Читать книгу Ulysses - James Joyce - Страница 9
ОглавлениеLeopold Bloom ass sehr gerne die inneren Organe von Tieren und Geflügel. Er liebte dicke Gänsekleinsuppe, leckere Muskelmägen, farciertes, geröstetes Herz, mit Brotkrumen gebratene Leberschnitten, gebratene Dorscheier. Am liebsten aber ass er geröstete Hammelnieren, die seinen Gaumen schwachen Uringeschmack empfinden liessen.
Mit Nieren beschäftigte sich sein Geist, als er jetzt leise durch die Küche strich und für sie auf dem verbeulten Tablett das Frühstück zurecht machte. Laukalt waren Licht und Luft in der Küche, draussen aber war überall freundlicher Sommermorgen. Machte ihn ein wenig hungrig.
Die Kohlen glühten.
Noch eine Schnitte Brot und Butter: drei, vier: so ist’s gut. Sie hatte es nicht gerne, wenn der Teller voll war. Gut so. Er liess das Tablett stehen, hob den Kessel vom Kamineinsatz und stellte ihn seitwärts auf das Feuer. Mürrisch und dick stand er nun da, streckte die Tülle vor. Bald eine Tasse Tee. Gut. Mund trocken. Steifbeinig strich die Katze mit hochgehobenem Schwanz um ein Tischbein.
Mkgnao!
«Sieh da, da bist du ja», sagte Bloom und wandte sich ab vom Feuer.
Die Katze miaute und stakte wieder steif um ein Tischbein, miaute. Genau so stakt sie über meinen Schreibtisch. Prr. Kraul mir den Kopf. Prr.
Bloom beobachtete neugierig, freundlich die geschmeidige, schwarze Gestalt. Sieht niedlich aus: weiches, glänzendes Fell, weisser Fleck unter der Schwanzwurzel, grüne, blitzende Augen. Die Hände auf den Knien, beugte er sich zu ihr herab.
«Milch fürs Pussichen», sagte er.
Mrkgnao! schrie die Katze.
Sollen dumm sein. Was wir sagen, verstehen sie besser als wir sie verstehen. Sie versteht alles, was sie verstehen will. Auch rachsüchtig. Möchte doch wissen, wie ich ihr vorkomme. Turmhoch? Nein, sie kann ja an mir hochspringen.
«Vor Küken hat sie Angst», sagte er spottend. «Angst hat sie vor den Küküken. Ein so dummes Pussichen wie dies Pussichen hab ich noch nie gesehen.»
Grausam. Ihre Natur. Seltsam, Mäuse quieken nie. Mögen das scheinbar gerne.
Mrkgnao! sagte die Katze laut.
Sie blinzelte in die Höhe aus gierigen, schamhaft sich schliessenden Augen, miaute kläglich und lange und zeigte ihm ihre milchweissen Zähne. Er beobachtete die dunklen Augenschlitze, die sich gierig verengten, bis ihre Augen grüne Steine waren. Dann ging er an die Anrichte, nahm den Krug, den Hanlons Milchmann grade für ihn gefüllt hatte, goss warmsprudelnde Milch in eine Untertasse und setzte sie vorsichtig auf den Boden. Gurrhr! schrie sie, lief an die Untertasse und schleckte.
Als sie jetzt dreimal hintereinander leicht an ihr leckte, beobachtete er die Schnurrhaare, die in dem schwachen Lichte drahtähnlich leuchteten. Ob es wohl wahr ist, dass sie keine Mäuse mehr fangen kann, wenn man sie abschneidet? Warum? Vielleicht leuchten sie im Dunkeln, die Spitzen. Oder Art Fühler in der Dunkelheit, vielleicht.
Er hörte auf ihr leckendes Schlecken. Schinken und Eier, nein. Bei dieser Trockenheit sind die Eier schlecht. Brauchen reines frisches Wasser. Donnerstag: heute gibt’s bei Buckley keine guten Hammelnieren. In Butter gebraten, ein Schuss Pfeffer. Lieber Schweinsniere bei Dlugacz. Bis dahin kocht das Wasser. Sie schleckte langsamer, leckte dann die Untertasse sauber. Warum sind ihre Zungen so rauh? Damit sie besser schlecken können, lauter poröse Löcher. Nichts zu fressen für sie? Er sah um sich. Nein.
Auf ruhig knarrenden Stiefeln ging er die Treppe hinauf in den Flur, blieb vor der Schlafzimmertür stehen. Vielleicht will sie was Leckeres. Dünnes Brot mit Butter mag sie morgens gern. Vielleicht: aber auch nicht immer.
Leise sagte er im leeren Flur:
«Ich gehe eben um die Ecke. Bin gleich wieder da.» Und als er seine Stimme dies hatte sagen hören, fügte er hinzu: «Willst du was zum Frühstück?»
Ein schläfriges leises Grunzen antwortete:
«Mn.»
Nein. Sie wollte nichts. Er hörte dann einen warmen, schweren Seufzer, leiser, als sie sich auf die andere Seite legte und die lockeren Messingscheiben an der Bettstelle klirrten. Muss die doch mal festmachen lassen. Schade. Von weither, aus Gibraltar. Ihr bisschen Spanisch hat sie vergessen. Möchte doch wissen, was ihr Vater dafür bezahlte. Alter Stil. O ja, natürlich. Kaufte es auf der Auktion des Gouverneurs. Verblüffend. Bekam es zu Vorzugspreis. Der alte Tweedy war steinhart bei einem Geschäft. Ja, Herr. Das war bei Plevna. War früher gemeiner Soldat, Herr, und bin stolz darauf. Doch war er schlau genug, die Briefmarken aufzukaufen. Das war gar nicht so dumm.
Seine Hand nahm den Hut vom Haken, an dem sein schwerer Mantel mit Monogramm und der alt gekaufte Waterproof aus dem Fundbureau hingen. Briefmarken: Bilder mit Leim dahinter. Sicher sind viele Offiziere dabei beteiligt. Gewiss. Oben im Hut las er das durchschwitzte Schildchen: Plastos allerbeste Mark. Schnell blickte er hinter die Innenseite des Lederstreifens. Stück weisses Papier. Ganz sicher.
Auf der Türschwelle fühlte er in seiner Hüfttasche nach dem Haustorschlüssel. Nicht da. Sicher in der Hose, die ich ausgezogen habe, muss ihn holen. Kartoffel habe ich. Schrank knarrt. Wozu sie stören. Sie legte sich gerade schläfrig auf die andere Seite. Ganz leise zog er die Flurtüre hinter sich zu, immer mehr, bis der untere Teil wie ein schlaffes Lid leise über die Schwelle glitt. Sah aus, als wäre sie geschlossen. Alles in Ordnung bis ich irgendwie wiederkomme.
Er ging hinüber auf die Sonnenseite, vermied die offene Kellerklappe von Nummer 75. Die Sonne näherte sich dem Glockenturm der Georgs-Kirche. Wird heute warm, glaube ich. Merke das besonders in diesem schwarzen Anzug. Schwarz leitet, reflektiert (oder refraktiert?) die Hitze. In dem hellen Anzug konnte ich doch nicht gehen. Wäre ja die reinste Landpartie. Während er in glücklicher Wärme daherging, schloss er ruhig oft die Augen. Bolands Brotwagen, der uns unser tägliches bringt, aber sie mag lieber Brot von gestern, knusperigen Stuten und warme Brötchen. Wird wieder ganz jung. Irgendwo im Osten: früher Morgen: Aufbruch in der Morgendämmerung, immer vor der Sonne her, gewinnt so einen eintägigen Vorsprung. Hielte man sie in ihrem Laufe an, würde man technisch gesprochen nie einen Tag älter. Dann über einen Strand, fremdes Land, ans Stadttor mit Schildwache, alter Söldner, dicker Schnurrbart wie der alte Tweedy, stützt sich auf eine Art langer Lanze. Dann durch Strassen mit Sonnensegeln. Beturbante Gesichter gehen vorbei. Dunkle Grotten von Teppichläden, dicker Kerl, Turko der Schreckliche, sitzt da mit untergeschlagenen Beinen und raucht eine Wasserpfeife mit spiralförmig gewundenem Schlauch. Verkäufer rufen in den Strassen. Fenchel duftendes Trinkwasser, Sorbet. Den ganzen Tag unterwegs. Vielleicht Begegnung mit einem oder zwei Räubern. Und was ist dabei? Nun wird es Abend. Die Schatten der Moscheen an den Pfeilern: Priester mit aufgerollter Rolle. Bäume zittern, Signal, der Abendwind. Ich gehe weiter. Verblassender Goldhimmel. Eine Mutter steht wartend im Torweg. In ihrer dunklen Sprache ruft sie die Kinder ins Haus. Hohe Mauer: auf der andern Seite Saitenklang. Nacht Himmel Mond, violett, wie Mollys neue Strumpfbänder. Saiten. Lauschen. Ein Mädchen spielt auf einem jener wieheissensienoch Instrumente: Cembalo. Ich gehe weiter.
In Wirklichkeit wahrscheinlich ganz anders. Zusammengelesenes Zeug: über die Sonnenbahn. Mit Sonnenaufgang auf dem Titelblatt. Ganz zufrieden lachte er. Arthur Griffith sagte über die Zierleiste über dem Leitartikel im Freeman: eine Homerule-Sonne, die im Nordwesten aus der Gasse hinter der Bank von Irland aufgeht. Vergnügt lächelte er immer noch. Klingtjüdisch: Homerule-Sonne, die im Nordwesten aufgeht.
Er kam nun in die Nähe von Larry O’Rourkes Geschäft. Aus dem Kellergitter klang schlabberiges Portergeplätscher. Durch die offene Tür spritzte die Bar allerlei Düfte: Ingwer, Teestaub, Biscuitbrei. Aber doch ein gutes Haus: gerade am Ende des Stadtverkehrs. M’Auleys Kneipe z. B. da unten: k. g. Lage. Ja, würde eine Trambahnlinie am North Circular entlang vom Viehmarkt bis an die Quais gebaut, stieg der Wert gleich gewaltig. Kahlkopf über der Blende. Verschmitzter, alter Geizhals. Ganz zwecklos, den wegen einer Annonce ranzukriegen. Versteht sein Geschäft ganz vorzüglich. Da steht er ja, der alte, schlaue Larry, in Hemdsärmeln, an die Zuckerkiste gelehnt und beobachtet den Gehilfen mit der Schürze, wie er mit Eimer und Aufnehmer reine macht. Simon Dädalus macht ihn genau nach mit seinen zusammengekniffenen Augen. Wissen Sie, was ich Ihnen erzählen will? Was denn, Herr O’Rourke? Wissen Sie was? Die Russen wären für die Japaner nur ein Happen.
Will stehen bleiben und was sagen: vielleicht über die Beerdigung. Es ist doch jammerschade um den armen Dignam, Herr O’Rourke.
Als er in die Dorset Street einbog, grüsste er zur Tür hinüber und sagte frisch:
«Guten Tag, Herr O’Rourke.»
«Guten Tag.»
«Herrliches Wetter, was?»
«Kann es sich besser nicht wünschen.»
Wo kriegen die nur das Geld her? Kommen als rothaarige Kellner aus Leitrim, säubern Flaschen und saufen Drippelbier. Und dann auf einmal sind’s grosse Leute, blühen auf wie Adam Findlaters oder Dan Tallons. Dabei ist die Konkurrenz nicht zu vergessen. Allgemeiner Durst. Wäre eine schöne Aufgabe: gehe durch Dublin, ohne an einer Kneipe vorbeizukommen. Sparen können sie es nicht. Von den Betrunkenen vielleicht. Drei hin, fünf im Sinn. Aber was macht das aus? Hier ein M. und da eins, immer langsam voran. Vielleicht bei Aufträgen im grossen. Machen ihr Extrageschäft mit dem Stadtreisenden. Bring die Sache mit dem Alten ins reine, und wir teilen uns den Braten, was?
Wieviel ergäbe das monatlich allein aus dem Porter? Sagen wir mal zehn Fass. Nehmen wir mal an, er bekäme zehn Prozent. Ne, mehr. Zehn. Fünfzehn. Er kam an Sankt Joseph, an der Volksschule vorbei. Blagenlärm. Fenster offen. Frische Luft gut fürs Gedächtnis. Oder ein Singsang. Ahbece deeefgee kaelemen opeeku eresteuvauwe. Sind’s Jungens? Ja. Inishturk. Inishark. Inishboffin. Haben Jographie. Meiner. Slieve Bloom.
Er blieb vor Dlugacz’ Schaufenster stehen, starrte auf die Wurstketten, die schwarz und weissen Schweinefleischwürste. Fünfzig multipliziert mit. Die ungelösten Aufgaben verblassten in seinem Geist: missmutig gab er es auf. Die glänzenden Glieder mit dem gehackten Fleisch nährten seinen Blick, und ruhig atmete er den lauwarmen Duft gekochten, gewürzten Schweineblutes. Eine Niere tropfte Blut auf die Schüssel mit dem Zwiebelmuster: die letzte. Neben ihm an der Theke stand das Dienstmädchen von nebenan. Ob die sie kaufte, las die einzelnen Posten von einem Zettel in der Hand. Zerfressen: Waschsoda. Und anderthalb Pfund Dennyswürstchen. Seine Augen ruhten auf ihren kräftigen Hüften. Woods heisst er. Möchte wissen, was er tut. Frau ist ältlich. Frischer Schlag. Verehrer nicht gestattet. Stramme Arme. Klopft einen Teppich auf der Zeugleine. Sie klopft ihn, beim heiligen Georg. Dabei schwingt ihr krauser Unterrock bei jedem Schlag.
Der frettchenäugige Schweinemetzger legte die Würste, die er mit seinen fleckigen, wurstroten Fingern abgeschnitten hatte, zusammen. Festes Fleisch, wie eine stallgefütterte Färse.
Er nahm ein Blatt von dem Haufen geschnittenen Papiers. Die Musterfarm in Kinnereth am Ufer des Sees Tiberias. Kann ideales Wintersanatorium werden. Moses Montefiore. Wusste ich doch. Bauernhaus, Mauer drum, verschwommenes Vieh auf der Weide. Er hielt das Blatt von sich: interessant; es genauer lesen, den Titel, das verschwommene, weidende Vieh, das Blatt raschelte. Eine junge, weisse Färse. Damals morgens auf dem Viehmarkt, die Tiere brüllen in ihren Pferchen, Schafe mit Brandmal, klatschend fällt der Dung, Viehzüchter gehen mit dickgenagelten Schuhen durch die Spreu, klatschen mit der flachen Hand auf reiffleischiges Hinterviertel, dies hier ganz besonders gut, haben ungeschälte Gerte in der Hand. Geduldig hielt er das Blatt schief, beugte Sinne und Willen, starrte ruhig unterwürfig vor sich hin. Der krause Unterrock schwang bei jedem Schlag, Schlag, Schlag.
Der Schweinemetzger ratschte zwei Blätter von dem Haufen, wickelte ihr die allerbesten Würstchen ein und verzog grinsend sein rotes Gesicht.
«So, Fräulein», sagte er.
Sie reichte ein Geldstück, lächelte kühn, streckte ihr dickes Gelenk vor.
«Danke, Fräulein. Und einen Shilling drei Pence retour. Und Sie, bitte?»
Bloom zeigte schnell: schnell fertig sein, hinter ihr hergehen, wenn sie langsam ging, hinter ihren sich bewegenden Schinken her. Als erster Anblick am frühen Morgen angenehm. Verdammt noch mal, mach schnell. Mache Heu während die Sonne scheint. Sie stand draussen vor dem Laden im Sonnenlicht und schlenderte faul nach rechts. Er blies die Luft durch die Nase: nie verstehen sie. Sodazerfressene Hände. Auch verschrumpelte Fussnägel. Braunes, zerlumptes Scapulier, schützt sie vorne und hinten. Die stechende Missachtung wurde zu leichter Freude in seiner Brust. Für jemand anders: ein Polizist ausser Dienst beknutschte sie in der Eccles Lane. Muss nur ordentlich was dran sein. Allerbeste Wurst. Oh, Verzeihung, Herr Wachtmeister, ich habe mich im Walde verlaufen.
«Drei Pence, bitte.»
Seine Hand nahm die feuchte, weiche Drüse und liess sie in eine Seitentasche gleiten. Dann holte sie drei Geldstücke aus der Hosentasche und legte sie auf den Gummiigel. Sie lagen da, wurden schnell nachgezählt und glitten dann eins nach dem andern in die Ladenkasse.
«Danke, Herr, beehren Sie mich bald wieder.»
Ein schiefer Blick aus Fuchsaugen dankte ihm. Gleich sah er weg. Nein: lieber nicht: ein anderes Mal.
«Guten Morgen», sagte er und ging fort.
«Guten Morgen, Herr.»
Nirgendwo. Fort. Was tut’s?
Er ging durch die Dorset Street zurück, las ernst. Agendath Netaim: Bauernverein. Wüste sandige Strecken von der türkischen Regierung kaufen und mit Eukalyptus bepflanzen. Geben ausgezeichneten Schatten, als Brennholz und Bauholz ganz vorzüglich. Orangenhaine und ungeheure Melonenfelder nördlich von Jaffa. Man bezahlt acht Mark, und sie bepflanzen ein Dunam Land mit Oliven, Orangen, Mandelbäumen oder Citronen. Oliven billiger: Orangen verlangen künstliche Bewässerung. Jedes Jahr bekommt man eine Probe der Ernte zugesandt. Name des Eigentümers steht lebenslang im Buch des Vereins. Braucht zehn anzuzahlen, Rest in jährlichen Raten. Bleibtreustrasse 34, Berlin W 15.
Nichts mit zu machen. Steckt aber eine Idee dahinter.
Er sah das verschwommene Vieh in silbriger Hitze. Silbrige staubige Olivenbäume. Ruhige lange Tage: Ausschneiden Reifen. Oliven werden doch in Kruken verpackt? Ich hab noch ein paar von Andrews übrig. Molly spuckte sie aus. Weiss jetzt, wie sie schmecken. Orangen, in Seidenpapier, werden in Lattenkisten verpackt. Citronen desgleichen. Ob der liebe Citron in der Saint Kevin’s Parade noch lebt? Und Mastiansky mit der alten Zither. Hatten wir damals für gemütliche Abende! Molly in Citrons Korbsessel. Angenehm in der Hand zu halten, kühle, wächserne Frucht, sie an die Nase zu heben und den Duft zu riechen. Genau so, schwerer, süsser, wilder Duft. Immer der gleiche, Jahr für Jahr. Moisel erzählte mir, dass sie auch hohe Preise erzielten. Arbutus Place: Pleasants Street: gute, alte Zeit. Müssen tadellos sein, sagte er. Und die weite Reise: Spanien, Gibraltar, Mittelmeer, Levante. Kisten stehen in Reih und Glied auf dem Quai in Jaffa, ein Kerl streicht sie in einem Buch an, Arbeiter in schmutzigem Arbeitskittel verladen sie. Da ist ja auch, wie heisst er noch, aus. Gut’n. Sieht nicht. Langweilig, wenn man jemand nur so weit kennt, dass man ihn eben grüsst.
Sieht von hinten genau so aus wie der norwegische Kapitän. Möchte wissen, ob ich den heute treffe. Spritzwagen. Soll wohl regnen. Wie im Himmel also auch auf Erden.
Eine Wolke begann die Sonne zu verdunkeln, gänzlich langsam gänzlich. Grau. Weit.
Nein, so nicht. Ein unfruchtbares Land, öde Wüste. Vulkanischer See, das Tote Meer: keine Fische, keine Meerpflanzen, tief in die Erde gesunken. Kein Wind würde diese Wogen heben, graues Metall, giftige neblige Wasser. Schwefel nannten sie es, was herniederregnete: die Städte der Ebene: Sodom, Gomorrha, Edom. Alles tote Namen. Ein totes Meer in einem toten Land, grau und alt. Jetzt alt. Es trug die älteste, die erste Rasse. Eine gebeugte, alte Hexe kam herüber von Cassidy, packte fest eine Schnapsflasche am Halse. Das älteste Volk. Wanderte weit hin über die ganze Erde, Gefangenschaft nach Gefangenschaft, vermehrte sich, starb, wurde überall geboren. Jetzt lag es dort. Jetzt konnte es nicht mehr gebären. Tot: eines alten Weibes: die graue, eingesunkene Fotze der Erde.
Trostlosigkeit.
Graues Entsetzen versengte sein Fleisch. Er faltete das Blatt zusammen, steckte es in die Tasche und bog in die Eccles Street, eilte nach Hause. Kaltes Öl glitt durch seine Adern, durchkältete sein Blut: Alter überzog ihn mit einem Salzmantel. Gut, jetzt bin ich wieder da. Morgenstunde Schleim im Munde. Mit dem linken Bein zuerst aufgestanden. Muss die Sandowschen Übungen wieder anfangen. Nieder auf die Hände. Fleckige braune Backsteinhäuser. Nummer 80 immer noch unvermietet. Warum wohl? Miete nur 28. Towers, Battersby, North, MacArthur: Parterrezimmerfenster mit Plakaten verklebt. Pflaster auf einem wehen Auge. Den lieblichen Dampf des Tees riechen, rauchende Pfanne, zischend brötzelnde Butter. In der Nähe ihres reichen, bettgewärmten Fleisches sein. Ja, ja.
Schnelles warmes Sonnenlicht rieselte in schlichten Sandalen über den leuchtenden Bürgersteig der Berkeley Road gerannt. Läuft, läuft mir entgegen, ein Mädchen mit Goldhaar, das im Winde flattert.
Zwei Briefe und eine Karte lagen im Flur. Er blieb stehen und hob sie auf. Frau Marion Bloom. Sein schnelles Herz schlug auf einmal langsamer. Freche Handschrift. Frau Marion.
«Poldy!»
Als er ins Schlafzimmer trat, schloss er halb die Augen und ging durch warmes, gelbes Zwielicht auf ihren zerzausten Kopf zu. «Für wen sind die Briefe?»
Er sah auf sie. Mullingar. Milly.
«Ein Brief für mich von Milly», sagte er langsam, «und eine Karte für dich. Und noch ein Brief für dich.»
Er legte Karte und Brief auf die Köperbettspreite, nahe der Stelle, wo ihre Knie sich wölbten.
«Soll ich das Rouleau hochziehen?»
Während er das Rouleau vorsichtig ruckweise halb hochzog, sah er von der Seite wohl, wie sie auf den Brief blickte und ihn unter ihr Kopfkissen schob.
«Genügt’s?» fragte er und wandte sich um.
Sie hatte sich auf ihren Ellbogen gestützt und las die Karte. Er wartete, bis sie die Karte fortgelegt hatte und sich langsam mit behaglichem Seufzer wieder zusammenrollte.
«Mach schnell mit dem Tee», sagte sie, «ich bin ausgedörrt.» «Das Wasser kocht», sagte er.
Aber er blieb, räumte den Stuhl ab: ihr gestreifter Unterrock, schmutzige zerknitterte Leibwäsche: nahm alles zusammen in den Arm und legte es ans Bettende.
Als er die Treppe zur Küche hinunterging, rief sie: «Poldy!» «Was?»
«Koch die Teekanne aber aus.»
Kocht schon: leichter Dampf aus der Tülle. Er kochte die Teekanne aus, spülte sie aus und tat vier Löffel Tee hinein, neigte den Kessel dann, liess Wasser hineinfliessen. Stellte die Kanne dann hin, dass der Tee zöge, nahm den Kessel vom Feuer, drückte die flache Pfanne auf die glühenden Kohlen und sah zu, wie der Klumpen Butter hin und her glitt und dann zerging. Während er die Niere auspackte, miaute ihn die Katze hungrig an. Gibt man ihr zu viel Fleisch, fängt sie keine Mäuse mehr. Sie sollen, wie man sagt, kein Schweinefleisch fressen. Koscher. Hier. Er warf ihr das blutbeschmierte Papier hin und liess die Niere in die brutzelnde Buttersauce fallen. Pfeffer. Er liess ihn durch die Finger rieseln, ringförmig, aus dem gesprungenen Eierbecher.
Dann schlitzte er seinen Brief auf, überflog die Seite, wandte sie um. Dank: neue Mütze: Herr Coghlan: Loch Owel Picknick: junger Student: Blazes Boylans Mädel vom Strande.
Der Tee hatte gezogen. Er füllte seine eigene Barttasse, unechtes Porzellan, lächelte. Der liebi Milly Geburtstagsgeschenk. War damals erst fünf. Nein, warte mal: vier. Ich schenkte ihr das unechte Bernsteinhalsband, das sie zerriss. Steckte für sich Stücke gefalteten, braunen Papiers in den Briefkasten. Er lächelte, während er den Tee eingoss.
O, Milly Bloom, mein Liebling bist du.
Du bist mir ein Spiegel immerzu.
Ohn’ jeden Pfennig ich lieber dich mag,
Als mit Esel und Garten die Katey Keogh.
Armer, alter Professor Goodwin. Schrecklicher alter Kauz. War aber ein höflicher, alter Kerl. Wie altmodisch er Molly immer vom Podium zurückführte. Und der kleine Spiegel in seinem Seidenhut. Als eines Abends Milly ihn ins Wohnzimmer brachte. O, sieh mal, was ich in Professor Goodwins Hut fand! Wir haben alle gelacht. Damals schon ein Weibchen. War ein freches, kleines Ding.
Er stach mit der Gabel in die Niere und schlappte sie um: stellte dann die Teekanne auf das Tablett. Sie wackelte wegen der Beule, als er es hochhob. Alles drauf? Brot und Butter, vier, Zucker, Löffel, ihre Sahne. Ja. Er trug es hinauf; den Daumen hakte er in den Henkel der Teekanne.
Er stupste die Tür mit dem Knie auf, brachte das Tablett herein und stellte es auf den Stuhl am oberen Ende des Bettes.
«Das hat aber lange gedauert», sagte sie.
Als sie sich plötzlich aufrichtete, klingelten die Messingteile; mit einem Ellbogen stützte sie sich auf das Kissen. Er sah ruhig herab auf ihre Masse und zwischen ihre grossen, weichen Peppen, die in ihrem Nachthemd wie Ziegeneuter zur Seite hingen. Die Wärme ihres liegenden Körpers strömte in die Luft, mischte sich mit dem Duft des Tees, den sie eingoss.
Eine Ecke des aufgerissenen Briefumschlages lugte unter dem zerknüllten Kissen hervor. Er ging, blieb dann stehen, glättete die Bettspreite.
«Von wem war der Brief?» fragte er.
Freche Handschrift. Marion.
«O, Boylan», sagte sie. «Er bringt mir das Programm.»
«Was sollst du singen?»
«Là ci darem mit J. C. Doyle», sagte sie, «und Love’s Old Sweet Song.»
Ihre vollen, trinkenden Lippen lächelten. So Weihrauch riecht am nächsten Tag ziemlich schal. Wie faules Blumenwasser. «Soll ich das Fenster nicht ein wenig öffnen?»
Sie schob eine zusammengeklappte Schnitte Brot in den Mund, fragte:
«Wann ist die Beerdigung?»
«Elf, glaube ich», antwortete er. «Hab die Zeitung noch nicht gelesen.»
Er folgte ihrem ausgestreckten Finger, hob ein Bein ihrer schmutzigen Hose vom Bett. Nein? Dann ein gezwirntes, graues Strumpfband mit Strumpf: faltige, glänzende Sohle.
«Nein: das Buch.»
Anderer Strumpf. Ihr Unterrock.
«Ist sicher runtergefallen», sagte sie.
Er fühlte hier und da. Voglio e non vorrei. Ob sie das wohl richtig ausspricht: voglio. Nicht im Bett. Muss runtergerutscht sein. Er bückte sich und hob die schmale Bettgardine. Das Buch war runtergefallen und flätzte sich gegen die Rundung des Nachttopfes mit der gelben Schlüsselverzierung.
«Zeig mal her», sagte sie. «Ich hab ein Zeichen reingelegt. Da ist ein Wort, nach dem ich dich fragen wollte.»
Sie schlürfte einen Schluck Tee aus ihrer Tasse, die sie an der Nichthenkelseite fasste, wischte ihre Fingerspitzen schnell an der Decke ab, fuhr mit der Haarnadel über den Text, bis sie das Wort fand.
«Metim, was?» fragte er.
«Hier», sagte sie. «Was heisst das?»
Er beugte sich vor und las neben ihrem polierten Daumennagel.
«Metempsychose? »
«Ja. Was ist denn das für’n Kerl?»
«Metempsychose», sagte er und zog die Augenbrauen zusammen. «Das ist griechisch: aus dem Griechischen. Es bedeutet: Seelenwanderung.»
«O, Hagelschlag», sagte sie. «Erklär mir das mal einfacher.»
Er lächelte und begegnete von der Seite ihrem spöttischen Blick. Die selben jungen Augen. Die erste Nacht nach den Scharaden. Dolphins Barn. Er wandte die beschmutzten Seiten um. Ruby: Der Stolz der Arena. Hallo. Illustration. Wilder Italiener mit Kutscherpeitsche. Ist sicher Ruby Stolz der da nackt am Boden. Bettuch freundlicherweise gestellt. Das Ungeheuer Maffei liessvon seinem Opfer ab und stiess es mit einem Fluch von sich.Hinter allem Grausamkeit. Betäubte Tiere. Trapez bei Hengler. Musste wegsehen. Pöbel gaffte. Brecht euch den Hals, wir halten uns den Bauch vor Lachen. Ganze Familien. Muss sie früh entknochen, sonst können sie nicht metempsychosieren. Dass wir nach dem Tode leben. Unsere Seelen. Dass eines Menschen Seele nach seinem Tode. Dignams Seele. . . .
«Hast du es zu Ende gelesen?» fragte er.
«Ja», sagte sie. «Steht nichts Saftiges drin. Liebt sie den ersten Kerl die ganze Zeit über?»
«Hab’s nie gelesen. Willst du ein anderes?»
«Ja. Besorge mir ein neues von Paul de Kock. Hat ’nen netten Namen, gefällt mir.»
Sie goss sich wieder Tee ein, beobachtete von der Seite seinen Strahl.
Muss das Buch aus der Bibliothek in der Capel Street verlängern lassen, sonst schreiben sie an Kearney, meinen Bürgen. Reincarnation: das ist das richtige Wort.
«Viele Menschen glauben», sagte er, «dass wir nach dem Tode in einem andern Körper als dem, in dem wir vorher lebten, weiterleben. Sie nennen das Reincarnation. Dass wir alle vor Tausenden von Jahren schon auf der Erde oder einem andern Planeten lebten. Sie behaupten, wir hätten das vergessen. Einige wollen sich sogar an ihre früheren Leben erinnern.»
Die faule Sahne zog gerinnende Spiralen in ihrem Tee. Sollte sie an das Wort erinnern: Metempsychose. Ein Beispiel wäre sehr dienlich. Ein Beispiel?
Die Nymphe im Bade über dem Bett. Beilage der Osternummer der Photo Bits: Herrliches Meisterwerk in Kunstfarben. Wie Tee ohne Milch. Mit ihrem aufgelösten Haar hat sie Ähnlichkeit mit ihr: schlanker. Drei und sechs hab ich für den Rahmen bezahlt. Sie meinte, über dem Bett würde es sich gut machen. Nackte Nymphen: Griechenland: und als Beispiel alle Leute, die damals lebten.
Er blätterte die Seiten zurück.
«Metempsychose», sagte er, «nannten es die alten Griechen. Sie glaubten, man könnte z. B. in ein Tier, in einen Baum verwandelt werden. Zum Beispiel was sie Nymphen nannten.» Ihr Löffel rührte den Zucker nicht mehr um. Sie blickte starr vor sich hin, atmete durch ihre geblähten Nasenlöcher.
«Es riecht hier verbrannt», sagte sie. «Hast du was auf dem Feuer gelassen?»
«Die Niere!» rief er plötzlich.
Rasch stopfte er das Buch in die innere Rocktasche, rannte mit den Zehen gegen den wackligen Nachtstuhl, lief dem Geruch entgegen, eilte mit aufgeregten Storchbeinen die Treppe runter. Von der einen Seite der Pfanne schoss in giftigem Strahl beissender Rauch auf. Mit einer Gabelzinke stach er unter die Niere, löste sie los und kippte sie auf die andere Seite. Nur ein bisschen verbrannt. Er schob sie aus der Pfanne auf einen Teller und liess das bisschen braunen Fleischsaft darüber tröpfeln.
Jetzt eine Tasse Tee. Er setzte sich, schnitt ein Stück Brot ab und bestrich es mit Butter. Er schnitt das verbrannte Fleisch ab und warf es der Katze hin. Dann steckte er eine Gabelvoll in den Mund, kaute verständig das schmackhafte, elastische Fleisch. Grade richtig. Einen Mundvoll Tee. Dann schnitt er Brotwürfel, stippte einen in den Fleischsaft und steckte ihn in den Mund. Was war das noch mit dem jungen Studenten und dem Picknick? Er glättete den Brief neben sich, las ihn langsam während er kaute, stippte wieder einen Brotwürfel in den Fleischsaft und hob ihn an den Mund.
«Liebster Papli,
Vielen herzlichen Dank für das nette Geburtstagsgeschenk. Es steht mir ganz ausgezeichnet. Jeder sagt, ich sähe schöner aus als alle andern in meiner neuen Mütze. Mammis nette Schachtel mit den Rahmbonbons auch erhalten und ich kann nur schreiben: sie sind ganz herrlich. Ich komme in dem Photogeschäft jetzt famos voran. Herr Coghlan hat mich photographiert, und die Frau schickt sie, wenn sie entwickelt ist. Gestern hatten wir alle Hände voll zu tun. Markttag, alle Mädels kamen rein, prima Fleisch. Montag wollen wir mit einigen Freunden an den Loch Owel, wo wir sozusagen ein Picknick machen. Grüsse Mammi, dir sende ich einen Kuss und vielen Dank. Ich höre sie unten am Klavier. Samstag ist im Greville Arms Konzert. Manchmal kommt abends ein junger Student er heisst Bannon seine Vettern oder so sind dicke Gents er singt Boylans (verflixt noch mal, hätte beinahe geschrieben Blazes Boylans) Lied von den Mädel vom Strande. Bestelle ihm die besten Grüsse von der liebi Milly.
Muss jetzt schliessen. Alles Gute. Deine dich liebende Tochter
Milly.
P. S. Entschuldige schlechte Schrift, hab’s eilig. Wiedersehen.
M.
Fünfzehn gestern. Seltsam, auch der fünfzehnte des Monats. Ihr erster Geburtstag in der Fremde. Trennung. Erinnere mich des Sommermorgens, an dem sie geboren wurde, lief zu Frau Thornton in der Denzille Street, trommelte sie raus. Eine liebe alte Seele. Hat sicher einen ganzen Haufen Babies auf die Welt befördert. Sie wusste gleich, dass der arme kleine Rudy nicht leben würde. Nun, was Gott tut, das ist wohl getan, Herr. Sie wusste das gleich. Wäre jetzt elf, wenn er am Leben geblieben wäre.
Mit leerem Gesicht starrte er traurig auf das Postscriptum. Entschuldige schlechte Schrift. Eilig. Klavier unten. Entmuschelt sich. Krach mit ihr im XL Café wegen des Armbands. Wollte ihre Kuchen nicht essen, nicht sprechen, mich nicht ansehen. Schnippische Person. Er stippte wieder Brotwürfel in den Fleischsaft und ass die Niere, ein Stück nach dem andern. Zwölf und sechs wöchentlich. Nicht viel. Könnte aber noch weniger sein. Statistin in der Music Hall. Junger Student. Er trank einen Schluck kühleren Tee, um seine Mahlzeit herunterzuspülen. Dann las er den Brief wieder: zweimal. Schon gut: sie weiss, was sie zu tun hat. Wenn aber nicht? Nein, passiert ist noch nichts. Wäre aber sehr leicht möglich. Bis dahin wollen wir mal abwarten. Tolles Weib. Ihre schlanken Beine eilen die Treppe hinauf. Geschick. Reift jetzt. Eitel: sehr.
Er lächelte beunruhigt zärtlich das Küchenfenster an. Als ich sie auf der Strasse erwischte, wie sie sich in die Backen kniff, damit sie rot würden. Ein bisschen blutarm. Hat zu lange Milch bekommen. Damals auf dem Erin’s King rund um den Kish. Verdammter, alter Wackelkasten. Von Angst keine Spur. Ihre blassblaue Schärpe, ihr Haar flatterten im Wind.
Grübchen in Wangen und Locken dazu,
Mir wird dabei ganz schwindlig.
Mädel vom Strande. Aufgerissener Briefumschlag. Hände steckten in seinen Hosentaschen, Droschkenkutscher auf Urlaub, der singt. Familienfreund. Schwündlig, sagt er. Pier mit Lampen, Sommerabend, Musik.
Die Mädel, die Mädel,
Die reizenden Mädel vom Strande.
Milly auch. Junge Küsse: der erste. In weiter Ferne jetzt vergangen. Frau Marion. Liest jetzt liegend, trennt ihre Haarsträhne, lächelt, flicht sie.
Ein leichtes unbehagliches Gefühl lief ihm über den Rücken, wurde stärker. Passiert ja doch. Verhindern. Hat keinen Zweck: kann nichts dran machen. Süsse leuchtende Mädchenlippen. Kommt ganz von selbst. Das unbehagliche Gefühl füllte ihn fast ganz. Keinen Zweck: kann nichts mehr dran machen. Geküsste, küssende geküsste Lippen. Volle, klebende Frauenlippen.
Gut, dass sie da unten ist: fort. Muss ihr Beschäftigung verschaffen. Einen Hund als Zeitvertreib wollte sie. Möchte doch mal hin. August-Bankferien, nur 2/6 retour. Noch sechs Wochen bis dahin. Vielleicht als Reporter auf Freifahrtschein. Oder durch M’Coy.
Die Katze, die sich geputzt hatte, ging wieder an das blutige Papier, schnüffelte dran und stakte dann an die Tür. Sie miaute und sah sich nach ihm um. Will raus. Warte vor der Tür, geht manchmal auf. Kann warten. Kann nicht still sitzen. Elektrisch. Gewitter in der Luft. Putzte sich das Ohr und drehte dem Feuer den Rücken zu.
Er fühlte sich schwer, voll: dann ein leichtes Lösen in den Eingeweiden. Er stand auf, löste den Hosengurt. Die Katze miaute ihn an.
«Miau», antwortete er. «Warte, bis ich fertig bin.»
Schwüle: wird ein heisser Tag. Nicht so einfach, die Treppe bis zum Podest hinaufzuklettern.
Eine Zeitung. Er las gerne beim Stuhlgang. Hoffentlich kommt nicht so ein Affe und klopft, wenn ich grade.
In der Tischschublade fand er eine alte Nummer der Titbits. Er klemmte sie in die Achselhöhle, ging an die Tür und öffnete sie. In leichten Sprüngen eilte die Katze hinauf. Sieh da, wollte nach oben, sich zusammengerollt aufs Bett legen.
Er lauschte, hörte ihre Stimme:
«Pussy, komm, Pussy, komm.»
Er ging durch die Hintertür in den Garten: blieb stehen, lauschte hinüber nach dem Nachbargarten. Kein Laut. Hängt vielleicht Wäsche auf zum Trocknen. Das Mädchen war im Garten. Herrlicher Morgen.
Er bückte sich und betrachtete eine spärliche Reihe grüner Minze, die an der Mauer wuchs. Sollte sich hier eine Laube bauen.
Türkische Feuerbohnen. Wilden Wein. Der ganze Platz müsste gedüngt werden, der Boden taugt nicht. Eine Schicht Schwefelleber. Jeder ungedüngte Boden ist so. Küchenabfälle. Lehm, was ist das eigentlich? Die Hühner aus dem Nachbargarten: ihr Mist ist sehr gut für Oberdüngung. Den besten liefert das Vieh, besonders wenn es mit Ölkuchen gefüttert wird. Strohmist. Vorzügliches Reinigungsmittel für lederne Damenhandschuhe. Dreck reinigt. Asche desgleichen. Ganzen Platz umgraben. In die Ecke pflanze ich Erbsen. Salat. Haben dann immer frisches Gemüse. Gärten haben aber auch ihre Schattenseiten. Die Biene oder Schmeissfliege damals Pfingstmontag.
Er ging weiter. Wo ist denn mein Hut? Hab ihn sicher wieder auf den Haken gehängt. Vielleicht hängt er auch am Boden. Seltsam, erinnere mich doch gar nicht. Flurgarderobe zu voll. Vier Regenschirme, ihr Regenmantel. Hob die Briefe auf. Dragos Ladenglocke läutete. Seltsam, dachte grade dran. Braunes, pomadisiertes Haar über seinem Kragen. War eben beim Friseur. Ob ich heute morgen wohl noch zum Baden komme? Tara Street. Der Mann an der Kasse soll James Stephens fortgeholfen haben. O’Brien.
Hat ’ne tiefe Stimme, dieser Dlugacz. Agenda wie weiter. So, Fräulein. Verehrer.
Er stiess die baufällige Tür des Abtritts auf. Will mich in acht nehmen, dass die Hose nicht dreckig wird, muss für die Beerdigung sauber sein. Er ging hinein, beugte den Kopf unter dem niedrigen Oberbalken. Er liess die Tür halb auf und knöpfte inmitten des Gestanks von modrigem Kalk und alten Spinnweben die Hosenträger los. Bevor er sich niedersetzte, blickte er durch eine Spalte hinauf zum Fenster nebenan. Er war allein in seiner Kammer. Niemand.
Als er auf dem Kackstuhl hockte, entfaltete er die Zeitung, schlug auf den entblössten Knien die Seiten um. Was Neues und Leichtes. Zeit genug. Will’s noch ein wenig anhalten. Unser Preisausschreiben. Matchams Meisterstreich. Verfasser Philip Beaufoy, Playgoers’ Club, London. Verfasser hat eine Guinea pro Spalte bekommen. Drei einhalb. Drei Pfund drei. Drei Pfund dreizehn und sechs.
In aller Ruhe las er, seinen Drang beherrschend, die erste Spalte, gab dann widerstrebend nach und begann die zweite. Als er bis zur Hälfte gelesen hatte, gab er seinen letzten Widerstand auf und liess seine Eingeweide sich erleichtern, während er geduldig weiter las, bis alles, was gestern nicht hatte raus wollen, draussen war. Hoffentlich nicht zu dick, krieg sonst wieder Hämorrhoiden. Nein, grade recht. So. Ah! Bei Verstopfung eine Tablette cascara sagrada. Leben könnte so sein. Die Geschichte erregte oder rührte ihn nicht, doch war sie irgendwie lebendig und sauber. Drucken heutzutage alles. Sauregurkenzeit. Er las weiter, sass ruhig in seinem von unten aufsteigenden Duft. Gewiss, ganz sauber. Matcham denkt noch oft an den Meisterstreich, durchden er die lachende Hexe gewann, die jetzt. Anfang und Ende moralisch. Hand inHand. Gefällt mir. Er überflog noch einmal, was er gelesen hatte, und während er fühlte, wie sein Wasser ruhig abfloss, beneidete er freundlich Beaufoy, der die Geschichte geschrieben und drei Pfund dreizehn und sechs Honorar dafür bekommen hatte.
Könnten doch auch mal eine Skizze zusammenschreiben. Von L. und M. Bloom Eine Geschichte zu irgendeinem Sprichwort welches? Damals, als ich versuchte, auf meine Manschette zu schreiben, was sie beim Anziehen sagte. Zusammen anziehen ist mir ein Greuel. Schnitt mich beim Rasieren. Beisst sich auf die Unterlippe, wenn sie den Rockschlitz zuhakt. Will sie mal chronometrisieren. 915 . Hat Roberts noch nicht bezahlt? 920 . Was hatte Gretta Conroy an? 923 . Welcher Teufel ritt mich, dass ich diesen Kamm kaufte? 924 . Nach dem Kohl hab ich einen Bauch wie ’ne Trommel. Ein Stäubchen auf dem Lackleder ihres Schuhs.
Reibt schnell abwechselnd das Vorderteil der Schuhe an der Wade ab. Morgen nach dem Bazartanz, als Mays Kapelle Ponchiellis Stundentanz spielte. Erklärung dieser Morgenstunden, Mittag, dann der hereinbrechende Abend, dann die Nachtstunden. Putzte sich die Zähne. Das war die erste Nacht. Ihr Kopf tanzte. Ihre Fächerstäbe klirrten. Hat dieser Boylan Zaster? Er hat welchen. Warum? Beim Tanzen bemerkte ich, dass sein Atem gut roch. Hmmen keinen Zweck. Darauf anspielen. Seltsame Musik gestern abend. Der Spiegel war nicht beleuchtet. Sie rieb ihren Handspiegel heftig an dem wollenen Jackett, an ihren vollen, wogenden Peppen. Sah hinein. Striche in ihren Augen. Wäre doch nicht so sicher.
Abendstunden, Mädchen in grauer Gaze. Dann Nachtstunden, schwarz, mit Dolchen und Augenmasken. Poetische Idee, rosa, dann golden, dann grau, dann schwarz. Und dabei immer noch lebenswahr. Tag, dann die Nacht.
Scharf riss er die Preisgeschichte zur Hälfte ab und wischte sich damit aus. Dann zog er die Hosen hoch, behosenträgerte sich und knöpfte sich zu. Er stiess die baufällige, wackelige Lokustür auf und trat aus dem Dunkel in die Luft.
Erleichtert und erfrischt besah er im hellen Licht sorgfältig die schwarze Hose, den untern Teil, die Knie und die Kniefalten. Wann ist die Beerdigung? Will doch lieber mal in der Zeitung nachsehen.
Ein Knarren und dumpfes Schwirren hoch in der Luft. Die Glocken der Georgs-Kirche. Sie schlugen die Stunde: lautes, dumpfes Eisen.
Bimbam! Bimbam!
Bumbum! Bimbam!
Bimbum! Bimbam!
Viertel vor. Da wieder: der Oberton schwirrte durch die Luft. Eine Terz.
Armer Dignam!