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6. Das Reich unter Maximilian I.

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Ende September 1518 besuchte Kaiser Maximilian I. seine Hauptresidenz, Innsbruck, zum letzten Mal. Er kam vom Reichstag in Augsburg, wo es ihm, trotz beträchtlicher Geldzuwendungen, nicht gelungen war, den Kurfürsten seinen Enkel, Karl von Spanien, als kaiserlichen Erben anzudienen. In Innsbruck folgte der Enttäuschung die Erniedrigung. Seine obersten Beamten drohten mit Rücktritt, wenn er sie nicht sofort bezahle, und die Wirtshausbesitzer weigerten sich, selbst sein Gefolge zu beherbergen, weil er ihnen aus vorangegangenen Besuchen noch 24.000 Gulden schuldete. Der Kaiser war verärgert, aber machtlos. Da er mit seinem Gefolge buchstäblich auf der Straße stand, blieb ihm nichts übrig, als ostwärts über Salzburg nach Österreich weiterzuziehen. Dort machte er schließlich am 10. Dezember die bescheidene Burg Wels zu seiner Residenz. Er hatte Augsburg bereits krank verlassen und nun ging es mit seiner Gesundheit weiter bergab. Wochenlang lag er in Agonie, konnte aber noch seine Enkel Karl und Ferdinand als gemeinsame Erben seiner Erblande einsetzen, bevor er am 11. Januar 1519 verstarb. Erst nach und nach schälte sich heraus, dass Maximilians Innsbrucker Schulden nur die Spitze des Eisbergs waren. Bei seinem Tod beliefen sich die kaiserlichen Verbindlichkeiten auf gut sechs Millionen Gulden.1

Man ist versucht, dieses leidvolle Ende als sichtbares Zeichen dafür zu nehmen, dass Maximilian mit seinem selbst gewählten kaiserlichen Auftrag gescheitert war. Die Fallhöhe zwischen seiner Selbststilisierung zum »letzten Ritter«, weltumfassenden Herrscher, Erretter der Christenheit einerseits und dem offenkundig chaotischen Zustand seiner Angelegenheiten am Lebensende ist mehr als erheblich und wird durch die Ausbreitung von Unruhen im Reich während seiner späteren Lebensjahre wie auch durch die Aufstände in den österreichischen Erblanden nach seinem Tod noch weiter bekräftigt.Viele Kommentatoren haben darin das unvermeidliche Ergebnis einer ruhelosen Suche nach einem fantastischen Traum gesehen, betrieben von einem hoffnungslos überehrgeizigen Monarchen.2 Manche haben sogar behauptet, zwischen Vision und Wirklichkeit habe es keine Verbindung gegeben, nur eine Reihe chaotisch geplanter und durchgeführter Feldzüge ohne Ziel und Zweck. Und last, not least wird der Vorwurf erhoben, Maximilians Umgang mit den deutschen Landen sei nichts als Ausbeutung gewesen: Das Reich habe ihn mit dem Titel ausgestattet, und was er dann noch wollte, war Geld, um seinen Ehrgeiz außerhalb des Reichs zu befriedigen. Aus dieser Perspektive konnte er mit den deutschen Fürsten, sobald sie in ihrer materiellen Unterstützung zurückhaltend wurden, nichts mehr anfangen.

Aber solche Urteile werden seiner Politik und ihrem inneren Zusammenhang nicht gerecht. In der Tat zeigte seine Regierungspraxis eine außerordentliche Vielfalt von Initiativen, die, häufig gleichzeitig, an allen möglichen Fronten vorgetragen wurden: in Burgund und den Niederlanden, im Konflikt mit Frankreich und dem Bündnis mit Spanien, in Italien, in Ungarn und bei Maximilians Plänen für einen Kreuzzug gegen die Türken. Die meisten dieser Unternehmungen, jedenfalls die spektakulärsten, berührten Gebiete außerhalb des Reichs. Dennoch war das Reich wesentlicher und integraler Bestandteil des Systems, das aufzubauen er bestrebt war. Im Vordergrund standen dabei zwei von seinem Vater, Friedrich III., ererbte Probleme: zum einen die Basisgebiete der Habsburger, zum anderen die mit dem Kaisertitel verbundenen Ansprüche, deren vollen Umfang Maximilian in Europa ausloten wollte.

Seine erstrangige Aufgabe sah er darin, eine solide Grundlage in Gestalt von Erblanden zu schaffen, von denen aus er seine Herrschaft über das Reich entfalten konnte. Sein Vater hatte lange Jahre an der südöstlichen Peripherie des Reichs zugebracht und war zwischen 1444 und 1471 dem Reich ferngeblieben. Gegen Ende seiner Regierungszeit wurde er von Matthias Corvinus aus Wien vertrieben.3 Maximilian versuchte fortwährend, die grundlegende Schwäche, die aus der randständigen und angreifbaren Lage der habsburgischen Erblande resultierte, zu beheben. Er verstärkte die durch Tirol, das ihm 1490 als Erbe zufiel, vergrößerten österreichischen Territorien und war darauf bedacht, sie vor der Bedrohung durch Ungarn, Polen und Türken zu schützen.4 Seine verwaltungstechnische Neuorganisation der Erblande ging mit fiskalischer Ausbeutung einher und bot vielen deutschen Fürsten ein Modell für ein intensiveres Regieren in ihren Territorien.

Seine Geschäfte mit den Königen der Jagiellonen in Ungarn und Polen zeigen in aller Deutlichkeit, dass seine Politik dynastisch bestimmt war.5 Als Ladislaus II. in zweiter Heirat 1502 Anne de Foix ehelichte, bedrohte das Maximilians im Vertrag von Pressburg 1491 festgelegtes Erbfolgerecht in Ungarn und Böhmen. Die Geburt der Tochter Anna 1503 und des Sohns Louis 1506 verstärkten die Bedrohung noch. Mit dem verführerischen Versprechen eines militärischen Beistands gegen die Türken konnte Maximilian einen doppelten Heiratsvertrag zwischen den ungarischen Erben und seinen Enkeln Maria und Ferdinand abschließen. Aber der ungarische Adel verweigerte standhaft die Zustimmung zu einer habsburgischen Erbfolge und als Johann Zápolyas Schwester 1512 König Sigismund von Polen (Ladislaus’ jüngeren Bruder) heiratete, führte das erneut zu einer Krise. Maximilian ging entschieden dagegen an. Polens Unterstützung für die ungarischen Stände wurde durch ein 1514 geschlossenes Bündnis mit Sigismunds Feind Wassili III., dem Großfürsten von Moskau, untergraben. Das erleichterte die schnelle Erneuerung der Heiratsverträge und damit die habsburgische Erbfolge in Ungarn und Wien (1515). Im Gegenzug gewährte Maximilian dem polnischen König die Oberhoheit über die Gebiete des Deutschen Ritterordens.

Maximilians Österreichpolitik konnte auf eine lange Tradition zurückblicken, während das burgundische Erbe, das durch die Heirat mit Maria von Burgund an ihn fiel, der Reichspolitik eine völlig neue Dimension verlieh.6 Auch wenn er nur von 1482 bis 1494 als Regent für seinen Sohn Philipp den Schönen regierte. Darüber hinaus zeigte sich Philipp in seinem späteren Verhalten gegenüber Frankreich bestrebt, von den großen imperialen Plänen seines Vaters unabhängig zu werden. Philipps Politik wurde dann zeitweilig von Maximilians Tochter Margarete revidiert, als sie für Karl, den noch unmündigen Erben Philipps, die Regentschaft übernahm. Dennoch lässt sich nicht bezweifeln, dass Maximilian die Gebiete im Nordwesten wie ein weiteres Ensemble von Erblanden behandelte.

Die burgundischen Lande gehörten, ganz wie die österreichischen, nicht in dem Sinn formell zum Reich, als sie keine Vertreter in den Reichstag schickten. Vielmehr hatten diese Gebiete ihre eigene Körperschaft: Sie wurden durch 1477 gebildete Generalstände vertreten. Aber Maximilian betrachtete auch die burgundischen Territorien als zum Reich gehörig. Da sie dem Monarchen direkt unterstellt waren, gab es keine unmittelbare Notwendigkeit einer Repräsentation durch den Reichstag. Überdies ermöglichten beide Gebietskomplexe dem Monarchen die Präsenz im Reich. Im Fall der österreichischen Erblande kam mit Tirol ein ganzes Flickwerk von Gebieten hinzu, das sich über den Süden des Reichs erstreckte: die Vorlande mit dem Sundgau, dem Breisgau samt Freiburg sowie diverse schwäbische Ortschaften, Grafschaften und Hoheitsgebiete.7 Im Fall der burgundischen Territorien war die habsburgische Präsenz weniger klar definiert, vor allem, weil es wieder und wieder nicht gelang, Geldern zu unterwerfen.8 Doch schuf die Nähe der burgundischen Gebiete zum Reich (von denen einige traditionell dem Monarchen als feudalem Oberherrn untergeordnet waren) einen vom Haus Habsburg beherrschten Grenzgürtel, der sich vom Sundgau im nördlichen Elsass über die Niederlande bis nach Friesland erstreckte. Zur gleichen Zeit wurde der Hof in Brüssel zum Zentrum für ein Netzwerk von Gefolgschaften, das sich bis in die norddeutsche Tiefebene und im Niederrheingebiet bis zu den Ländereien der Wetterauer Grafen (darunter das Haus Nassau, dem später Wilhelm von Oranien entsprang) nördlich des Mains ausbreitete.9 Zumindest potenziell war das Reichsgebiet unter Maximilian damit größer als unter allen seinen Vorgängern, was den Widerstand der Fürsten gegen seine Reformvorschläge und seine Forderungen nach materieller und militärischer Unterstützung verständlich macht.

Die Konsolidierung der österreichischen und burgundischen Erblande trugen potenziell zur Stärkung von Maximilians Position als deutscher König bei. Doch war diese Position zugleich unauflöslich mit den weitreichenden Bestrebungen und Vorrechten, die sein Titel mit sich brachte, verbunden. Diese Bestrebungen waren von zweierlei Art. Zum einen betrafen sie Italien.10 Nationalistische deutsche Gelehrte unterstellten Maximilian hier blinde Besessenheit oder fatale Schwäche, weil er angeblich auf Kosten der Deutschen die Wiederbelebung eines italienischen Reichs betrieben habe. Aber das stimmt so nicht. Italien war für den Monarchen nicht nur aus Gründen territorialen Zugewinns wichtig, sondern auch wegen der Notwendigkeit, in Rom gekrönt zu werden.11 Er kämpfte vergeblich um diese wahrhafte Legitimation seiner Herrschaft. Zwar räumte er dies Versagen indirekt ein, indem er sich 1508 in Trient zum »Erwählten Römischen Kaiser« proklamieren ließ, doch hielt ihn das nicht davon ab, die traditionellen Verbindungen zu Rom weiter zu pflegen. 1511 war er über den wiederholten Verrat von Papst Julius II. so erzürnt, dass er daran dachte, seine eigene Wahl zum Papst zu betreiben.12 Das hätte ihn in die Lage versetzt, die Reform der Kirche voranzubringen und zuletzt gar die Kontrolle über den Vatikan zu erlangen, ein wichtiger Aktivposten in seinem Dauerkonflikt mit Venedig und für den Konkurrenzkampf mit Frankreich auf der italienischen Halbinsel. Doch wie so viele von Maximilians Plänen zerschlug sich auch dieser und so wurde noch im selben Jahr ein neues Bündnis mit Rom geschmiedet. Sein Feldzug gegen Venedig, den größeren Feind, hätte nur durch einen Akt widerrechtlicher Aneignung mit der Folge eines gegen ihn gerichteten christlichen Bündnisses entscheidend behindert werden können.

Der Wunsch, in Rom gekrönt zu werden, war mit einem weiteren Bestreben verbunden, das in Maximilians Vorstellungswelt offenbar eine ähnlich wichtige Rolle spielte: Er hielt es für seine Pflicht, einen Kreuzzug gegen die Türken anzuführen. Dafür wäre eine Krönung durch den Papst die notwendige Vorbedingung gewesen, so wie die Kontrolle über die Reichtümer Norditaliens dem Vorhaben die sicherste materielle Grundlage gewährt hätte. Natürlich wäre ein Feldzug gegen die Türken auch für die Sicherheit der österreichischen Erblande nützlich gewesen. Und die Vorstellung, in Italien sich die Vorherrschaft zu sichern, nährte sich zweifellos von historischen Erinnerungen an die Hohenstaufen des Hochmittelalters. Doch entsprangen alle diese Vorstellungen und Vorhaben einem einzigen Wunsch: Maximilian wollte dem Anspruch, Herrscher der Christenheit zu sein, Geltung verleihen. Und der Anspruch, wahrhaft das Erbe des Römischen Reichs anzutreten, könnte durch einen Sieg über jene Macht, die 1453 die letzten Spuren des Oströmischen Reichs in Konstantinopel vernichtet hatte, bestärkt werden. Maximilian wäre dann, im Gegensatz zu seinen Vorgängern, der alleinige »Römische« Kaiser.13

Die Vorbereitungen für solch einen Kreuzzug begannen 1493, kurz nachdem die Türken einen weiteren Überfall auf Kärnten, die Krain und die Steiermark verübt hatten. Ursprünglich verfolgte Maximilian das Ziel, ein Bündnis zwischen allen christlichen Staaten zu schmieden. Allerdings stellte sich bald heraus, dass Venedig sich dem nicht anschließen würde, und Karl VIII. von Frankreich machte alle Einheitshoffnungen zunichte, als er 1494 Neapel angriff. Trotz allem blieb Maximilian beharrlich und hoffte, den 1495 zu Worms stattfindenden Reichstag nutzen zu können, um die Unterstützung der Stände und die Mitwirkung des französischen Königs zu gewinnen.14 Allerdings gelang ihm weder das eine noch das andere. Maximilian musste mithilfe des St.-Georgs-Ordens, dem österreichischen Pendant des Deutschen Ordens und der Johanniter, eine militärische Front im Südosten errichten.

Während der nächsten eineinhalb Jahrzehnte fand sich Maximilian in Sachen Kreuzzug ziemlich kaltgestellt.15 Zwar wurde durch den dreijährigen Waffenstillstand, den Ladislaus II. von Ungarn mit Sultan Bayezid II. schloss, der Druck aus der Sache genommen, aber die Übereinkunft war durch Karl VIII. von Frankreich zustande gekommen, was zeigte, dass auch er willens war, das Christentum zu führen und die Krone des Oströmischen Reichs zu erben. 1497 konnte von österreichischer Seite ein Waffenstillstand mit dem Sultan ausgehandelt werden, was weitere Sicherheit brachte. Maximilian sah sodann mit einiger Zufriedenheit die türkischen Angriffe auf Venedig zwischen 1499 und 1503. Dennoch behielt die Idee eines großen Kreuzzugs für ihn ihre Faszination und tauchte auf seinem letzten Reichstag im Jahr 1518 in Augsburg in noch grandioserer Form auf. Die vereinigten christlichen Heere würden, geführt vom Kaiser des Heiligen Römischen Reichs im Bündnis mit dem Großfürsten von Moskau und dem Schah von Persien, Konstantinopel und Jerusalem retten und danach nicht nur das Osmanische Reich, sondern auch die Barbareskenstaaten in Nordafrika und Ägypten vernichten.16

Es lässt sich indes bezweifeln, dass Maximilians strategische Vision nach 1495 noch besonders wirklichkeitsnah war. Der Wormser Reichstag, weit davon entfernt, das große Bündnis der Christen zu schmieden, besiegelte vielmehr die Gegnerschaft zwischen Maximilian und Frankreich und sorgte für ein Bündnis Österreichs mit Spanien. Die vorangegangenen Jahrzehnte hatten für genügend Sprengstoff gesorgt, um den Konflikt heranreifen zu lassen. Die französischen Pläne für das Burgund waren durchkreuzt und Maximilians eigene Bestrebungen, das burgundische Erbterritorium durch Einverleibung der Bretagne 1492 zu konsolidieren, zunichtegemacht worden, als Karl VIII. den Vertrag zur Heirat mit Maximilians Tochter Margarete brach und stattdessen Maximilians zweite Frau, Anne von Bretagne, »stahl«, mit der Maximilian 1490 einen Ehevertrag geschlossen hatte. Die Ehe wurde nicht vollzogen, weshalb der Papst sie auch ohne Gewissensbisse annullieren konnte. Das Ganze war eine entwürdigende Farce.17 Daraufhin heiratete Maximilian am 16. März 1494 Bianca Maria Sforza, die Nichte des mailändischen Herzogs Ludovico Sforza, woraufhin im August die französische Armee durch Mailand, Florenz und Rom marschierte, um Neapel anzugreifen.

Allerdings gab Maximilian die Hoffnung, sich mit Frankreich einigen zu können, nicht sogleich auf. Auf dem Reichstag zu Worms führte er Verhandlungen mit Herzog René II. von Lothringen um eine Wiedereinsetzung des Hauses Anjou in Neapel. Das wäre für Karl VIII. akzeptabel gewesen und hätte die französische Beteiligung an einem Kreuzzug ermöglicht. In ähnlicher Weise erkundete Maximilian, ob es möglich wäre, den englischen Thronfolgekandidaten Perkin Warbeck zu unterstützen. Sollte nämlich Heinrich VII. stürzen, wäre das anglofranzösische Bündnis am Ende, Karl VIII. isoliert und damit einer Annäherung an das Reich geneigt.18 Schließlich jedoch kristallisierte sich nur ein einziges verlässliches Bündnis heraus, nämlich das von Ferdinand von Aragon angebotene. Dies erfolgte, weil Ferdinand auch weiterhin König von Neapel bleiben wollte. Spektakulärstes Symbol dieses neuen Bündnisses war der doppelte Heiratsvertrag zwischen Maximilians Kindern, dem Erzherzog Philipp von Burgund (»Philipp der Schöne«) und der Erzherzogin Margarete, mit den spanischen Infanten Juana und Juan.

Dieses Bündnis trug Früchte. Philipps Sohn Karl wurde 1515 als dessen Nachfolger spanischer König, wodurch die Geschicke der Habsburger Dynastie eine andere Richtung nahmen. Paradoxerweise waren dadurch auch Maximilians Operationen in Italien zum Scheitern verurteilt. Die grandiose Ausgangsidee wurde ohnehin nicht verwirklicht. Maximilians Plan für einen schnellen Feldzug in Italien, gefolgt von einem Einmarsch in die Provence (beansprucht als traditioneller Teil des alten Königreichs Burgund unter dem Titel Regnum Arelatense), als Vorspiel zu einem vereinten Angriff Österreichs, der Niederlande und Spaniens auf Paris war hoffnungslos überehrgeizig.19

Die zwei Jahrzehnte nach 1495 waren von nahezu unaufhörlichen militärischen Konflikten südlich der Alpen geprägt. Die Bündnisse wechselten mit verwirrender Häufigkeit, weil Karl VIII. und seine Nachfolger, Ludwig XII. und Franz I., bisweilen als Verbündete des deutschen Monarchen, bisweilen als seine Gegner um ein Gleichgewicht der Mächte in Italien kämpften.

Maximilian investierte sehr viel Geld und Energie in diese Kämpfe, gehörte am Ende jedoch nicht zu den Gewinnern. Vielmehr endete sein letzter, 1515 unternommener italienischer Feldzug mit einer vollständigen Demütigung. Seine Truppen wurden von den Franzosen ohne Schwierigkeiten aufgerieben und der Kaiser musste nach Tirol fliehen, verfolgt vom Spott seiner eigenen Söldner, die ihn als »Strohkönig« verhöhnten.20 Kleinere Territorialgewinne südlich von Tirol und ein Anteil an der Grafschaft Görz konnten nicht an der Tatsache rütteln, dass in Italien Frankreich (mit Mailand) und Spanien (mit Neapel und Sizilien) das Gleichgewicht der Mächte gewährleisteten. Das Reich gehörte, wie Maximilians Verbündeter Mailand, zu den Verlierern und der im Dezember 1516 ausgehandelte Vertrag von Brüssel stellte einen, wenn auch nur zeitweiligen Triumph für Frankreich dar.21

Der bemerkenswerte Umfang von Maximilians Aktivitäten an praktisch jeder äußeren Reichsgrenze wirft die Frage auf, welche Rolle er für das deutsche Königtum vorsah. Leopold von Ranke und andere Historiker des 19. Jahrhunderts kritisierten die Haltung des Monarchen gegenüber den deutschen Territorien als ausbeuterisch und bedauerten sein geringes Interesse für die deutschen Belange. Dadurch, meinten sie, sei der Entwicklung der deutschen Nation Schaden zugefügt worden.22

Solche Urteile sind längst überholt. Allerdings gab es offenbar tatsächlich einen erheblichen Unterschied zwischen Maximilians Umgang mit den deutschen Landen und seinem Verhalten gegenüber den Nachbarn. So fällt beispielsweise ins Auge, dass Maximilian zwar in Verhandlungen zur Bildung dynastischer Bündnisse mit den meisten Herrschaftshäusern in Europa (verschiedentlich sogar mit Frankreich) eintrat, jedoch jegliches Bündnis mit einer deutschen Dynastie standhaft verweigerte. Zugleich sorgte er wiederholt dafür, dass es deutschen Fürsten nicht gelang, Bündnisse mit Königshäusern außerhalb des Reichs auszuhandeln. Zweifellos operierte er mit einer Rangordnung, in der die deutschen Adelsfamilien erst an zweiter Stelle kamen.23

Aber dadurch wird nur hervorgehoben, inwieweit sich das Reich von anderen Interessengebieten unterschied. Maximilians erstrangiges Ziel im deutschen Königreich bestand darin, seine herrscherlichen Rechte und Vorrechte zur Geltung zu bringen und das traditionelle politische System des Königreichs funktionsfähig zu machen, indem er die alten Feudalverbindungen in eine praxisnähere Interessengemeinschaft überführte. Aktiver als alle seine Vorgänger suchte er die Vorteile einer von der Peripherie aus betriebenen Herrschaft zu nutzen: als Vermittler und Friedensstifter einzugreifen, ohne in die internen Zwistigkeiten des Reichs hineingezogen zu werden. Da war es von Vorteil, dass er nicht auf familiäre Verbindungen Rücksicht nehmen musste. Seine Unternehmungen in den deutschen Territorien sind von der gleichen periodischen Intensität und Beharrlichkeit geprägt, wie er sie auch in anderen Regionen zeigte. Ebenso waren seine Erfolge hier wie dort durchwachsen. Unwillkürlich jedoch stärkte er die Solidarität im Reich selbst wie auch das Gefühl der Reichsstände, in Abgrenzung zu seiner Politik in den deutschen Territorien und zu den ihm unterstellten Plänen für ihre Rolle im größeren Imperium »nationale« Interessen zu vertreten.

Die offensichtlichste Verbindung zwischen Maximilians Politik im Reich und seinen weiter gespannten Herrschaftsplänen war der ständige Dialog um die Versorgung mit Geld und Truppen.Von dem Erlass, mit dem er am 24. November 1494 seinen ersten Reichstag nach Worms einberief, bis zu seinem letzten Reichstag 1518 in Augsburg waren derlei Forderungen ein Dauerthema. Immer wieder appellierte der Monarch an die Reichsstände, ihn in seinem Vorhaben eines Kreuzzugs gegen die Türken und bei den italienischen Feldzügen, mit denen er seine Krönung und Salbung durch den Papst als Vorspiel zum Türkenkreuzzug betreiben konnte, zu unterstützen.Von Anbeginn wurden die Verhandlungen mit den Ständen in die Diskussionen um eine Reform des Reichs einbezogen. Die Frage, ob der Monarch das Recht habe, Steuern zu erheben und ein Reichsheer auf die Beine zu stellen (und die Debatte darüber, ob das Reich ein stehendes Heer finanzieren sollte), war in der langwierigen Auseinandersetzung über das Gleichgewicht der Kräfte zwischen Herrscher und Reichsständen von äußerster Wichtigkeit.

Maximilians unablässige Versuche, die Stände zur Bereitstellung von Geld und Truppen für die Verteidigung des Reichs zu bewegen, wurden von der Gegenseite ebenso hartnäckig zurückgewiesen. Maximilian warb wiederholt mit dem Hinweis auf die zentrale Bedeutung von »Deutschland« und den Deutschen für sein System um Geld und Waffenhilfe: Da den Deutschen das Reich wegen ihres Kampfesmuts anvertraut worden war, sei es ihre Pflicht, ihn in seinen Feldzügen zu unterstützen.24 Die Stände hatten indes eine weniger weitherzige Auffassung von ihren Pflichten. Zunehmend unterschieden sie zwischen den Interessen des Reichs der »deutschen Nation« und denen des umfassenderen, »universellen« Reichs. So konnten sie einige Berechtigung darin sehen, begrenzte Unterstützung für eine Offensive gegen die Türken zu gewähren, die ja tatsächlich die deutsche »Nation« bedrohten, aber Maximilians Feldzüge gegen die Franzosen in Italien waren allein Sache des Monarchen.25

Doch auch wenn die Stände in begrenztem Maß die Pflicht anerkannten, das Reich gegen die Türken zu verteidigen, blieben sie, was Geld und Soldaten anbelangte, sehr zurückhaltend. Mithin ist die traditionelle Kritik, Maximilian habe seine Großmachtträume auf Kosten deutscher Ressourcen verfolgt, ohne Substanz. Auf dem Reichstag zu Worms 1495 beispielsweise forderte Maximilian vier Millionen Gulden für vier Jahre. Gewährt wurden ihm 250.000, und selbst die wurden nicht voll ausbezahlt.26 Während seiner Regentschaft bezog Maximilian pro Jahr nicht mehr als 50.000 Gulden aus dem Reich – ein unbedeutender Betrag, verglichen mit den jährlich 500.000 bis 1 Million Gulden, die seine österreichischen Territorien abwarfen, oder mit den Geldern, die er vom Onkel seiner Frau, dem Herzog von Mailand, zwischen 1494 und 1500 bekam (ebenfalls 1 Million Gulden).27 Selbst die von den Juden der Erblande und dem Reich entrichtete Jahressteuer war höher als der von den Reichsständen insgesamt gezahlte Betrag. Das wichtigste Finanzinstrument Maximilians war ohnehin das Darlehenssystem, das auf den reichen Mineralvorkommen von Tirol beruhte. Im Endeffekt hingen Maximilians Großreichspläne vom Verkauf von Monopolen an süddeutsche Kaufleute wie den Fuggern in Augsburg und den Darlehen süddeutscher Reichsstädte ab.28

Noch schwieriger war es indes, Soldaten vom Reich zu bekommen. Maximilian wollte im Reich die Heerespolitik fortsetzen, die er erfolgreich im Kampf um die burgundische Nachfolge während der 1480er Jahre betrieben hatte. Dort war es einer Kombination von Rittern und deutschen Söldnern gelungen, sich gegen die Franzosen und ihre Schweizer Söldner zu behaupten.29 Nach 1493 wollte Maximilian, jetzt römisch-deutscher König, diese Kombination weiterentwickeln und zu einem stehenden Heer ausbauen. Doch der einzig erwähnenswerte Erfolg dieser Strategie war die Integration von Rittern und Mitgliedern des höheren Adels in seine Streitkräfte.

Auch seine Unterstützung des Ritterbunds mit Sankt Jörgenschild und des österreichischen St.-Georgs-Ordens führte nicht zum Auf- und Ausbau eines königlichen Heers. Zudem waren diese Organisationen militärisch ineffektiv. Der St.-Georgs-Orden war zum Beispiel für die Errichtung einer militärisch befestigten Grenze in der Steiermark, in Krain und Kärnten völlig ungeeignet, auch wenn Maximilian gelegentlich einzelne Heerführer wie Götz von Berlichingen und Franz von Sickingen für seine Zwecke gewinnen konnte.30 Auch Albrecht der Tapfere von Sachsen, Rudolf von Anhalt und Markgraf Kasimir von Brandenburg gehörten zum höheren Adel, der in mehreren Feldzügen eine wichtige Rolle spielte. Alle diese Heerführer rekrutierte Maximilian aus dem traditionellen feudalen Netzwerk von Gefolgsleuten, nicht als »moderne« Militärprofis.

Problematischer war es, sich die traditionelle Kampfkraft der deutschen Söldner, der Landsknechte, zunutze zu machen. Aus den Landsknechten ließ sich tatsächlich ein Heer formen, das in besonderer Uniformierung sich ausdrückende Disziplin und Organisation besaß. Die Landsknechte standen dabei den Schweizern, die als die besten Kämpfer ihrer Zeit betrachtet wurden, in nichts nach.31 Das war unzweifelhaft das Ergebnis von Maximilians persönlichem Engagement. Bei den italienischen Feldzügen führte er, gekleidet mit dem typischen geschlitzten Wams und der Federkappe, seine Landsknechte höchstselbst in die Schlacht, wie er es zuvor schon im Burgund getan hatte.32 Doch auch die Landsknechte waren und blieben Söldner. Erhielten sie ihren Sold nicht, konnten selbst Heerführer wie Georg von Frundsberg, die normalerweise deren Respekt und unverbrüchliche Loyalität genossen, sie nicht unter Kontrolle halten.33

Haupthindernis sowohl für die militärische Einbeziehung der Ritter und Adligen als auch für den Plan, aus den Landsknechten so etwas wie ein »nationales« Heer zu formen, war der Widerstand der Stände auf dem Reichstag.34 Ab 1495 waren alle Vorstöße Maximilians mehr oder weniger zum Scheitern verurteilt, weil sie in die Auseinandersetzungen um die Verfassungsreform verwickelt wurden. Wiederholt weigerten sich die Stände, die Einführung einer Steuer zwecks Errichtung eines stehenden Söldnerheers für das Reich auch nur in Erwägung zu ziehen, weil sie befürchteten, das könnte die Position des Monarchen stärken. So wurde 1510 Maximilians Antrag, ein stehendes Heer von 50.000 Mann aufzustellen, einfach auf den Reichstag von 1512 verschoben und dort abgelehnt.

Ebenso waren die Stände nur zu minimaler Unterstützung bereit, wenn es um die Erhebung einer einmalig zu entrichtenden Kopfsteuer (oder deren finanzielles Äquivalent) ging. Sie bevorzugten die periodisch zu erhebende Steuer, weil sie damit mehr Freiheit hatten, jegliche Steuerlast auf ihre Untertanen abzuwälzen (die Reichssteuer unterschied nicht zwischen Fürsten und deren Untertanen). Praktisch aber waren sie kaum bereit, für Feldzüge zu zahlen, die nach Ansicht vieler nicht im »nationalen« Interesse lagen. Selbst wenn die Stände, wie 1505 und 1507, Unterstützung versprachen, zahlten sie nicht die ganze Summe und häufig kam das Geld auch viel zu spät, um den Feldzug, für den es gedacht war, noch finanzieren zu können. Ohne die mit tirolischem Silber und Kupfer erworbenen Fugger-Kredite und die in den österreichischen Erblanden ausgehobenen Truppen hätte Maximilian nirgendwo in die Schlacht marschieren können.

Hätte Maximilian vom Reich der »deutschen Nation« nur dessen Geld und Soldaten gewollt, wäre er jämmerlich gescheitert. Die Probleme einer Besteuerung durch den Monarchen und der vom Reich ihm zu gewährenden militärischen Unterstützung wurden erst allmählich während der Regentschaft Karls V. behoben. Aber Maximilian ging es noch um andere Vorrechte als nur diese. Immerhin war er insoweit erfolgreich, als das Reich gegen Ende seiner Regentschaft keine Oligarchie von Fürsten, sondern eine gestärkte Monarchie darstellte.35 Zwar hatte hier der Monarch weniger Macht als die Herrscher in einigen anderen westlichen Königreichen, aber häufig wird übersehen, dass die Institution als solche gestärkt wurde. Angesichts der geschilderten Verweigerungshaltung der Stände hat das Resultat etwas Paradoxes an sich.

Im Hinblick auf den Reichstag war die Schwäche des Monarchen gegenüber den Ständen offensichtlich. In der Reformdebatte nach 1495 wurden praktisch alle Vorschläge und Anträge Maximilians abgelehnt oder bis zur Bedeutungslosigkeit abgeändert.36 Im Jahr 1500 nutzten die Fürsten Maximilians Niederlagen im Schwabenkrieg und in Italien aus, um ihm ein Reichsregiment aufzuzwingen.37 Zwar bekundeten sie ihre Bereitschaft, ihn mit Geld und Truppen zu unterstützen, doch entzogen sie ihm alle Macht im Reich und installierten in Nürnberg ihre eigene Regierung. Nun war Maximilian nicht mehr als eine Art Ehrenvorsitzender und die Fürsten forderten sogar, dass er die vom Reichsregiment erhobenen Steuern und Militärabgaben im Hinblick auf seine Erblande zu leisten habe. Die wahre Macht, so schien es, lag nun bei Berthold von Henneberg, dem Erzbischof von Mainz, und den anderen Kurfürsten.

Aber der Triumph der Stände währte nicht lange. Das Reichsregiment war bei der Erhebung von Steuern und der Aushebung von Truppen nicht erfolgreicher als der Monarch. Zwei weitere Reichsstädte, Basel und Schaffhausen, »verließen« das Reich und schlossen sich den Eidgenossen an. Von keinem königlich-deutschen Heer behindert, konnten die Franzosen ihren Angriff auf Neapel fortsetzen. Im März 1502 war Maximilian in der Lage, das Reichsregiment aufzulösen und den von Henneberg angeführten Fürstenbund bei Gelnhausen zu besiegen.38

Der Grund für Maximilians erneuten Aufstieg zwei Jahre, nachdem er von den Kurfürsten kaltgestellt worden war, lag darin, dass er über das wahre Fundament herrscherlicher Macht im Reich verfügte: über sein Netzwerk von Verbündeten und Gefolgsleuten, die er gerade in den weniger mächtigen Reichsständen besaß. Systematischer als alle seine Vorgänger nutzte Maximilian das Potenzial regionaler Bünde und »Einungen«, um seinen Einfluss auszuweiten und die königliche Herrschaft im Reich zu ermöglichen.

Solche Bünde und Einungen waren eine typische Reaktion auf die Probleme der Gesetzlosigkeit, die ab dem 14. Jahrhundert im Reich grassierte.39 Zumeist wurden sie von regionalen Gruppen zum Zweck der Selbstverteidigung gegen marodierende Ritter gegründet, die die Institution der Fehde missbrauchten, um Räuberei zu betreiben. Auch galt es, sich vor machtlüsternen Fürsten zu schützen, die bestrebt waren, die Gebiete schwächerer Nachbarn zu annektieren. Außerdem schlossen unabhängige Städte gern solche Bünde, um sich selbst und die Handelswege zu schützen.

Ab dem späten 14. Jahrhundert hatten verschiedene Monarchen Versuche unternommen, die Aktivitäten solcher Bünde zu koordinieren oder sogar einen reichsweiten Bund zu gründen, der für die Aufrechterhaltung von Frieden, Stabilität und herrscherlicher Autorität sorgen sollte.40 Alle diese Versuche schlugen fehl, aber bezeichnenderweise bezogen sich Maximilians erste Reformvorschläge anlässlich seiner Wahl zum römisch-deutschen König 1486 auf die Bildung eines Netzwerks regionaler Bünde. Zwar sollten diese, wie Maximilian es damals darstellte, von den Fürsten geleitet werden, was für die kleineren Territorien und Städte wohl den Todesstoß bedeutet hätte, doch wurden Maximilians Vorschläge mit der Begründung zurückgewiesen, dass damit in die Rechte der Territorien eingegriffen werde.41

Die Debatten um die Notwendigkeit friedenserhaltender und regionaler Institutionen mündeten 1495 in die Veröffentlichung des »Ewigen Landfriedens« und die Bildung der Reichskreise von 1500 bis 1512.42 Während diese Maßnahmen erst einige Jahrzehnte später wirklich griffen, sicherte und stärkte Maximilian seine Stellung, indem er mit bereits existierenden Bünden zusammenarbeitete und neue, diesen nachgebildete, einzurichten trachtete.

Das älteste dieser Bündnisse war die Niedere Vereinigung, gegründet 1474 am Oberrhein als Ergebnis einer Übereinkunft zwischen Herzog Sigmund von Tirol, den Bischöfen von Basel und Straßburg, den Freien Städten Basel, Straßburg, Colmar und Schlettstadt sowie Herzog René II. von Lothringen.43 Das Bündnis war in gewisser Weise dem Modell der Oberen Vereinigung der Eidgenossenschaft nachgebildet und verfolgte ursprünglich zusammen mit dieser das Ziel, die Streitkräfte Karls des Kühnen aus dem Sundgau, dem Breisgau und dem Klettgau zu vertreiben. Von dieser Aktion scheint Herzog Sigmund am meisten profitiert zu haben, denn er hatte die fraglichen Gebiete 1469 an Karl verpfändet, und Herzog René wollte sich unbedingt der Bedrohung durch einen mächtigen Burgunderstaat entledigen. Keineswegs unwichtig waren aber auch die Interessen der anderen Beteiligten wie etwa der Städte, die ihren Handel schützen wollten. Gerade sie waren entscheidend für die Erneuerung der Niederen Vereinigung 1493 durch Maximilian.

Nun allerdings wurde sie in die habsburgische Strategie eingebunden, die ganz andere Ziele verfolgte. Die Vereinigung bildete jetzt den westlichen Flügel eines zweiten von Habsburg geführten Bündnisses, nämlich des 1488 gegründeten Schwäbischen Bundes, der ebenfalls einer Vielzahl von miteinander verbundenen Zwecken diente.44 Aus Sicht der Habsburger bestand sein Ziel darin, den Ansprüchen der bayrischen Herzöge auf Tirol zuvorzukommen, dessen Regenten, Erzherzog Sigmund (der vierzig außereheliche Kinder, aber keinen rechtmäßigen Erben besaß), sie beträchtliche Kredite gewährt hatten. Die habsburgische Erbfolge wurde gesichert, indem man den umtriebigen Sigmund (der verschiedentlich mit dem Gedanken gespielt hatte, Tirol gegen Mailand oder Burgund einzutauschen) überredete, zugunsten von Maximilian abzudanken. Aber die bayrische Bedrohung blieb. Das wiederum bewegte viele der geringeren schwäbischen Stände (darunter Städte, Abteien, höhere Adlige und Ritter), sich dem Bund anzuschließen, um Ländereien und Handel vor den Expansionsbestrebungen der Wittelsbacher zu schützen. Ein drittes Motiv, sich dem Bund anzuschließen, war der Schutz vor den Expansionsgelüsten der verschiedenen Schweizer Bünde, besonders des Bunds ob dem See, des Graubündener Freistaates der drei Bünde und anderer. Das alles verband sich zusätzlich mit der Furcht vor Aufruhr in Stadt und Land, weil dort die unteren Schichten dem Beispiel der freien Schweizer, von diesen inspiriert, wenn nicht gar provoziert, folgen wollten. Auf diese Weise agierte der Bund auch als Garant für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung gegen expansionsbestrebte Fürsten wie gegen rebellische Untertanen.

Von Anbeginn zeigte der Bund eine von anderen Institutionen des Reichs kaum jemals erreichte Vitalität und Effektivität. Schon bald gab er sich eine Satzung und sorgte für regelmäßige Kommunikation. Gefördert durch den immensen Reichtum der Städte konnte er nach kurzer Zeit seine militärische Stärke beweisen. 1492 etwa schickte er eine Streitmacht zur Abtei von Kempten, in deren Ländereien es einen Bauernaufstand niederzuschlagen galt. Im selben Jahr mobilisierte er 20.000 Mann, um Albrecht IV. von Bayern dazu zu bringen, allen Ansprüchen auf Tirol zu entsagen und die Reichsstadt Regensburg, die er 1486 annektiert hatte, aufzugeben.45 Gewiss war der Schwabenkrieg (oder Schweizerkrieg) von 1499 für Maximilian und den Bund eine Katastrophe. Die Kluft, die sich während der letzten Jahrzehnte zwischen den Alemannen nördlich und südlich des Rheins aufgetan hatte, war zu groß geworden und die politischen Traditionen der Eidgenossen waren zu sehr verwurzelt und militärisch geschützt, als dass der Bund die Schweizer zurück ins Reich hätte holen können.46 Aber trotz der Niederlage wurde der Bund 1500 erneuert und errang 1504 einen außerordentlichen Sieg über die Bayern.

Dieser bayrische Erbfolgekrieg zeigte, was das Bündnis zwischen dem Monarchen und dem Schwäbischem Bund zu erreichen imstande war.47 Ausgelöst wurde der Konflikt durch den Bruch eines Abkommens zwischen den bayrischen Herzogtümern Landshut und München. 1503 vermachte Herzog Georg (»der Reiche«) von Bayern-Landshut seinen Landbesitz seiner Tochter Elisabeth und seinem Schwiegersohn Pfalzgraf Ruprecht (dem Sohn des pfälzischen Kurfürsten Philipp), nicht aber seinem Vetter, Herzog Albrecht IV. von Bayern-München. Anfänglich spielte Maximilian die Rolle des vermittelnden feudalen Oberherrn und gewährte Albrecht das Recht auf Erbfolge aufgrund seiner rechtlichen Ansprüche. Allerdings eskalierte der Konflikt recht bald, als Ruprecht sich mit dem König von Böhmen (dem Jagiellonen Ladislaus II.) verbündete und in bayrisches Gebiet einmarschierte, um sein Erbteil einzufordern. Wegen dieses Friedensbruchs wurde er sofort geächtet und Maximilian schickte die Streitmacht des Schwäbischen Bundes (diesmal 1.200 Berittene und 12.000 Fußsoldaten) gegen ihn ins Feld.

Der Konflikt wurde ziemlich schnell beigelegt, auch weil Ruprecht am 20. August 1504 plötzlich und unerwartet verstarb. Allerdings war mittlerweile deutlich geworden, dass es um mehr ging als nur um die bayrische Erbfolge. Maximilian ergriff die Gelegenheit, als Gegenleistung für seine Unterstützung von Albrecht die Abtretung an Tirol grenzender bayrischer Gebiete zu verlangen. Wichtiger noch war, dass der Konflikt in Westschwaben und im Elsass als Kampf gegen die Ausbreitung pfälzischen Einflusses nach Süden geführt wurde. Das Resultat der militärischen Auseinandersetzungen im Südwesten und Südosten war für Maximilian und den Schwäbischen Bund ein uneingeschränkter Triumph. Zusätzlich gelangen dem Monarchen noch bedeutende Territorialgewinne im Elsass (die Landvogtei von Hagenau, vormals in pfälzischem Besitz) sowie in Schwaben und Tirol (aus bayrischem Besitz), während andere Mitglieder des Bundes wie Nürnberg und Württemberg ebenfalls die Gelegenheit ergriffen, sich schwäbische Gebiete von Bayern anzueignen.

Dieser bemerkenswerte Triumph Maximilians vier Jahre nach der Schmach von Augsburg zeigt seine Fähigkeit, Truppen und Geld für die Beilegung eines regionalen Konflikts aufzubringen, wie es ihm als Monarch für seine europaweiten Feldzüge nie gelungen war. In letzterer Rolle war er schwach, nicht aber, wenn er als feudaler Oberherr sich seiner Gefolgschaft bediente, um den Frieden aufrechtzuerhalten. Auf diese Weise konnte er im Bündnis mit den schwächeren Ständen den Fürsten auf eine Weise Widerstand leisten, wie es ihm auf den Reichstagen, wenn es um größere politische Ziele ging, nicht gelingen wollte. Tatsächlich war die Dynamik dieses regionalen Systems so stark, dass viele Fürsten sich gezwungen sahen, dem Bund beizutreten. Das galt für Württemberg, das raubgierig gegen seine schwächeren Nachbarn vorging, und, nach 1504/05, sogar für Bayern, dessen Rivalität mit dem Haus Habsburg überhaupt erst zur Gründung des Schwäbischen Bundes geführt hatte.48

Natürlich blieb der Bund selbst von inneren Spannungen und Problemen nicht verschont. Vor allem die Städte beklagten sich zunehmend über die finanziellen Lasten, die sie für einen Herrscher tragen mussten, den sie im Verdacht hatten, sich nur dankbar zu zeigen, wenn es ihm passte. Nach 1511/12 wandten sich Fürsten wie der Herzog von Württemberg, der Herzog Wilhelm IV. von Bayern (der 1508 Herzog Albrecht nachgefolgt war) sowie die Markgrafen von Brandenburg und Baden vom Bund ab, weil des Kaisers offenkundiges Bestreben, den Bund als Instrument seiner Machtinteressen zu benutzen, ihnen Unbehagen bereitete. Doch anders als die Niedere Vereinigung, die sich nach dem Schwabenkrieg 1499 auflöste, und deren Wiederbelebung Maximilian trotz zweier Versuche nicht gelang, blieb der Schwäbische Bund bestehen. Er war so stabil und erfolgreich, dass Maximilian 1518 den in Innsbruck versammelten österreichischen Ständen die Idee unterbreitete, zwischen den österreichischen Erblanden und den Habsburger Vasallen im Süden und Südwesten ein engeres Bündnis zu schmieden.49 Es sollte von Innsbruck aus regiert werden und mit Wien und dem elsässischen Ensisheim zwei Zentren in der Provinz besitzen. Sein Hauptzweck lag offenkundig darin, die finanziellen Probleme, die den Kaiser in seinen letzten Lebensjahren bedrückten, zu mildern. Aber das stand mit den traditionellen Zielen des Schwäbischen Bundes im Einklang: Widerstand gegen fürstlichen Landhunger zu leisten, den Frieden zu bewahren, die kaiserliche Macht geltend zu machen.

Die österreichischen Stände akzeptierten, misstrauisch jedoch und erst nach einigem Zögern, den Vorschlag, der indes nicht mehr in die Tat umgesetzt werden konnte, weil Maximilian im Januar 1519 starb. Die eventuellen Folgen seiner Verwirklichung sind nur schwer zu beurteilen. Vielleicht wäre daraus, wie Thomas Brady meint, eine süddeutsche Monarchie mit Österreich als Vormacht geworden, ähnlich der britischen, von England beherrschten Monarchie.50 Allerdings sollte man nicht allzu viel Gewicht darauf legen, dass Maximilian mit seiner Förderung des Schwäbischen Bundes insgeheim Pläne für einen Staatsaufbau verband, denn damit ließe man seine fortwährenden Versuche, ähnliche Bündnisse unter herrscherlicher Protektion oder Führung in anderen Gebieten herzustellen, außer Acht.51 Maximilian förderte Ritter- und Grafenbünde in Franken sowie der Wetterau und versuchte zweimal, in jeweils anderer Zusammensetzung, eine Art »Friesenbund« zu schaffen, um die Niederlande ans Reich zu binden und den Nordwesten des Reichs in das herrscherliche System einzufügen.52

Aus Sicht der Reichspolitik Maximilians war keiner dieser Bünde erfolgreich. Die friesischen Vereinigungen schlugen fehl, weil führende Fürsten der Region, allen voran die welfischen Herzöge von Braunschweig, nicht gewillt waren, Untertanen des Hauses Habsburg zu werden. Die langlebigeren Bünde in Franken und der Wetterau entwickelten sich zu Institutionen für die formelle Repräsentation der Rechte jener schwächeren Stände, die in ihnen vereinigt waren. Doch wurden sie nicht, wie Maximilian vielleicht hoffte, zu Organen einer monarchischen Regierung, denn sie lagen – und das war der entscheidende Punkt – außerhalb des geografischen Einzugsbereichs, der das Netzwerk der habsburgischen Vasallen umfasste. Damit fehlte ihnen die Garantie, dass ihre Treueschwüre gegenüber dem Monarchen sich für sie auszahlen würden. Ganz im Gegenteil könnte ein solcher Schritt sie gegenüber den Bestrebungen mächtiger, auf Expansion bedachter Nachbarn wie Mainz, Hessen, Brandenburg oder Bayern noch wehrloser machen.

Wie viele andere verfassungsmäßige Entwicklungen nach 1495 blieben auch Versuche, in Süddeutschland oder im Reich insgesamt ein wirksames monarchisches Regierungssystem zu etablieren, Stückwerk und nur zeitweilig erfolgreich. Es ist leichter, darüber zu spekulieren, was aus ihnen unter anderen Umständen hätte werden können, als einen konkreten und dauerhaften Erfolg zu konstatieren. Doch zeugt die Tatsache, dass solche Versuche unternommen wurden und dass in zumindest einer wichtigen Region des Reichs ein monarchisches System funktionierte, von der Wiedererstarkung herrscherlicher Macht unter Maximilian. Das hebt auch die tatsächliche Bedeutung des »Reichs der deutschen Nation« im kaiserlichen Imperium hervor. Dieses Reich war nicht einfach eine Quelle zur Beschaffung von Geld und Soldaten (gerade das eher nicht), sondern ein Bereich, in dem Maximilian aktiv und zielgerichtet nach Herrschaft strebte. Damit erhielt auch seine imperiale Propaganda eine gewisse Glaubwürdigkeit und es wird deutlich, warum sie im deutschen Reich auf allen Ebenen positiven Widerhall fand. Zwar war Maximilians Ehrgeiz immer größer als das, was realiter erreicht wurde, doch zeigte seine Regierungstätigkeit im Reich zumindest mehr Lebenskraft und Stärke als bei allen seinen Vorgängern.

Anmerkungen

1 Wiesflecker, Maximilian, 376–381, 386.

2 Wiesflecker, Maximilian, 11–16; Wiesflecker-Friedhuber, Quellen, 5–27; Angermeier, »Wormser Reichstag 1495«, 1–3.

3 Koller, Friedrich III., 214–217.

4 Wiesflecker-Friedhuber, Quellen, 4–5; Press, »Erblande«, 53–56.

5 Pamlényi, Hungary, 113–118; Wiesflecker, Maximilian, 125–133, 148–149, 187–192; Wiesflecker-Friedhuber, Quellen, 18–20; Kohler, Expansion, 269–274.

6 Rabe, Geschichte, 181–182; Wiesflecker, Maximilian, 61–65, 355–357; Kohler, Expansion, 327–333.

7 Press, »Vorderösterreich«; Quarthal, »Vorderösterreich«.

8 Israel, Duch Republic 14761806, 58–64.

9 Press, »Niederlande«, 322–325; Schmidt, »Integration«, 6–8.

10 Kohler, Expansion, 334–341.

11 Wiesflecker, Maximilian, 365–369.

12 Wiesflecker-Friedhuber, Quellen, 15.

13 Wiesflecker, Maximilian, 370–371.

14 Angermeier, »Wormser Reichstag 1495«, 11–13.

15 Vgl. Kohler, Expansion, 264–268.

16 Wiesflecker, Maximilian, 193–194.

17 Wiesflecker, Maximilian, 73–77.

18 Angermeier, »Wormser Reichstag 1495«, 9.

19 Wiesflecker, Maximilian, 366; Wiesflecker-Friedhuber, Quellen, 9.

20 Wiesflecker-Friedhuber, Quellen, 18.

21 Rabe, Geschichte, 180–181.

22 Wiesflecker, Maximilian, 13, 369, 372.

23 Angermeier, »Wormser Reichstag«, 11–12; Kohler, Politik, passim. Eine Ausnahme war die Heirat seiner Schwester Kunigunde mit Albrecht IV. von Bayern. Allerdings fand diese 1487 und wohl ohne die Zustimmung ihres Vaters, Kaiser Friedrich III., statt; ADB, Bd. I, 234. Da das Bündnis auch den Zweck verfolgte, die bayrischen Ansprüche auf das Tirol zu stärken, verschärften sich dadurch die Konflikte zwischen den Habsburgern und den Wittelsbachern. Ein wichtiges Charakteristikum von Maximilians dynastischer Politik war die Einfädelung von Heiraten zwischen Familien, die, sei es durch feudale Bande, sei es als Hof- und Verwaltungsbeamte, zu seiner Gefolgschaft gehörten.

24 Wiesflecker-Friedhuber, Quellen, 27.

25 Schmidt, »Integration«, 3–4.

26 Wiesflecker, Maximilian, 264.

27 Wiesflecker, Maximilian, 348–349.

28 Wiesflecker, Maximilian, 350; Wiesflecker-Friedhuber, Quellen, 11–12; Brady, Turning Swiss, 80–92.

29 Rabe, Geschichte, 26–28; Kurzmann, Kriegswesen, 63.

30 Kurzmann, Kriegswesen, 34–35.

31 Kurzmann, Kriegswesen, 63–71.

32 Wiesflecker, Maximilian, 338; Baumann, Landsknechte, 36–37.

33 Baumann, Landsknechte, 117.

34 Zum Folgenden vgl. Kurzmann, Kriegswesen, 16–28.

35 Schmidt, »Politische Bedeutung«, 186.

36 Vgl. S. 56–65.

37 Wiesflecker, Maximilian, 259–273; dort, 112–121, auch eine kurze Darstellung des Schwaben- oder Schweizerkriegs. Dazu auch Brady, Turning Swiss, 57–72.

38 Wiesflecker, Maximilian, 271–273.

39 Moraw, »Einungen«, passim.

40 Dotzauer, Reichskreise, 23–31.

41 Schmidt, Grafenverein, 24–25.

42 Dotzauer, Reichskreise, 33–39.

43 Brady, Turning Swiss, 49–52, 55–57.

44 Brady, Turning Swiss, 52–54; Bock, Schwäbischer Bund, 1–24; Carl, »Schwäbischer Bund«, passim; Wiesflecker, Maximilian, 253–255.

45 Bock, Schwäbischer Bund, 71.

46 Brady, Turning Swiss, 58.

47 Brady, Turning Swiss, 72–79.

48 Bock, Schwäbischer Bund, 93–94, 103.

49 Brady, Turning Swiss, 89–92.

50 Brady, Turning Swiss, 114, 224–225.

51 Schmidt, Grafenverein, 25–26.

52 Schmidt, »Integration«, 6–8; Israel, Dutch Republic 14761806, 29–33.

Das Heilige Römische Reich deutscher Nation und seine Territorien

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