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8 – Münster, 24. April 1531

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Cuntz Muntzer stammte aus Würzburg. Er war mit seiner Frau Neslin und seiner sechszehnjährigen Tochter Anna vor knapp einem Jahr nach Münster gekommen. Er versprach sich von dem Umzug gute Geschäfte, da es in dieser Stadt keine anderen Lautenmacher gab.

Von einem Teil des Vermögens, welches er mit harter Arbeit in Würzburg verdient hatte, kaufte er sich ein Haus im Süden der Stadt, unweit des Ludgeritores. Die Familie bewohnte die oberen zwei Geschosse, die Werkstatt, das Kontor und Lager waren im Erdgeschoss untergebracht.

Wie erwartet, hatte sich sein Geschäft schon in den ersten Monaten glänzend entwickelt. Musikanten aus der näheren und weiteren Umgebung rissen sich um seine Waren, war er doch der einzige Instrumentenbauer weit und breit.

Fast jeden Tag stand mindestens ein neuer Kunde vor seiner Tür, um eine Laute oder Fidel in Auftrag zu geben. Denn die Dienste der Spielleute waren gefragt und sie verdienten gut. Bei jeder Hochzeit unterhielten sie das Volk, bei den großen Prozessionen, bei den Volksfesten. Und das, obwohl ihr Ruf nicht der beste war.

Ihre Kunst sei des Teufels, raunten einige besonders Fromme. Andere befürchteten, mit den Musikanten kämen die Gaukler und Beutelzieher. Teile des Rates der Stadt versuchten deshalb immer wieder, einige von ihnen dazu zu bewegen, sich dauerhaft in Münster niederzulassen. So habe man sie einerseits unter Kontrolle, könne sich andererseits ihrer Dienste bedienen und Fremde fernhalten.

Aber Spielleute waren unstete Wanderer. Selbst wenn sich jemand entschloss, in der Stadt zu bleiben, war das nur selten von Dauer. Schon bald verschwanden sie wieder, zogen die Wanderschaft dem Stadtleben vor, denn als zugereiste Musiker wurden sie von den Einheimischen kritisch beäugt und für jedes Unheil, welches sich ereignete, verantwortlich gemacht.

Dumpfe Schläge schallten durch das Haus. Jemand stand draußen und ließ den gusseisernen Löwenkopf gegen das Türblatt fallen. Cuntz Muntzer hörte die eiligen Schritte der Magd auf der Treppe.

Kurz darauf streckte das Mädchen den Kopf durch die Tür seiner Werkstatt. »Der ehrenwerte Herr Westenbrinck möchte Euch sprechen.«

Muntzer zuckte mit den Achseln. »Wer ist das?«

»Einer der beiden Schöffen der Bruderschaft der Tischler.«

»Ah ja. Danke.«

Cuntz Muntzer erinnerte sich. Als er nach Münster kam, hatte er sich einer der Zünfte anschließen müssen, sonst hätte er sein Handwerk nicht ausüben dürfen. Nach langem Hin und Her hatten ihn die Tischler – denen er erst klarmachen musste, dass er mit dem Bau von Lauten und Fideln keine Konkurrenz darstellte – in ihren Reihen aufgenommen. Das hatte einiges an Überzeugungsarbeit erfordert, aber auch einer großzügigen Spende in die Kasse der Bruderschaft bedurft.

Als Verhandlungsführer für die ortsansässigen Handwerker war damals Max Ostenloe aufgetreten. Den zweiten der Schöffen, Westenbrinck, hatte Cuntz nur einmal auf der Feier anlässlich seiner Aufnahme in die Bruderschaft getroffen. Der Tischler hatte – man konnte es nicht anders sagen – bei dieser Gelegenheit unbotmäßig gesoffen. Was er wohl von ihm wollte?

»Bitte ihn in die Stube. Und hole kühlen Wein.« Muntzer wartete noch ein wenig. Er war selbstständiger Handwerker wie sein Besucher und musste nicht springen, wenn dieser erschien.

Als genug Zeit vergangen war, um das deutlich zu machen, aber nicht so viel, um unhöflich zu erscheinen, verließ auch er die Werkstatt.

»Herr Westenbrinck«, grüßte Muntzer, nachdem er die Stube im Obergeschoss betreten hatte. »Was führt Euch zu mir?«

Der Angesprochene erhob sich von der Eichenbank, die an einer der Längsseiten des Raumes stand, und reichte Muntzer die Hand. Auf seiner Stirn perlten trotz des kühlen Wetters Schweißtropfen. Das Gesicht war mit rötlichen Flecken überzogen, die Nasenspitze sogar knallrot. Der Handwerksmeister war von untersetzter Gestalt und atmete hörbar, als er erwiderte: »Es gibt seit einigen Tagen Gerede unter den Ratsmitgliedern.«

Westenbrinck warf einen begehrlichen Blick auf den Weinkrug, den die Magd hielt, die hinter ihrem Herrn stand. Muntzer bedeutete dem Mädchen mit einer Kopfbewegung, den Wein zu servieren. Als die Magd das Zimmer verlassen hatte, erkundigte sich Muntzer: »Wie habe ich das zu verstehen?«

Der Tischler führte den Becher zum Mund und nahm einen großen Schluck. »Einige der Ratsmitglieder machen Stimmung gegen Euch. Sie behaupten, Ihr würdet mit Eurem Handwerk unehrliches Volk in die Stadt locken, so wie die Motten in der Nacht vom Licht der Kerzen angezogen werden. Und mit den Pfeifern, Trommlern und Lautenschlägern kämen noch andere zwielichtige Elemente, heißt es.«

Muntzer dachte nach. »Und was sagt der Rat in seiner Gesamtheit zu den Vorwürfen?«

»Eure Kritiker sind in der Minderheit« entgegnete Westenbrinck. »Noch.«

»Und die Meinung der Bruderschaft?«

»Ihr seid einer von uns, ein ehrbarer Handwerker, und wir stehen an Eurer Seite.«

Muntzer nickte zum Dank, gab aber nicht allzu viel auf diese Worte. Es wäre nicht das erste Mal, dass Lautenbauer genau wegen solcher Gerüchte aus einer Stadt vertrieben wurden. »Was rät mir die Bruderschaft?«

»Macht Euch nicht mit den Spielleuten gemein.«

Der Instrumentenbauer lachte auf. »Sie sind meine Kunden. Und einige von ihnen stehen sogar im Sold der Stadt.«

»Das wissen wir. Ihr solltet sie nur nicht auch noch ermuntern, nach Münster zu ziehen.«

Muntzer schüttelte den Kopf. »Aber ich ermuntere sie doch nicht. Die Musikanten kommen, weil ich gute Arbeit liefere, die weit und breit niemand sonst anbietet. Soll ich etwa meine Kunden dadurch vergraulen, dass ich minderwertige Instrumente herstelle?« Der Lautenbauer hob seine Stimme. »Ich bin Handwerksmeister wie Ihr. Und ich habe mich wie Ihr verpflichtet, ehrliche Arbeit abzuliefern.«

Sein Gast hob abwehrend die Hände. »So wollte ich das nicht verstanden wissen. Ihr solltet nur vorsichtig sein mit dem, was Ihr den Spielleuten sagt.«

»Ich lade sie nicht in mein Haus ein, gebe ihnen kein Obdach, versorge sie nicht mit Essen. Nur einen Schluck Wasser bekommen sie bei mir, wenn sie es wünschen. Das verlangt die Gastfreundschaft. Handelt Ihr anders?« Muntzers Stimme klang ärgerlich.

»Natürlich nicht.«

»Seht Ihr. Was also soll ich vermeiden?«

Westenbrinck wurde die Unterhaltung sichtlich unangenehm. Er trank den Inhalt seines Bechers aus. »Ich wollte Euch nur warnen.«

»Und dafür danke ich Euch und der Bruderschaft«, erwiderte Muntzer. »Ich werde Euren Rat befolgen, soweit es mir möglich ist.«

»Eine Frage habe ich noch: Wie haltet Ihr es mit dem neuen Glauben?«

Der Lautenbauer zögerte. Er wusste, dass es innerhalb der Handwerkerzünfte Bestrebungen gab, sich mit den Evangelikalen gegen den Rat und die Erbmännerfamilien zu verbünden. Die Handwerker wollten so den Einfluss der Patrizier zurückdrängen und selbst die Geschicke der Stadt lenken, um vor allem die Ungerechtigkeiten bei der Steuererhebung abzuschaffen. Das war ihnen aber bisher nicht gelungen. Die Gilden und Zünfte sahen jetzt in den Reformatoren natürliche Verbündete.

Muntzer glaubte zwar an Gott und das Paradies, die theologischen Auseinandersetzungen jedoch, die in diesen Tagen tobten, waren ihm ziemlich egal. Deswegen antwortete er vorsichtig: »Ich weiß nicht so recht. Ich habe mich, wenn ich ehrlich bin, noch nicht eingehend mit diesen Fragen beschäftigt.«

»Das solltet Ihr aber. Fast alle unsere Brüder haben sich den Auffassungen Luthers angeschlossen. Wenn Ihr die Unterstützung der Bruderschaft nicht verlieren möchtet, solltet auch Ihr Euch dem neuen Glauben verschreiben.«

Das war eine offene Drohung.

»Ich werde darüber nachdenken. Noch etwas Wein?«

»Nein. Ich muss wieder in meine Werkstatt. Kommt Ihr zu unserem nächsten Treffen?«

»Selbstverständlich.«

Ein Königreich von kurzer Dauer

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