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Kultstätten

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Evolutionsmodellen ist die Gefahr inhärent, eine Teleologie, ein vorher definiertes Ziel, zu unterstellen. Eine Studie über Rationalisierung bildet da keine Ausnahme. Das Risiko bei der Betrachtung Roms setzt sich aus zwei Faktoren zusammen. Zuerst einmal sind die erzählenden Quellen für die Geschichte Roms üppig, aber erst in großem zeitlichen Abstand von den Ereignissen entstanden. Zweitens scheint Romanisierung im soziopolitischen und kulturellen Sinn eine unwiderstehliche Anziehungskraft gehabt zu haben. Sicherlich wurden, egal welche Gründe und Praktiken sie in Italien förderten, ihre Folgen durch das Imperium verstärkt.

Trotzdem zeigen uns die inschriftlichen Quellen nicht nur die Blüte anderer italienischer Sprachen im ersten Jahrhundert, sondern auch komplexe voneinander abweichende Ritualsysteme. Der römische Sonnenkalender, der seit dem späten vierten Jahrhundert in Rom genutzt wurde, wurde weder von den benachbarten latinischen Siedlungen noch im etruskischen Opferkalender des liber linteus („Agramer Mumienbinden“) genutzt.23 Am Ende des zweiten Jahrhunderts v. Chr. konnten latinische Städte wie Praeneste oder Tibur noch in den Architekturwettstreit mit römischen Tempelbauten eintreten. Einige Jahrzehnte später stellten sich die Alliierten des Marsischen Krieges eine Zukunft in Italien ohne römische Herrschaft vor. Die Tatsache, dass die Richtung des kulturellen Transfers nicht immer eindeutig ist, kann – positiverweise – als Beleg dafür gewertet werden, dass es sich um eine Region mit sehr starkem kulturellen Austausch handelte. Die folgenden Abschnitte betrachten rituelle und organisatorische Eigenschaften der frühen römischen Religion daher in ihrem regionalen Kontext.

Bestattungspraktiken sind ein wichtiger Index von Veränderungen, zum einen, weil durch archäologische Grabungen die Ergebnisse eines so komplexen Rituals noch gut greifbar sind, zum anderen, weil das Vergraben von Beigaben einen Mechanismus darstellt, der materielle Kultur für spätere Untersuchungen bewahrt. Ihre religiöse Bedeutung (im oben formulierten substanzialistischen Sinne) ist schwerer zu beurteilen. Auch wenn an Gottheiten gerichtete Rituale Begräbnisse begleiteten, gibt es kaum Belege, die Begräbnisse als Teil der römischen Ritualpraktiken sehen. Archäologisch betrachtet geben Begräbnisse nur sehr selten religiöse Zugehörigkeit an; zum Beispiel existierten in Rom Erdbestattung und Verbrennung zeitlich parallel, wobei die Vorlieben wechselten. Das Konzept der Di Manes, der „guten Götter“, die den oder die Tote verkörpern, kam vor der Kaiserzeit nur unregelmäßig auf Grabsteinen vor. Für die schlecht belegte Gesellschaft, um die es in diesem Kapitel gehen soll, liefert dieses Konzept schon das wichtigste Beweisstück.

Von besonderer Bedeutung ist der Wandel der Begräbnisrituale in Latium und Etrurien während des sechsten und fünften Jahrhunderts. Die orientalisierende Epoche (etwa 730–630 v. Chr.) brachte eine Anzahl von prunkvollen Gräbern, fürstliche Begräbnisse mit wertvollen und prestigereichen Objekten, an Orten rund um Rom (Praeneste, Ficana, Castel di Decima) herum, aber (bisher) nicht in Rom selbst, hervor.24 Sozialer Aufstieg machte es möglich, Besitz und Kontakte über weite Strecken zu erhalten; diese Güter und Kontakte führten zu weiterem Prestige. Die darauf folgende Periode war in Rom von Urbanisierung und Monumentalisierung gekennzeichnet, Prozesse, die in etruskischen Regionen auch schon früher stattfanden. Sie zeitigte in Anzahl und Qualität der Grabbeigaben einen Rückgang. Wahrscheinlich wurde das Vermögen, das für pompöse Begräbnisse ausgegeben worden war, nun für auf Zukunft gerichtete öffentliche Selbstdarstellungen verschwendet, also im aristokratischen Wettbewerb um Bankette, Unterhaltung und den Bau von palastähnlichen Häusern in Stein investiert, anstatt es in privatem Rahmen als rückwirkenden, vergangenen Status anerkennenden Schatz den Toten zu übergeben.25 Auf lange Sicht half dies, Stadtzentren und öffentliche Räume zu schaffen und in Letztere zu investieren.

Einige Kultstätten wurden oben bereits für die früheste Zeit verzeichnet. Es ist wichtig, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass ein Heiligtum nicht zwingend eines Tempelbaus bedurfte. Offene Räume konnten sich auf einen Altar beschränken, und der musste nicht aus Stein erbaut sein. Eine Ansammlung von Votivgruben kennzeichnete beispielsweise eine solche Stelle. Solch eine Grube – die entweder direkt für das Deponieren einzelner Votivgaben genutzt oder zu bestimmten Anlässen komplett gefüllt wurde, wenn eine große Menge von Gaben gesammelt aus den Räumlichkeiten entfernt werden musste – macht es möglich, derartige Orte archäologisch zu identifizieren. In der Stadt Rom gingen solche Deponierungsplätze dem ältesten Tempel in San Omobono voran.26 Sie waren in Italien und darüber hinaus weit verbreitet und sind häufig in der näheren Umgebung Roms zu finden. Regional gesehen sind menschliche – oft weibliche – Terrakottastatuetten charakteristisch. Oft hatten sie annähernd Lebensgröße, wie zum Beispiel in Lavinium von Beginn des fünften Jahrhunderts an. Ebenso häufig waren Köpfe und Büsten ab dem sechsten Jahrhundert und (anatomisch korrekte) Votive von Körperteilen ab dem vierten Jahrhundert. Diese italische Tradition wurde durch die Praxis der Weihung von Körpervotiven im Kult des griechischen Asklepios ergänzt, wie sich durch Funde belegen lässt. Insgesamt blieben Votivgaben in Form von Körperteilen charakteristisch bis zum ersten Jahrhundert v. Chr.27

Das Errichten von Tempeln war für Rom und andere etruskische Orte ab der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts üblich. Ein hohes Podium beschränkte den Zugang auf nur eine Seite, wobei die anderen Seiten weder Treppenstufen noch offene Wände hatten. Die Basis wurde durch hölzerne Säulen und durch eine mit farbenprächtigen Terrakotta-Reliefs verschönerte Dachkonstruktion vervollständigt. Solche Konstruktionen markierten sehr deutlich die Grenzen des Alltäglichen und betrieben so die Sakralisierung eines Ortes.28 Die Funktion solcher „Häuser“ war demnach nicht darauf beschränkt, einer Statue Obdach zu geben – man denke allein an all die Statuen, die das Tympanon und das Dach schmückten. Eine dreifache Cella an der Rückseite des Gebäudes schuf mindestens zwei Räume für verschiedenste Aktivitäten und wies nicht unbedingt auf die Verehrung einer Dreiheit von Gottheiten hin. Genauso konnten die Räume des hohen Podiums für verschiedene Zwecke genutzt werden. Die Nutzung des unteren Geschosses als Lager und für Geschäfte wurde durch Speicherfunktionen oder die Nutzung als Raum für politische Versammlungen, Bankette und religiöse Aktivitäten vervollständigt, worauf der architektonische Aufbau wie spätere Praktiken hinweisen.29 „Religion“ bot durch die unterschiedlichen Formen eines Tempels einen wohl definierten öffentlichen Raum für verschiedene Kommunikationsformen.

Unser Wissen über Kultplätze und Tempel in Rom ist begrenzt: Archäologische Zufallsfunde ergänzen literarische Belege, die für die namentliche Erwähnung von Kultstätten vertrauenswürdig sein mögen, aber kaum vollständig sind, auch nicht nach ihren eigenen Ansprüchen. Städtische – aber nicht notwendigerweise öffentliche – Heiligtümer dieser Zeit bis hin zu den Latinerkriegen (340–338 v. Chr.) behausen Iuppiter Optimus Maxiumus (mit Iuno und Minerva) und Iuppiter Feretrius, dazu im Jahr 344 Iuno Moneta auf dem Kapitolshügel (besonders auf dem Gipfel, der arx) und Volcanus, Vesta, Saturnus sowie Castor auf dem Forum. Das Lupercal und die Altäre für Carmenta lagen an den Hängen das Palatin; Fortuna und Mater Matuta fanden Raum auf dem Forum Boarium (San Omobono). Der Altar des Hercules befand sich in der Nähe; Merkur, Consus (ein Altar) und die „plebejische Trias“ von Ceres, Liber und Libera standen im und über dem Circus-Tal; Diana, Minerva und Iuno Regia waren auf dem Aventin; Quirinus, Dius Fidus (Semo Sancus) und unidentifizierte Votivdeposite bei Santa Maria della Vittoria und San Vitale gab es auf dem Quirinal; Iuno Lucina (zuerst ein lucus) und Minerva Medica fanden Unterschlupf auf dem Esquilin; und erneut ein Kultplatz, der durch Votivdeposite gekennzeichnet ist, lag in der Nähe des späteren Colosseum.30 Für Mars gab es einen Altar auf dem Campus Martius und später einen Tempel direkt vor der Porta Capena (388); Fors Fortuna befand sich in Trastevere.

Das Errichten von fast fünfzig neuen Tempeln in dem Jahrhundert, das auf die Latinerkriege folgte,31 scheint schon in sich ein Beleg für einen beschleunigten Wandel und einer genauso starken Veränderung der religiösen und sozialen Bedeutung von Tempelbauten und einer Veränderung der Kommunikationsfunktionen dieser Tempel zu sein. Die Liste umfasst ein heterogenes Ganzes. Kultplätze, die von Votivdepositen und Heilkulten beherrscht wurden (Carmentae, Minverva Medica), vermischen sich mit Kulten, die auf dem Prinzip der Exklusion des anderen Geschlechtes fußen (Mater Matua, Vesta, Hercules) oder für spezielle Gruppen errichtet sind (Plebejer; Vesta, vielleicht auch Fors Fortuna). Besondere räumliche Anordnungen – eine Grotte am Lupercal, ein Brunnen für Anna Perenna32 und die Carmentae – kommen ohne Tempelbauten aus. Einige Kulte zeigen deutlich Importe (die kapitolinische Trias, Volcanus, Castor, Fortuna, Hercules, Diana, Iuno Regina). Diese scheinen das Ergebnis von Entscheidungen zu sein, die eher von der Regierung als durch Immigrantengruppen getroffen wurden. Insgesamt wird diese Gruppe dominiert von griechischen Kulten und wichtigen Kulten benachbarter Gemeinden. Zudem spiegeln solche religiöse Praktiken die Bedeutung der Sorge um persönliche Bedürfnisse wider. Vor allem auf der Ebene des Bauens von Monumenten, der Eingriffe in das Aussehen der Stadt und indem sie neue Gottheiten an diesen Orten ansiedeln, zeigen sie die translokale Kommunikation der Eliten. Der Import von Götterbildern oder Praktiken nach Rom zeigte eine Art Anerkennung für die Herkunftsregionen.

Die kommunikative Ebene ist auch wichtig für die Formen der Repräsentation des Göttlichen. Rituelle Kommunikation zwischen Menschen und Gottheiten, die nicht so anwesend, sichtbar und greifbar sind wie die Menschen, die an der face-to-face-Kommunikation beteiligt sind, benötigt eine Art von Verstärkung, um eine erfolgreiche Übermittlung von Nachrichten zu ermöglichen und ein positives Ergebnis der Kommunikation wahrscheinlicher zu machen. Archäologische Funde und spätere literarische Belege legen nahe, dass die in Rom praktizierten Rituale dieselben Praktiken widerspiegelten, die in anderen mediterranen Gesellschaften vertreten waren: Speise- und Tieropfer, Trankopfer sowie Votive in Erscheinungsformen, die durch die materiellen Ressourcen, durch Wirtschaft, Ernährung und Produktionsmöglichkeiten bedingt waren.

Wie zuvor schon für die Votivgaben erwähnt, war die Repräsentation des menschlichen Bittstellers wichtig. Wir wissen nicht, in welchem Ausmaß die Homogenität, die ein Resultat der Massenfertigung war, durch Bemühungen um Individualität und Abgrenzung, etwa durch die Hinzufügung von Zeichnungen, unterlaufen wurde. Eine wichtige Art der Differenzierung war die Unterscheidung nach Geschlecht und, zumindest grob, die Unterscheidung von Lebensphasen: Kleinkind, Jugend, Erwachsener. Ich tendiere dazu, diese Praktiken vor allem in Hinblick auf die Fortdauer der Kommunikation zu betrachten: Die zeitweilige, schwierige und unsichere Kommunikation mit dem Göttlichen, die durch den Besuch eines Schreins begonnen und definiert wird, wird auf diese Weise perpetuiert, um so Zeitbegrenzungen zu überschreiten und den menschlichen Akteur dauerhaft an einem Ort sichtbar machen zu können, der näher und für die Gottheit besser sichtbar ist. Die Votivgabe könnte direkt in einem Graben oder einer Grube abgelegt worden sein. Hingegen ist es möglich, dass die Funde ganzer Deposite auch eine zweite Erklärung finden, nämlich die, dass Votivgaben periodisch dem Blick entzogen wurden und so zu einer neuen Gruppe von Depositen führten.33

Neben der Repräsentation göttlicher Anwesenheit und Macht durch die Begrenzung eines Areals ist die bildliche Darstellung der Gottheit eine andere und die erste nicht ausschließende Strategie, die rituelle Kommunikation zu verbessern. Solch eine Strategie – nicht um die menschliche Repräsentation zu verdrängen, sondern zu ergänzen – gab es in Rom mindestens ab dem späten sechsten Jahrhundert v. Chr. Lebensgroße oder annähernd lebensgroße bemalte Terrakottastatuetten herrschten in der hier behandelten Zeit vor34 und wurden später mehr und mehr von Metall- und Marmorstatuen verdrängt. Ab und an wurden auch hölzerne Statuen genutzt. Solche auf Dauer gestellten, nicht mehr auf außergewöhnliche Momente beschränkten Epiphanien gab es vor allem in Tempelgebäuden. Diese zeigten sowohl die Anwesenheit der Gottheit als auch die Begrenzung des Zugangs zu ihr an.35 Fortlaufende Prozesse der Identifikation dieser Repräsentationen des Göttlichen durch Eigenschaften oder Bilder von Narrativen auf der Architektur warfen für die Zeitgenossen oft die Frage nach dem Problem der eigenen regionalen Identität der Götter auf und förderten so die Narrative von Transfers oder spontanen Entwicklungen.

In der historischen Perspektive ist es wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass für literarische Texte wie für Tempel die Rekonstruktion einer potentiellen „Bedeutung“ nicht nur auf den Moment der Gründung begrenzt werden kann, sondern auch einen langen Zeitraum (und möglicherweise verschiedene Nutzungen) umfassen muss.36 So wie die Initiatoren, Auftraggeber und Produzenten solcher Tempel in dieser Epoche an Wettbewerben zwischen und der Errichtung von überörtlichen Netzwerken mitwirkten, so beteiligten sich auch die Klienten und Benutzer solcher Baukomplexe im Wettstreit und in überörtlichen Beziehungen. Im frühen Rom umfassten diese wichtigen Knotenpunkte des Austauschnetzwerks griechische und karthagische (beziehungsweise punische) genauso wie etruskische und latinische Kulturen und Örtlichkeiten. In vielen latinischen Städten, wie zuvor bereits in Bezug auf die sogenannten Fürstengräber erwähnt, waren künstlerische Techniken mindestens so weit entwickelt wie in Rom. Neben den Terrakottafragmenten, die sich unter den Funden von San Omobino fanden, geben die Terrakotta-Akroterstatue des Apollon aus den Portonecciotempel in Veji, die Figuren aus dem größeren Tempel in Pygri (beide befinden sich im Museum der Villa Guilia, Rom) und die Statue der Iuno Sospita aus Lanuvium einen Eindruck davon, wie die Statuen im kapitolinischen Tempel ausgesehen haben könnten.

Römische Religion in republikanischer Zeit

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