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III. Der Neukantianismus

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Als nächste Entwicklungsstufe der Straftatlehre wird die Strafrechtssystematik unter dem Einfluss des Neukantianismus genannt.[94] Unter „Neukantianismus“ versteht man eine Gruppe in sich recht heterogener Strömungen der deutschen akademischen Philosophie ab Mitte des 19. Jahrhunderts, welche die durch die metaphysischen Höhenflüge Hegels weitgehend diskreditierte Fachphilosophie durch einen Rückgang auf Kant erneuern wollten.[95]

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Als kennzeichnend für das nun herrschende Verständnis des Verbrechensaufbaus wird die Einsicht in die „Normativität“ oder „Wertbezogenheit“ der juristischen Begriffsbildung bezeichnet.[96] Durch die Philosophie des Neukantianismus, vor allem in ihrer südwestdeutschen Variante,[97] sei „die alte Erkenntnis wiederbelebt“ worden, „dass aus einem Sein kein Sollen folgt (oder mit anderen Worten: dass durch eine empirische Analyse der Wirklichkeit niemals normative Maßstäbe für deren Bewertung gefunden werden können). Dem aus neukantianischer Sicht eindeutigen ‚naturalistischen Fehlschluss‘ bei der Lösung inhaltlicher Probleme … entsprach dabei in systematischer Hinsicht der Fehlgriff, das Strafrechtssystem vorwiegend aus empirischen Begriffen aufzubauen anstatt aus den für das Strafrecht grundlegenden Werten“.[98]

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Auch diese Sicht ist jedoch nicht unproblematisch. Zum einen ist fraglich, ob es sich bei dem Neukantianismus über das Schlagwort „Zurück zu Kant!“ und die (auf David Hume zurückgehende) Trennung von „Sein“ und „Sollen“ hinaus überhaupt um eine einheitliche philosophische Schule gehandelt hat.[99] Bemerkenswert ist außerdem, dass Gustav Radbruch, der gemeinhin als ein Vertreter des „Naturalismus“ angesehen wird, jedenfalls in seinen späteren Jahren ein wichtiger Repräsentant des südwestdeutschen Neukantianismus war und u.a. wesentlich dazu beigetragen hat, Max Webers Trennung von Tatsachenaussagen und Werten in der Jurisprudenz bekannt zu machen.[100] Teleologisches Denken lässt sich auch von Liszt attestieren (siehe oben Rn. 51). Schon damit wird deutlich, dass eine klare Grenzziehung zwischen dem „Naturalismus“ und dem Neukantianismus bei genauerem Hinsehen schwierig sein dürfte.

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