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Selbstmitleid, Opferrolle, Abschieben der Schuld auf andere

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Die NS-Verbrecher und Mitläufer wollten von ihren Kindern lieber als Opfer und nicht als Täter gesehen werden. Darum verschwiegen sie nicht nur ihre Täterrolle, sondern sprachen auch gerne über ihre Leiden.

Wie Jürgen Müller-Hohagen beschreibt, haben sie nach 1945 geradezu eine Kehrtwende gemacht von Mitmachern, Kollaborateuren, Tätern hin zu „Opfern“:

Sie haben sich das zunächst selbst eingeredet, danach ihren Angehörigen, ihren Kindern, ihrer Umgebung. Das war Verschweigen durch Legendenbildung. Die Umdeutung von Tätern und Tatbeteiligten zu vermeintlichen Opfern ist als einer der zentralen Vorgänge anzusehen, durch den reale Schuld geleugnet wurde und die nachfolgenden Generationen bis tief in die geistig-seelische Substanz hinein verwirrt wurden. Am Ende dieses Lügenprozesses steht das Bild auf Seiten der Nachgeborenen: ‚Opa war kein Nazi.‘ Dadurch wurden sie erst recht zu Tätern, und das ausgerechnet noch ihren Kindern gegenüber, indem sie deren Wahrnehmung und Wahrheitsbezug nachhaltig störten oder gar zerstörten. Letztlich kamen sie dadurch noch mehr in die Eindeutigkeit der Zuordnung zur Täterkategorie, der sie eigentlich entfliehen wollten – und der sie zuvor vielleicht paradoxerweise nicht einmal so ausschließlich angehörten.41

Immer wieder hört man von Seiten der Täter und Mitläufer zahlreiche Beschönigungen und Verharmlosungen, aber nur selten echte Betroffenheit, echte Eingeständnisse, klare Stellungnahmen gegenüber ihrer wie auch immer gearteten Beteiligung.

„Gegen ein schlechtes Gewissen hilft bekanntlich am besten ein schlechtes Gedächtnis, und das Gewissen ist sowieso nur eine leise Stimme im Innern – dort, wo die Akustik schlecht ist.“42

Dieses Wegschieben der ersten Schuld beschreibt der bekannte Publizist Ralph Giordano als zweite Schuld. Diese zweite Schuld sei eine Schuld gegenüber den Opfern der Nazi-Herrschaft, aber auch eine Schuld gegenüber den eigenen Kindern und Kindeskindern. Giordano bezieht sich in seinen Überlegungen auch auf das erschütternde Buch von Peter Sichrovski, in dem Nachkommen von Nazis ihre Kindheit schildern.43

Martin Bormann junior:

Ich bin mir heute ziemlich sicher, dass mein Vater alles oder fast alles wusste. Das kann ich mir nur so erklären, … dass Hitler für ihn so etwas wie eine Vaterfigur abgegeben hat. Ich aber glaube, dass der Mensch niemals so unfrei ist, dass er etwas Schuldhaftes tun müsste, sondern Verantwortung setzt den Begriff der Freiheit voraus. Mein Vater hat nie auch nur ein Wort von den Vernichtungen gesprochen. Die Mutter hat mit uns auch nie ein Wort darüber gesprochen. Das waren Bereiche, die wahrscheinlich tabuisiert worden sind, vielleicht aus dem Bemühen heraus, die Kinder nicht mit Dingen zu belasten, die in der Tat belastend wären.44

Die Tochter eines SS-Mannes erzählt von ihrem Vater:

Er hat in der Ukraine Erschießungskommandos geleitet. Auch nach seiner Entlassung zeigte er nur Selbstmitleid. Nie hat er etwas über seine Opfer gesagt. Er fand es nur völlig ungerecht, dass er verantwortlich gemacht wurde für die Menschen, die er getötet hatte. Er hat nicht einmal das Schicksal seiner Opfer anerkannt. Es gab überhaupt keine Anzeichen dafür, dass er sich irgendwo wegen seiner Taten schuldig fühlte oder darunter litt. Es gab überhaupt kein Anzeichen dafür. Das wäre das Einzige, was ich heute fragen würde, wenn er noch am Leben wäre.45

Eine der unverschämtesten Selbstrechtfertigungen, die uns überliefert sind, sei an dieser Stelle angefügt. Dieser Satz ist von einer der letzten Mitarbeiterbesprechungen von Josef Goebbels überliefert: „Nun“, sagte er leise, „das deutsche Volk hat sich dieses Schicksal selbst gewählt. Niemand hat es gezwungen. Es hat uns ja selbst beauftragt. Warum haben Sie mit mir gearbeitet? Jetzt wird Ihnen das Hälschen durchgeschnitten.“ Dann hinkte Goebbels im korrekten dunklen Anzug mit blütenweißem Hemdkragen nach draußen, drehte sich in der Tür noch einmal um und sagte: „Aber wenn wir abtreten, dann soll der Erdkreis erzittern.“46

Das Schweigen redet

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