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23. Juli. Wien

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Liebe Janika

War heute Morgen im Gänsehäufl-Bad an der alten Donau.

Und hab experimentiert. Du lachst mich nun bestimmt aus. Ich halte mich jedoch an deine Prinzipien: Jede Recherche muss ein Selbstversuch sein; ich schaue nicht beobachtend von aussen, nein, ich begebe mich in die Ereignisse hinein und mache mich selbst zum Forschungsgegenstand. Nur eigens gemachte Erfahrungen entwickeln in der Darstellung eine Wirkung, sagst du.

Ich nähere mich den Dingen, nehme sie zur Hand, gestalte sie und eigne sie mir an.

Also, hör mir zu: Ich schwimme im Fluss und beschliesse, Mikwe zu machen. Mit den Armen rudernd versuche ich unter Wasser zu bleiben, was für ein paar Sekunden gelingt, aber es ist unbefriedigend, ich wiederhole den Versuch und konzentriere mich auf die Frage, was denn abgewaschen werden soll – die Badenden rundherum schauen irritiert.

Weiter oben im Fluss tauche ich mit aller Kraft unter, stosse mich mit einem heftigen Zug in die Tiefe, lasse mich bewegungslos treiben und ein klarer Gedanke steigt auf: Es muss abgewaschen werden, was weg muss, auch wenn ich nicht weiss, was es ist. Mich auf das Ritual der Reinigung einzulassen, ist meine Entscheidung, und was dabei weggeht, das überlasse ich einer klügeren Instanz. Nach dem Auftauchen platzen fast die Lungen, ich keuche, japse und huste – das kann Mikwe nicht sein.

Bevor ich an Land gehe, atme ich tief ein, löse die Füsse vom sandigen Grund und lasse mich schwer in die starke Umarmung der Strömung fallen, sinke und sinke, bloss der Kopf, der verdammte Kopf bleibt wie ein aufgeblasener Luftballon über der Wasseroberfläche, ich atme aus, langsam, kräftig atme ich aus, nun sinkt auch der Kopf, dieses bewusste Untertauchen fühlt sich unangenehm an, ich will ja nicht tot sein. Ich stosse die restliche Luft aus, der Strom aus meinen Lungen ist stärker als der Wasserdruck und bricht den Flusswiderstand, ich schaukle wie ein Embryo und richte die Aufmerksamkeit auf diese klügere Instanz, die weiss, was abgewaschen, was weg muss: die Auflösung meines bisherigen Lebens in bruchstückhaften Bildmontagen.

Die Welt steht still. Wind verfängt sich in den Bäumen. Ich beobachte die im seichten Wasser stehenden und plaudernden Frauen. Und erkenne plötzlich die Gleichförmigkeit junger, attraktiver Körper und die einzigartige Verformung eines jeden einzelnen älteren Körpers. Die Details dieser nackten Menschen lösen Begehren aus: Ich schaue den unbekannten Mann an und setze mich auf seinen braunen Schwanz, der sich an der Eichel bläulich verfärbt, ich spüre die grünen Augen der Frau, die Cola trinkt, auf Brüsten und Bauch, ich streiche mit der Hand über den rundlichen Rücken und Po ihrer Freundin und dringe mit den Fingern von unten ein, kühle Luft auf der Haut. Bis in jede Falte. In jede Öffnung.

Sami hat erzählt, während seiner ersten Jahre in Marseille sei er jeden Freitag an den Strand gefahren und habe übers Meer geschaut. Sass auf dem Felsen und starrte in die Ferne.

In den Libanon hinein.

Liebe Janika, ich umarm dich.

Selma

Wie die Milch aus dem Schaf kommt

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