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Rechtfertigungen
ОглавлениеDer Tötungsapparat der Lager war in so viele „Scheiben“ geschnitten, dass jeder Schnittfeldverantwortliche schlussendlich ein Argument dafür fand, selbst nicht verantwortlich gewesen zu sein, weil er nur zugeschnittene Aufgaben korrekt und gewissenhaft ausgeführt hatte. Der Mann auf der Rampe bei der Selektion hatte ja nur die körperliche Kondition des Einzelnen zu prüfen, der Mann im Versuchslabor war ja nur für den Teil der Diagnostik verantwortlich, der Mann in der Lageraufsicht war ja nur für Ordnung und Disziplin zuständig, ebenso die Frauen in der Desinfektionsbaracke nur für die Hygiene, bis hin zu den Wachpersonen am Ofen, die ja nur die Tür aufmachen bzw. schließen mussten. Es handelte sich um ein System, das im Nachhinein vielen die Ausrede ermöglichte, nur ein kleines Rädchen im Getriebe gewesen zu sein, ohne eigene Verantwortung für das Töten gehabt zu haben. Jeder konnte es auf den anderen abschieben. Jeder konnte sich sogar als Opfer bezeichnen. Das war die Alltagserfahrung einer bürokratisierten und arbeitsteiligen Gesellschaft. Und dieses Bild entsprach der Rechtfertigung zahlreicher Täter und Mitläufer.
Martin Bormann, Sohn des Hitlersekretärs:
Ich habe im Nachhinein erfahren, dass Himmler einmal Zeuge bei solchen Massenerschießungen im Baltikum war und das selber nicht ausgehalten hat, dass also doch irgendwo das Menschliche durchbrach und dass er dann als eine Reaktion darauf, diese Brutalitäten nicht ertragen zu können, dass Frauen und Kinder in die Grube geschossen wurden, die Erschießungen eingestellt hat. Er hat ja wohl auch zuerst vom Kommandeur vorgetragen bekommen, dass die Soldaten das nicht aushalten. Das ist nicht Kampf, das ist Mord, Mord an Frauen und Kindern. Und das hält ein normaler Mensch nicht aus, vor allem nicht in dieser Häufung. Es gibt eine These oder Vermutung, dass diese Vergasungen, diese Techniken im Grunde genommen dazu dienten, die Tötung von den Mördern zu entfernen (abzuspalten), für die Mörder erträglicher zu machen. Dazu eine Analogie zum Krieg heute: Je weiter tragend diese fürchterlichen Waffen sind, umso weniger erfährt der, der die Waffe auslöst, was er damit an Elend, Tod und Leiden verursacht. Wer in 10 000 Meter Höhe seine Bomben fallen lässt, sieht nicht, was da unten passiert.40
So besehen diente die ausgeklügelte Tötungsmaschinerie nicht nur ihrem Hauptzweck, der Vernichtung von unschuldigen Menschen, sondern verhinderte auch das Entstehen von Schuldgefühlen bei den Einzelpersonen, die allesamt ihren Teil beitrugen.