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3 – Lübeck, 6. April 1531

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Obwohl gerade erst neunzehn geworden, führte Linhardt von Linden das Geschäft in Lübeck nun schon seit fast einem Jahr. Die Familie handelte mit allem, was sich transportieren ließ und Gewinn versprach: gesalzener Hering und Honig aus dem Norden, Holz und Pelze aus dem Osten, Wein und Bier aus dem Süden. Und Tuchwaren natürlich, die Linhardts Vater aus der Tuchstadt Hattingen schickte und die sich in Lübeck und auf anderen Märkten der Region gut verkaufen ließen.

Linhardt hockte in seiner Dornse im elterlichen Haus in der Fischergrube und studierte die Frachtlisten der Irmla. Die Kogge war einige Jahrzehnte alt und in die Jahre gekommen – immer häufiger fielen Reparaturen an. Der Kapitän lag Linhardt seit Monaten mit der Forderung in den Ohren, endlich ein neues Schiff zu kaufen. Aber dafür fehlte das Geld. Zu große Löcher hatte die Misswirtschaft der vergangenen Jahre in das Budget des Unternehmens gerissen. Löcher, die Linhardt nur langsam stopfen konnte.

Die Schläge des Türklopfers schallten durch das Haus. Da beide Mägde zum Markt gegangen waren, musste er sich selbst bemühen. Mit einem Seufzer legte er Papier und Feder beiseite und stand auf. Er hasste es, bei der Arbeit gestört zu werden.

Sein Freund Martin Wibbeking wartete im strömenden Regen vor der Tür und schüttelte das Barett und seinen Mantel aus, nachdem er sich an Linhardt vorbei in die Diele des Hauses gedrängt hatte.

Einige der Wassertropfen trafen Linhardt auf der Stirn. Unwillig wischte er sie ab. »Wir waren doch erst für morgen verabredet oder irre ich mich?«, fragte er Martin.

Der lachte. »Wenn du dein Gesicht sehen könntest. Was hat dir den Tag verhagelt? Um deine Frage zu beantworten: Ja, wir wollten uns morgen treffen. Und um einer weiteren zuvorzukommen: Nein, mein Vater ist noch nicht wieder zurück.«

Martin war nur zwei Monate jünger als Linhardt. Ihre Väter und Mütter waren in ihrer Jugend eng miteinander befreundet gewesen. Auch heute trafen sie sich noch dann und wann, allerdings kam es immer seltener vor, dass Linhardts Eltern die beschwerliche Reise nach Lübeck auf sich nahmen. Die beiden Söhne hingegen setzten die Familienfreundschaft fort und waren mittlerweile unzertrennlich geworden. Nur jetzt konnte Linhardt diesen überraschenden Besuch nicht gebrauchen und sagte das auch.

»Hast du mir eben nicht zugehört? Vater ist noch nicht von seiner Reise nach Riga zurückgekehrt. Du kannst dir also Zeit lassen mit der Kostenaufstellung.«

Natürlich hatte Linhardt die erforderlichen Daten, die er für das geplante Gespräch mit Martins Vater Clas benötigte, schon längst erstellt. Er wollte den anderen Kaufmann davon überzeugen, dass es sinnvoll sei, gemeinsam ein neues Schiff zu kaufen und auszurüsten. Das wäre für beide Seiten günstiger.

Die außenpolitische Situation der größten der Hansestädte hatte sich in den vergangenen Jahren weiter zugespitzt. Lübeck befand sich seit Längerem in einem unerklärten Krieg mit dem Dänenkönig Johann, der der Hanse den Handel mit Schweden untersagte und die Niederländer bei seinen Geschäften bevorzugte. Hinzu kamen innenpolitische Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern des alten und des neuen Glaubens, die das Leben in der Stadt lähmten. All das erschwerte den Handel, was die Lübecker Kaufleute in ihren Geldkatzen spürten.

Linhardt interessierte weder Politik noch Religion. Er ging sonntags zur Kirche, gewiss. Und auch die Beichte legte er regelmäßig ab. Doch er besuchte die katholische Messe mehr aus Gewohnheit denn aus Überzeugung. Die heftigen Auseinandersetzungen in der Stadt um den wahren Glauben ließen ihn kalt, die Heftigkeit, mit der der Glaubenskrieg ausgefochten wurde, stieß ihn ab.

Die Stadt war in Fragen der Religion gespalten. Keine der Seiten konnte die Oberhand gewinnen. Zwar hatte der Rat durch die Annahme der neuen Kirchenordnung bereits Anfang des Jahres die Einführung der Reformation auch in Lübeck beschlossen, aber Beschlüsse zu fällen war die eine Seite, die Herzen und Köpfe der Bürger für den neuen Glauben zu gewinnen, eine andere.

Den jungen Händler beschäftigten nur die Erlöse, die ihm der Verkauf seiner Waren einbrachte. Und alles, was die Gewinne schmälerte, war ihm zuwider. Er hatte seinem Vater versprochen, die Lübecker Niederlassung zu alter Stärke zurückzuführen. Und genau das gedachte er mit Wibbekings Hilfe zu tun. Ein Schiff und zwei Eigner bedeuteten zwar nur den halben Gewinn, aber eben auch nur die halben Kosten und das hälftige Risiko. Den Preis für eine neue Kogge konnte Linhardt allein nicht aufbringen, ebenso wenig wie den für eine grundlegende Überholung der Irmla. Und ohne ein seetüchtiges Schiff mit großen Laderäumen musste seine Familie über kurz oder lang die Niederlassung in Lübeck schließen.

»Was ist so wichtig, dass du mich beim Arbeiten störst? Die Irmla läuft in zwei Tagen nach Riga aus und ich muss noch die Frachtlisten überprüfen.«

»Ein Glas Wein mit einem Freund?«

Linhardt schluckte seinen Ärger über die Störung hinunter. Martin hatte ja recht. Die Arbeit lief ihm nicht weg. Außerdem hatte er seine Kontrollen fast beendet. Den Rest konnte er auch später erledigen. Also bat er seinen Freund in die Stube.

Der Raum hatte sich seit den Tagen, als Linhardts Mutter hier gelebt hatte, kaum verändert. Die Ledertapeten aus Flandern zierten noch immer die Wände, auch wenn sie in den vergangenen dreißig Jahren rissig geworden waren. Der übermannshohe Schrank stand wie eh an seinem Platz neben der Tür. Nur die Bank vor dem ausladenden Tisch war durch einige Stühle ersetzt worden.

Die Holzdielen knarrten, als Linhardt mit dem Weinkrug und zwei Zinnbechern in der Hand aus der Küche zurückkehrte und einschenkte. Dann tranken die beiden jungen Männer.

»Du bist nicht nur wegen des Weines gekommen, habe ich recht?«, fragte Linhardt. »Du siehst aus, als würdest du jeden Moment platzen. Also, was gibt es Neues?«

»Eine Schönheit in unserer Stadt.«

»Da gibt es einige«, meinte Linhardt grinsend.

»Aber keine wie Madlen.«

»Madlen? Sollte ich sie kennen?«

Martin ignorierte die Frage. »Siebzehn Jahre alt. Schlank, fast so groß wie ich, braune Augen … Also, ich sage dir, diese Augen … Dunkle Haare und eine Stimme wie der Gesang einer Nachtigall. Und dann erst ihre Figur.« Er fuchtelte mit den Händen in der Luft herum und verdrehte dabei die Augen.

Linhardt musste lachen. »Du führst dich auf wie ein Gockel. Wer ist diese Madlen?«

»Die Tochter von Jürgen Richolff.«

»Und wer zum Teufel ist das?«

Martin machte ein überraschtes Gesicht. »Du kennst den Drucker Richolff nicht?«

Linhardt schüttelte den Kopf.

»Die ganze Stadt spricht von ihm. Sein Haus steht in Fünfhausen, unweit Sankt Mariens. Dort wohnte schon sein Vater. Richolff ist erst vor knapp einem Jahr nach Lübeck zurückgekehrt. Davor lebte er in Schweden und Hamburg. Er druckt Bücher, die den neuen Glauben propagieren, sehr zum Unwillen einiger Ratsmitglieder.«

»Gehört dein Vater dazu? Er ist doch katholisch, oder?«

»Das schon. Aber er sympathisiert mit Bürgermeister Wullenwever und hat auf einer Versammlung auch Richolff kennengelernt. Er und mein Vater sind sich wohl sympathisch, denn die Richolffs haben uns zu sich nach Hause eingeladen. Da habe ich Madlen kennengelernt.« Er machte eine Pause. »Das heißt, ich habe sie nur kurz gesehen, aber mich sofort in sie verliebt.«

»Und sie sich in dich, nehme ich an?«

Martin zuckte nur mit den Schultern. »Ich konnte sie natürlich noch nicht fragen.«

»Ich verstehe.«

Es schien, als ob seinem Freund das Thema unangenehm war, denn er erkundigte sich: »Hast du dich schon entschieden?«

»Wofür?«

»Das fragst du? Welcher Religion du dich anschließen wirst. Die ganze Stadt spricht seit Monaten über nichts anderes und du tust so, als ob dich das nichts anginge.«

»Du weißt doch, dass mich Religion nicht interessiert.«

»Natürlich.« Martin griff zum Glas. »Dich beschäftigen nur Einnahmen, Ausgaben, Gewinne. Linhardt, das Leben besteht doch noch aus etwas anderem als Zahlen«, meinte er lachend.

»Für dich vielleicht«, knurrte sein Freund. »Aber ich habe einen Auftrag meiner Familie zu erfüllen.«

»Ich etwa nicht? Mein Vater erwartet ebenfalls, dass ich die Geschäfte weiterführe. Was ich auch tun werde. Aber deshalb muss ich doch nicht die Augen vor den schönen Dingen des Lebens verschließen. Wie hübschen Mädchen zum Beispiel.« Er zwinkerte Linhardt zu. »Du solltest Madlen kennenlernen. Sie wird dir gefallen.«

»Na gut. Wann stellst du sie mir vor?«

Etwas verlegen rutschte Martin auf seinem Stuhl herum. »So habe ich das nicht gemeint.«

»Nein? Wie dann?«

Sein Freund wand sich wie ein Aal. »Ich hatte noch keine Gelegenheit, mit ihr zu sprechen.«

Jetzt war es an Linhardt, laut aufzulachen. »›Eine Stimme wie eine Nachtigall‹, das waren doch deine Worte?«

»Ich habe sie beobachtet, als sie mit Freundinnen sprach«, druckste Martin herum. »Ich kann doch nicht einfach so auf sie zugehen. Was soll sie von mir denken!«

»Dass du ein ungehobelter Kerl bist, was sonst?«

»Linhardt!«, rief Martin. »Das nimmst du zurück.«

»Warum? Es ist die Wahrheit.«

Martin sprang in gespielter Empörung auf. »Ich werde dich …«

Das Eintreten der Magd beendete ihre Kabbelei. Martin stellte den Becher ab und lächelte seinem Freund zu. »Kein Wort zu Dritten. Versprich es mir.«

»Du kannst dich auf mich verlassen«, erwiderte Linhardt und begleitete seinen Gast in die Diele.

Ein Königreich von kurzer Dauer

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