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5 – Hattingen, 9. April 1531

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Die Messe zog sich hin, schließlich war Ostersonntag. Nur unter Anstrengungen gelang es Jorge, wach zu bleiben. Immer wieder fielen seine Augen zu und nur Marleins diskrete Knüffe verhinderten, dass er vollends einschlief.

Der gestrige Abend hatte länger gedauert. Konrad Kielmann war zu Besuch gekommen. Kaum älter als Linhardt, war er trotz seiner jungen Jahre einer der reichsten Kaufleute der Stadt.

Jorge erinnerte sich gut an Johann Kielmann, den Vater Konrads. Dieser war in seinem Alter gewesen und sie hatten häufiger erfolgreich Geschäfte miteinander gemacht. Kielmann war schon vor Jahren verstorben, seine Frau folgte ihm nur kurze Zeit später ins Grab.

Der einzige Sohn der Eheleute schien das Talent seines Vaters geerbt zu haben, denn was er auch anpackte, gelang ihm. So war es nicht verwunderlich, dass sein Elternhaus, in dem er südlich des Marktes allein wohnte, noch beeindruckender war als das der von Lindens.

Kielmann hatte Jorge eine Partnerschaft vorgeschlagen. Er wolle mit ihm in den Getreidehandel einsteigen, hatte er in dem Gespräch eröffnet. Dort seien zukünftig hohe Gewinne zu erwarten. Jorge hatte selbst schon mit dem Gedanken gespielt, sich auf diesem Markt zu engagieren, und deshalb interessiert zugehört.

Allerdings war Kielmann solventer als er und als unbarmherziger Geschäftsmann bekannt. Erst kürzlich hatte er einen Bochumer Händler, mit dem er zusammengearbeitet hatte, aus dem gemeinsamen Geschäft gedrängt. Der Bochumer hatte den Fehler begangen, den einschmeichelnden Worten des Kaufmanns zu glauben, und einen für ihn unvorteilhaften Vertrag unterzeichnet. Das war ihm schließlich zum Verhängnis geworden.

Insgeheim bewunderte Jorge die Geschäftstüchtigkeit des jungen Kielmanns. Aber dessen Juniorpartner wollte er nicht sein. Das Risiko, wie der Bochumer ausgebootet zu werden, erschien ihm zu hoch. Deshalb hatte er nach kurzem Überlegen abgelehnt.

Nach einigen gezwungen freundlichen Worten hatte sich Kielmann daraufhin schnell verabschiedet. Als Jorge ihm nachsah, ahnte er, dass er den Kaufmann mit seiner Ablehnung gegen sich aufgebracht hatte. Noch schwerer würde bald aber vermutlich wiegen, dass Jorge den Getreidehandel selbst übernehmen wollte und Kielmann darüber im Unklaren gelassen hatte.

Den Rest des Abends hatte er kalkuliert, Pläne geschmiedet und verworfen, nachgedacht. Aber wie immer er auch rechnete, schnell war klar, dass Kielmann in einem Punkt recht hatte: Allein konnte ein Händler die finanziellen Belastungen nur schwer stemmen, die ein Engagement in dem neuen Geschäftszweig mit sich bringen würde. Obwohl Jorges Haus eines der größten der Stadt war, verfügte es nicht über ausreichende Lagermöglichkeit, um die Mengen an Getreide und Mehl unterzubringen, die kurz nach der Ernte anfielen. Es musste also ein Speicherhaus gebaut werden, was ein kleines Vermögen kosten dürfte. Jorge hatte eine Liste möglicher Partner erstellt, jede Person eingeschätzt und am Ende war nur ein Name infrage gekommen: Hermann Offerhues.

Wieder knuffte ihn Marlein. Jorge schreckte hoch. Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, dass die Messe beendet war. Er erhob sich und folgte seiner Frau ins Freie.

Vor Sankt Georg standen die Gläubigen wie immer in kleinen Gruppen zusammen. Man sprach über das Wetter, tauschte den neuesten Tratsch aus, kommentierte Entscheidungen der Obrigkeit.

Jorge schaute sich um. Offerhues und Bürgermeister Werner Koitgen waren im Gespräch vertieft. Er gab Marlein mit einer Geste zu verstehen, dass er sie einen Moment allein lassen würde, und näherte sich den beiden Männern. Die Honoratioren unterbrachen ihre Unterhaltung, als er sich zu ihnen gesellte.

»Ich hoffe, ich störe nicht«, begann Jorge. »Aber ich möchte gerne etwas Geschäftliches mit Euch besprechen, Herr Offerhues.«

»Jetzt?«, erwiderte der Angesprochene erstaunt.

»Nein. Wie wäre es, wenn wir uns am Nachmittag im Weinhaus treffen?«

Offerhues nickte. »Warum nicht? Es wäre allerdings hilfreich, wenn Ihr mir Euer Anliegen verraten könntet.«

Jorge warf einen schnellen Blick zum Bürgermeister. Der tat höflicherweise so, als ob ihn diese Unterhaltung nicht interessierte, aber natürlich war er gespannte Aufmerksamkeit und ließ sich kein Wort entgehen.

Deshalb antwortete Jorge: »Ach, nichts Besonderes. Dies und das.«

Offerhues, dem der Blick ebenfalls nicht verborgen geblieben war, verstand. Auch Koitgen war Kaufmann und damit Konkurrent. »Gut. Gegen drei Uhr?«

Marleins Vater hatte das Weinhaus vor Jahrzehnten von Reinhard von Krekenbeck, dem damaligen Erbhofschultheiß des Hofs Hattingen, gepachtet. Später dann hatten Marlein und Jorge den Pachtvertrag auf einen Vetter Marleins übertragen lassen. Heutiger Pächter war dessen Sohn, mit dem das Ehepaar von Linden gute verwandtschaftliche Beziehungen pflegte.

Entsprechend herzlich wurde Jorge begrüßt, als er kurz vor dem vereinbarten Termin die Schenke betrat. Er bat um einen Tisch hinten im Raum, etwas abseits des Kamins und der anderen Gäste.

Offerhues war pünktlich. Jorge spendierte einen Becher Rotwein und begann das Gespräch. »Bevor ich Euch erkläre, was ich mir vorstelle, muss ich Euch darüber in Kenntnis setzen, dass ich eine ähnliche Unterhaltung bereits mit Konrad Kielmann geführt habe.«

»Wann war das?«, wollte sein Gegenüber wissen.

»Gestern.«

Der Kaufmann lachte auf. »Lasst mich raten: Es ging um den Getreidehandel.«

»Richtig. Aber wie …«

»Kielmann hat auch mit mir geredet«, unterbrach Offerhues ihn. »Am Gründonnerstag, um genau zu sein.« Er schaute Jorge prüfend an. »Ich nehme an, Ihr habt eine Zusammenarbeit abgelehnt?«

»Wie kommt Ihr darauf?«

»Würdet Ihr Euch sonst mit mir treffen?«

Jorge grinste. »Richtig vermutet. Und Ihr?«

»Ich habe ebenfalls kein Interesse gezeigt. Der junge Kielmann ist mir zu forsch in seinen Methoden. Mag sein, dass ich für seine Art, Geschäfte zu machen, zu alt bin. Aber ich bevorzuge es, Verträge noch mit Handschlag und einem Viertel Wein zu besiegeln. Und mich dann daran zu halten.«

»Da stimme ich Euch zu. Ich würde Euch gerne meine Ideen mitteilen, wenn Ihr erlaubt.«

»Nur zu. Deshalb bin ich ja gekommen.«

Jorge schätzte die offene Art seines Gesprächspartners. Offerhues war wie er Mitglied der Kaufmannsgilde, hatte ihr sogar einige Jahre vorgestanden. Er handelte überwiegend mit Eisen, das er aus dem Bergischen bezog und gegen Auf-schlag an die ortsansässigen Schmiede verkaufte. Dann nahm er den Handwerkern die Messer und Scheren, die diese fertigten, wieder ab und vertrieb sie auf den Märkten der umliegenden Städte.

Der Handel ernährte ihn und seine Familie, warf aber nicht so viel ab, dass er Reichtümer anhäufen konnte. Dafür waren die Eisenmengen, die er aus dem Bergischen bezog, zu gering. Trotzdem galt die Familie als gut situiert. Jorge hatte sich vor Jahren ebenfalls in diesem Geschäft engagiert, es dann aber wegen der geringen Gewinnmargen wieder aufgegeben.

»Ihr wisst, dass Roggen, Gerste und Hafer sowohl aus den Grundherrschaften der Häuser Bruch und Cliff als auch aus Altendorf und von den Hügellandbauern aus dem Bergischen stammen. Auch aus der Soester Börde über den Hellweg wird Getreide nach Hattingen geliefert. Ein geringerer Teil kommt von Feldern, die Hattinger Bürger auf Land bewirtschaften, das Herzog Johann gehört. Dieses Getreide muss ausnahmslos in der Bannmühle an der Ruhrbrücke gemahlen werden.«

»Genau. Und das Mehl geht an die Bäcker in der Stadt.«

»Das Mehl der Landpächter allerdings wird häufig gegen Bezahlung von unseren Bäckern verarbeitet, die das fertige Brot zurück an die Pächter geben. Ein weiterer Teil wird ins Sauerland verbracht, um dort gebacken zu werden.«

»Das ist mir alles bekannt.«

»Natürlich. Ich schlage nun Folgendes vor: Wir beide tun uns zusammen und bieten den Getreidebauern an, ihre gesamten Erträge zu einem Festpreis zu übernehmen, den wir am Jahresende für das folgende Jahr vereinbaren.«

»Das ist ein Risiko. Was, wenn die Ernten außergewöhnlich hoch sind? Üblicherweise sinkt dann der Preis. Verkalkulieren wir uns, sind wir an den vereinbarten höheren Preis gebunden.«

»Richtig. Das gilt aber auch dann, wenn die Ernten schlecht ausfallen. Dann kaufen wir günstiger ein.«

Offerhues machte ein skeptisches Gesicht.

»Außerdem können wir in den Jahren guter Ernten das Getreide für schlechte Zeiten lagern und so die Nachfrage und damit den Preis bestimmen.«

»Und wo sollen wir lagern? Euer Haus und noch weniger meins verfügen über genügend Platz.«

»Wir müssen ein Speicherhaus bauen.«

»Das kostet viel Geld.«

Jorge nickte. »Ihr solltet aber eines bedenken: Von Jahr zu Jahr nimmt die Bevölkerung in Hattingen und damit der Bedarf an Brot zu. Als ich vor dreißig Jahren in die Stadt kam, lebten wesentlich weniger Menschen in unseren Mauern als heute. Das verspricht zukünftig gute Geschäfte. Und je mehr Bauern wir dazu bewegen können, uns ihr Getreide zu liefern, umso flexibler können wir die Preise gestalten. Wenn wir die Hauptmenge an Getreide zum Mahlen anbieten, könnte ich mir vorstellen, dass der Schultheiß uns auch bei der Multer entgegenkommt.«

»Warum sollte er das tun? Wir können das Getreide nicht woanders mahlen lassen.«

»Weshalb eigentlich nicht? Bochum und Werden verfügen über eigene Mühlen.«

»Das wird der Schultheiß nicht akzeptieren.«

»Was will er machen? Soldaten schicken?«

»Er könnte das Mehl besteuern.«

»Gut. Backen wir eben in Bochum oder Werden.«

»Dann wird er das Brot besteuern.«

»Das kann er nur, wenn wir es auch auf dem Markt in Hattingen verkaufen. Beruhigt Euch, ich will ja nicht wirklich auf die anderen Mühlen ausweichen. Das gäbe nur Ärger mit dem Schultheiß und dem Herzog. In den Verhandlungen über die Multer könnten wir aber etwas in dieser Art vortragen. Als einen Denkanstoß für die Herren.«

»Verstehe.«

»Was ist? Seid Ihr dabei?«

»Der Gewinn wird geteilt?«

»So wie die Kosten. Und wer von uns höhere Kosten trägt, erhält auch anteilig mehr Gewinn.«

Offerhues streckte ihm die Hand hin. »Einverstanden.«

Jorge lächelte. »Das freut mich. Lasst uns die Übereinkunft begießen. Und dann gehen wir in mein Haus und ich zeige Euch anhand meiner Berechnungen, welche Kosten auf uns zukommen können.«

Die beiden Männer hoben ihre Gläser.

Ein Königreich von kurzer Dauer

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