Читать книгу Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl - Jan Quenstedt - Страница 64
Оглавление3.2 John N. Collins
1990 erschien die Monographie „Diakonia. Re-interpreting the Ancient Sources“ des Theologen John N. Collins. Diese geht zurück auf eine bereits in den 1970er Jahren verfasste Qualifikationsarbeit von Collins, die aus diversen Gründen erst einige Jahre später zur Veröffentlichung gelangte. Collins eruiert in seiner Arbeit im Gegensatz zu Beyer eine andere Begriffsbestimmung, bzw. stellt anhand seiner Überlegungen die Genese der Wortverwendung und des Wortverständnisses anders dar.
3.2.1 Darstellung
Ausgangspunkt der Ausführungen Collins ist die Beobachtung, dass διακονέω und seine Derivate im englischsprachigen Raum gemeinhin mit Begriffen aus dem „ministry“-Wortfeld übersetzt worden seien, aktuelle Bibelübersetzungen demgegenüber aber Begriffe aus dem Wortfeld um „service“ zur Übersetzung heranziehen würden. Ähnliche Tendenzen seien in anderen europäischen Sprachen festzuhalten.1 Daraus sei abzuleiten, dass dem Begriff und seinem Gebrauch eine gewisse Ungenauigkeit zu attestieren sei, die Collins zu der Grundfrage führe, wie die Differenzen zwischen der „Diakonie“ einer Ordinierten bzw. eines Ordinierten und der „Diakonie“ der Gemeinde zu beschreiben seien. Als Begründung für die Rede vom „Dienst“ in Bezug auf das griechische Wortfeld werde oft auf Mk 10,45Mk 10,45 Bezug genommen. Diese Perikope habe vielfältige Deutungen evoziert, sodass für eine genauere Analyse von Mk 10,45Mk 10,45 zunächst eine generelle Untersuchung des genannten Wortfeldes vorzunehmen sei. Dem wiederum vorgeschaltet ist bei Collins eine kurze Nachzeichnung der Genese des heute im deutschsprachigen Raum vorherrschenden DiakoniebegriffsDiakoniebegriff, wie er insbesondere durch Beyer geprägt sei. In Fortführung der Ausführungen Beyers sei „diakonia“ als spezifisch christliches Konzept etabliert worden: „As a result ‚diakonia‘ is now widely accepted as a finished product of modern reflection on the linguistic data of the New Testament representing what Jesus was and did, how disciples were releated to him and to each other, and both the scope and style of the Christian community’s responsibilities.“2
Beyer hatte Mk 10,45Mk 10,45 eine große Bedeutung für die theologisch-inhaltliche Füllung des DiakoniebegriffsDiakoniebegriff zugeschrieben: „διακονεῖν [ist] hier auch nicht nur zusammenfassender Ausdruck aller helfenden LiebestätigkeitLiebestätigkeit am Nächsten […], sondern als Vollzug eines ganzen OpfersOpfer, als Hingabe des LebensLebenshingabe verstanden […], die ihrerseits Inbegriff des Dienens, des Für-die-Anderen-da-seins im Leben und im Sterben ist. Damit erreicht der Begriff διακονεῖν seine letzte theologische Tiefe.“3 Mit dieser Aussage wird deutlich, dass „Diakonie“ in der Lesart Beyers mehr umfasst als karitative Tätigkeiten und TischdienstTischdienst: Es sei ein umfassendes, das ganze Leben ergreifendes Geschehen, das christologisch begründet werde. Dagegen hält Collins fest, dass nicht von einer ausschließlich christlichen Bedeutung des Verbums auszugehen sei. Auch werde es an keiner Stelle in der christlichen und paganen Literatur zur Beschreibung von FürsorgeFürsorge oder niedrigen Diensten verwendet. Lediglich in 1Clem 40,51Clem 40,51. Clemensbrief werde singulär ein liturgischer Dienst damit beschrieben.4 Auch den Gedanken einer Art christlicher PhilanthropiePhilanthropie schließt Collins mit Verweis auf fehlende Parallelen aus. Damit ist aber die Frage gestellt, wie Mk 10,45 adäquat zu verstehen sei. Zur Beantwortung verweist Collins darauf, dass das Verb jeweils die Ausführung eines Auftrages beschreibe, zu dem die bzw. der Beauftragte entweder von Gott, einem ApostelApostel oder einer AutoritätAutorität der Gemeinde legitimiert wurde. Demnach könne der Infinitiv in Mk 10,45 als partikulare, persönliche BeauftragungBeauftragung Jesu durch Gott verstanden werden, die insofern eher theologische als ethische Implikationen besäße. Eine genauere Definition erfahre diese BeauftragungBeauftragung durch den Verweis auf die LebenshingabeLebenshingabe Jesu, die als Inhalt der persönlich-individuellen LebenshingabeLebenshingabe zu verstehen sei.5 Im Gegensatz zu den LeidensankündigungenLeidensankündigung in Mk 8,31Mk 8,31 und Mk 10,34Mk 10,34 fehlt in der Perikope Mk 10,45Mk 10,45 der Hinweis auf die AuferstehungAuferstehung. Dieser Befund sei nach Collins folgendermaßen zu deuten: „the ethical lesson is pointed not by the infinitive as itself a term designating this kind of humiliation, but by the death that the commission to effect the ransom entails for the Son of man.“6 Mit dieser Lesart würde sich für den Begriff selbst keine ethische Komponente ergeben, die deswegen auch nicht für eine inhaltliche Bestimmung des Begriffs fruchtbar gemacht werden könne.
Collins geht auch auf das Verständnis des Passivums διακονηθῆναι ein, das s. E. eine andere Funktion als der nachgestellte aktive Infinitiv aufweise. Das passive Verb gehöre in den Bereich der häuslichen und persönlichen Aufgaben bzw. Aufwartung und bezeichne primär eine Tätigkeit in einem bestimmten sozialen Status: „those who come and go at the behest of another“.7 Im konkreten Kontext komme damit zum Ausdruck, dass der MenschensohnMenschensohn sich nicht selber aufwarten lasse und Menschen nicht in seinem persönlichen Dienst stünden. Vielmehr führe Jesus seinen Auftrag selbst aus, er habe „his own task to go“.8 Collins hält in Bezug auf Beyer fest, dass die LebenshingabeLebenshingabe Jesu und ein soziales Handeln im Sinne eines niedrigen Diensts anhand Mk 10,45Mk 10,45 nicht in eine direkte Beziehung zueinander zu bringen seien – Jesus sei in dieser Perikope der Ausführende eines (göttlichen) Auftrags, zu dem auch die LebenshingabeLebenshingabe gehöre.
Collins setzt sich mit den außerchristlichen Quellen von διακονέω und seinen Derivaten auseinander, um einen Einblick in die Hintergründe der Verwendung im christlichen Bereich zu gewinnen. Dazu arbeitet Collins zunächst einen Bedeutungsraum heraus, der sich auf den Begriff „go-between“ fokussieren lasse und damit ein weites Spektrum aufweise.9 Drei Bereiche seien festzuhalten, in denen dem Wort eine spezifische Bedeutung zukomme: „Message“10 mit dem Verständnis der Diakonin bzw. des DiakonsDiakon als Sprecher, VermittlerVermittler oder Kurier; „Agency“ im Sinne von Tätigkeiten mit einer Diakonin bzw. einem Diakon als Agenten, Mittler bzw. als Medium und Werkzeug; sowie „Attendance upon a person or in a household“ im Sinne von TischdienstTischdienst bzw. Aufwarten und einer Diakonin bzw. einem Diakon als Dienende, Wärterinnen bzw. Wärter und Aufwärterinnen bzw. Aufwärter. Alle drei Bereiche verdeutlicht Collins anhand antiker Quellen. Dabei werde deutlich, dass der TischdienstTischdienst (im Sinne eines Hin- und Hergehens zwischen den Tischen und der Küche) zwar einen Aspekt des Wortfeldes darstelle, jedoch nicht wie bei Beyer als Grundbedeutung zu verstehen sei. Ebenfalls sei festzuhalten, dass der Gebrauch des Wortfeldes zunächst auf die Bezeichnung der Aktivität, nicht jedoch auf den sozialen Status der handelnden Personen abziele. Damit sei nicht notwendigerweise die Niedrigkeit der bzw. des Handelnden angesprochen. Vielmehr sei die Begrifflichkeit auch anwendbar auf mit Ansehen und AutoritätAutorität verbundene Positionen und Aufgaben – ein römischer Prokurator sei in seinem Dienst für den Kaiser ebenso ein Diakon, ohne dass sein Status als niedrig bezeichnet werden könne. Darüber hinaus partizipiere eine Beauftragte bzw. ein Beauftragter in der Ausführung ihres bzw. seines Auftrages an der AutoritätAutorität seiner Auftraggeberin bzw. seines Auftraggebers, womit der Gedanke der Bezeichnung niedriger Aufgaben und Dienste obsolet sei. Damit korrespondiert, dass das Lexem nicht in der Alltagssprache zu verorten sei, sondern in „passages of a profoundly religious nature“ und in „commemorative inscriptions“11 verwendet werde. Aus diesem Grund sei das Lexem auch innerhalb der christlichen Gemeinde rezipiert worden.
Die im letzten Absatz referierten Erkenntnisse geben die Perspektive für die Untersuchung der Verwendung von διακονέω und seinen Derivaten innerhalb der christlichen Gemeinde vor. Diese Untersuchung stellt den letzten Teil von Collins Studie dar.
Auch im christlichen Bereich sei ein Gebrauch in drei Bereichen festzuhalten: „i. message from heaven; ii. message between churches; iii. commissions within a church.“12 Apg 6,4Apg 6,4 spreche von der διακονία τοῦ λόγου. Diese sei nach Collins Untersuchung der paulinischen Briefe und der Apostelgeschichte ein Vorrecht der ApostelApostel und derjenigen, die von ihnen zu dieser Aufgabe beauftragt werden. Auch hier werde deutlich, dass der Begriff ein AbhängigkeitsverhältnisAbhängigkeitsverhältnis bezeichne, dem jedoch eine abgeleitete AutoritätAutorität zugehörig ist: „Whether the words apply to message or to another type of commission, they necessarily convey the idea of mandated authority from God, apostle, or church.“13 Die Beauftragten partizipieren mithin an der AutoritätAutorität ihrer Auftraggeber, ohne dass aus der BeauftragungBeauftragung ein niedriger Dienst bzw. ein niedriger sozialer Status resultiere. Gegen Beyer hält Collins fest, dass sich die primäre Nutzung des Lexems weder auf den TischdienstTischdienst, noch auf eine karitative Tätigkeit beziehe: „Thus the main reference in Christian literature is to ‚ministry under God‘ and the notion of ‚service of fellow human beings‘ as a benevolent activity does not enter.“14 Deswegen hält Collins an einer sachlichen Voranstellung des Diensts der VerkündigungVerkündigung vor dem Dienst am Nächsten fest.
Er führt weiter aus, dass der Gebrauch des Lexems in den Evangelien innerhalb des Verwendungsrahmens der paganen Literatur erfolge. Die Verwendung könne also nicht als ein Indiz gewertet werden, dass mit ihr ein bestimmtes sozial-fürsorgliches oder christliches Verhalten eingeübt bzw. eingeprägt werden sollte. Auch an dieser Stelle kann eine Grenzziehung zu Beyer vollzogen werden, der die These vertrat, dass das junge Christentum wenig geprägte Begriffe aufnahm und sie mit einer dezidiert christlichen Bedeutung versah.15 Beyer hält dies in Zusammenhang mit seinen Ausführungen über den Begriff διάκονοςδιάκονος fest. Für den Gebrauch dieses Titels betont Collins demgegenüber, dass er seinen Ursprung in der religiös konnotierten Sprache besäße und er deswegen für die Bezeichnung eines „agent in sacred affairs“ herangezogen wurde.16 Darin bestehe nach Collins das innovative Potenzial in der Begriffsverwendung. Seinen Ursprung habe aber auch diese Bezeichnung nicht im TischdienstTischdienst, sondern in der Aufwartung für eine Person bzw. Persönlichkeit. Der Auftraggeber des DiakonsDiakon sei der EpiskoposEpiskopos, und somit weder eine Bedürftige oder ein Bedürftiger noch eine Gemeinde.17
3.2.2 Kritische Würdigung
Im Vergleich mit Beyer können die Ausführungen zum DiakoniebegriffDiakoniebegriff von Collins als ein Neuansatz hinsichtlich der Begriffsbestimmung von „Diakonie“ bezeichnet werden. Zugleich stellt dieses innovative Potenzial – sofern es verifizierbar und ihm zu folgen ist – eine Infragestellung eines verbreiteten Verständnisses von „Diakonie“ dar, soweit es sich nicht in der Traditionslinie der von Beyer vorgetragenen Überlegungen verorten lässt. Diese Infragestellung ergibt sich u.a. im Hinblick auf die Frage nach der AutoritätAutorität und der Stellung der in den Dienst genommenen Person sowie hinstichtlich der Frage nach dem Gedanken der SelbsthingabeSelbsthingabe im Anschluss an Mk 10,45Mk 10,45.
Weiterführend an die Überlegungen von Collins könnte geprüft werden, inwieweit seine Erkenntnisse Eingang in aktuelle diakoniewissenschaftliche Überlegungen gefunden und inwiefern sie gegenwärtige Diskurse beeinflusst haben. Darüber hinaus scheint besonders der Gedanke der Bestimmung der „Diakonie“ als „go-between“ ein vielversprechender Ansatz für eine Reflexion der gegenwärtigen Gestalt von „Diakonie“ zu sein.
Über den Bereich sozialer Tätigkeiten hinaus erscheint in Anbetracht der dargestellten Perspektiven von Collins auch eine Reflexion der Gestalt von Kirche und deren Gemeinden notwendig. Da die untersuchte Terminologie nach Collins keinen Schwerpunkt auf sozial-fürsorgliche Tätigkeiten, sondern eher auf genuin gemeindliche Vollzüge legt, kann sich die Reflexion nicht allein auf „Diakonie“ als Teilbereich kirchlichen Lebens kaprizieren. Innerhalb dieses Nachdenkens ist vielmehr besonders auf das Themenfeld von „Auftrag und BeauftragungBeauftragung“ einzugehen – besonders vor dem Hintergrund von AbhängigkeitsverhältnissenAbhängigkeitsverhältnis und Autoritätszuschreibungen.