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11. Die Ökonomie: Landstriche, Gemeinden und ihre Belastungen
ОглавлениеDen meisten Humanisten schwebte eine Erneuerung der Gesellschaft durch die Ausbreitung der neuen Gelehrsamkeit und Bildung vor. Was vielen ihrer Vorschläge ein Gefühl der Dringlichkeit verlieh, war die Überzeugung, dass die Welt aus den Fugen geraten sei, und die Befürchtung, es würde, wenn Veränderung ausbliebe, zu gewaltsamen Aufständen und gar zum Untergang der Gesellschaft selbst kommen. An den Rändern der humanistischen Bewegung ließen sich radikalere Stimmen vernehmen, die solchen Befürchtungen sehr anschaulich Ausdruck verliehen, auch indem sie sich auf populäre Schriften über Erneuerung, Astrologie und Millenarismus bezogen. So prangerte zum Beispiel um 1500 der als Oberrheinischer Revolutionär bekannte Anonymus die Übel der Gesellschaft seiner Zeit an und zeichnete die Vision eines mächtigen Herrschers, der mit Unterstützung einer geheimen Bruderschaft die Welt von allen Sündern reinigen würde. Dazu gehörten neben der Geistlichkeit alle, die die Armen ausbeuteten, aber auch Maximilian selbst, der seiner Berufung untreu geworden sei. Nach einem einige Jahre währenden Blutbad würde das rächende Heer der Bruderschaft eine gerechte und egalitäre Gesellschaft errichten, in der ein neuer Monarch das Recht des gemeinen Mannes persönlich schützte.1
Inwieweit spiegelten sich in solchen düsteren Visionen tatsächliche wirtschaftliche und soziale Probleme? Über den Revolutionär selbst wissen wir kaum etwas. Er wurde möglicherweise 1438 geboren und lebte wahrscheinlich im Elsass. Auf jeden Fall war er gebildet und hatte eine juristische Ausbildung genossen. Vielleicht war es ein Reichsbeamter namens Mathias Wurm von Geudertheim. Einst hatte er große Hoffnung auf Maximilians Fähigkeit gesetzt, das Reich auf der Grundlage seiner Erblande im Südosten und Südwesten neu zu ordnen. Doch als er das buchli der hundert capiteln mit vierzig statuten schrieb, war er bereits desillusioniert und seine Schrift ist ebenso eine Anklage der zuvor verpassten Gelegenheit wie ein Weckruf und ein Plan für die Zukunft. Allerdings scheint er ohne Einfluss geblieben zu sein. Das buchli wurde nie veröffentlicht und ist nur durch ein einziges Manuskript bekannt geworden.
Aber diese Kombination aus humanistischem Reichsnationalismus und volkstümlichem Millenarismus enthält einen Katalog, der viele Klagen über damalige Missstände versammelt: Beschwerden des gemeinen Mannes über die Ausbeutung durch geistliche und weltliche Großgrundbesitzer, reiche städtische Bankiers und Manufakturbetreiber.2 Allerdings lässt sich dieser Katalog nur schwer auf die Zustände im Reich insgesamt übertragen. Die geografischen und wirtschaftlichen Bedingungen zwischen Alpen und Baltikum, zwischen Rhein und Oder waren zu groß, als dass der Zorn eines einzigen elsässischen Autors eine Beschreibung für die Probleme von »Deutschland« hätte liefern können. Auch ist seine Schrift kein Hinweis auf den Beginn einer umfassenden Krise in der deutschen Gesellschaft um 1500. Die von ihm beschriebenen Probleme waren zweifellos existent und spielten eine wichtige Rolle bei den Aufständen der frühen Jahre der Reformation. Doch waren es spezifische Probleme besonderer Regionen wie etwa der Gebiete im Südwesten, wo der Autor lebte. Überdies sind sie Bestandteil einer komplexeren Gesamtlage, die eher durch Wachstum und Expansion als durch Krise und Verfall gekennzeichnet war.
Im Zeitraum nach 1450 erholte sich die Bevölkerung von der Pest, die Mitte des 14. Jahrhunderts gewütet und, im Zusammenhang mit den Folgekrisen der nächsten Jahrzehnte, die europäische Bevölkerung dezimiert hatte. In den deutschen Gebieten starb zwischen einem Drittel und der Hälfte der Bevölkerung; die Gesamtzahl sank von elf auf etwa sieben Millionen. Zugleich ging auch die Zahl der Siedlungen von 170.000 auf 130.000 zurück, sodass große Flächen Acker- und Weidelands, deren Kultivierung noch aus dem Hochmittelalter datierte, wieder von Wald und Buschwerk bedeckt wurden.3 Die demografische Krise betraf Land und Stadt gleichermaßen, aber mit jeweils unterschiedlichen Auswirkungen. In der Landwirtschaft führten Arbeitskräftemangel und verstärkter Niedergang der Nachfrage zu einer langfristigen Depression und in vielen Gebieten zu Landflucht, was die Krise weiter verschärfte. Für viele Städte dagegen war, nachdem sie die unmittelbaren Auswirkungen der Pest überstanden hatten, das 15. Jahrhundert eine Periode wachsenden Wohlstands, in der expandierende Handwerks- und Manufakturbetriebe hohe Löhne zahlen konnten.
Das neuerliche Bevölkerungswachstum nach 1450, das nach 1470/80 besonders merkbar wurde, markierte den Beginn der Erholung, bei der um 1530 das alte Niveau von 1350 wieder erreicht war. Nach 1530 gab es dann einige Jahrzehnte weiteren kräftigen Wachstums. Schätzungen im Hinblick auf die Höhe der Gesamtbevölkerung im Reich gestalten sich schwierig, weil es an genauen Quellen und der sicheren Bestimmung von Grenzen fehlt. Eine auf den deutschen Grenzen von 1914 beruhende Berechnung kommt auf neun Millionen Einwohner für das Jahr 1500, eine andere, die unterschiedliche Grenzverläufe in Betracht zieht, gibt 11,5 bis 12 Millionen für das selbe Jahr an (plus zwei Millionen jeweils für die Niederlande und Böhmen sowie etwa 600.000 für die Schweiz).4
Unklar ist jedoch, ob die Wachstumsziffern für alle Gebiete gelten. Generell war die Zunahme im Westen, insbesondere im Südwesten, größer als im Osten. So hat man etwa die Wachstumsrate für das Züricher Gebiet im Zeitraum zwischen 1497 und 1529 auf 2,4 Prozent pro Jahr geschätzt.5 Für Oberschwaben und die Bodenseeregion scheint eine Rate von einem bis eineinhalb Prozent pro Jahr von den 1470er Jahren bis zum frühen 16. Jahrhundert normal gewesen zu sein. In Sachsen und den Habsburger Landen war die Rate dagegen mit einem halben bis einem Prozent pro Jahr niedriger. Dagegen kommt eine Untersuchung von drei Distrikten in Ostthüringen für die Jahre von 1496 bis 1542 auf ein jährliches Wachstum von 1,33 Prozent.6
Der Einfluss des Bevölkerungswachstums machte sich am stärksten in jenen Städten bemerkbar, die nach der Pest in der Lage gewesen waren, unbegrenzte Zuwanderung zu ermöglichen. Um 1500 aber waren viele überfüllt und selbst in manchen ländlichen Gebieten wurde Übervölkerung beklagt. Die um 1550 geschriebene Chronik der Grafen von Zimmern (auch Zimmerische Chronik) behauptete, die Bevölkerung habe in Schwaben in letzter Zeit so rasant zugenommen, dass das Land noch nie so intensiv bewirtschaftet worden sei wie jetzt.7 Etwas eher hatte Ulrich von Hutten sogar behauptet, ein Kreuzzug gegen die Türken könnte dem Problem der Übervölkerung durch Dezimierung der vielen jungen Männer in Stadt und Land abhelfen.8
Dieser generelle Aufschwung wurde jedoch nicht von einer einfachen Umkehrung der Trends der letzten einhundert Jahre begleitet. Zur Zeit der Pest waren neue Methoden des Landbaus aufgekommen, die nun die Vorherrschaft errungen hatten.9 Die meisten der verlassenen Siedlungen blieben unbewohnt; wo das Bevölkerungswachstum zur Kultivierung neuer Flächen führte, konzentrierten sich die Menschen in bereits existierenden Dörfern und Städten. Große Gebiete, die, sich selbst überlassen, mit Wald und Buschwerk bestanden waren, wurden in kommerziell genutzte Forste verwandelt.
In anderen Gegenden wurde bisheriges Ackerland nunmehr für die Aufzucht von Vieh oder für die Milchwirtschaft genutzt, um den wachsenden Lebensmittelbedarf der aufstrebenden Städte zu befriedigen. Die steigende Nachfrage nach Wein führte im späteren 15. Jahrhundert zu einer beträchtlichen Ausweitung des Weinanbaus.10 Im Süden und Westen konzentrierten sich die Anbaugebiete im Elsass, im Neckartal, am unteren Main, in der Moselregion und am Mittelrhein zwischen Speyer und Koblenz. Allerdings wurde um 1500 Wein auch in Randgebieten wie Holstein, Mecklenburg, Brandenburg und Ostpreußen, ferner in der Lausitz, in Sachsen und Thüringen angebaut.Vor allem im Norden war damit binnen eines Jahrhunderts Schluss, als dort Bier zum bevorzugten Getränk wurde. Um 1500 aber zeigt sich an der Expansion von Weinanbau, Viehzucht und Milchwirtschaft die zunehmende Marktorientierung landwirtschaftlicher Tätigkeit.
Ebenso wuchs die Industrie und veränderte ihrerseits in vielen Gebieten die Strukturen von Landschaft und Arbeit. Das gilt insbesondere für das Wachstum der Textilindustrie im 15. Jahrhundert.11 Ständig steigende Nachfrage nach einem ebenso ständig vielfältiger werdenden Angebot an Produkten förderte den Anbau von industriell verwertbaren Pflanzen für Stoffe und Färbemittel. Schafzucht brachte Wolle, das bei Weitem wichtigste Rohmaterial für die Textilproduktion. Mit steigender Nachfrage suchten die Kaufleute nach Möglichkeiten, die strengen Regelungen (besonders Einschränkungen der Produktion) und hohen Löhne der monopolistischen Stadtgilden zu umgehen, indem sie die Produktion in die Dörfer verlagerten.
Im sogenannten Verlagssystem setzt ein städtischer Unternehmer sein Kapital ein, um Rohmaterialien einzukaufen, die er von bäuerlichen Heimarbeitern verarbeiten lässt, um die Produkte dann zu vermarkten. Diese Protoindustrialisierung, die bis ins 19. Jahrhundert die bei Weitem wichtigste Form der Industriearbeit bleiben sollte, war von großem Einfluss auf viele Regionen von Schwaben und dem Bodenseegebiet bis hin nach Thüringen, zum Niederrhein und nach Westfalen.
So bereicherte die Textilindustrie die Landwirtschaft um ein weiteres Element. Sie sorgte für Arbeit und Einkommen (was besonders wichtig für jene Regionen war, in denen der Landbesitz durch Erbteilung immer mehr zusammenschmolz). Außerdem stärkte sie die Verbindungen zwischen Stadt und Land, besonders im Süden und Westen in Gebieten, in denen kleine Städte verbreitet waren, die sich in ihrer Bevölkerungszahl – weniger als 1.000, manchmal sogar nur 200 bis 300 – kaum von großen Dörfern unterschieden.12 Dadurch wurden Landgebiete anfällig für »städtische« Handelskrisen: So führte ein zweimaliger Rückgang der Nachfrage nach Barchent, einem groben Gewebe aus Wolle, Seide und Ziegenhaar, in Oberschwaben vor und nach 1500 zu einer Massenarbeitslosigkeit. Zunehmend richtete sich ländliche Unzufriedenheit, besonders unter landlosen Lohnarbeitern, nicht nur gegen die Unterdrückung durch Feudalherren, sondern auch gegen geldgierige Städter.
In mancher Hinsicht spektakulärer war in dieser Zeit jedoch die Ausweitung des Bergbaus, weil hier substanzielle Kapitalinvestitionen und technologische Neuerungen die entscheidenden Triebkräfte waren.13 Die Erfindung des Seigerverfahrens, bei dem Silber von Kupfer durch Hinzufügung von Blei getrennt wurde, revolutionierte die tradierten Verfahren zur Gewinnung von Silber und Kupfer in Mitteldeutschland und Tirol. Zur gleichen Zeit führten Verbesserungen bei der Fördertechnik, insbesondere neue Pumpsysteme, zu einer Ausweitung der Eisenerzgewinnung im Siegerland, im Harz und in Thüringen.
Drei Aspekte des schnell sich entwickelnden Wirtschaftssektors Bergbau sind von besonderer Bedeutung. Zum einen benötigte der Bergbau eine große Anzahl an Arbeitskräften: Im sächsischen Erzgebirge waren in Bergbaustädten wie Schneeberg oder Annaberg jeweils 3.000 bis 4.000 Bergarbeiter beschäftigt, im tirolischen Ort Schwarz waren es sogar 10.000, davon allein 7.000 in den Minen von Falkenstein. Eine derartige Konzentration von Arbeitkräften steigerte nicht nur die Nachfrage nach Nahrungsmitteln und anderen einheimischen Produkten, sondern förderte auch die Entwicklung früher Formen der Arbeiterorganisation, von Streiks und der Drohung mit Aufruhr, um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu erreichen.
Zum Zweiten begünstigte der Bergbau vorwiegend (wenn auch nicht ausschließlich) im städtischen Raum das Entstehen von Zuarbeitungsindustrien. So wurde zum Beispiel die Technik des Seigerverfahrens in Nürnberg nach 1450 entwickelt und stärkte die wirtschaftliche Position der Stadt als führendes Zentrum von Metallverarbeitung und Feinmechanik wie etwa Instrumenten- und Uhrenbau. Zum Dritten schließlich kamen die für die Entwicklung der Industrie benötigten relativ umfangreichen Geldsummen aus Regionen außerhalb der Bergbaugebiete. Hauptinvestoren waren städtische Kaufleute wie die Fugger und die Welser aus Augsburg. Die Fugger finanzierten den Bergbau in Tirol und Ungarn, die Welser den in Thüringen. Ihre Hauptgeschäftspartner waren lokale Fürsten wie Maximilian in Tirol, die Grafen von Mansfeld im Ostharz, die sächsischen Kurfürsten im Erzgebirge und weitere Adlige. Je mehr Geld die Fürsten brauchten, desto mehr waren sie daran interessiert, die Schürfrechte zu nutzen, und ebenso die Wälder und Wasserläufe, die für die Nutzung dieser Rechte und die grundlegenden Erzverarbeitungsprozesse notwendig waren.
Der Bergbau war, wie die Textilindustrie, wiewohl zwangsläufig von den Städten weit entfernt, von ihnen abhängig, denn die Städte sorgten nicht nur für Kapital und Märkte, sondern auch für einen Großteil der Nachfrage nach produzierten Gütern. Natürlich trifft das bei Weitem nicht auf alle Städte zu. Schätzungen über ihre Anzahl im Reich schwanken zwischen 2.000 und 4.000, je nach Festlegung der Größe sowie nach der für die Zählung relevanten Zeiten und Gebiete. Abgesehen davon, lässt sich auf jeden Fall sagen, dass die überwiegende Mehrzahl sehr klein war. Eine Schätzung geht davon aus, dass etwa 67 Prozent aller Städte eher »Ackerbürgerstädten« glichen, deren Bewohner mehrheitlich in der Landwirtschaft tätig oder bestenfalls Gildenangehörige mit landwirtschaftlichem Teilzeitengagement waren.14 Nur fünf Prozent der Städte hatten mehr als 5.000 und höchstens 1,5 Prozent (das entspricht dreißig Städten) mehr als 10.000 Einwohner.
Zwei urbane Netzwerke, innerhalb wie außerhalb des Reichs, waren für den Handel und die Bereitstellung von Kapital zur Entwicklung industrieller Aktivitäten wie Bergbau und Textilproduktion besonders wichtig. Im Norden beherrschte der aus etwa 90 Städten bestehende Bund namens Hanse Nord- und Ostsee, reichte aber auch ins Binnenland bis nach Köln, Braunschweig und Magdeburg.15 Neben dem Ost-West-Handel im Norden hatte die Hanse noch 1500 Anlaufstationen auf der Iberischen Halbinsel und war in Köln und Braunschweig am Textil- und Mineralienhandel beteiligt. Im 15. Jahrhundert hatten die Kaufleute erfolgreich gegen Dänemark, die Niederlande und England Krieg geführt. Nach 1500 jedoch kam es zu einem allmählichen Rückgang der Aktivitäten, weil Maximilian und Karl V. Wirtschaft und Handel in den Niederlanden förderten und auch England ökonomisch erstarkte.
Die Hanse war nicht nur ein Handels- und Militärbündnis, sondern auch ein Geldmarkt. Vorherrschend waren kleine Handelsfirmen mit zwei bis vier Teilhabern, die oft nur kurzfristig oder für besondere Transaktionen ins Leben gerufen wurden. Aber ihre Aktivitäten beruhten auf Investitionen einer Vielzahl unterschiedlicher Individuen, darunter Adlige, Geistliche und sogar Gildenangehörige und Hafenarbeiter. Das bereitgestellte Kapital bildete häufig die Grundlage für Verlags- oder Manufakturproduktionen oder für den Erwerb von Anteilsscheinen (den sogenannten Kuxen) an von Fürsten und Adelsherren gegründeten Bergbauunternehmen.
Noch bedeutender war das zweite Netzwerk von Städten, diesmal in Süddeutschland.16 Führend waren hier Augsburg und Nürnberg, doch umfasste die Verbindung Städte von Straßburg bis hinüber zu den österreichischen Erblanden der Habsburger. Zwar war dieses Netzwerk nicht so formell organisiert wie die Hanse, doch wurden die Interessen der Städte über direkte finanzielle Verbindungen mit den Habsburgern durch den Schwäbischen Bund wie auch durch Teilnahme am Reichstag vertreten, und zwar in einem größeren Ausmaß als die Hanse. Das Einzugsgebiet ihrer Handelsaktivitäten war groß; sie kontrollierten den Nord-Süd-Handel (mit Einschluss der Levante und Venedigs), ferner den Handel mit Ungarn und Polen, und beherrschten den Handel mit Frankreich und der Iberischen Halbinsel. Vor der Entstehung des Nordsee- und Atlantikhandels bildeten die süddeutschen Städte das Handelszentrum Europas und akkumulierten unglaublichen Reichtum.
Die Firmen im Süden operierten auf ganz andere Weise als die im Norden. Sie waren größer und blieben länger bestehen. Die 1380 gegründete Große Ravensburger Handelsgesellschaft hatte auf ihrem Höhepunkt 121 Teilhaber; 1497 waren es immer noch 38. Die Gesellschaft besaß in ihrer Region das Monopol der Textilproduktion und hielt an dem Textilhandel mit Barcelona zwischen 50 und 70 Prozent der Anteile.17 Die süddeutschen Firmen arbeiteten an den Orten ihrer Handelspartner mit fest etablierten Netzwerken von Kommissionären und Agenten. Früher und intensiver als die hanseatischen Kaufleute bedienten sie sich der doppelten Buchführung, ausgeklügelter Inventarverzeichnisse und Handelsbilanzen und arbeiteten mit Wechseln – sie verfügten, anders gesagt, über die neuesten italienischen Erfindungen, nur dass der ökonomische Kontext sehr viel dynamischer war als südlich der Alpen.
Stärker als ihre hanseatischen Kollegen engagierten sich die süddeutschen Kaufleute in der Manufakturproduktion und als Bankiers am Geldmarkt. Zudem verfolgten sie ihre Aktivitäten mit dem Ziel der Errichtung von Monopolen. Größere Firmen mit mehr Teilhabern, größerem Kapital, umfangreicheren Netzwerken von Agenten usw. hatten es leichter, den Wettbewerb auszuhebeln. Ein Beispiel dafür sind die Fugger aus Augsburg. Die Familie entstammte einem Weber, der nebenbei auch noch Bauer war und Mitte des 14. Jahrhunderts vom Lechfeld in die unmittelbar südlich gelegene Stadt zog.18 Um 1500 besaß die Familie praktisch das Monopol an den Silber- und Kupferminen wie auch an der Münze in Tirol. Der Aufstieg Maximilians, zunächst 1490 zum Herzog von Tirol und dann drei Jahre später zum König, legte den Grundstein für ein dauerhaftes Bündnis mit den Habsburgern. Das brachte den Fuggern internationale Vorteile, unter anderem den Zugang zu den ungarischen Bergwerken und dem Handel mit der Iberischen Halbinsel (darunter ein Monopol auf den Pfefferhandel in Portugal und auf Schafherden in Nordspanien). Nichts kennzeichnet die Symbiose von neuem Handelskapital und politischer Macht in Süddeutschland so sehr wie die Tatsache, dass Jakob Fugger, der einzige deutsche Kaufmann, der 1514 zum Reichsgrafen ernannt wurde, 1519 die Wahl Karls V. zum römischen König finanzierte.19
Mochten die Aktivitäten der süddeutschen Handelshäuser auch fortschrittlich und »kapitalistisch« anmuten, so hatten sie doch mit denen der Gilden viel gemeinsam: Sie beruhten auf den Privilegien, die eine politische Autorität, in diesem Fall der Monarch, gewährte.20 Andererseits machten Umfang und Erfolg ihrer Geschäfte sie zu Gegenständen von Beschwerden. Wer weniger erfolgreich war, wer sich am unteren Ende der sozialen Skala als Opfer des Wandels fühlte, wer aus dem niedrigen Adel durch die Folgen der langen Krise der Landwirtschaft gravierende Einkommenseinbußen erlitt, war schnell bereit, die Augsburger Handelsfürsten als Problemverursacher anzuklagen. Diese Verlierer bildeten das Rückgrat der antimonopolistischen Protestbewegung, die in den 1490er Jahren entstand und ihren Höhepunkt im Jahrzehnt nach 1512 erreichte.21
Außer einem Verbotsdekret gegen Monopole, das 1512 auf dem Reichstag zu Trier erlassen wurde, erreichte die Bewegung keine konkreten Ergebnisse. Weder Maximilian noch Karl V. konnten es sich leisten, diejenigen zu bestrafen, die sie finanziell am Leben hielten. Dennoch erlangte die Bewegung, vielleicht auch, weil sie trotz aller Enttäuschungen nicht aufgab, größere Bedeutung. In einem losen Bündnis vereinte sie unter anderen die kleineren schwäbischen Reichsstädte, die Lübecker Kaufleute (die nicht begeistert waren, weil die Fugger ihre Hände nach dem Ostseehandel ausstreckten), Adlige, Geistliche, Gildenangehörige und Bauern. Es war die erste wirklich nationale und reichsweite Bewegung vor der Reformation.
Die Kampagne gegen die Monopole verknüpfte die Sorgen von Unternehmern mit den Problemen einer Kirchenreform, denn Fugger war nicht nur Bankier Maximilians, sondern auch des Papstes und geistlicher Würdenträger wie des Kurfürsten von Mainz. Überdies stand der Geldverleih, mit dem er diese verschiedenen Herren erfreute, theologisch in zweifelhaftem Ruf. Die kirchliche Lehre verurteilte Zinswucher, ungerechte Gewinne und Wechsel. Mochte Fugger auch Theologen wie Johannes Eck fördern, die einen Zinssatz von bis zu fünf Prozent für erlaubt hielten, und die Nutznießer seiner Augsburger Armensiedlung, der »Fuggerei«, verpflichten, für sein Seelenheil zu beten,22 so konnte das doch nicht den Furor seiner vielen Kritiker – unter ihnen Martin Luther – besänftigen, die in ihm das Sinnbild für viele Missstände im Reich sahen.
So führte das Wirtschaftswachstum in den deutschen Landen nach 1450 strukturelle Veränderungen in verschiedenen Sektoren mit sich, bei denen es Gewinner wie Verlierer gab. Die Probleme werden deutlicher vor dem Hintergrund der sozialen und rechtlichen Rahmenbedingungen in den unterschiedlichen Regionen. Klagen über die Monopole gab es im ganzen Reich, aber Unruhen nur in bestimmten Regionen und bei bestimmten Zusammenhängen. Bauernunruhen zum Beispiel waren am häufigsten im Süden und Südwesten, in Franken und Thüringen, während städtische Unruhen nicht regionalspezifisch auftraten. Infolgedessen erfordern ländliche wie auch urbane Strukturen eine nähere Untersuchung, um entscheidende Elemente der sozialökonomischen Kontexte der Krise der 1520er Jahre darzustellen und allgemeinere Grundstrukturen der deutschen Gesellschaft zu erhellen.
Wohl an die 85 Prozent der Bevölkerung des Reichs lebten auf dem Land, wobei jedoch die Bedingungen, vor allem, was die rechtliche Lage anging, höchst unterschiedlich waren. Gänzlich freie Bauern gab es so gut wie gar nicht, außer in isolierten Gebieten wie Dithmarschen oder der Leutkircher Heide in Schwaben sowie in einigen Teilen Westfalens, Niedersachsens und Bayerns, wo sie jedoch selten mehr als vier bis acht Prozent der Bauernschaft ausmachten.
Die überwiegende Mehrheit lebte also in verschiedenen Formen und Graden der Knechtschaft, wobei die Lebensbedingungen weder uniform noch statisch waren.23 Einerseits begann im 13. Jahrhundert das System der mittelalterlichen Gutsherrschaft sich langsam aufzulösen, was zu einer Vielfalt regionaler und lokaler Formen, begleitet von ebenso vielfältiger rechtlicher Terminologie, führte. Ein System direkter Gutsverwaltung durch adlige oder geistliche Gutsherren wich einem System, in dem bäuerliche Pächter den früheren Gutsherren rechtlich untergeordnet waren. Wie weit dieser Prozess ging, hing davon ab, in welchem Maß der Adel unabhängig blieb oder in die entstehenden territorialen Fürstentümer integriert (»mediatisiert«) wurde. Andererseits wurden die das mittelalterliche System ersetzenden Strukturen auch durch langfristige Trends in der landwirtschaftlichen Produktion wie auch durch die demografische Krise und die Depression im 15. Jahrhundert stark beeinflusst. Eines der wichtigsten Merkmale dieser Strukturen war die Herausbildung neuer Formen der Kontrolle, die der Adel über das Land und seine Bevölkerung ausübte.
Gewöhnlich unterscheidet man im Reich zwei Gebiete mit jeweils ganz anderen ländlichen Verhältnissen. In den Ländereien östlich der Elbe und nördlich der Saale bildete sich ein System von Adelsgütern heraus, das man als »Gutsherrschaft« bezeichnet. Dort wurde das Land direkt vom Adel verwaltet und die Bauern waren an das Land in einer Art Leibeigenschaft gebunden. Ein ähnliches System, jedoch ohne Leibeigenschaft und die unangenehmeren Attribute der ostelbischen Gutsherrschaft, entwickelte sich auch in Holstein und in Teilen von Bayern.24 In den meisten Teilen des westlichen und südlichen Reichs dagegen entstand ein System der feudalen »Grundherrschaft«. Dort beanspruchte der Adel Abgaben und übte Rechtsprechung, während die Bauernschaft in unterschiedlichem Maß eine Sicherheit des Besitzanspruchs auf ihr Land genoss.
Das System der Gutsherrschaft entstand im 14. Jahrhundert und erlangte seine endgültige Form erst im 18. Jahrhundert.25 Seine wesentlichen Elemente waren jedoch schon gegen Ende des Mittelalters in Kraft, wobei verschiedene Faktoren zusammenwirkten. Anfänglich entscheidend war, dass es dem Adel gelang, in den kurz zuvor kolonisierten Gebieten nicht nur ökonomische Rechte, sondern auch die Gerichtsbarkeit für sich zu beanspruchen. Das verschaffte ihnen eine umfassendere Kontrolle über ihre Besitzungen und relative Eigenständigkeit gegenüber der höheren Rechtsprechung aufseiten des Territorialfürsten. In den Anfängen der Kolonisierung, im 12. und 13. Jahrhundert, gab es die Koexistenz relativ kleiner Adelsgüter mit den Pachtgütern unabhängiger Bauern. In den folgenden zwei Jahrhunderten wurde die Landbevölkerung zahlenmäßig dezimiert, was die Vergrößerung der Adelsgüter durch die Aneignung verlassenen Lands ermöglichte. Zugleich unternahm der Adel Anstrengungen, die Flucht der Landbevölkerung in die Städte einzudämmen, indem er die Bewegungsfreiheit der Bauern einengte.
Im Spätmittelalter scheint das Hauptmotiv für diese Entwicklungen die Erweiterung des Herrschaftsbereichs, der Kontrolle über Land und Leute, also die Wahrnehmung klassischer Adelsvorrechte, gewesen zu sein. Als sich aber die Preise für landwirtschaftliche Produkte, insbesondere für Getreide, im 14. Jahrhundert erholten, um dann im 15. Jahrhundert konstant anzusteigen, rückten auch ökonomische Faktoren in den Vordergrund. Die großen Güter im Norden und Osten waren für den intensiven Getreideanbau bestens geeignet und die Ernte ließ sich dann auf den städtischen Märkten verkaufen. In vielen Gebieten konnten bis zu drei Viertel der Ernte vermarktet werden, was der Gutsverwaltung gerade im Hinblick auf den Einsatz von Arbeitskräften eine neue wirtschaftliche Grundlage verschaffte.26 Darin lag der Grund für das »Bauernlegen« und die Transformation abhängiger Bauern in Leibeigene im 16. und 17. Jahrhundert, ein Prozess, der sich bis ins 18. Jahrhundert fortsetzte.
Entwicklung und Intensivierung der Gutsherrschaft bis hin zu ihrer endgültigen Form waren regional unterschiedlich. Ihre klassische und im Endeffekt brutalste Gestalt zeigte sie wohl in Holstein, Mecklenburg und Pommern, etwas milder in Teilen von Brandenburg und in den preußischen Landen der Ordensritter. In Schlesien, der Lausitz und Böhmen entwickelte sich die Gutsherrschaft im Großen und Ganzen erst nach 1550, wobei eine beträchtliche Anzahl von Bauern außerhalb des Systems blieb. In Sachsen behinderten anders geartete politische Bedingungen die Entwicklung; wo es jedoch dazu kam, verstärkte es die grundlegenden Bündnis- und Sozialstrukturen, die zu seiner Entstehung geführt hatten. Diese Gebiete waren im Griff eines mächtigen Bündnisses aus Fürsten und Adligen, bei dem die Bauernschaft der alleinigen Autorität eines Oberherrn unterworfen war.
Die deutschen Formen von Leibeigenschaft waren nicht mit denen vergleichbar, die sich zu etwa der gleichen Zeit in Russland und Polen herausbildeten. Das deutsche System war durch die sozialen Verpflichtungen adlig-patriarchaler Traditionen begrenzt und wurde auch dadurch gemildert, dass die Fürsten in den größeren Territorien häufig für »Bauernschutz« sorgten, das heißt Maßnahmen ergriffen, um die Bauern vor exzessiver Ausbeutung zu bewahren.27 Dennoch hatte dieses System erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung der dörflichen Gemeinschaft.
Trotz der harten Bedingungen und der Brutalität, mit der die Bauernschaft oft behandelt wurde, blieben diese Regionen relativ frei von Unruhen und wurden auch vom Bauernkrieg nicht berührt. Es entwickelten sich keine starken kommunalen Organisationen, weil die Bedingungen der Kolonialbesiedlung sie nicht erforderlich machten. Die ursprünglichen bäuerlichen Siedler waren nicht in das komplizierte System der Dreifelderwirtschaft eingebunden, das gemeinschaftliche Kooperation und damit die Begrenzung der Autonomie in den älteren Siedlungsformen des Westens bedeutete. Als das System der Gutsherrschaft sich ausweitete, wurden die Dörfer dem subsumiert. Das Dorf war der verlängerte Arm des adligen Gutsbesitzers, der Dorfälteste mehr oder weniger sein von ihm ernannter Gefolgsmann. So konnte sich in der dörflichen Gemeinschaft kein kollektiver Widerstand gegen die adlige Oberherrschaft entwickeln.
Westlich der Elbe herrschten ganz andere Bedingungen. In diesen Gebieten war das mittelalterliche System dem der Grundherrschaft gewichen. Überdies war es den Bauern während der Periode des Bevölkerungsrückgangs und der Preisstagnation gelungen, ihre Lage zu verbessern. Die alten Rechte wurden in ein System der Grundrenten und Feudalabgaben überführt, von denen viele in Form von Geld zu entrichten waren. Vor allem konnten die Bauern die Besitzansprüche auf ihr Land sicherer machen und sogar Erbrechte erwerben. Allerdings wurde das Land ihnen nicht als Eigentum überschrieben.
In diesen westlichen Gebieten gab es nicht weniger als fünf verschiedene bäuerliche Pachtsysteme, von denen jedes wiederum in zahlreiche regionale und lokale Varianten zerfiel.28 Sinnvoller ist jedoch die Unterteilung in zwei unterschiedliche Gebietstypen. Der eine Typus fand sich in einem breiten Streifen, der von Holstein bis nach Bayern reichte. Dort herrschten relativ große bäuerliche Pachtbesitztümer vor, deren Umfang durch eine Tradition des unteilbaren Erbes bewahrt wurde. Dadurch entstand jedoch eine recht große Unterschicht landloser Arbeiter. Den anderen Typus findet man vor allem im Südwesten, aber auch in Teilen von Unterfranken. Dort waren sehr viel kleinere bäuerliche Besitztümer die Norm, weil der Besitz bei Vererbung aufgeteilt wurde.
In gewissem Grad spiegelte sich im Unterschied zwischen teilbarem und unteilbarem Erbe das Ausmaß, in dem es der Bauernschaft gelungen war, der Kontrolle ihrer Oberherren zu entkommen: Für den Adel war unteilbares Erbe eine bessere Garantie für regelmäßige Pachtzahlungen, während die Bauernschaft natürlich das Prinzip der Güteraufteilung bevorzugte.29 In den westlichen Regionen jedoch führten die im 15. Jahrhundert unternommenen Versuche des Adels, feudale Rechte wieder an sich zu reißen oder auszuweiten oder gar Formen der Leibeigenschaft einzuführen, zu erheblicher Unruhe, am stärksten in jenen Gebieten, die später zu Zentren des Bauernkriegs wurden: das Elsass und der Oberrhein, der Mittelrhein, Oberschwaben und Württemberg, Franken, Thüringen und die Alpengebiete bis nach Tirol. Andere Gebiete wie etwa der Niederrhein, Westfalen, der Nordwesten oder Bayern blieben davon unberührt, obwohl die Problemlage in einem gewissen Grad vergleichbar war.
Die Ursachen für Unzufriedenheit und Unruhen sind vielfältig und selbst für die Regionen, die 1525 am schlimmsten von der Gewalt betroffen waren, gibt es keinen gemeinsamen Nenner. In Gebieten teilbaren Erbes führte das nach 1470 wieder anziehende Bevölkerungswachstum zu einer größeren Anzahl an Kleinpächtern und landlosen Arbeitskräften in der Agrarwirtschaft. Zur gleichen Zeit waren viele Kleinpächter nicht mehr in der Lage, von Marktbedingungen zu profitieren, die Bauern mit großen Höfen entgegenkamen, was in vielen Dörfern zu einer neuen Kluft zwischen Arm und Reich führte. Doch selbst in Gebieten wie dem Elsass, wo die Anzahl der Pachtbetriebe nicht deutlich zurückging, war die Produktion etwa von Wein oder Lebensmitteln für den Markt nur zeitweise profitabel.
Um 1500 kam es zu einem Wechsel von Rekord- und Missernten, wodurch die Bauern sich bei reichen Stadtbewohnern, geistlichen Institutionen und Juden verschuldeten – alle diese Gruppen wurden damals Ziele von Bauernunruhen.30 Ähnlich erging es Gebieten, die sich auf den Anbau von Pflanzen für die Textilindustrie wie Flachs und Krapp (Oberrhein, Schwaben, Bodenseeregion) oder Färberwaid (Thüringen) spezialisiert hatten. Sie litten unter wechselndem Ernteglück ebenso wie unter dem Auf und Ab am Textilmarkt, wodurch wiederum die wachsende Anzahl etwa von nebenberuflichen Webern betroffen war.31 Natürlich war von solchen Krisen auch die landlose Unterschicht betroffen, die in manchen Teilen von Württemberg, Schwaben, Franken, Thüringen und Sachsen bis zu 50 Prozent der Landbevölkerung insgesamt ausmachte.32
Besondere Schwierigkeiten entstanden in Regionen, in denen die politische Herrschaft fragmentiert oder der Prozess der Territorialisierung unvollendet geblieben war. Das gilt zum Beispiel für den Südwesten des Reichs und für Franken. Dort blieb der Adel unabhängig, dort gab es einen wahren Flickenteppich an unterschiedlichen Rechtsordnungen. Ein Bauer konnte demzufolge Untertan einer Vielzahl von Oberherren sein: Ein Fürst forderte von ihm Steuern, ein Adliger als feudaler Grundbesitzer Abgaben, ein Kloster nutzte seine Dienste als Leibeigener oder Zinsbauer, während ein Graf die Gerichtsbarkeit innehatte.33 Zwar stellten die Dörfer in Niederösterreich, in denen nicht weniger als 27 feudale Oberherren Rechte hatten, ein Extrem dar, doch waren vielfältige und einander überschneidende Rechtsprechungen weit verbreitet, von denen jede für die Bauernschaft ihre eigenen Auswirkungen hatte.34 Im späten 15. Jahrhundert erhöhten viele dieser Herren ihren Forderungen oder suchten ihre Rechte auf neue Art und Weise geltend zu machen, was den Druck auf die Bauernschaft stetig wachsen ließ.
Die spürbarste Last bildeten die Abgaben, zu denen der Bauer verpflichtet war. Ebenso wie der Pachtzins variierte auch die Form, in der sie zu entrichten waren (Geld oder Naturalien), von Oberherrn zu Oberherrn, manchmal auch von Pachtbetrieb zu Pachtbetrieb. Der Zins konnte sich auf zwischen 20 und 40 Prozent des Bruttoertrags eines Bauernhofs belaufen. Außerdem waren noch die Kirchenzehnten zu entrichten, sowohl der Großzehnt auf Getreide als auch der Kleinzehnt auf Gemüse. In den meisten Gebieten überlebte auch der Frondienst, der in vielen Gebieten des Südwestens auf ein paar Tage im Jahr begrenzt war. In Mittel- und Ostdeutschland jedoch und in Niederösterreich, wo Adlige und Klöster ihre eigenen Güter verwalteten, stießen Versuche, den Frondienst auf zwei bis drei Tage pro Woche heraufzusetzen, auf scharfe Ablehnung.35 Zusätzliche Abgaben wurden fällig, wenn ein Bauer oder ein Gutsherr starb.
In vielen Gebieten von Thüringen, Franken und Schwaben wurde diese »Erbschaftssteuer« im 15. Jahrhundert eingeführt. Normalerweise betrug sie zwischen fünf und 15 Prozent vom Wert eines Pachtbesitzes. Allerdings war in einigen schwäbischen Territorien die sogenannte Todfallabgabe oder der sogenannte Handlohn (laudemium) auf 50 Prozent festgesetzt.36 Selbst die ältere Praxis, das beste Stück Vieh für die Übergabe eines Pachtbesitzes zu verlangen (das sogenannte Besthaupt), war für Kleinbauern, die vielleicht nur zwei bis drei Stück Vieh besaßen, besonders hart.37 In manchen Regionen des Südwestens kürzten Gutsbesitzer die Pachtzeit, um den Gewinn aus Übertragungsabgaben zu erhöhen, oder sie hielten heimfälligen Pachtbesitz zurück, um ihn ihren direkt verwalteten Gütern einzuverleiben.
Welche Bauern am härtesten von Abgaben und Steuern betroffen waren, ist nicht leicht festzustellen. Die Bedingungen waren von Ort zu Ort verschieden: Die Forderungen, die hier größere Pachtbetriebe hart trafen, konnten dort mittlere und kleinere Höfe belasten.38 Was die kleineren Pachthöfe und die landlosen Arbeiter wohl mehr als andere betroffen hat, war das Bestreben der Gutsbesitzer, die kommunalen Rechtsansprüche auf die Nutzung von Wäldern, Seen und Flüssen einzuschränken. Holz schlagen und sammeln, Jagd und gemeinsame Weidenutzung wurden in dem Maß reduziert, in dem die industrielle Nachfrage nach Holz eine systematischere, kommerziell orientierte Forstverwaltung erforderlich machte. Auch verwehrten viele Gutsbesitzer den Bauern den Zutritt zu den Wäldern, um ihr eigenes Jagdrevier zu schützen, und manche verpflichteten ihre Bauern zum Arbeitsdienst als Treiber, was besonders bitter war, weil die Treibjagd normalerweise zur Erntezeit stattfand und so auch noch einen Teil der Feldfrüchte vernichtete, die der Bauer nicht ernten konnte. Gleichermaßen schränkten adlige und geistliche Gutsbesitzer den Zugang zu Flüssen und Seen ein und weiteten die systematische Anlage von Fischteichen aus, um von dem überaus gewinnträchtigen Fischhandel zu profitieren. Die Nachfrage nach Fisch wurde nämlich konstant hoch gehalten, weil die Kirche fast ein Drittel des Jahres als Fastenzeit vorgesehen hatte, in der Fleischverzehr verboten war.39 In Thüringen und Franken führte der Bedarf der Textilindustrie zur Umwandlung von großen Landflächen in Schafweiden. Fürsten, Adlige und Geistlichkeit brauchten nicht nur das Land, sondern auch die Arbeitsdienste der Bauern. Dadurch verfiel bäuerliches Land und die Nutzung von Allmenden wurde eingeschränkt.40
Im späten 15. Jahrhundert war das System der Grundherrschaft durch Intensivierung und Kommerzialisierung geprägt. Triebkraft war zum einen die erneuerte Gewinnträchtigkeit der Landwirtschaft aufgrund des Bevölkerungswachstums und zum anderen die Ausdifferenzierung von Industrie- und Handwerkszweigen. In manchen Fällen war es notwendig, die Bauern daran zu hindern, das Land zu verlassen, um bessere Arbeitsmöglichkeiten in der florierenden städtischen Textilindustrie zu suchen. Hinzu kamen die erhöhten Kosten für die Lebensweise des Adels, die Verteuerung von Turnieren und ähnlichen Aktivitäten.
Vielfach waren diese Faktoren noch mit politischen Ambitionen verknüpft, mit der Absicht, Land und Leute unter Kontrolle zu bringen, um Herrschaftsrechte ausüben zu können, was mehr bedeutete als nur die einfache Kontrolle des Adligen über seine Güter.41 So gab es in manchen Regionen den Versuch, im Rahmen der Grundherrschaft eine Form der Leibeigenschaft wieder einzuführen.Viele Klosterbetriebe im ostschwäbischen Allgäu sowie einige weitere Adelsgüter im Südwesten verfolgten im 15. Jahrhundert in systematischer und brutal rücksichtsloser Weise eine Politik der Rückführung von Bauern in die Leibeigenschaft. Die Äbte von Kempten, ihrem Rang nach Fürsten, waren berüchtigt dafür, dass sie Bewegungsfreiheit ebenso verboten wie Heiraten außerhalb der Gemeinschaft der Leibeigenen. Zudem setzten sie das Prinzip des sogenannten Allgäuischen Gebrauchs durch, wonach der Leibherr berechtigt war, Abgaben auch unabhängig vom Wohnort des Leibeigenen zu erheben, oder das Prinzip der »ärgeren Hand«, wonach der Stand der Kinder von dem schlechter gestellten Elternteil bestimmt wurde und nicht, wie sonst gewöhnlich, nur von dem Stand der Mutter. Ähnliche Beschränkungen gab es in der Bodenseeregion und in bestimmten Schwarzwaldgebieten sowie im Elsass.
Hauptziel solcher Initiativen war es, aus verstreuten Gütern ein in sich geschlossenes Territorium zu machen. Das führte zu regionalen Übereinkünften zwischen Gutsbesitzern zur Rückgabe entlaufener Leibeigener ebenso wie zum formellen Austausch von Land und Leuten. Einige dieser Verträge bezogen sich auf mehr als eintausend Bauern gleichzeitig.42 Doch war selbst das noch nicht mit jenen Formen der Leibeigenschaft vergleichbar, die sich östlich der Elbe entwickelten, denn dort waren die Bauern an das Adelsgut als solches gebunden.
Die südwestdeutsche Form der Leibeigenschaft war ihrem Wesen nach eine Übertragung der in Feudalabgaben und Arbeitsdiensten enthaltenen Verpflichtungen in rechtliche Form, vorgenommen von Oberherren, deren Territorien zu klein waren, um politisch-rechtliche Herrschaft auf konventionellere Weise ausüben zu können. Durch den Verkauf oder Austausch von Ländereien schufen Klöster wie Kempten, Weingarten oder Schussenried, einige Reichsritter wie Reichsgrafen und sogar einige Reichsstädte in sich abgeschlossene Areale, in denen alle Leibeigenen einer einzigen Autorität unterstellt waren. Im Zuge dieser Arrondierung der kleineren Territorien mussten die Bauern nicht nur schwerere Lasten tragen, sondern verloren auch als Individuen wie als Mitglieder von Gemeinschaften die relative Freiheit lokalen Handelns, die mit der Verbreitung konkurrierender Rechtsprechungen einhergegangen war. Sie konnten jetzt nicht mehr eine Autorität gegen die andere ausspielen oder die Gunst eines Oberherrn ausnutzen, um der Härte eines anderen zu entgehen.43
Auch außerhalb dieser Gebiete einer »versteinerten Leibeigenschaft« waren die Bauern im System der Grundherrschaft einer Vielzahl zusätzlicher Belastungen ausgeliefert. In den fragmentierten Gebieten des mittleren und südwestlichen Reichs hatten regionale Instabilität und Gesetzlosigkeit oftmals verheerende Folgen. In der westlich von Heidelberg gelegenen Grafschaft Leiningen gab es zwischen 1452 und 1524 nicht weniger als 28 Kriege und Fehden, in deren Verlauf an die 500 Dörfer zerstört wurden. Der Erbfolgekrieg zwischen Bayern und der Pfalz 1504–1505 verwüstete Hunderte von dörflichen Gemeinschaften.44
Kam es anstelle solcher Gesetzlosigkeit zu Konsolidierung und territorialer Kontrolle durch einen regierenden Fürsten, bekam die Bauernschaft die neue Herrschaft in ganz materieller Hinsicht zu spüren. Der Fürst benötigte Geld für Gerichtshöfe und Verwaltungen, für das hauptsächlich die Bauern in Form direkter und indirekter Steuern aufkommen mussten.45 Aber auch andere finanzielle Lasten der Herrschenden wurden schnell an ihre Untertanen weitergereicht, so etwa die »Weihsteuer« für die Wahl des Bischofs oder Fürstabts und die neuen, nach 1495 erhobenen Reichssteuern. All das waren neue Belastungen für die Bauernschaft, die ihnen von einer ebenso aufdringlichen wie beharrlichen Verwaltungsmaschinerie aufgebürdet wurden.46 Anfänglich mag die Bürokratie in den deutschen Territorien nach heutigen Maßstäben ineffizient gewesen sein, doch war sie für die Bauern, die dergleichen nicht kannten, ein wahrer Leviathan.
Was sich im Bereich der Grundherrschaft nach der Auflösung des mittelalterlichen Systems allgemein entwickelte, war die bäuerliche Gemeinde.47 Sie entstand aus der Komplexität der Dreifelderwirtschaft, die im Westen des Reichs vorherrschte, und aus der Notwendigkeit, über die Nutzung und den Umgang mit Allmenden allgemein Einigkeit zu erzielen. Aber die Entstehung der Gemeinde war auch ein Anzeichen für den Grad an relativer Freiheit, den die Bauernschaft hier im Vergleich mit den Zuständen östlich der Elbe erreicht hatte. Im Westen übernahm die Dorfversammlung organisatorische, repräsentative und in vielen Fällen sogar begrenzte Rechtsprechungsaufgaben. Dennoch wurde der Bürgermeister (der Schultheiß, Amman oder Vogt im Süden, der Schulze oder Bauermeister im Norden und Osten, der Heimbürger in den mittleren Regionen) im allgemeinen durch den lokalen Oberherrn bestimmt oder seine Wahl war von der Zustimmung durch den Oberherrn abhängig.48
Die Dorfgemeinschaft war jedoch kein homogenes Gebilde, das die Solidarität der Bauernschaft gegenüber den Herren verkörperte.49 Zum einen war die Gemeinschaft selbst geteilt: Es gab die wohlhabenden, die mittleren und die landlosen Bauern. Und da der Bürgermeister vom Oberherrn ernannt wurde, war es klar, dass es zwischen Bauern und Feudalherren zu einer täglich neu zu bestimmenden Zusammenarbeit kommen musste. Schließlich waren auch die Herren auf ein gutes Verhältnis zu ihren Untertanen angewiesen, wenn sie als Naturalienzahlung gute Ware erhalten wollten. Die Bauern wiederum hatten ein Interesse an günstigen Konditionen für die Nutzung der herrschaftlichen Mühle, an der Instandhaltung der Wege oder der regelgerechten Bewirtschaftung der Felder durch entsprechende Verfügungen des herrschaftlichen Dorfgerichts.
Kam es zu Streitigkeiten, hatten beide Seiten ein Interesse daran, sie so schnell wie möglich beizulegen. Erwies sich das als unmöglich, waren die Bauern keineswegs hilflos. Passiver Widerstand war die Form des Handelns, die vielleicht am meisten Schaden anrichtete, vor allem, weil sie die Autorität und die feudalen Rechte des Gutsherrn untergrub, was langfristige Folgen für ihn hatte.50 Auch Rebellion war möglich – eine Option, derer sich die Bauern im 15. Jahrhundert mit zunehmender Häufigkeit bedienten.
Territoriale Zerrissenheit und die extreme Vielfalt lokaler Bedingungen verhinderten den Ausbruch einer größeren »nationalen« Rebellion, wie sie bei den Franzosen 1358 mit ihrer Jacquerie und bei den englischen Bauern mit ihrer Revolte von 1381 zu verzeichnen war. Jedoch kam es in einigen Gebieten des Reichs zu lokalen oder regionalen Aufständen von größerer Intensität als irgendwo anders in Westeuropa.51 Die instabilsten Gebiete lagen im Süden, dort, wo kommunale Organisationen am weitesten gediehen waren, zum Beispiel vom Elsass ostwärts zur Steiermark und von Württemberg südwärts zu den Schweizer Kantonen. Relativ wenige Unruhen gab es im Nordwesten, wo die Organisation weniger weit entwickelt war, oder in den Regionen östlich der Elbe. Auch in den bayrischen Herzogtümern, wo die Dorfbevölkerung nur wenig Rechte besaß, blieb es ziemlich friedlich, obwohl sie von Gebieten umgeben waren, in denen es fortwährend Unruhen gab.52
In der Mehrheit richteten sich die Aufstände gegen die Intensivierung und Kommerzialisierung der Grundherrschaft. Besonders nachdrücklich waren sie in Territorien wie Kempten, wo die Äbte noch die Restbestände des Systems der Zwangsarbeit nutzten, um die Konsolidierung eines zusammenhängenden Herrschaftsgebiets zu betreiben. Dort gab es im 15. und frühen 16. Jahrhundert regelmäßig Ausbrüche von Unzufriedenheit. Ähnliche Konflikte zwischen den Äbten von Sankt Gallen und den Appenzeller Bauern oder zwischen der Stadt Zürich und ihren ländlichen Gütern begleiteten im gleichen Zeitraum die Entwicklung der Schweizer Kantone.53 In Salzburg und den österreichischen Territorien, aber auch in Württemberg und Baden, rieben sich die Aufständischen an den Begleitumständen des Territorialstaats selbst: am Währungswechsel, an Eingriffen seitens der Verwaltung, an neuen Formen direkter und indirekter Besteuerung.54 In der Krain hieß es 1515, die Taten der Herrschenden hätten den Bauern »Zähne verliehen«.55 In anderen Gebieten, vor allem denen der Geistlichkeit, war hohe Besteuerung einfach die Folge hoher Verschuldung, wie im Fürstbistum Würzburg, in dem weitverbreiteter Unmut zu jenen Großdemonstrationen führte, die das Auftreten von Hans Böhm (oder Behem), dem Pfeifer von Niklashausen, 1476 begleiteten.56
Diese Aufstände waren mehrheitlich von eher geringem Ausmaß, aber groß genug, um angesichts der kleinen Territorien, in denen sie sich ereigneten, als lokale Kriege gelten zu können. Siege der Bauernschaft waren höchst selten. Früher oder später konnten die Herrschenden den Aufstand niederschlagen, häufig mit Unterstützung benachbarter Gutsherren oder regionaler Organisationen wie dem Schwäbischen Bund. Aber vielleicht ebenso häufig konnte ein Kompromiss geschlossen werden, was zumindest einen gewissen Erfolg darstellte. Manchmal gar war ein Oberherr wie der Abt von Ochsenhausen in Oberschwaben 1502 gezwungen, seinen Bauern Zugeständnisse zu machen, nachdem der Schwäbische Bund ihren Aufstand niedergeschlagen hatte.57 Wie immer auch einzelne Konflikte ausgehen mochten, waren ernst zu nehmende Aufstände häufig genug, um wachsende Furcht vor der Bauernschaft zu nähren. Jeder Aufstand wirkte als Warnsignal für eine ganze Region und in weiten Teilen des Südwestens war der Ausdruck Schweizerisch werden ein Codewort für Bauernfreiheit und Feindschaft gegenüber der Feudalherrschaft. Es lehrte die Gutsherren das Fürchten und begeisterte die Knechte.58
In der Mehrzahl hatten diese Aufstände des 15. Jahrhunderts ein zentrales Thema oder richteten sich gegen einen einzelnen Herrscher. Selbst wenn es wie in Niklashausen 1476, wo Böhms »Visionen« ihn ein ausführliches Programm religiöser und sozialer Reformen verkünden ließen, um allgemeinere Ziele ging, war der Aufruhr rasch vorüber. Als Böhm hingerichtet worden war, zerstreuten sich die Wallfahrer, Berichten zufolge mehr als 30.000, in alle Winde. Die Erinnerung an das Ereignis lebte im Gedächtnis der Bevölkerung weiter, aber erreicht worden war nichts und es gab auch keine Nachfolgebewegung.
Nach den 1470er Jahren jedoch wichen diese rein lokalen, unregelmäßigen und thematisch begrenzten Aufstände einer Aktivität von anderer Art und Qualität. Ab etwa 1500 waren die Unruhen eher regionaler Art und verfolgten weiter gespannte politische, soziale und religiöse Ziele. Die Forderung lautete jetzt nicht mehr auf Wiederherstellung des »guten alten Rechts«, sondern man wollte das »göttliche Recht«. Diese Unruhen stellten das Vorspiel zur Explosion von 1525 dar.
Schweizer Bauern scheinen dabei die Pionierarbeit geleistet zu haben.59 Im sogenannten Saubannerzug marschierten 1477 an die 1.700 junge Männer aus Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug gen Genf. Die Stadt hatte es versäumt, einen 1475 vereinbarten Tribut zurückzuzahlen, als Schweizer Streitkräfte die Stadt im Burgunderkrieg vor der Plünderung bewahrten. Diese Männer »vom torechten Leben«, wie sie in zeitgenössischen Chroniken genannt wurden, verfolgten das Ziel, das Geld gewaltsam einzutreiben und alle korrupten Berner Patrizier, die die Verzögerung im Parlament stillschweigend geduldet hatten, zu bestrafen. Hier war eine Streitmacht aus unterschiedlichen Regionen aufgebrochen, um einen Grundsatz auszufechten und den Willen der Dorfgemeinschaften gegen die widerspenstigen Autoritäten durchzusetzen. Wie ernst die Drohung genommen wurde, zeigt die Tatsache, dass die widerspenstige Stadt und die Landorte der Eidgenossenschaft sich mit sonst seltener Solidarität im »Stanser Verkommnis« von 1481 zusammenschlossen. Die Teilnehmer verpflichteten sich zur Unterdrückung aller illegalen Versammlungen von Untertanen.60
Ein ähnliches Muster ist bei der Bundschuh-Bewegung, die im Südwesten des Reichs zwischen 1493 und 1517 Aufstände organisierte, und beim Aufstand des »Armen Konrad« 1514 in Württemberg, verbunden mit Unruhen in Baden und im Elsass, zu erkennen. Der »Bundschuh«, ein bäuerlicher Schnürschuh aus Leder, war seit dem frühen 15. Jahrhundert als Symbol für Protest und Widerstand verwendet worden.61 1493 wurde er zum Emblem einer Verschwörung von Unzufriedenen im elsässischen Schlettstadt. Zu den Anführern gehörte Jakob Hanser, Schultheiß von Blienschweiler.
Ihre Beschwerden waren vielfältig: Von den Straßburger Bischöfen wurden sie schlecht regiert, von den Klöstern und jüdischen Geldverleihern wurden sie ausgeplündert, die Lage der Bauern in den bischöflich regierten Dörfern war sehr viel schlechter als die in den reichsunmittelbaren Ortschaften, traditionelle Jagd- und Fischfangrechte wurden beschnitten und Ähnliches mehr. Die Verschwörung wurde entdeckt, noch bevor die Verschwörer zu den Waffen rufen konnten, aber das revolutionäre Symbol tauchte, zusammen mit dem Beschwerdekatalog, 1502 in Speyer wieder auf. Jetzt allerdings, und auch in der Bundschuh-Revolte von 1513 in Lehen (Breisgau) sowie 1517 östlich von Straßburg auf dem anderen Rheinufer, jedes Mal unter der Führung von Joß Fritz, gewannen die Beschwerden die Qualität eines Revolutionsprogramms, das die Einführung eines »göttlichen Rechts« forderte. 1513 beschlossen die Verschwörer, es solle keinen Oberherren geben außer Kaiser und Papst und sie würden jeden töten, der ihre Pläne vereiteln wollte.62
Trotz aller Programmatik und der Führerschaft von Joß Fritz stellten die Aufstände der Bundschuh-Bauern keine kontinuierliche Bewegung dar. Dennoch blieb zumindest das Symbol dem Südwesten 20 Jahre lang erhalten und zeugte von tief greifender Unzufriedenheit ebenso wie von der wachsenden Erwartung aufseiten der Herrschenden wie auch vieler bäuerlichen Gemeinschaften, dass eine große Erhebung unmittelbar bevorstehe. Tatsächlich gewannen die Pläne von Joß Fritz und seinen Mitverschwörern durch eine Reihe von einzelnen Unruhen größere Bedeutung: Aufstände in der Grafschaft Pfirt im elsässischen Jura 1511, in der Eidgenossenschaft 1513–1515, in Ungarn 1514, in der Krain, der Steiermark und Kärnten 1515, in Württemberg (durch den Armen Konrad), Baden und im Elsass 1514.63
Viele dieser Kampagnen wurden im Namen des »guten alten Rechts« geführt, das durch korrupte oder »dem Neuen verpflichtete« Herrscher untergraben würde. Der Arme Konrad zum Beispiel war eine von Peter Gais aus Remstal angeführte Protestbewegung von Bauern und armen Städtern gegen neue Steuern, die der tyrannische Herzog Ulrich von Württemberg verhängt hatte, um die von seinem Vorgänger, Eberhard dem Bärtigen, angehäuften Schulden zu bezahlen. Peter Gais und seine Mitstreiter wollten nicht die Welt verbessern, sondern gegen diese ungerechte Besteuerung Widerstand leisten.
Dennoch trugen, wie andere Aufständische dieser Zeit, auch Herzog Ulrichs bedrückte Untertanen im Süden des Reichs während der Herrschaft von Maximilian I. zu einem sich ausbreitenden Gefühl der Unruhe und Unsicherheit bei. Es scheint durch, dass diese Unruhen mit der religiösen Bewegung nach 1517 mehr als nur durch Chronologie verbunden waren. Immer häufiger berief man sich auf »göttliches Recht« und verfasste revolutionäre Programme, die als Flugblätter oder Holzschnitte zirkulierten und die neben anderen Aspekten vor allem die Kirchenreform zum Thema hatten. So war der Boden für die Aufmerksamkeit bereitet, die Luthers frühe Schriften erregen sollten. Joß Fritz war kein Vorläufer der Reformation und auch kein Wiedergänger von Jan Hus, aber seine Aktivitäten versetzten viele dörfliche Gemeinschaften in den – wie sich später herausstellte, falschen – Glauben, dass Luther ihre Sache unterstützen werde.
Die Landbevölkerung stand mit ihrer Unzufriedenheit nicht allein da.Vor allem in den kleineren Ortschaften wie den Ackerbürgerstädten, aber auch dort, wo die Orte in Gebieten intensiver ländlicher Industrie lagen, hatten die urbanen wie die ländlichen Unterschichten gemeinsame Interessen. Ferner gab es die Bergbaustädte im Erzgebirge, wo sich, wie in Freiberg und Schneeberg, die organisierte Arbeiterschaft ab 1450 in zunehmendem Maß streikbereit zeigte.64 Abgesehen davon, gab es natürlich auch in vielen Reichsstädten und in territorialen Städten wie Magdeburg, Braunschweig, Mainz oder Wien Unruhen und Proteste.
Die Unterscheidung zwischen Reichsstädten und territorialen Städten ist um 1500 nicht so wichtig wie das Ausmaß an Autonomie und innerer Differenzierung einer urbanen Gemeinschaft.65 Je unabhängiger von fürstlicher Herrschaft eine Stadt war, desto eher wurde ihr Rat als Oberhoheit oder Regierung wahrgenommen und zum Gegenstand von Kritik oder Feindseligkeit erhoben. Die am häufigsten zitierte Liste solcher Unruhen verzeichnet zwischen 1350 und 1550 in 105 Städten 210 ernst zu nehmende Rebellionen, viele davon periodische Ausbrüche in Jahrzehnte oder gar ein Jahrhundert lang schwelenden Konflikten.66 Einerseits ist es angesichts der großen Anzahl von Städten im Reich (manche Schätzungen kommen auf 4.000) sehr schwierig, diese Angaben zu bewerten. Andererseits könnte die tatsächliche Anzahl städtischer Konflikte weitaus höher liegen: Die anscheinend zunehmende Häufigkeit solcher Unruhen im späten 15. Jahrhundert ist zumindest teilweise auch auf die größere Verfügbarkeit von Chroniken und anderen Aufzeichnungen zurückzuführen. Immerhin lässt sich für den hier betrachteten Zeitraum sagen, dass es vor der Reformation eine besondere Häufung von Unruhen gab, wobei es allein zwischen 1509 und 1514 in 19 Städten zu Aufständen kam. Eine weitere Zunahme, die nun direkt mit der Reformation zusammenhing, verzeichnen die Jahre zwischen 1521 und 1525.67
Städtische Konflikte waren ähnliche zahlreich wie ländliche, wiewohl es zwischen Stadt und Land grundlegende Unterschiede gab. Die meisten ländlichen Auseinandersetzungen drehten sich um die Forderung nach Wiederherstellung eines idealisierten »alten Rechts« oder der Etablierung eines gleichermaßen idealisierten »göttlichen Rechts«. Städtische Konflikte dagegen waren im Allgemeinen Ausdruck der Spannung zwischen konkurrierenden gesellschaftlichen Gruppen oder es handelte sich um Streitigkeiten um Verfassungsfragen, die aus spezifischen Problemen erwuchsen. Sie kamen vor allem in den großen Städten vor und wurden durch Kompromisse bereinigt. Trotz der unendlichen Vielzahl lokaler Bedingungen lassen sich in den städtischen Konflikten zwei umfassendere Themengebiete entdecken.
Es gab zwei Formen der städtischen Regierung.68 Zum einen konnte die Stadt durch ein Patriziat, bisweilen auch eine Aristokratie, regiert werden, das entweder de facto oder durch Heirat mit dem regionalen Adel die Herrschaft besaß. Zum anderen konnten es Handwerksgilden oder Handelsgesellschaften sein, die die Mitglieder des jeweils regierenden Stadtrats nominierten oder wählten. Tatsächlich waren diese Modelle in Reinkultur höchst selten anzutreffen; in den meisten Städten gab es eine Mischung aus beiden. Wo das Patriziat dominierte, forderten die Gilden fortwährend das Recht auf Partizipation; wo die Gilden dominierten, bestand der regierende Stadtrat zumeist aus Mitgliedern eines kleinen Kreises wohlhabenderer Familien, denn nur solche Personen konnten es sich leisten, ihre Zeit mit der Regelung öffentlicher Angelegenheiten zu verbringen.
Trotz aller Unterschiede waren die Städte einem vergleichbaren Ethos verpflichtet und entwickelten im Mittelalter Elemente eines sogenannten christlichen Republikanismus.69 Er stand für ganz bestimmte Werte, auf die das politische Gemeinwesen Stadt sich gründete. Kennzeichnend dafür war ein Begriff von Freiheit, der sich auf die Gemeinschaft der Bürger insgesamt, nicht aber auf das Individuum bezog. Die Autonomie der Gemeinschaft, ihre Freiheit von jeglicher äußeren Kontrolle und ihr Recht auf Selbstbestimmung waren solche grundlegenden Werte.
Intern beruhte das Gemeinwesen auf vier übergeordneten Prinzipien. Zum Ersten genossen alle Bürger dieselben grundlegenden Rechte und Freiheiten, insbesondere den Schutz von Person und Eigentum vor willkürlichen Eingriffen. Zum Zweiten hatten alle Bürger denselben Pflichten nachzukommen, hinsichtlich Besteuerung sowie Beitragsleistungen zu gemeinschaftlichen Arbeiten wie der Errichtung und Erhaltung von Stadtmauern oder der Übernahme von Verteidigungs-, Regierungs- und Verwaltungsaufgaben. Zum Dritten hatte die Gemeinschaft als Kollektiv geschworener Bürger das Recht, an Entscheidungen über die Politik der Stadt teilzunehmen. Das betraf nicht nur Verwaltungsangelegenheiten, sondern auch Fragen von Krieg und Frieden, Besteuerung, Verfassungsänderungen und Religion. Zum Vierten wurden zwar fast alle Städte oligarchisch regiert, aber sie gründeten auf dem Prinzip der Offenheit, auf der Annahme, dass von Zeit zu Zeit neue Gruppen in die Elite eintreten und keine Gruppe oder Clique und kein Individuum dauerhaft die Kontrolle ausüben würden.
Natürlich widersprach die Wirklichkeit dem Ideal recht häufig. Die Städte waren ja keine modernen demokratischen Gesellschaften, sondern vielmehr Beispiele jener »neorömischen Theorie freier Staaten«, die in der frühneuzeitlichen Epoche auch andere Richtungen des republikanischen Denkens im Westen inspirierte.70 In den deutschen Städten ruhten die republikanischen Traditionen auf den Grundlagen mittelalterlicher Körperschaften. In der Praxis widersprach die oligarchische Regierung häufig genug dem republikanischen Ideal. Vielmehr traten zunehmend ausgebildete Rechtsgelehrte in den Vordergrund und mit ihnen wuchs die Neigung, die »modernen« Prinzipien des römischen Rechts auf die städtische Verwaltung anzuwenden, was wiederum in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die oligarchischen Tendenzen der Stadträte verstärkte.71
Das römische Recht war attraktiv aufgrund seines umfangreichen Spektrums und seiner Fähigkeit, die Ansprüche der Vorherrschaft weltlicher über geistliche Kräfte zu untermauern. Aber es verleitete Stadträte auch dazu, ihre Mitbürger als Untertanen, über die sie herrschten, zu betrachten. Allerdings hat die Sprache des römischen Rechts möglicherweise auch dazu verholfen, den Anspruch des städtischen Gemeinwesens insgesamt auf Autonomie mit Nachdruck zu vertreten. Ihre Unabhängigkeit wollten die Reichsstädte in einem zunehmend von Fürsten beherrschten Reich ebenso bewahren wie die territorialen Städte ihre Rechte unabhängig von einem regierenden Fürsten. So fanden es die einen wie die anderen passend, sich den Mantel eines »souveränen, gesetzgebenden princeps« umzuhängen.72 Innenpolitisch jedoch riefen solche Anwandlungen, die im 17. Jahrhundert einige Räte von Reichsstädten dazu brachten, sich als »durch die Gnade Gottes« eingesetzt zu betrachten, Ablehnung hervor, weil sie genau jene Grundsätze, auf die sich das Gemeinwesen gründete, untergruben.
Das städtische Gemeinwesen war im Allgemeinen stärker sozial differenziert als sein ländliches Gegenstück.73 In den meisten Städten ließen sich zumindest vier Gruppen deutlich voneinander unterscheiden. Ganz oben hielt eine kleine Gruppe von Patrizierfamilien mit relativ engen Bindungen die politischen Machtpositionen besetzt.Viele von ihnen verdienten Geld mit Fernhandelsgeschäften, vor allem in den süddeutschen Städten; viele entwickelten auch aristokratische Neigungen und einige zogen von der Stadt aufs Land und wurden Gutsherren. Die Aristokratisierung von Patrizierfamilien war wohl in Städten wie Augsburg und Nürnberg am weitesten gediehen. Dort kam es im späteren 15. Jahrhundert zu engen Bindungen an das monarchische Regime und die führenden Familien pflegten die humanistische Bildung und waren Schutzherren der Künste. Allerdings waren die Patriziate dort wie überall gesellschaftlich exklusiv, wofür einige einen hohen Preis bezahlten: In Basel, Hildesheim und Münster zum Beispiel starben sie einfach aus.74
Die zweite Gruppe entwickelte sich im Spätmittelalter in vielen Städten vor allem des Nordens: erfolgreiche, keinem Patriziat angehörige Kaufleute. Sie waren von der herrschenden Elite ausgeschlossen und forderten, bisweilen in Handelsgesellschaften miteinander verbunden, immer vernehmlicher die Beteiligung an und Vertretung in den Räten und Regierungen. Die dritte Gruppe bildeten die Handwerksgilden, die in der Mehrzahl der Städte normalerweise zwei Drittel der Gesamtbevölkerung repräsentierten und das Hauptgegengewicht zur politischen Elite darstellten. Die Gilden selbst waren häufig sehr stark hierarchisch gegliedert, je nachdem, welche besonderen Handwerke und Gewerbe in der lokalen Wirtschaft vorherrschten.75 Schließlich kamen nach den Gilden, deren Mitglieder Vollbürger waren, die Arbeiter, Bediensteten und dergleichen, die normalerweise ein Viertel der Bevölkerung ausmachten. Allerdings gab es in dieser Hinsicht beträchtliche Unterschiede; so stellte in den neuen Bergbaustädten die arbeitende Klasse die Mehrheit.76
Das 15. Jahrhundert war für die deutschen Städte ein goldenes Zeitalter, aber auch die Epoche des politischen Aufruhrs. Die meisten Probleme entstanden, wenn Kaufmannsgruppen oder, häufiger noch, Handwerksgilden die Autorität der herrschenden Schicht infrage stellten. Auslöser war zumeist eine Wirtschaftskrise, ein Währungswechsel oder die Einführung neuer Steuern. Im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert, als der Monarch weitergehende Forderungen an die Reichsstädte stellte, und das zu einer Zeit, da diese kostspielige neue Befestigungsanlagen zum Schutz gegen neu entwickelte Artillerie benötigten, war die Besteuerung ein Hauptthema. So war zwischen 1509 und 1514 das sogenannte Ungeld, eine Verbrauchssteuer, der Grund für die meisten Unruhen.
Solche Steuern trafen die Armen in der Stadt am härtesten und ihre Unzufriedenheit nahmen die Gilden zum Anlass, die Stadträte der Misswirtschaft und Korruption zu bezichtigen. Sie forderten die öffentliche Prüfung der finanziellen Angelegenheiten und ihre zukünftige Beteiligung an der Verwaltung dieser Angelegenheiten. Oftmals gab es auch weitergehende Forderungen, etwa nach Beteiligung an der Verwaltung jener »kommunalen« Güter, die sich im Besitz der Geistlichkeit befanden. Zudem sollten die Kirchspiele und die Berufung von Geistlichen der Kontrolle durch Laien unterstellt werden.77 Die Geistlichkeit war nämlich, obwohl sie den Schutz der Stadt genoss und über die geistlichen Gerichte beträchtlichen Einfluss ausübte, von der Besteuerung befreit, weil kein Geistlicher den Bürgereid leistete, was die Stadträte wie ihre Kontrahenten gleichermaßen die Ausweitung der Kontrolle durch Laien anstreben ließ.
Die Protestbewegung in den Städten ist unterschiedlich interpretiert worden.78 Einerseits begriff man sie als Pendant zur kommunalen Bewegung auf dem Land, die in einer kommunalen »Reformation« gipfelte, um nach einigen rauschhaften Jahren der »Fürstenreformation« zum Opfer zu fallen. Andererseits wurde sie von einigen als Herausbildung einer republikanischen Tradition gesehen, wie sie auch anderswo in Europa sich durchsetzte, nur dass sie im Reich in ihrem langwierigen Kampf gegen die Fürsten zum Scheitern verurteilt war. In der Frage, ob es auch nach den 1520er Jahren noch eine republikanische Bewegung gab, herrscht Uneinigkeit. Bedeutsamer ist vielleicht, dass die Gelehrten sich zumindest in einem Punkt einig sind: Die Kämpfe der städtischen Kommunen um die Verfassung betrafen auch die lokale Kirche und arbeiteten so der Reformation zu oder liefen mit ihr parallel. Allein die Ausdrucksweise der reformorientierten Theologen – insbesondere der Schlüsselbegriff »Gemeinde« – schien auf das dasselbe Vokabular zurückzugreifen wie die Vertreter der städtischen Politik. Allerdings war das Vokabular höchst kontextabhängig und diese Tatsache stellte ein wesentliches Moment der Reformationsbewegung und ihres Widerhalls in der Gesellschaft und Politik des Reichs dar.
Zur Zeit des Bauernkriegs notierte Michael Eisenhart 1525, dass es, hätte Luther kein einziges Buch geschrieben, in Deutschland friedlich geblieben wäre.79 Was einem katholischen Zeitgenossen wie Eisenhart selbstverständlich erschien, ist von den vielen Historikern, die die deutsche Gesellschaft um 1500 in einer grundlegenden Krise oder sogar vor einer frühbürgerlichen Revolution sahen, implizit bestritten worden.
In der Regierungszeit Maximilians I. gab es Erholung und Wachstum, aber auch zunehmende Spannungen, denn die Entwicklung schuf Gewinner und Verlierer. Insgesamt jedoch gab es keinen objektiven Grund, einen revolutionären Ausbruch im Reich zu erwarten. Die politische Ungewissheit im Hinblick auf die kaiserliche Nachfolge 1518/19 nährte die Hoffnung auf eine Reich, Kirche und Gesamtgesellschaft umgreifende Reform, aber die Krise, die sich nach 1517 entfaltete, wurde durch die »Luthersache« ausgelöst. Danach breiteten sich Luthers Ideen aus und wurden von einer Vielzahl unterschiedlichster Gruppen mit höchst unterschiedlichen Zielen und Interessen interpretiert, häufig auch falsch oder überinterpretiert, aber auf jeden Fall gerieten die deutschen Territorien allesamt in Bewegung wie nie zuvor.
Anmerkungen
1 Lauterbach, »Revolutionär«.
2 Cohn, Pursuit, 119–126; Borchardt, Antiquity, 116–119.
3 Die Berechnungen beziehen sich auf die deutschen Grenzen von 1937: Wiese und Zils, Kulturgeographie, 68.
4 Pfister, »Population«, 40; Rabe, Geschichte, 42; Schulze, Deutsche Geschichte, 23–24.
5 Schulze, Deutsche Geschichte, 13.
6 Endres, »Ursachen«, 219–220.
7 Pfister, »Population«, 41.
8 Schulze, Deutsche Geschichte, 25.
9 Rösener, Agrarwirtschaft, 31–36; Scott, Society, 72–112.
10 Scott, Society, 86–89.
11 Scott, Society, 97–101; Mathis, Wirtschaft, 22–25, 86–89.
12 Schilling, Stadt, 8.
13 Scott, Society, 101–107; Mathis, Wirtschaft, 23–25, 35–39, 57–61, 82–85; Schubert, Spätmittelalter, 185–186; Braunstein, »Innovations«; die Essays in Bergbaureviere bieten einen umfassenden Überblick über die Aktivitäten im Reich.
14 Brady, »Institutions«, 274.
15 Scott, Society, 25–26, 121–126; Mathis, Wirtschaft, 71–75; Schubert, Spätmittelalter, 147–152.
16 Scott, Society, 126–132; Mathis, Wirtschaft, 31–33, 58–60, 92–93.
17 HbDSWG, 351; Brady, »Institutions«, 271.
18 Häberlein, Die Fugger, 17–68.
19 Köbler, Lexikon, 201; Häberlein, »Fugger«.
20 Schmidt, »Frühkapitalismus«, 91–113.
21 HbDSWG,486–490; Schmidt, Städtetag, 423–440.
22 HbDSWG, 487.
23 Scott, Society, 153–157.
24 Scott, »Landscapes«, 11; Scott, Society, 188–197.
25 Schubert, Spätmittelalter, 79–82; Scott, »Landscapes«, 9–11.
26 Scott, »Landscapes«, 10.
27 Rabe, Geschichte, 99.
28 Rösener, Agrarwirtschaft, 36–39, und Holenstein, Bauern, 30–34, enthalten aktuelle Versionen der zuerst von Lütge in Agrarverfassung, 188–200, ausgearbeiteten Klassifizierung.
29 Schubert, Spätmittelalter, 74.
30 Buszello, »Oberrheinlande«, 83.
31 Endres, »Ursachen«, 224.
32 Endres, »Ursachen«, 222.
33 Endres, »Ursachen«, 219.
34 HbDSWG, 373.
35 Endres, »Ursachen«, 233–234.
36 Blickle, Revolution, 48–50.
37 Rabe, Geschichte, 95.
38 Endres, »Ursachen«, 227.
39 Blickle, Revolution, 58–65; Endres, »Ursachen«, 231.
40 Endres, »Ursachen«, 232–233.
41 Blickle, Leibeigenschaft, 53–74.
42 Franz, Bauernkrieg, 10–14; Blickle, Revolution, 76.
43 Blickle, Revolution, 77.
44 Laube, »Revolution«, 35–36.
45 Endres, »Ursachen«, 239–245.
46 Körner, »Steuern«.
47 Schubert, Spätmittelalter, 86–93; Scott, Society, 48–55; Blickle, Gemeindereformation, 13–204.
48 Zu diesen Termini und ihren vielen Äquivalenten vgl. Haberkern und Wallach, Hilfswörterbuch.
49 Scott, Society, 176–182.
50 Schubert, Spätmittelalter, 83.
51 Schubert, Spätmittelalter, 93.
52 Blickle, Unruhen, 12–25; Franz, Bauernkrieg, 1–79. Einige Gegenbeispiele bei Blickle, »Konflikte«.
53 Franz, Bauernkrieg, 3–9; Blickle, Unruhen, 15–17.
54 Franz, Bauernkrieg, 30–41.
55 Zit. n. Schubert, Spätmittelalter, 96, dort mit der falschen Jahreszahl 1513.
56 Franz, Bauernkrieg, 45–52.
57 Laube, »Revolution«, 56.
58 Schubert, Spätmittelalter, 68–69, 95; Brady, Turning Swiss, 28–42.
59 Blickle, Unruhen, 22–23.
60 Brady, Turning Swiss, 32–33.
61 Schubert, Spätmittelalter, 96; Blickle, Unruhen, 23–24; Franz, Bauernkrieg, 53–79.
62 Blickle, Unruhen, 24.
63 Laube, »Revolution«, 88–89; Franz, Bauernkrieg, 19–41.
64 Laube, »Revolution«, 64–66.
65 Schilling, Stadt, 39–40.
66 Maschke, »Stadt«, 75–76, 95.
67 Schubert, Spätmittelalter, 131; Blickle, Unruhen, 25.
68 Blickle, Reformation, 82–85; Schilling, Stadt, 48–49.
69 Schilling, Aufbruch, 170–171.
70 Skinner, Liberty, 11, 17–36.
71 Strauss, Law, 56–95; Stolleis, Öffentliches Recht, Bd. I, 66–67.
72 J. W. Allen, zit. n. Strauss, Law, 64.
73 Scott, Society, 34–48.
74 Rabe, Geschichte, 88; Du Boulay, Germany, 141–145.
75 Blickle, Unruhen, 11–12.
76 Rabe, Geschichte, 89–90; Maschke, »Stadt«, passim.
77 Blickle, Gemeindereformation, 179–183; Rabe, Geschichte, 198.
78 Schilling, Stadt, 89–92.
79 Maurer, Prediger, 24; Baumann, Quellen, 621, 635–636.