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13 – Werden und Hattingen, 3. Mai 1531

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Jorge von Linden meldete sich an der Pforte und der diensthabende Mönch brachte ihn in die Bibliothek. Dort warteten ein weiterer Benediktiner und ein hochgewachsener Mann, ganz in Schwarz gekleidet, dessen schlankes Gesicht ein sauber gestutzter Backenbart zierte.

Jorges Führer verbeugte sich still und ließ ihn mit den Männern allein.

Neugierig schaute Jorge sich um. An den Wänden standen raumhohe Regale voller Bücher und Schriftrollen, vor den Fenstern Stehpulte, Tische und Bänke. Es mussten Hunderte Bücher sein, die hier aufbewahrt wurden.

»Seht Euch nur um.« Der Benediktiner kam auf ihn zu und streckte ihm seine Hand entgegen. »Ich bin Johannes von Groningen, der Abt des Klosters. Und der Herr hinter mir ist Professor Konrad Heresbach, Berater des Herzogs von Kleve. Aber das wisst Ihr ja sicherlich.«

Jorge nickte.

»Ich lasse Euch gleich mit dem Professor allein. Meine Brüder werden euch etwas zum Essen und Trinken bringen. Aber zuvor möchte ich Euch zu Eurem Sohn Hinrick gratulieren.«

Jorge zog die Augenbrauen hoch.

»Er ist einer der gelehrigsten Schüler, die ich in dieser Bibliothek habe studieren sehen. Und das, obwohl er kein Novize oder Student ist. Ihr könnt stolz auf ihn sein.«

Jorge senkte beschämt den Kopf. »Danke, Vater.«

»Ihr braucht mir nicht zu danken. Ich hätte Euren Sohn gern in unserer Gemeinschaft gesehen, aber er hat dem Bruder Bibliothekar mehrmals zu verstehen gegeben, dass ein Leben als Mönch für ihn nicht infrage kommt. Nun, Gottes Fügung hat eben anderes mit ihm vor.«

Der Mönch sprach in Rätseln. Was, verdammt, war der Sinn dieses Treffens? Und was hatte Hinrick damit zu tun?

»Nun lasse ich Euch allein. Das Essen wird in der Kammer dort hinten angerichtet.« Der Abt zeigte auf eine Tür am Ende des Saales. »Da seid ihr ungestört.« Er nickte Heresbach zu und verließ gemessenen Schrittes die Bibliothek.

»Kommt«, bat der Berater des Herzogs und legte einen Arm um Jorges Schultern. »Folgen wir dem Hinweis und setzen uns in den Leseraum.« Auf dem Weg dorthin erklärte Heresbach: »Danke, dass Ihr meiner Einladung folgen konntet. Ich bin im Morgengrauen in Kleve aufgebrochen und muss heute noch nach Düsseldorf, in meinem Haus nach dem Rechten sehen und einige Geschäfte vorbereiten. Hätte ich Euch, wie es sich eigentlich gehört, in Hattingen aufgesucht, wäre mir zu wenig Zeit für meine Gespräche in Düsseldorf geblieben.«

Jorge, den die vertrauliche Geste des herzoglichen Beraters überraschte, erwiderte: »Keine Ursache. Euer Wunsch war für mich wie ein Befehl.«

Heresbach lachte auf. »Das dachte ich mir. Auch wenn es sich wirklich nur um einen Wunsch gehandelt hat.«

Sie betraten den Leseraum, der deutlich kleiner als die Bibliothek und mit einem schweren Eichentisch samt zwei Bänken möbliert war. Wein und Wasser, frisches Obst, Brot und eine Terrine gesottenes Fleisch, das verführerisch duftete, standen bereit.

»Kommt, setzen wir uns. Und dann greift zu.«

Nach nur wenigen Bissen legte Heresbach seinen Löffel und das Messer jedoch beiseite. »Sicher fragt Ihr Euch, warum ich um diese Unterredung gebeten habe.«

»Natürlich.«

»Es geht um Euren Sohn.«

Jorge antwortete nicht, sondern wartete darauf, dass He-resbach weitersprach.

»Ich habe Hinrick vor etwa zwei Wochen hier im Kloster kennengelernt. Er scheint mir ein aufgeweckter und zugleich ernsthafter junger Mann zu sein.«

»Das ist er«, bestätigte Jorge.

»Ich habe die Mönche zu ihm befragt. Sie bestätigten meine erste Einschätzung. Kurz: Hinrick wäre in meinen Augen der ideale Begleiter für den Sohn unseres Herzogs.«

Jorge verschluckte sich fast an dem Brotstück, welches er sich gerade in den Mund gesteckt hatte. »Mein Sohn an der Seite Prinz Wilhelms?«

»Was erschreckt Euch an diesem Gedanken?«

»Zunächst alles.«

»Es ist der Wunsch Eures Landesherrn.«

»Was mir, mit Verlaub, ziemlich egal ist.«

Wieder lachte Heresbach. »Jetzt glaube ich tatsächlich, dass die Gerüchte über Euch stimmen.«

»Welche Gerüchte?«, wollte Jorge wissen.

»Dass Ihr vorhattet, Herzog Johann den Zweiten zu verklagen.«

»Das ist kein Gerücht, sondern die Wahrheit. Aber glücklicherweise kam es nicht dazu.«

»Warum habt Ihr Euer Vorhaben aufgegeben, wenn ich fragen darf?«

»Der Herzog und ich haben uns, sagen wir, gütlich geeinigt.«

»Verstehe.« Das Grinsen Heresbachs wurde noch breiter. »Nun, der Herzog wird sich in keinem Falle über Eure Wünsche hinwegsetzen. Wenn Ihr nicht wollt, dass Euer Sohn in seine Dienste tritt, wird das auch nicht passieren. Es versteht sich, dass Ihr bei einer ablehnenden Entscheidung keinerlei Nachteile zu befürchten habt.«

»Was soll mein Sohn genau tun?«

»In erster Linie ein gutes Beispiel geben. Wissbegierig sein, lernen, Wilhelms Freundschaft erlangen und ihm so helfen, weniger an die Jagd und mehr an französische Grammatik zu denken.«

»Lernen wird Hinrick, da habe ich keinen Zweifel. Aber ob die beiden jungen Männer Freundschaft schließen würden? Wer weiß das schon.«

»Da gebe ich Euch recht. Aber wir könnten es ja versuchen, wenn Ihr einverstanden seid. Euer Sohn erhielte eine exzellente Ausbildung …«

»Wer wären seine Lehrer?«, unterbrach Jorge ihn.

»In erster Linie bin ich das. Natürlich stehen ausgewiesene Gelehrte an meiner Seite. Der Mensch kann nicht alles wissen. Mathematik zum Beispiel ist mir ein Gräuel. Hinrick wird selbstverständlich für seine Dienste bezahlt. Er erhält dreißig Gulden im Jahr.«

»Eine stolze Summe für einen Achtzehnjährigen.«

»Nun, was sagt Ihr?« Heresbach blickte Jorge aufmunternd an.

Der antwortete nicht sofort, sondern dachte nach. Dann meinte er: »Es ist nicht an mir allein, das zu entscheiden. Ich möchte den Rat meiner Frau einholen. Und natürlich mit Hinrick das Für und Wider abwägen. Lehnt er Euer Angebot ab, bleibt es dabei.«

»Das akzeptiere ich. Ich mache Euch folgenden Vorschlag: Ich schicke in einer Woche eine Eskorte nach Hattingen, um Euren Sohn abzuholen. Kommt er mit nach Kleve, gut. Wenn nicht, sind die Soldaten eben umsonst geritten. Stimmt Ihr dem zu?«

Jorge nickte.

Heresbach griff zu seinem Becher. »Dann lasst uns dieses Ergebnis begießen.«

Sie leerten die Becher und setzten die Unterhaltung noch einige Zeit fort.

Drei Stunden später traf Jorge in Hattingen ein.

»Es gibt gute Nachrichten«, begrüßte ihn Marlein in der Stube. »Wie war es bei dir?«

»Ich habe auch einiges zu berichten. Wobei ich nicht so genau weiß, ob meine Nachricht gut oder schlecht ist.«

»Wie das?«

»Das erzähle ich dir später. Holst du mir bitte etwas Wasser und Wein? Mir tut der Allerwerteste weh. Ich bin das Reiten nicht mehr gewohnt. Meine Oberschenkel spüre ich auch.«

Marlein lachte und meinte schelmisch: »Da will ich hoffen, dass dich diese Beschwerden heute Nacht nicht behindern, wenn wir im Bett liegen.«

»Wie meinst du das?«, erwiderte Jorge mit todernstem Gesicht.

Marlein sprang zu ihrem Mann und knuffte ihn in die Seite. »Wovon rede ich wohl?«, gurrte sie.

Jetzt grinste auch Jorge. »Ich glaube, ich kann meine ehelichen Pflichten auch mit Muskelkater bewältigen. Wenn ich mir aber die Getränke nun doch selbst holen muss, verschlimmert er sich möglicherweise und dann …«

»Ich gehe ja schon.«

Wenig später saßen sich die Eheleute am Tisch gegenüber.

»Du zuerst«, bat Jorge.

Marlein faltete Linhardts Brief und den Vertrag mit dem Londoner Kaufmann auseinander, strich beides mit der rechten Hand glatt und präsentierte sie ihrem Mann.

Der las und ein Strahlen erschien auf seinem Gesicht. »Das rettet unsere Lübecker Niederlassung für mindestens ein Jahr. Das hat der Junge gut gemacht!« Seine Gedanken überschlugen sich und er plapperte drauflos: »Uns bleiben nur zwei bis drei Wochen. Dann muss die Lieferung in Lübeck sein. Fünfzig Ballen. Das sind bestimmt zwei Wagenladungen.« Er sprach nun mit sich selbst. »Ich muss Pferde leihen und eine bewaffnete Eskorte anheuern. Ginge es mit dem Schiff direkt nach London nicht schneller? Sicher. Nur habe ich kein Schiff. Vielleicht kann ich Laderaum auf einer fremden Kogge mieten? Falls das aber scheitert, dauert der Landweg zu lang. Nein, ich muss es mit den Karren wagen. Und die sollten spätestens in drei Tagen abfahren. Trotzdem muss ich überlegen, ob es zukünftig nicht sinnvoll wäre, eine Niederlassung am Rhein zu gründen. In Duisburg vielleicht. Da könnte ich …«

»Jorge«, unterbrach ihn Marlein.

Ihr Mann sah irritiert auf. »Was ist?«

»Der Stoff kann doch sicher noch eine Stunde warten.«

»Wieso?«

»Du wolltest mir von deinem Gespräch in Werden berichten.«

Jorge sah seine Frau verdutzt an. »Das hätte ich doch glatt vergessen. Entschuldige. Ich komme gleich darauf zurück. Wer hat die Nachricht überbracht?«

»Peter.«

»Das ist ja großartig! Da kann er den Transport begleiten. Wo ist er?«

»In Bochum. Er will morgen wiederkommen.«

»Warum ist er nicht hiergeblieben?«

»Er hat irgendetwas von einem anderen Händler erzählt, den er in Bochum treffen wollte. Ganz schlau bin ich nicht aus seinen Äußerungen geworden. Sie klangen etwas wirr. Außerdem sah er krank aus. Seine Haut war fahl, sein Gesicht eingefallen. Er schwitzte sehr stark und roch auch nicht besonders. Na ja, nach der langen Reise ist das nicht verwunderlich. Aber jetzt erzähle«, bat sie ihn.

Jorge berichtete von dem Angebot Heresbachs. »Natürlich ist das eine einmalige Möglichkeit für Hinrick. Er wird nie ein guter Kaufmann werden. Ein Gelehrter vielleicht schon. Auf jeden Fall wird er dort lesen und lernen können. Und Kontakte knüpfen, die uns zukünftig von Nutzen sein könnten.«

»Du denkst immer nur ans Geschäft«, beschwerte sich Marlein. »Der Junge wäre fort von uns.«

»Kleve ist nur eine Tagesreise entfernt.«

»Das ist weit genug.« Marlein hatte Tränen in den Augen. »Erst Linhardt, dann Hinrick. Wer weiß, was mit Lukas passiert.«

Jorge nahm sie in den Arm. »Was soll denn schon passieren? Er wird Kaufmann und bleibt bei dir in Hattingen.«

»Versprichst du mir das?«

»Selbstverständlich. Ich mache dir einen Vorschlag: Wir lassen Hinrick entscheiden. Es ist schließlich sein Leben. Was denkst du?«

Marlein wischte sich mit dem Handrücken die Augen trocken. »Gut. Überlassen wir es ihm. Ich möchte nur, dass er glücklich wird.«

Hinrick strahlte über beide Backen, als er von dem Angebot hörte. »Natürlich will ich«, antwortete er freudig erregt, noch bevor sein Vater geendet hatte. Dann aber fiel ein Schatten auf sein Gesicht. »Was ist mit unserem Geschäft? Stellst du einen weiteren Gehilfen ein?«

»Warum sollte ich das tun?«, fragte Jorge zurück. »Lukas ist ja noch da. Er ist ohnehin ein besserer Kaufmann als du. Er wird mich unterstützen. Später kann er das Kontor in Hattingen allein führen. Aber noch erfreue ich mich bester Gesundheit und hoffe, dass Gott uns noch viele gemeinsame Jahre schenkt.« Er schaute seine Frau zärtlich an.

Marlein schenkte ihm dafür ein Lächeln.

Hinrick biss sich auf die Lippen. Jetzt wäre die Gelegenheit, den Eltern von Lukas’ Plänen zu berichten. Aber der Schwur auf das Kreuz! Der Eid band ihn wie Ketten. Er würde schweigen, aber mit Lukas sprechen. Sein Bruder durfte nicht weglaufen, jetzt, wo schon er das elterliche Haus verließ. »Darf ich es Lukas sagen?«, fragte er.

»Wenn deine Mutter das nicht tun möchte. Ich muss mich ohnehin um die Lieferung nach Lübeck kümmern.«

»Mach ruhig«, meinte Marlein und strich ihrem Sohn zärtlich über den Kopf. »Schließlich ist es deine Entscheidung.«

Erleichtert stürmte Hinrick aus dem Raum.

Er traf seinen Bruder im Stall, wo Lukas der Magd beim Füttern der Schweine half. Er zog ihn mit sich ins Freie. »Ich muss mit dir reden.«

»Mutter hat mir aber aufgetragen, mich nützlich zu machen.«

»Sie weiß Bescheid.«

»Was ist so dringend?«

»Komm, wir gehen zum Weingarten. Da sind wir ungestört.«

Vor Jahren hatte ihre Mutter ihnen erzählt, dass Jorge und sie sich häufiger im Weingarten getroffen hatten. Seitdem hatten auch die Brüder diesen Platz zu dem ihren gemacht. Die verwitterte Bank hinter der Hecke, auf der schon ihre Eltern als Kinder gesessen hatten, diente fortan als eine Art Beichtstuhl, auf dem sie sich ihre Probleme von der Seele redeten. Wie meistens war kein Mensch in der Nähe, als sie sich setzten. Hinrick erzählte von dem Angebot, als Begleiter Wilhelms zu dienen.

»Und du würdest es gerne machen«, stellte Lukas fest. »Du strahlst über beide Backen.«

»Aber es gibt ein Problem.«

»Welches?«

»Du willst fortlaufen.«

»Was hat das mit dir zu tun?«

»Vater wäre alleine.«

»Na und? Dann soll er sich noch einen Gehilfen nehmen.«

»Er setzt seine Hoffnungen auf dich.«

Lukas schwieg.

»Du musst bei den Eltern bleiben«, forderte Hinrick.

»Warum ich? Warum nicht du?«

»Weil ich niemals ein guter Kaufmann werde. Und weil es des Herzogs Wunsch ist, dass ich nach Kleve komme.«

»Was kümmert mich der Wunsch des Herzogs?«, blaffte Lukas.

»Vielleicht sollte dich meiner interessieren.«

»Ach ja? Interessieren dich denn meine Wünsche?«

Hinrick legte den Arm um die Schultern seines Bruders. »Lukas, versteh doch, ich …«

Doch der Jüngere wehrte die Versöhnungsgeste ab. »Ich verstehe sehr gut. Du bekommst, was du willst. Und ich muss deshalb in Hattingen bleiben und Zahlen addieren.« Er sprang auf. »So war es immer schon. Du bist ohnehin Mutters Liebling. Sie hat dich uns anderen vorgezogen.« Er schlug mit der flachen Hand auf das Brett, auf dem sie saßen.

»Das stimmt doch nicht. Du bist ungerecht.«

Lukas sprang wütend auf. »Egal. Gibst du mir trotzdem das Geld, das du mir versprochen hast?«

Nun schob Hinrick trotzig die Unterlippe vor. »Nein.«

»Du hast es versprochen.«

»Das ja. Aber nicht geschworen.«

»Du wirst mich verraten«, stellte Lukas fest.

»Nein, das werde ich nicht tun. Aber wenn du wirklich fortgehst, werde ich unseren Eltern danach alles erzählen, was ich weiß. Vater wird dich suchen und finden. Und dann möchte ich nicht in deiner Haut stecken.«

Lukas sprang auf. »Das lass meine Sorge sein.« Mit diesen Worten ließ er seinen Bruder auf ihrem Lieblingsplatz allein.

Ein Königreich von kurzer Dauer

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