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III. Stellungnahme

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Nach heutigem Verständnis ist die Bedeutung des Handlungsbegriffs durch die Befürworter seiner systematischen Funktion überschätzt worden. Richtigerweise kann der Handlungsbegriff den Aufbau des Strafrechtssystems und konkrete Problemlösungen nicht präjudizieren.

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Das gilt zunächst für den kausalen Handlungsbegriff. Eine „gewillkürte Außenweltveränderung oder -nichtveränderung“ bietet keine Grundlage für die Annahme einer Tatbestandserfüllung. Denn die Tatbestandshandlung ist ohne ihre subjektiven Elemente und ohne ihre soziale Sinndimension nicht sachgerecht erfassbar.

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Es gibt – um dies an zwei zentralen Tatbeständen zu verdeutlichen – keine „objektive“ Diebstahls- oder Betrugshandlung. Vielmehr sind Zueignungsabsicht, Täuschung und Bereicherungsabsicht wie auch der Wegnahme- und Schädigungsvorsatz Bestandteile des tatbestandlichen Handlungsgeschehens, die von ihrer objektiven Wirkung in der Außenwelt nicht zu trennen sind.

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Entsprechendes gilt für den sozialen Sinn des Handelns. Wer nicht erkennt, dass die von ihm weggenommene Sache „fremd“ ist oder wer einen fälligen Rechtsanspruch auf den erlangten Vermögensvorteil zu haben glaubt, begeht keine Tatbestandshandlung im Sinne der §§ 242, 263 StGB.

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Eine Tatbestandshandlung ist also weit mehr als eine objektiv-kausale Gewahrsams- oder Vermögensverschiebung. Die Folgerungen, die aus der kausalen Handlungslehre für den Aufbau des „klassischen“ Strafrechtssystems gezogen worden sind, waren also falsch.

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Die finale Handlungslehre hat daher mit Recht den Vorsatz als Bestandteil des Tatbestandes anerkannt und sich mit dieser Auffassung durchgesetzt. Aber damit liefert sie keinen allgemeingültigen Handlungsbegriff, sondern nur die Kennzeichnung der ontischen Elemente einer vorsätzlichen Begehungshandlung. Das Verständnis der Handlung als zweckgeleitete (finale) Überdetermination von Kausalverläufen passt nicht auf Fahrlässigkeits- und Unterlassungstatbestände und kann selbst bei Vorsatzdelikten den normativen Sinngehalt der Tatbestände nicht zum Ausdruck bringen.

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Zunächst ist eine fahrlässige Tatbestandsverwirklichung gerade nicht final herbeigeführt. Wenn sich beim Gewehrreinigen ein tödlicher Schuss löst und die Finalisten darauf hinweisen, dass hier zwar keine finale Tötung, aber doch eine finale Reinigungshandlung vorliege, so bedeutet das der Sache nach eine Rückkehr zum kausalen Handlungsbegriff. Denn es wird dem Inhalt des Wollens gerade keine Bedeutung beigemessen.[7]

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Schließlich ist auch der Sinngehalt vieler Handlungen durch die Finalstruktur allein nicht erfassbar. So unangemessen es ist, wenn die kausale Handlungslehre nach einem alten Beispiel[8] die Beleidigungshandlung als Erregung von Schallwellen und als Verursachung von Sinnesreizungen im Gehör des Betroffenen deutet, so verfehlt wäre es auch, sie als eine auf Trommelfellerschütterungen abzielende finale Überdetermination von Schallwellen verstehen zu wollen.[9]

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Die finale Handlungslehre kann auch die praktischen Ergebnisse, die aus ihr abgeleitet wurden, nicht tragen. Die von ihr zur Behandlung des Verbotsirrtums propagierte Schuldtheorie folgt keineswegs daraus, dass der Vorsatz zum Tatbestand gehört. Es steht vielmehr allein beim Gesetzgeber zu entscheiden, wie viele Kenntnisse der Täter haben muss, um die Vorsatzstrafe zu verdienen. Er kann sich, wie es § 16 Abs. 1 StGB tut, mit der Kenntnis der Tatumstände begnügen. Er hätte aber auch die Kenntnis der Sozialschädlichkeit oder das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit verlangen und bei ihrem Fehlen den Ausschluss der Vorsatzschuld gesetzlich anordnen können.

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Die Finalisten haben sogar die strenge Schuldtheorie befürwortet und aus ihrem Handlungsbegriff abgeleitet. Danach soll die vermeidbar irrige Annahme von Rechtfertigungsvoraussetzungen (z.B. die Putativnotwehr) eine Vorsatzstrafe begründen, weil der Irrende ein tatbestandlich geschütztes Rechtsgut (etwa den Körper des Angreifers) durch eine zielgerichtete Handlung verletzt hat. Demgegenüber ist heute weitgehend anerkannt, dass der Rechtfertigungsirrtum den Vorsatz ausschließt, weil die Vorstellung des Täters auf die Begehung einer auch bei objektiver Betrachtung rechtmäßigen Handlung gerichtet war. Der finale Handlungsbegriff erzwingt also nicht nur keine konkreten Problemlösungen, er führt sogar in die Irre.

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Dass die Teilnahme nach §§ 26, 27 StGB eine vorsätzliche Haupttat voraussetzt, ist zwar eine Entscheidung, die der Gesetzgeber unter dem Einfluss der finalistischen Lehre getroffen hat und die natürlich zu respektieren ist. Aber sachlich zwingend ist diese aus der Zugehörigkeit des Vorsatzes zum Tatbestand abgeleitete Lösung keineswegs. Unter kriminalpolitischen Gesichtspunkten wäre es vernünftiger gewesen, bei Sonderdelikten eine Teilnahme an unvorsätzlicher Haupttat zuzulassen und beispielsweise denjenigen wegen Anstiftung zur (unvorsätzlichen) Unfallflucht zu bestrafen, der als Unbeteiligter den Fahrer durch die Vorspiegelung, dass nichts passiert sei, zur Weiterfahrt veranlasst. Die nach geltendem Recht eintretende Straflosigkeit ist dem Unrechtsgehalt dieser Handlungsweise nicht angemessen.

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Aus alledem ergibt sich das Fazit, dass dem Handlungsbegriff – vorbehaltlich seiner Anknüpfungs- und Filterfunktion – keine systematische Bedeutung zukommt und dass er auch die Lösung praktischer Rechtsprobleme nicht präjudizieren kann. Diese Ansicht ist heute im deutschen Strafrecht herrschend. Daraus wird verständlich, dass dem Handlungsbegriff gegenwärtig in der strafrechtlichen Grundlagendiskussion weit geringe Bedeutung beigemessen wird als in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten.

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