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Rituale

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Öffentliche Versammlungen waren weder der häufigste noch der attraktivste Anlass, um eine große Anzahl von Menschen in Rom zusammenzurufen. Feiertage und große Rituale boten weitaus häufiger Gelegenheit dazu. In genau dieser Hinsicht können wir die bedeutendsten Veränderungen im Untersuchungszeitraum wahrnehmen. Zuerst betrifft dies die Häufigkeit der Feiertage. Beginnend mit den letzten Jahren des vierten Jahrhunderts v. Chr. zeigt sich ein Anstieg an Tempelbauten durch das dritte Jahrhundert hindurch. Diese Bauprojekte waren der Anlass für heftige Konflikte zwischen dem Senat und ihren Stiftern, die ihren Reichtum meist als Feldherren, sprich: durch Beutemachen, erworben hatten. Diese Bauwerke wurden auch mit großen Weihefesten und dauerhaft institutionalisierten Ritualprogrammen an den Jahrestagen ihrer Gründung (dies natales, „Geburtstagen“) assoziiert. Bestimmte Kulte gewannen an Wert durch die Verbindung mit Spielen (ludi), ein Prozess, der besonders in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts begann. Wie wir gesehen haben, bestanden die Spiele traditionell aus Rennen und athletischen Wettkämpfen. Tänze waren auch ein antikes Element der Spiele, die wahrscheinlich unter etruskischem Einfluss professionalisiert und durch Hintergrundszenen und Slapstick-Dialoge erweitert wurden. „Szenische Spiele“ beinhalteten auch dramatische Aufführungen nach griechischem Vorbild (ludi scaenici) und waren, nach dem späteren römischen Selbstbildnis, eine Fortsetzung dieser früheren Formen.23 Für die Jahre 240 und 235 haben wir Belege für die Aufführung von Stücken der frühesten Dramatiker, deren Namen uns bekannt sind, nämlich des „Halbgriechen“ Livius Andronicus, wahrscheinlich aus Terentum, und des Gnaeus Naevius aus der Campania.24

Innerhalb weniger Jahrzehnte gab es eine Explosion von Gelegenheiten für dramatische Aufführungen, sowohl Tragödien als auch Komödien. Mit dem Ende des dritten Jahrhunderts waren es elf25 und mit dem Ende des zweiten Jahrhunderts rund dreißig Tage für Spiele, die aus dem rituellen Rahmen der ludi Romani erwachsen waren.26 Die traditionellen Gattungen waren, nach einigen ersten Bestrebungen im Jahre 173, erweitert worden durch die Darstellung von Mimen bei den jährlichen ludi Florales, die dann in der Kaiserzeit andere Darstellungen an den Rand drängten.27 Der dramatische Aspekt übernahm zunehmend den zirkusartigen Aspekt der Spiele.28

Damit ist die Gruppe groß angelegter Rituale nicht erschöpft. Triumphprozessionen und kurzfristig und einmalig organisierte Spiele aus Anlass militärischer Erfolge wurden in den meisten Jahren gefeiert, ganz abgesehen von den Feiertagen ohne Spiele, wie die Saturnalien, die auf drei und dann auf fünf Tage erweitert wurden, genauso wie Veranstaltungen für Bittgesuche und Dankbarkeit, die supplicationes, oder wenn Menschen an Banketten in alten römischen Tempeln teilnahmen.

Wenn Veränderungen in „öffentlicher“ Kommunikation entdeckt werden können, dann finden wir sie in Verbindung mit diesen Ritualen. Opfer und Feste, die mit Familien oder Nachbarn gefeiert wurden, waren der Mittelpunkt traditioneller Feste, im Gegensatz zu den „wöchentlichen“ Feiern der Nundinen oder Kalenden, Nonen und Iden, die oft an wechselnden Orten oder außerhalb des Stadtzentrums gefeiert wurden. Dies trifft auch auf die Neptunalia, eine Art Laubhüttenfest, die an den Gräbern gefeierten Parentalia, die Matronalia und die Poplifugia auf dem Marsfeld zu. Es gilt gleichermaßen für die Trinkwettbewerbe des Kultes der Anna Perenna an den Ufern des Tibers und für die Parilia, die Reinigungsfeuer im April. Dagegen waren die Saturnalien im Dezember eher ein häusliches Fest. Es ist nicht möglich zu entscheiden, welchen Beliebtheitsgrad die alten Pferderennen der Equirria oder der Consualia oder des Equus October hatten.29

Die Supplikationen folgten zunächst diesem Muster.30 Als Bitt- oder Dankfeste waren sie zunächst Rituale in Krisenzeiten, die dazu dienten, die gesamte Bevölkerung zum Besuch des Tempels und zum Feiern in den Straßen zu bewegen. Solch ein ritualisierter Ausnahmezustand war ein häufiges Merkmal der Kriegführung im frühen zweiten Jahrhundert v. Chr. Er bot die Möglichkeit, die Solidarität mit den weit entfernten Kriegsschauplätzen (und -teilnehmern) zu stärken. In der Mitte des ersten Jahrhunderts hatte sich der Schwerpunkt desselben Rituals verändert. Wir wissen nicht, in welchem Maße sich die zwanzig- oder fünfzigtätigen Dankfeiern, die zu Ehren von Caesars Sieg über Gallien abgehalten wurden, vom alltäglichen Leben noch unterscheiden konnten. Der Beschluss der Kriegserklärung wurde sicherlich mehr beachtet als ein normaler Feiertag, für den keinerlei öffentliche Finanzierung zugänglich gemacht wurde. In jedem Fall waren die Supplikationen mit bedeutenden militärischen Siegen verknüpft und die Person, in deren Namen den Göttern gedankt wurde, war in der gesamten Stadt ein Gesprächsthema. Dadurch, nehme ich an, wurde in dieser Zeit und durch dieses Ritual die Kommunikation auf ein Thema, genauer: eine Person konzentriert, statt bloß ausgedehnte face-to-face-Interaktion zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu ermöglichen.

Die andere Art von Ritual, die seit der mittleren Republik an Bedeutung gewann, wird als das genaue Gegenteil der bereits genannten Volksfeste charakterisiert, nämlich als präzise räumliche Zentralisierung symbolischen Handelns. Die Kernelemente dieser Rituale waren Prozessionen (pompae) und die eigentlichen Spiele. Typischerweise begann die Prozession an einem Tempel und endete im Zirkus. Auch dramatische Aufführungen fanden auf improvisierten Bühnen in den großen Zirkussen statt, inklusive des Circus Maxiumus und, seit dem Ende des dritten Jahrhunderts, dem Circus Flaminius auf dem Marsfeld.31 Während der eigentliche rituelle Raum – der Weg der Prozession und der Circus – auf verschiedene Arten genutzt werden konnte und daher architektonisch nicht festgelegt war, wurde er doch durch zahlreiche Artefakte architektonisch eingerahmt.32 Eine große Anzahl von Tempelgebäuden konzentrierte sich auf den Raum um den Zirkus herum. Die wichtigsten Wege für Prozessionen zum oder vom Kapitol waren von Statuen, Säulen oder Siegesbögen gesäumt. So wurde ein spezifisch öffentlicher Raum aus der eher eintönigen Architektur politischer Versammlungen – comitium, rostra, curia – geschaffen, der zunehmend monumental war und dessen Monumentalisierung so funktionierte, dass sie den Erfolg der Gesellschaft gegenüber den Erfolgen und Ehren von Einzelpersonen hervorhob. Statuen, die zu Ehren von Einzelkämpfern errichtet wurden, und insbesondere Tempelbauten dienten als primäres Medium, das in der erläuterten Art und Weise wiederum eng mit den ludi und den supplicationes verbunden wurde.

Wie wurde Kommunikation innerhalb dieser Rahmenbedingungen ausgeübt? Der Standardmodus ist der der Passivität. Der römische Bürger fand sich selbst in der Rolle des Zuschauers. Dies gilt vor allem für Prozessionen. Die Teilnahme am Triumphzug des Aemilius Paullus bedeutete, dass man für drei Tage am Straßenrand stand und die Kriegsbeute bewunderte. Die siegreichen Soldaten konnten in der Prozession mitlaufen, die Senatoren konnten der Parade zujubeln oder mitmachen, aber die Hauptaufmerksamkeit galt dem Sieger und seiner Zurschaustellung der Kriegsbeute, sowohl lebender als auch toter Art. Teilnehmer ohne Bürgerrecht dominierten zahlenmäßig die pompa circensis. Während der Magistrat die Spiele finanzierte und die römische Jugend hierarchisch geordnet die Parade anführte, folgten Wagenlenker, Tänzer, Musiker und Clowns. Auch die Götter waren nur römische Bürger. Zwar wurden sie im Ende der Prozession mitgeführt. Das Opfer, sobald die Prozession ihr Ziel erreichte, wurde für sie vollzogen. Zuvorderst aber waren sie Zuschauer der Spiele und Wettbewerbe, die sich an die Prozession anschlossen. Sie hatten sozusagen Plätze in der ersten Reihe, auch wenn die Spiele nicht vor den Tempeln stattfanden.

Die Götter waren also das Zielpublikum des Rituals, und die römischen Zuschauer waren nur sekundäre Beobachter. Der letzte Punkt erhellt aus der Tatsache, dass im Gegensatz zu griechischen Festlichkeiten die allgemeine Teilnahme an Opferbanketten in Rom nicht Standard war. Nur bei seltenen Ausnahmen konnte die gesamte Öffentlichkeit etwas zu essen bekommen. Die verschiedenen integrierten epula waren, wie die lectisternia, Mahlzeiten für die Götter, an denen nur bestimmte Gruppen von Priestern und Senatoren teilnehmen durften.33

Solch eine vielschichtige Kommunikation ist typisch für religiöse Kommunikation und sollte nicht zu schnell übergangen werden. Die Spiele wurden als effizientes Mittel genutzt, um Spannungen mit den Göttern zu verringern und weiteren militärischen Niederlagen oder etwa Epidemien vorzubeugen. Dafür war das Beste gerade gut genug. Die Entwicklungsprozesse, die diese ideologische und sozio-materielle Konstellation hervorgebracht hatten, verlangten nach Qualität, nach immer mehr Extravaganz und einer Professionalisierung der beteiligten Personen. Autoren gründeten einen offiziellen römischen Verein (collegium poetarum) in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts, und bereits zuvor konnten professionelle Gruppen von Schauspielern aus den hellenisierteren Gegenden Italiens gebucht werden. Ähnliche Professionalisierungsprozesse können wir unter den Wagenlenkern beobachten, auch wenn Belege für einen Kult für Sieger des Wagenrennens erst in der Kaiserzeit zu finden sind. Vereinzelte und zumeist späte Quellen für die späte Republik decken auf, dass diese Profis als eine Gruppe agierten, zu denen die Zuschauer entweder aufsahen oder die sie als minderwertig verurteilten.

Ich möchte diesen Punkt aus einem ganz bestimmten Grund hervorheben. In einer Studie zu Gladiatoren34 hat Georges Villes Interaktionen innerhalb des Publikums, wie die Beobachtung von Senatoren oder das Applaudieren beziehungsweise Ausbuhen individueller Senatoren in einem Raum, der zunehmend zwischen den sozialen Gruppen Trennwände einzog,35 in den Vordergrund seiner historischen Forschung gestellt. Ich möchte keineswegs die Wichtigkeit solcher Faktoren bestreiten, finde aber die Annahme unbefriedigend, dass sekundäre Funktionen eher als primäre Intentionen eine solche Zunahme an „institutionalisierten“ Spielen erklären sollen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass Wettkämpfe, besonders die Wagenrennen, auf lange Sicht das erfolgreichste Element solcher Spiele waren. Wagenrennen dominierten die Spiele der Kaiserzeit und der Spätantike. Dem tatsächlichen Verhalten nach zu urteilen, würden wir sagen, dass ihr Reiz gerade nicht in der Konsensstiftung unter den Zuschauern bestand, sondern eher darin, unterschiedliche Vorlieben für bestimmte Lenker oder Teams zu pflegen und zu artikulieren. Man konnte Punkte machen, indem man den Lieblingslenker einer Freundin unterstützte, auch wenn dieser mit Sicherheit verlieren würde. Das ist zugegebenermaßen nur eine Vermutung, aber man kann sich die Genugtuung vorstellen, die jemand empfand, wenn er seinem Instinkt folgte und gegen die Wette seines Patron gewann.

Römische Religion in republikanischer Zeit

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