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Abgewiesen von der desinteressierten Umgebung

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Ein oft genannter Grund für das Schweigen ist der, dass es einfach kein Interesse daran gegeben haben soll, diese schrecklichen Geschichten zu hören, sei es in der Familie oder im Bekanntenkreis. Fast jede Familie hatte Schreckliches erlebt und war nicht an den Erzählungen anderer interessiert.

Nicht wenige formulierten den Grund ihres Schweigens etwa so: „Diejenigen, die es erlebt haben, wissen es schon. Die anderen wollen es nicht wissen.“ Den Betroffenen hätten viele nicht zuhören wollen. In der alten Umgebung sei man oft nicht willkommen gewesen. Überall hätte man sich mehr auf den Wiederaufbau konzentriert. Wenn Opfer ihre Geschichte erzählen, werden sie häufig von jenen, denen sie sich anvertrauen, ein weiteres Mal verletzt. Auch deshalb schweigen sie. Menschen identifizieren sich nicht gerne mit Opfern, sondern lieber mit Siegern. Darum werden Opfer – ob bewusst oder unbewusst – häufig mit Verachtung gestraft.

„Man wollte uns einfach nicht zuhören. Weil wir eine Schande für die Menschheit waren. Man hatte Mitleid mit uns. Ich selber habe zehn Jahre gebraucht, bis ich darüber sprechen konnte, und ich sage im Grunde ja nur wenig darüber, und ich sage es nicht sehr gut. Man wollte uns jedenfalls nicht zuhören“, konstatierte Wiesel.15

Am 13. Juli 2011 führte ich ein Gespräch mit Professor Ivan Lefkovitz. Als fünfjähriges Kind erlebte er mit Mutter und Bruder das ganze Ausmaß der Verfolgung: Kellerversteck, Gefangennahme, Gestapo-Gefängnis, Deportation, Trennung der Familienmitglieder, KZ Ravensbrück, Vergasung seines Bruders, Todesmarsch, anschließend KZ Bergen-Belsen, Typhus, Befreiung am 15. April 1945 durch die Engländer. Am Schluss eines langen Gespräches stellte ich ihm die Frage: „Wie kommt es, dass Holocaustüberlebende es oft so schwer haben, über ihre Erlebnisse zu sprechen, und auch den eigenen Verwandten gegenüber, oft ein Leben lang schweigen? Ihnen wurde Böses getan. Sie hätten doch die Möglichkeit, darüber zu sprechen?“ Darauf antwortete mir Lefkovitz: „Es ist schwierig für mich, dies im Allgemeinen zu beantworten. Ich kann es aus der Sicht unserer Familie erzählen, das heißt, meiner Mutter und mir. Wir kehrten aus Bergen-Belsen zurück und stellten fest: Erstens haben nur wir zwei überlebt. Zweitens war es schwierig, den Leuten zu erklären, um was es eigentlich ging. Wir wurden oft mit der Bemerkung unterbrochen, dass es bei anderen genauso schlimm gewesen wäre. Wir stellten fest, dass Dinge, die nicht vergleichbar sind, durchaus von anderen verglichen wurden. Deshalb zogen wir das Schweigen vor. Aber es waren auch ganz triviale Gründe: Wir kamen zurück und hatten nichts, nicht einmal einen Koffer mit unseren Sachen. Leute sprachen uns auf der Straße an und sagten, dass von den Dingen, die wir bei ihnen deponiert hätten, nichts übrig geblieben sei. Unser Hab und Gut wurde entweder von den Deutschen oder den Russen weggenommen. Wir sahen so viel Unverständnis, dass es am besten war zu sagen: ‚Schwamm drüber.‘ Wir reden nur darüber, was jetzt ist, und nicht von dem Vergangenen.“

Aber es gab auch andere Gründe. Ich habe festgestellt, dass meiner Mutter die Fragen, die ich ihr eventuell stellen würde, wehtun würden, und das wollte ich nicht. Ich verdeutliche es an einem Beispiel: Da gab es eine Frau, sie war Apothekerin, genau wie meine Mutter. Sie kehrte aus Auschwitz zurück, wo ihr Mann und ihre zwei Söhne ermordet worden waren. Sie blieb alleine zurück. Wenn sie zu uns zu Besuch kam, umarmte sie mich und sagte, dass es schön gewesen wäre, wenn ihr Sohn noch leben würde. Dann sagte sie zu meiner Mutter: ‚Du bist doch so glücklich, dass du deinen Sohn noch hast, ich habe niemanden.‘ Ich hörte das alles, und die Reaktion des Elf- oder Zwölfjährigen, der ich damals war, war es, diese Frau zu meiden. Ich wusste, dass ich ihr durch meine Präsenz wehtue, weil sie durch mich an ihr tiefes Unglück erinnert wird.“16 Sogar unter Leidensgenossen war es also sehr schwer, das jeweils Erlebte zu teilen.

Das Schweigen redet

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