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2 – Kleve, 5. April 1531

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Heftiger Regen prasselte gegen die Butzenglasscheiben des Rittersaals im herzoglichen Schloss Schwanenburg bei Kleve. Der kräftige Wind, der draußen um das Backsteingebäude wehte, ließ das Feuer im Kamin in einem Moment hell auflodern, kurz darauf fast erlöschen. Trotz der schweren Teppiche, mit denen die kalten Mauern behängt waren, lag klamme Feuchtigkeit in der Luft, die auch die Flammen, welche von Bediensteten immer wieder angefacht wurden, nicht vertreiben konnten.

Herzog Johann III. von Jülich-Kleve-Berg hielt nur noch selten Hof in dem Schloss, das auf einer Anhöhe über dem Ort thronte, meistens residierte er in Jülich oder Düsseldorf. Heute jedoch hatte er sich mit seinen wichtigsten Beratern in Kleve getroffen und diesen Entschluss angesichts der Kälte, die den Raum durchzog, schon längst bereut.

Der Herzog schaute in die prasselnden Flammen und rieb sich die Hände, um sie zu erwärmen. Hinter seinem Rücken stand ein schwerer Eichentisch, an dem drei Männer, keiner von ihnen älter als vierzig, saßen und schweigend warteten.

Endlich drehte sich der Regent um, ging die wenigen Schritte zu seinen Ratgebern und stützte sich mit beiden Händen auf die Tischplatte. »Und sie lehnen die Kindstaufe ab?«, fragte er mit sorgenvoller Miene.

Ein Mann mit spitzem Bart und halblangem Haar beugte sich vor und ergriff das Wort. »Ja, Durchlaucht. Sie berufen sich dabei auf Jesus, der ihre Form der Taufe am Jordan praktiziert habe. Aber nicht nur das. Sie behaupten, dass jeder, der des Lesens mächtig ist, deshalb die Bibel verstehen und nach seinem Gutdünken auslegen kann. Deshalb fühlen sie sich auch zu Predigern berufen, ziehen durchs Land und setzen dem einfachen Volk Flausen in den Kopf.« Johann von Vlatten lehnte sich zurück und strich mit der rechten Hand durch seinen Bart. Dann griff er zum Weinkrug, warf den anderen beiden Männern am Tisch einen fragenden Blick zu und schenkte sich, nachdem diese dankend abgelehnt hatten, ein.

Der Herzog wandte sich dem Mann zu, der zu seiner Linken saß. »Was meint Ihr, Kanzler?«

Johann Ghogreff zögerte ein wenig mit der Antwort. Dann erwiderte er bedächtig: »Nun, wenn die Wiedertäufer nur dieses Ziel hätten, könnte man sie als ungefährliche Wirrköpfe betrachten. Aber immer lauter werden ihre Forderungen nach Abschaffung des Eigentums. Zins und Zehnter seien ebenso wie kirchlicher Besitz gegen Gottes Gebot. Kein Mönch und keine Nonne sollten Handel treiben, Vieh züchten, Korn anbauen.«

»Wovon sollen die Klöster dann leben?«, wunderte sich der Herzog.

»Von Spenden. Solche Einnahmen sollen allerdings nach deren Vorstellungen durch Bürgerausschüsse verwaltet werden, die den Mönchen und Nonnen nur das zubilligen, was diese benötigen, um nicht zu verhungern.«

»Und die Kirchenherren?«

»Dürften wohl leer ausgehen.«

Herzog Johann schüttelte entgeistert den Kopf.

»Es gibt unter diesen selbst ernannten Prädikanten sogar einige, die die Bibel als nicht von Gott kommend anerkennen. Sie erklären sie zum Menschenwerk, dem man nicht folgen müsse, sondern nur seinem eigenen Gewissen.«

Der Herzog schlug mit der Faust so heftig auf den Tisch, dass die Becher erzitterten. »Das ist Häresie! Und diese Leute treiben an unseren Landesgrenzen ihr Unwesen?«

Kanzler Ghogreff nickte. »Nur wenige Meilen westlich von Jülich gewährt ihnen der Droste von Wassenberg Schutz und Unterkunft. Von dort ziehen sie ins Westfälische, um ihre Lehren zu verbreiten, aber auch in Euer Herzogtum.«

»Wie reagiert das Volk?«

»Viele Bürger lassen sich in die Irre führen.«

Herzog Johann zog seinen Stuhl an den Tisch heran und setzte sich. Mit einer schnellen Handbewegung gab er zu verstehen, dass er zu trinken wünsche. Ein Diener sprang herbei und kredenzte seinem Herrn den roten Wein. Als der Herzog den Becher abgesetzt und sich mit dem Handrücken den Mund trocken gewischt hatte, fragte er: »Wir haben doch in unserem Edikt den Klerus zur Mäßigung aufgefordert, Reformen angemahnt und die Gläubigen zur Einheit aufgerufen. Reicht das den Leuten nicht?«

»Ich fürchte nein, Durchlaucht.« Konrad Heresbach, der dem Gespräch bisher schweigend gefolgt war, erhob seine Stimme. Er war schlank, trug ebenfalls einen Bart und war wie die anderen beiden Berater ganz in Schwarz gekleidet. »Vielleicht wäre es klüger, Euch eindeutig für eine der Seiten zu entscheiden. Das Volk erwartet von seinem Herrscher Führung.«

Johann griff erneut zum Becher. »Ich weiß schon, was Ihr meint, Heresbach. Ich soll mich Eurem Luther zuwenden und einen Konflikt mit dem Kaiser riskieren. Wir haben das schon Dutzende Male besprochen. Ich kann mich nicht gegen ihn und die anderen Landesfürsten stellen.«

»Ihr habt mich falsch verstanden, Durchlaucht. Ich bin keineswegs ein Lutheraner. Auch wenn ich nicht verhehlen möchte, dass mir manches an seinen Schriften gefällt.«

»Mir etwa nicht?«, unterbrach ihn der Herzog. »Aber es geht hier nicht um Gefallen, sondern um das Herzogtum. Wir sind nicht nur von Freunden umgeben. Gerade Ihr solltet das wissen.«

Demütig senkte Heresbach den Kopf. Aber als er weitersprach, klang seine Stimme keinesfalls unterwürfig. »Das ist mir wohl bewusst. Gerade deshalb ist der innere Friede in Eurem Reich so wichtig. Das Volk muss in solch gefährlichen Zeiten hinter seinem Herrscher stehen.«

»Und wie erreiche ich das?«, wollte der Herzog wissen. »Ich werde mich nicht bedingungslos auf die Seite der Lutheraner schlagen.«

»Das kann ich verstehen«, erwiderte Heresbach. »Ich rate Euch deshalb: Präzisiert Eure Vorstellungen vom Vollzug der religiösen Praxis und kritisiert erneut den Missbrauch, der im Namen des Herrn getrieben wird. Dann wird das Volk Euch folgen.«

»Euer Wort in Gottes Ohr«, knurrte Johann und nahm einen großen Schluck Wein. »Und wie soll ich das machen?«

»In einem Erlass, der neue Regeln für die Religionsausübung festschreibt. Eine Reformordnung.«

»Die Ihr zu verfassen gedenkt, nehme ich an?«

»Wenn Ihr es wünscht, Durchlaucht.«

Mit einem Ruck stellte der Herzog den Becher auf dem Tisch ab. »Gut. Verfasst mir ein solches Dokument, meine Herren. Gemeinsam.« Er warf Heresbach einen schnellen Blick zu. »Aber ich will keine strittigen Fragen in meiner Ordnung finden. Klammert diese Punkte aus. Ich möchte mir weder die Lutheraner noch den Papst zum Feind machen. Verweist meinetwegen auf ein Konzil, das berufener ist als ich, solche Fragen zu entscheiden. Aber nehmt eindeutig Stellung gegen diese Wiedertäufer. Ich dulde in meinen Grenzen niemanden, der das Volk aufwiegelt. Das wäre alles.«

Die Herren erhoben sich, um den Rittersaal zu verlassen.

»Ihr nicht, Heresbach«, befahl der Herzog. »Ich habe noch etwas mit Euch zu besprechen.«

Als Ghogreff und von Vlatten gegangen waren, meinte Johann: »Setzt Euch wieder, Heresbach. Was macht mein Sohn für Fortschritte in der französischen Sprache?«

»Es würde nicht schaden, Durchlaucht, wenn er mehr Zeit für das Lernen seiner Vokabeln aufbrächte als für die Ausritte mit den Offizieren Eurer Garde.«

»Höre ich etwa Kritik in Euren Worten?«

»Ich weiß, dass Ihr diese Ausflüge unterstützt, aber …«

»Mein Sohn wird einmal Herzog sein«, unterbrach ihn Johann. »Soll er etwa vom Pferde fallen, wenn er sich seinen Untergebenen zeigt?«

»Natürlich nicht. Aber er hält sich im Sattel schon besser als die meisten seiner Begleiter. Er springt mit dem Pferd über Mauern und Gräben, wie ich es nicht wagen würde. Ich glaube nicht, dass ernsthaft die Gefahr besteht, er könne vom Pferderücken stürzen.«

»Ihr widersprecht Eurem Herzog?«

»Habt Ihr mich an Euren Hof geholt, um die Riege der Bücklinge um einen Kopf zu erweitern? Dann bin ich fehl am Platze und Ihr solltet mich schleunigst aus Eurem Dienst entlassen.«

Der Herzog seufzte. »Immer diese Drohungen. Warum nur müsst Ihr mich ständig zum Rückzug zwingen, Heresbach?«

»Das ist nicht meine Absicht, Durchlaucht.«

»Mag sein. Aber immer wieder enden unsere Dispute damit, dass Ihr mich entweder um Entlassung bittet oder mit Eurer Abreise droht. Und immer tue ich weder das eine, noch akzeptiere ich das andere. Ihr seid der Erzieher des Prinzen. Ich kann auf Euch nicht verzichten.« Er machte eine Pause. »Und das gilt auch für Eure Funktion als Berater. Also gut. Wie oft finden diese Ausritte statt?«

»Jeden Nachmittag.«

»Und was haltet Ihr stattdessen für sinnvoll?«

»Jeden zweiten Nachmittag.«

Wieder ließ der Herzog einen tiefen Seufzer hören. »Und in der frei gewordenen Zeit soll Wilhelm Französisch lernen?«

»Und Latein.«

»Ich befürchte, das wird ihm nicht besonders gefallen.«

»Da bin ich Eurer Meinung. Aber wie soll er die Allianz mit Frankreich, die Ihr anstrebt, nach Eurem Tod festigen, wenn er die Sprache seines Verbündeten nur unvollständig spricht?«

»Einverstanden«, stimmte Johann zu. »Aber der Verkünder der schlechten Nachrichten seid Ihr.«

Konrad Heresbach nickte.

Der Herzog stand auf und brummte beim Verlassen des Saales halblaut: »Manchmal sind Arschkriecher die angenehmeren Zeitgenossen. Vor ihnen kann man wenigstens das Gesicht wahren.«

Konrad Heresbach lachte laut auf. »Das habe ich gehört, Durchlaucht.«

»Das solltet Ihr auch, elender Erpresser.«

Ein Königreich von kurzer Dauer

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