neben seinem Ellbogen, murmelte vor sich hin und begann die steifen Tasten langsam niederzudrücken, stöhnte manchmal, wenn er die Walze zurückdrehte, um einen Fehler zu verbessern. Stephan setzte sich geräuschlos hin, da ein Fürst zugegen war. An den Wänden hingen die gerahmten Bilder früher berühmter Pferde; sie hoben die demütigen Köpfe hoch: Lord Hastings Repulse, der Shotover des Herzogs von Westminster, der Ceylon des Herzogs von Beaufort, prix de Paris, 1866. Zwerghafte Reiter sassen auf ihnen, passten gespannt auf das Zeichen. Er sah ihre Schnelligkeit, setzte auf des Königs Farben und schrie mit der längst vergangenen Menge.

«Punkt», gebot Deasy seinen Tasten. «Aber prompte Ventilation dieser wichtigen Frage. . . .»

Wohin mich Cranly mitnahm, um schnell reich zu werden, jagte seine Sieger zwischen den schlammbespritzten Wagen, zwischen den Buden mit den schreienden Buchmachern und den Düften der Kantine, lief durch bunten Schlamm. Eins zu eins Fair Rebel: zehn zu eins das Feld. Vorbei an Würfel- und Taschenspielern rannten wir hinter den Hufen her, den wetteifernden Kappen und Jacken, rannten vorbei an der fleischgesichtigen Frau, eines Metzgers Weib, die durstig an dem Stück Apfelsine lutschte.

Schreie klangen schrill vom Spielplatz der Knaben und schwirrender Pfiff.

Wieder: ein Tor. Ich bin dabei, mitten drin im wirbelnden Kampf ihrer Leiber, Tjost des Lebens. Du meinst das x-beinige Muttersöhnchen, das leicht kropfkrank zu sein scheint? Tjoste. Gestossene Zeit springt zurück, Stoss gegen Stoss. Tjoste, Schlamm und Aufruhr der Schlachten, gefrorener Todesschleim der Erschlagenen, Speerspitzenschrei getränkt mit blutigen Männereingeweiden.

«Also», sagte Deasy und stand auf.

Er ging an den Tisch und steckte mit einer Nadel seine Blätter zusammen. Stephan stand auf.

«Ich habe die ganze Sache ziemlich zusammengedrängt», sagte Deasy. «Es handelt sich um die Maul- und Klauenseuche. Lesen Sie es doch mal schnell durch. Nach meiner Meinung kann die Sache gar nicht anders aufgefasst werden.»

Darf ich Ihren wertvollen Raum in Anspruch nehmen? Diese Doctrin des laissez faire, die so oft in unserer Geschichte. Unser Viehhandel. Wohin auch all unsere alten Industrien gingen. Der Liverpool-Ring, der das Projekt des Galway-Hafen zu Fall brachte. Europäischer Brand. Kornversorgung über den engen Kanal. Die mehr als vollendete Unerschütterlichkeit des Ackerbauministeriums. Eine klassische Anspielung sei zu gute gehalten. Kassandra. Durch eine Frau, die nicht besser war als ihr Ruf. Um auf den strittigen Punkt zu kommen. . . .

«Ich sage doch alles klipp und klar?» fragte Deasy, während Stephan weiter las.

Maul- und Klauenseuche. Bekannt als Kochsches Präparat. Serum und Virus. Prozentsatz immunisierter Pferde. Rinderpest. Die kaiserlichen Pferde in Mürzsteg, Niederösterreich. Veterinäre. Herr Henry Blackwood Price. Freundliches Angebot eines ehrlichen Versuchs. Forderungen des gesunden Menschenverstandes. Überaus wichtige Frage. Im vollen Sinn des Wortes den Stier bei den Hörnern packen. Ich danke Ihnen für die Gastfreundschaft in Ihren Spalten.

«Ich möchte das drucken lassen, damit es gelesen wird», sagte Deasy. «Sie werden bei dem nächsten Ausbruch sehen, dass die Ausfuhr irischen Viehs verboten wird. Und sie kann geheilt werden. Sie wird geheilt. Mein Vetter Blackwood Price schreibt mir, dass sie in Österreich durch Viehdoktoren regelmässig behandelt und geheilt wird. Sie wollen gerne rüberkommen. Ich versuche das Ministerium aufzurütteln. Jetzt will ich es mal mit der breiteren Öffentlichkeit probieren. Aber Schwierigkeiten,. . . Intriguen, Hintertreppeneinflüsse umgeben mich. . . . »

Er hob den Zeigfinger, bewegte ihn ältlich hin und her und sagte dann:

«Achten Sie auf meine Worte, Herr Dädalus. England ist in den Händen der Juden. In allen höchsten Stellen: in Finanz, in Presse. Und das ist immer ein Zeichen für den Verfall einer Nation. Wo die sich zusammenfinden, fressen sie die Lebenskraft des Volkes. Das habe ich seit Jahren kommen sehen. So wahr, wie wir hier stehen, die jüdischen Kaufleute haben ihr Zerstörungswerk schon begonnen. Alt-England stirbt.»

Er machte einige schnelle Schritte, seine Augen bekamen blaues Leben, als jetzt ein breiter Sonnenstrahl in sie fiel. Er ging auf und ab.

«Stirbt», sagte er, «wenn es nicht schon tot ist.»

Von Strass’ zu Strass’ der Hure Schrei

Wird weben Englands Leichentuch.

Seine Augen öffneten sich weit, als hätte er eine Vision, starrten unbeweglich durch den Sonnenstrahl, in dem er stand.

«Kaufmann», sagte Stephan, «ist der, der billig einkauft und teuer verkauft, ob er nun Jude ist oder Heide. Habe ich nicht recht?» «Sie sündigten gegen das Licht», sagte Deasy ernst. «Und man kann in ihren Augen die Finsternis erkennen. Und deshalb fanden sie bis auf den heutigen Tag keine Ruhe auf Erden.» Auf den Stufen der Pariser Börse stehen goldhäutige Männer, notieren die Kurse mit ihren begemmten Fingern. Gänsegeschnatter. Sie schwärmten laut, unheimlich durch den Tempel, unter ungeschickten Seidenhüten ersannen ihre Köpfe allerlei Ränke. Nicht ihre: diese Kleider, diese Worte, diese Gesten. Ihre schweren, langsamen Augen straften die Worte, die eifrigen und harmlosen Gesten Lügen, kannten aber den Hass, der sich um sie türmte, und wussten, dass ihr Eifer umsonst war. Vergeblich häuften und sammelten sie geduldig. Zeit würde sicher alles wieder zerstreuen. Ein Schatz, aufgehäuft am Strassenrande: Plündern und Weitergehen. Ihre Augen kannten die Jahre des Wanderns, und geduldig kannten sie die Unehre ihres Fleisches.

«Wer tat das nicht?» sagte Stephan.

«Was meinen Sie?» fragte Deasy.

Er kam einen Schritt nach vorn und stand nun am Tisch. Ungewiss fiel ihm der Unterkiefer schief nach unten. Ist dies alte Weisheit? Er will von mir hören.

«Die Geschichte», sagte Stephan, «ist ein Alp, aus dem ich erwachen will.»

Vom Spielplatz klang wieder der Knaben Schrei. Ein schwirrendes Pfeifen: Tor. Und wenn dieser Alp dir nun von hinten einen Tritt versetzte?

«Die Wege Gottes sind nicht unsere Wege», sagte Deasy. «Alle Geschichte bewegt sich auf ein grosses Ziel zu, die Offenbarung Gottes.»

Stephan schnellte den Daumen auf das Fenster zu und sagte: «Das ist Gott.»

«Hurra! aaa! raa!»

«Was?» fragte Deasy.

«Ein Schrei auf der Strasse», antwortete Stephan und zuckte mit den Schultern.

Deasy sah auf den Boden und klemmte für kurze Zeit die Flügel seiner Nase zwischen die Finger. Dann sah er wieder auf und liess sie los.

«Ich bin glücklicher als Sie», sagte er. «Wir haben viele Irrtümer und viele Sünden begangen. Ein Weib brachte die Sünde in die Welt. Eines Weibes wegen, das nicht besser war als ihr Ruf, Helenas, des entlaufenen Weibes des Menelaus wegen, führten die Griechen zehn Jahre Krieg mit Troja. Ein treuloses Weib brachte zuerst die Fremden an unsere Küsten, MacMurroughs Weib und ihr Liebster O’Rourke, der Fürst von Breffni. Ein Weib war es auch, die Parnell zu Fall brachte. Viele Irrtümer, viele Unterlassungen, aber die eine Sünde nicht. Jetzt am Ende meiner Tage bin ich noch Kämpfer. Aber ich will bis ans Ende für das Recht kämpfen.»

Denn Ulster wird kämpfen

Und Ulster wird recht haben.

Stephan hob die Hand mit den Blättern.

«Gut, Herr», begann er.

«Ich ahne es», sagte Deasy, «diese Arbeit wird Ihnen nicht lange mehr zusagen. Sie sind nicht zum Lehren geboren, glaube ich. Vielleicht irre ich mich auch.»

«Vielmehr zum Lernen», sagte Stephan.

Und was willst du hier noch lernen?

Deasy schüttelte den Kopf.

«Wer weiss?» sagte er. «Wer lernen will, muss demütig sein. Aber der grosse Lehrer ist das Leben.»

Wieder raschelten die Blätter in Stephans Hand. «Um hierauf nochmal zurückzukommen», fing er an.

«Ja», sagte Deasy. «Sie haben da zwei Abschriften. Wenn Sie die beide zu gleicher Zeit erscheinen lassen könnten.»

Telegraph. Irish Homestead.

«Ich will’s versuchen», sagte Stephan. «Morgen gebe ich Ihnen Bescheid. Ich kenne oberflächlich zwei Redakteure.»

«Das wird genügen», sagte Deasy munter. «Gestern abend schrieb ich an Herrn Field, M. P. Im City Arms Hotel ist heute eine Versammlung des Viehhändlervereins. Ich habe ihn gebeten, der Versammlung meinen Brief vorzulegen. Versuchen Sie, ihn in beiden Zeitungen unterzubringen. Welche sind es denn? » «The Evening Telegraph. . . .»

«Sehr schön», sagte Deasy. «Es eilt aber. Jetzt muss ich noch den Brief meines Vetters beantworten.»

«Guten Morgen, Herr», sagte Stephan und steckte die Blätter in die Tasche. «Vielen Dank.»

«Keine Ursache», sagte Deasy und suchte in den Blättern auf seinem Tische.« Trotz meines Alters breche ich gern mit Ihnen eine Lanze.» «Guten Morgen, Herr», sagte Stephan und verbeugte sich vor seinem gebeugten Rücken.

Er ging hinaus durch den offenen Torbogen, über den Kiespfad unter den Bäumen, hörte vom Spielplatz her schreiende Stimmen und Krachen der Schlaghölzer. Als er durch das Tor ging, sah er die auf Pfeilern liegenden Löwen; zahnlose Schrecken. Doch will ich ihm in seinem Kampfe helfen. Mulligan wird mir zwar einen neuen Namen geben: der ochsenfreundliche Barde. «Herr Dädalus!»

Er läuft hinter mir her. Hoffentlich nicht noch andere Briefe. «Noch einen Augenblick.»

«Ja, Herr», sagte Stephan und ging ans Tor zurück.

Deasy blieb stehen; er atmete schwer und japste. «Ich wollte Ihnen nur noch was sagen», meinte er. «Irland hat bekanntlich die Ehre, das einzige Land zu sein, das nie die Juden verfolgte. Ist Ihnen das bekannt? Nein. Und wissen Sie warum?» Er sah mit gerunzeltem Gesicht in die frohe Helle.

«Und warum denn?» fragte Stephan, der anfing zu lächeln. «Weil es sie nie ins Land liess», sagte Deasy feierlich.

Ein hustenbelliges Lachen sprang ihm aus dem Halse, löste eine rasselnde Schleimkette. Er wandte sich schnell um, hustete, lachte, seine erhobenen Arme flatterten in der Luft.

«Liess sie nie rein», rief er wieder durch sein Gelächter, als er jetzt mit den Gamaschenbeinen über den Kiesweg stapste.«Deswegen.» Und durch das bunte Gewimmel der Blätter warf die Sonne auf seine weisen Schultern Goldflimmer, tanzende Geldstücke.

Ulysses

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