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11 – Lübeck, 25. April 1531

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Linhardt hatte am gestrigen Tag lange geschlafen und sich dann in die Dornse in seinem Haus zurückgezogen, um noch einmal die geplante Stofflieferung an den Londoner Kunden zu kalkulieren. Der Magd hatte er freigegeben, damit diese nach ihrem kranken Vater sehen konnte. Und da sich Peter auf dem Weg nach Hattingen befand, war er Montag allein gewesen. Sein Abendessen hatte aus etwas Dörrfleisch und trockenem Brot bestanden und er war zeitig zu Bett gegangen.

Als er am Morgen seine Schlafkammer verließ, überfiel ihn die Magd noch im Flur mit den neuesten Nachrichten.

»Habt Ihr gehört, Herr?«, stieß sie hervor. »Die Maria hat den Englischen Schweiß nach Lübeck gebracht.« Sie schluchzte auf. »Wir werden alle sterben.«

Linhardt war wie erstarrt. »Was sagst du da?«

»Der Rat hat das Schiff gestern unter Quarantäne gestellt. Aber es war zu spät.« Ihre Stimme überschlug sich. »Die Hälfte der Besatzung und auch der Kapitän sind bereits tot. Viele der Seeleute, darunter auch einige der Verstorbenen, waren schon an Land. Sie saßen in den Schenken, haben die Frauenhäuser besucht, auf dem Markt eingekauft und so die Krankheit in der Stadt verteilt.« Das Mädchen bekreuzigte sich. »Gott sei uns gnädig.« Dann schaute sie Linhardt aus verweinten Augen an. »Ich möchte jetzt zu meiner Familie, wenn Ihr erlaubt. Natürlich braucht Ihr mir keinen Lohn zahlen, ich …«

»Schon gut. Geh. Ich komme allein zurecht.«

»Ich habe heute Morgen noch schnell eingekauft. Für eine Woche werden die Vorräte reichen. Ich bitte Euch, Herr, bleibt im Haus. Es heißt, der Englische Schweiß springt durch die Luft. Es sind die faulen Dämpfe, die krank machen.« Sie zog ein Tüchlein über Mund und Nase, welches sie sich um den Hals gebunden hatte. »Ich habe es in geweihtes Wasser getaucht und mit gestampften Gewürzen bestreut. Die Leute erzählen, dass der Duft der Kräuter die teuflischen Dämpfe vertreibt. Auf dem Kaminsims liegt noch ein Tuch. Es ist für Euch. Ich habe es wie meines behandelt. Gott möge Euch schützen.«

Als das Mädchen fort war, lehnte sich Linhardt für einen Moment an die Flurwand. Dann ging er in die Stube und ließ sich erschöpft auf die Bank fallen. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Ihn fröstelte trotz des Kaminfeuers. Seine Nackenhaare richteten sich auf. Was hatte die Magd eben gesagt? Der Kapitän sei gestorben? Hatte Peter nicht den Kaufvertrag von ihm erhalten? Was, wenn er die Krankheit nun auch mit sich trug? Und sie auf schnellstem Weg nach Hattingen brachte? Zu seinen Eltern, seinen Brüdern?

Einem ersten Impuls folgend, wollte Linhardt das Pferd satteln und Peter folgen. Er war schon auf dem Weg zum Stall, als ihm einfiel, dass sein Gehilfe mit dem Tier unterwegs war. Sollte er sich eins leihen?

Doch wie sollte er Peter einholen? Der war vor zwei Tagen aufgebrochen und vermutlich schon weit hinter der Elbe. Und welchen Weg würde sein Schreiber nehmen? Es gab mehrere Möglichkeiten, hatte man den Elbfluss erst überquert. Aber selbst wenn Linhardt den richtigen Weg erriet: Er hatte Peter aufgetragen, sich zu sputen. Und genau das würde sein Gehilfe auch tun. Nein, er würde ihn niemals einholen.

Den Gedanken, seinen Eltern einen Brief zu schreiben, verwarf Linhardt schnell wieder. Auch ein Bote wäre nicht vor dem Schreiber in Hattingen.

Sein Blick fiel auf den Kaminsims. Dort lag das Tüchlein, von dem die Magd gesprochen hatte. Kurz entschlossen stand Linhardt auf und ging zum Kamin. Seine Hände zitterten, als er sich das Leinentuch vor den Mund band. Dann griff er sein Barett und verließ das Haus.

Er wollte den Medikus Claus Upberge aufsuchen, um von ihm mehr über diese Krankheit zu erfahren. Vielleicht gab es ja eine Tinktur dagegen oder es half, wenn der Erkrankte zur Ader gelassen wurde. Der Medikus kannte sich mit Krankheiten aus und konnte ihn beraten.

Und mit diesem Wissen würde Linhardt dann nach Hattingen aufbrechen. Ein Pferd würde er sicher bekommen. Wenn er keines leihen konnte, würde er eines kaufen. Zur Not würde er sich zu Fuß auf den Weg in seine Heimatstadt machen. Seine Familie durfte nicht wegen ihm an der teuflischen Krankheit sterben.

Die wenigen Menschen, die sich nach draußen trauten, hasteten grußlos und mit weit ins Gesicht gezogenen Kopfbedeckungen durch die Straßen. Viele von ihnen trugen ebenfalls Tücher vor dem Mund.

Das Haus des Medikus lag an der Wakenitz, östlich Sankt Katharinens. Es duckte sich hinter die Stadtmauer und war niedriger als die Bürgerhäuser im Stadtinneren.

Linhardt ließ den Eisenschlägel gegen das Türblatt fallen. Der Schlag ließ die Pforte erzittern. Es dauerte eine Weile, bis sich Schritte näherten. Eine Klappe, die in das Holz eingelassen war, öffnete sich einen Spalt. Linhardt hörte die Stimme einer Frau, die nach seinem Begehr fragte.

»Ich bin Linhardt von Linden. Ich möchte den Medikus sprechen. Sagt ihm, es ist dringend.«

Vor einigen Monaten war Claus Upberge überraschend in Linhardts Kontor erschienen und hatte um Hilfe gebeten. Zwischen ihm und Clas Wibbeking war es zu einer Auseinandersetzung wegen nicht bezahlter Rechnungen gekommen. Clas, der schon mehrmals von dem Medikus vertröstet worden war, hatte damit gedroht, das städtische Gericht anzurufen. Und da die Forderungen zu Recht bestanden, hätte das Verfahren übel für den Arzt ausgehen können.

Dieser hatte Linhardt aufgesucht, weil er um dessen freundschaftliches Verhältnis zur Familie Wibbeking wusste und ihn als Fürsprecher und Vermittler benötigte. Er wolle ja zahlen, versicherte der Medikus, säße aber auf einem Stapel unbezahlter Rechnungen. Die Zahlungsmoral seiner Patienten sei, sobald sie geheilt worden wären, nicht die beste. Er hoffe aber, in zwei, drei Wochen seine Schuld begleichen zu können.

Linhardt hatte Upberge geholfen, sich bei Clas für den Medikus eingesetzt und einen letzten Zahlungsaufschub erwirkt. Tatsächlich konnte Upberge Clas’ Forderung kurz darauf befriedigen. Als sich der Mediziner bei Linhardt für dessen Unterstützung bedankte, sicherte er ihm seine Hilfe zu, wann immer Linhardt diese benötige. Und jetzt war der Zeitpunkt gekommen, die Schuld einzufordern.

Die Magd schloss die Klappe. Es dauerte einige Zeit, bis sich die Tür öffnete und der Medikus erschien.

»Haltet bitte Abstand«, bat der Heilkundige. »Es ist nicht die Zeit für Höflichkeiten.«

Die beiden Männer gingen in die Stube.

»Was kann ich für Euch tun?«

»Sagt mir, was Ihr über den Englischen Schweiß wisst.«

»Leider nicht genug. Es gibt keine Heilung. Wer erkrankt, stirbt in der Regel. Nur wenige haben die Krankheit besiegt. Erst bringen Dämonen schlimme Visionen, dann kommt das Fieber, dann übel riechender Schweiß. Schließlich schlafen die Kranken ein und sterben.«

»Was, wenn man das Einschlafen verhindert?«

»Vielleicht hilft das. Nur …« Upberge sprach nicht weiter.

»Was?«

»Es gelingt nicht. In den Berichten aus England steht, dass die dortigen Mediziner versucht haben, die Menschen am Einschlafen zu hindern, allerdings ohne Erfolg.«

»Und wie bekommt man die Krankheit?«

Claus Upberge zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wird sie über fauligen Atem übertragen. Oder die Ausdünstungen. Ich habe keine Ahnung.«

»Und wer Kontakt zu einem Erkrankten hat, bekommt den Englischen Schweiß?«

»Nicht jeder. Das ist die einzig gute Nachricht.«

»Wie schnell holt einen der Tod?«

»Spätestens einen Tag nachdem die bösen Träume aufgetreten sind.«

Linhardt hielt entsetzt die Hand vor den Mund.

Der Medikus deutete diese Geste richtig. »Ja, wir haben allen Grund, erschrocken zu sein. Der Englische Schweiß tötet fast jeden. Es gibt kein Kraut, das gegen diese Seuche gewachsen ist. Euer Tüchlein nutzt nur wenig, soweit ich weiß. Allein Gott der Herr kann uns von der Bürde befreien. Er hat uns diese Prüfung gesandt, er wird sie wieder nehmen. Das ist alles, was ich Euch sagen kann. Und nun seid so gut und lasst uns allein. Ich jedenfalls kann niemandem helfen, der vom Englischen Schweiß heimgesucht wird.«

»Eine Frage habe ich noch: Wie lange dauert es, bis die Krankheit ausbricht?«

Upberge hob die Hände in die Höhe, so als ob er Gott um Beistand anflehen wollte. »Ich weiß es nicht.«

Als Linhardt kurz darauf Upberges Haus verließ, zitterte er am ganzen Körper. Da es kein Heilmittel gab, war eine Reise nach Hattingen zwecklos. Er würde Peter nicht einholen können und wer sich einmal infizierte, für den könnte er eh nichts mehr tun. Linhardt zuckte zusammen. Was, wenn er sich bei seinem Gehilfen angesteckt hatte? Aber möglicherweise war Peter ja gar nicht krank. Er hatte den Kapitän schließlich nur kurz aufgesucht. Linhardt klammerte sich an diesen Gedanken. Was blieb ihm auch sonst übrig?

Ein Königreich von kurzer Dauer

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