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12 – Hattingen, 3. Mai 1531

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Die Familie frühstückte, als der dumpfe Schlag des Türklopfers durch das Haus hallte. Eine der Mägde sprang auf, um nach dem frühen Besuch zu sehen. Kurz darauf kehrte sie wieder in die Stube zurück.

»Ein Bote des Herzogs«, verkündete sie aufgeregt. »Ich habe ihn in das Kontor gebeten.«

Jorge legte den Löffel in seine Schale. »Hast du ihm etwas zu trinken angeboten?«

»Sicher. Aber er wollte nichts. Er sei in Eile, hat er mich wissen lassen.«

Jorge verstand und erhob sich. Einen Beauftragten des Landesherrn ließ man nicht warten.

Der Bote war ein Offizier der Klever Garnison. Nach einer kurzen Begrüßung kam der Mann sofort zur Sache. »Ich habe eine wichtige Nachricht für Euch.« Er griff in seine Tasche und zog einen Brief hervor, der mit dem Siegel des herzoglichen Hofes verschlossen war. »Er stammt von Professor Konrad Heresbach, Berater am Hof unseres gnädigen Herzogs.«

Natürlich wusste Jorge, wer Heresbach war. Er hatte den Mann zwar noch nie getroffen, aber schon viel von ihm gehört. Heresbach galt als einflussreichster der herzoglichen Einflüsterer, als tolerant und gerecht. Was der Mann wohl von ihm wollte?

Jorge brach das Siegel und las den Brief. Darin teilte ihm Heresbach mit, dass er sich heute in Werden aufhalte und er sich freuen würde, wenn Jorge das Mittagsmahl mit ihm gemeinsam einnähme, damit sie Zeit fänden, sich in Ruhe zu unterhalten. Worüber der Berater mit ihm sprechen wollte, war nicht erwähnt.

»Ich habe Order, auf Eure Antwort zu warten«, erklärte der Bote.

Auch wenn der Brief sehr höflich formuliert war, handelte es sich doch weniger um eine Bitte als um eine Aufforderung, die Jorge nicht ablehnen konnte, selbst wenn er das gewollt hätte.

»Sagt Herrn Heresbach, dass ich seiner Einladung mit Freuden folge.«

Der Bote nickte und verschwand. Jorge überlegte kurz. Mit dem Pferd brauchte er keine Stunde nach Werden. Es blieb ihm also noch genug Zeit, um sich angemessen zu kleiden und die notwendigen Reisevorbereitungen zu treffen.

»Was meinst du, was ein Berater des Herzogs von dir will?«, erkundigte sich Marlein, nachdem er ihr den Brief gezeigt hatte.

»Keine Ahnung«, antwortete Jorge.

»Kann es etwas Geschäftliches sein?«

Daran hatte er auch schon gedacht. »Was könnte der Herzog sonst von mir wollen?«

»Sagtest du nicht gerade, Herr Heresbach habe dich um das Gespräch gebeten und nicht der Herzog?«, warf Hinrick ein.

»Ist das nicht dasselbe?«, erwiderte sein Vater.

»Ich denke nicht. Es heißt, Konrad Heresbach sei ein unabhängiger Kopf, der sich auch anders als unser Landesherr äußere.«

Jorge sah seinen Zweitältesten erstaunt an. »Woher weißt du das?«

»Ich habe mit dem Bibliothekar in Werden über Heresbach gesprochen, nachdem ich ihn kennengelernt hatte.«

»Du kennst den Berater des Herzogs?«

»Flüchtig. Wir haben uns über Luther und seinen Widersacher Eck unterhalten.«

Jorge wunderte sich immer mehr über seinen Sohn. Ihn beschlich ein ungutes Gefühl. »Hast du etwa Partei für den Reformer genommen?«

Es erschien ihm nicht opportun, sich in Glaubensdingen zu weit aus dem Fenster zu lehnen, solange nicht eindeutig klar war, welche Position der Landesherr in dieser Frage zukünftig einnehmen würde. Dieser Luther war geächtet und seinen Anhängern drohte ein ähnliches Schicksal, auch wenn sich einige Fürsten und Städte bereits auf die Seite der sogenannten Protestanten gestellt hatten. Aber Herzog Johann hatte sich noch nicht festgelegt.

»Wie ist das Gespräch verlaufen?«

Hinrick berichtete.

Jorge dachte nach. Konnte diese Unterhaltung der Grund für die Einladung sein? Er verwarf diesen Gedanken schnell. Ein so wichtiger Mann würde einem Gespräch mit einem Jugendlichen keine große Bedeutung beimessen, da war er sicher. Nein, es musste einen anderen Anlass geben. Nur welchen? Nun, es brachte nichts, sich den Kopf zu zerbrechen. Er würde es in wenigen Stunden erfahren.

Peter hatte sich an die Anweisungen seines Herrn gehalten und war so schnell geritten, wie er konnte. Die Sonne war schon lange untergegangen, als er Bochum erreichte. Die Tore Hattingens waren sicher schon verschlossen. Er konnte sich glücklich schätzen, dass ihm die Bochumer Stadtsoldaten noch den Zutritt gewährten. Er suchte eine billige Unterkunft, um endlich wieder in einem Bett zu schlafen.

Als er am nächsten Morgen die Herberge verließ, fühlte er sich den Umständen entsprechend gut. Er hatte einige Humpen Bier getrunken und sich in der Nacht mit einer Hübschlerin vergnügt, die ihre Dienste in dem Gasthof angeboten hatte.

Er führte den pochenden Schmerz in seinem Schädel auf das viele Bier und den mangelnden Schlaf zurück. Die frische Luft würde seine Beschwerden lindern, daran hatte er keinen Zweifel. Das Frau, die er in seinen Armen gehalten hatte, war äußerst geschickt mit ihrer Zunge und ihren Fingern gewesen, und er gedachte, sich am heutigen Abend dieses Vergnügen noch einmal zu gönnen.

Er würde Jorge von Linden seine Aufwartung machen, den Kontrakt übergeben, auf weitere Anordnungen warten und dann so schnell wie möglich nach Bochum zurückkehren, um dort erneut die Nacht mit diesem Teufelsweib zu verbringen. Erst dann wollte er gemächlich in die Hansestadt reisen.

Zu den Kopfschmerzen gesellten sich im Laufe des Tages allerdings Gliederschmerzen. Peter fühlte sich schlapp und matt, als er sich über die Ruhrbrücke Hattingen näherte.

Vielleicht sollte er heute Abend doch auf das Bier in der Bochumer Schenke verzichten. Aber die erneuten Dienste der Hübschlerin wollte er sich unter keinen Umständen entgehen lassen.

Endlich erreichte er das Haus der von Lindens am Untermarkt. Er band sein Reittier an einen in die Hauswand eingelassenen Ring, schnappte sein Bündel und schlurfte zur Tür.

Es war Marlein von Linden selbst, die auf sein Klopfen öffnete.

»Herrin, ich habe gute Nachrichten von Eurem Sohn«, begrüßte Peter sie.

Die Kaufmannsfrau führte ihn in die Stube. »Du siehst furchtbar aus«, sagte sie mitfühlend, nachdem er sich auf eine der Bänke hatte fallen lassen. »Das Mädchen bringt dir etwas Bier.«

»Kein Bier«, wehrte Peter ab. »Ist Euer Wasser kühl und trinkbar?«

»Sicher.«

»Dann nur davon. Es muss die Reise sein, die mich so erschöpft hat.«

Die Hausherrin rief nach der Magd. Als diese den Raum betreten hatte, fragte sie Peter: »Hast du Hunger? Etwas Brot vielleicht? Oder Suppe?«

Er schüttelte nur den Kopf. »Wasser reicht. Ist der Herr zu sprechen?«

»Da bist du um gut eine Stunde zu spät gekommen. Er hat auswärts etwas zu tun und wird sicher nicht vor dem Abend zurück sein. Du wartest einfach so lange und ruhst dich aus«, schlug Marlein von Linden vor.

Das Angebot, sich in einem Bett auszustrecken und zu schlafen, war verlockend. Trotzdem entschied Peter sich dagegen. Denn die Reize der Hübschlerin, die in Bochum wartete, zogen ihn noch stärker an.

»Nein, lieber nicht. Wenn es Euch recht ist, lasse ich das Schriftstück, welches ich überbringen soll, einfach hier und komme morgen zurück, um die Aufträge des Herrn entgegenzunehmen. Ich bin mit einem Lübecker gereist, der in Dortmund und Bochum Geschäfte machen will«, schwindelte Peter. »Er wollte morgen früh wieder in die Heimat aufbrechen und wir hatten verabredet, dass ich ihn auch auf dem Rückweg begleite. Wenn ich nicht in der Herberge bin, macht er sich womöglich Sorgen und lässt nach mir suchen. Aber ich will ihn nicht aufhalten.« Die Lüge ging ihm leicht über die Lippen.

»Wie du meinst. Hat Linhardt dir ausreichend Geld für die Übernachtung gegeben?«

»Ja, das hat er. Danke.« Peter zog nun den Vertrag mit dem Londoner Händler aus der Tasche und übergab seiner Herrin das Schriftstück. »Hier. Fünfzig Ballen Stoff zu vorzüglichen Konditionen. Euer Sohn hat erstklassige Arbeit geleistet, wenn ich das sagen darf. Ihr könnt stolz auf ihn sein.« Peter hustete und ihm wurde kalt. Er trank den Rest des Wassers und erhob sich schwerfällig. »Wenn Ihr nichts dagegen habt, reite ich jetzt los. Ich muss wirklich etwas schlafen.«

Marlein von Linden nickte, sagte dann aber: »Nur noch einen kleinen Moment. Ich hatte ohnehin vor, nach Bochum zu fahren. Ein Schreiner dort fertigt wunderbar verarbeitete Stühle an. Ich wollte meinem Gatten einen für sein Kontor schenken. Er darf nichts davon erfahren. Ich gebe dir ein Schreiben mit den Maßen des Stuhls mit, das du dem Meister übergeben wirst. So spare ich mir den Weg, du musst morgen nicht erneut in die Stadt hinein und es besteht keine Gefahr, dass Jorge etwas von meinem Plan erfährt.« Sie schaute Peter verschwörerisch an. »Vorausgesetzt natürlich, dass du mich nicht verrätst.«

»Kein Wort kommt über meine Lippen, Herrin.«

Eine halbe Stunde später saß Peter erneut im Sattel. Es gelang ihm nur mit Mühe, wach zu bleiben. Die Gliederschmerzen wurden heftiger und sein Schädel schien zu bersten. Immer wieder nickte der Bote ein und drohte vom Pferd zu fallen.

Er schaffte es bis zum Hilinciweg. Kurz vor Linden konnte er nicht mehr weiterreiten. Schweiß rann aus allen Poren, sein Hemd war bereits klatschnass. Den Geruch, der von ihm ausging, nahm er nicht wahr. Er musste schlafen. Jetzt!

Mit letzter Kraft schleppte er sich über einen Waldweg auf eine kleine Lichtung unweit des Dorfes. Dort band er das Pferd locker an, legte sich ins frische Gras und murmelte mit matter Stimme: »Nur eine Stunde. Dann geht es mir bestimmt besser.« Und Peter sank in den Schlaf, aus dem er nie mehr erwachen sollte.

Ein Königreich von kurzer Dauer

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