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Kapitel 1 Die Ausgangssituation: Römische Religion der archaischen und frührepublikanischen Epoche Historischer Überblick

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Die Wahrnehmung von Veränderung benötigt einen Hintergrund. Allerdings ist unser Wissen über Religion im frühen Rom sehr begrenzt. Zeitgenössische literarische Quellen oder vertrauenswürdige spätere Berichte sind nicht für die Zeit vor der zweiten Hälfte des vierten oder dritten Jahrhunderts v. Chr. verfügbar.1 Bereits zu dieser Zeit hatten die römischen Heere und ihre Verbündeten begonnen, ein Reich zu errichten, das sich bis zum Ende des ersten Jahrhunderts v. Chr. über die gesamte Mittelmeerküste erstrecken sollte. Dies ist der Zeitraum, um den es in diesem Buch geht. In der Folgezeit sollten bis zum Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. auch der Großteil des Hinterlands des Mittelmeerraumes, nämlich das gesamte westliche Europa inklusive Britannien, ein Großteil des südöstlichen Europa, darunter auch das heutige Österreich, Ungarn, Bulgarien und Rumänien, sowie Kleinasien bis nach Armenien zum Römischen Reich gehören. Rom verteidigte die gemeinsame Grenze mit dem persischen Sassanidenreich, beeinflusste die arabisch-islamische Kultur, die Urbanisierung Nordafrikas und die künstlerische Produktion wie Zeitrechnung der Kelten – und wurde zudem zur Wiege großer religiöser Rationalisierungsprozesse.

Gelegen nahe oder direkt an einer Furt des Tiber, um die fünfundzwanzig Kilometer entfernt vom Meer, begann im zehnten Jahrhundert v. Chr. die kontinuierliche Besiedlung des Ortes, der später zur Stadt Rom wurde. Der Tiber, obschon im Vergleich zu anderen italienischen Flüssen groß, ist einer der kürzeren westwärts fließenden Flüsse, die die westlichen Abhänge der Apenninen durchziehen. Zu Beginn des achten Jahrhunderts verschmolzen die Siedlungsgebiete auf dem Palatin und dem Quirinal. Die wirkliche Stadtentwicklung fing in Rom erst mit dem Beginn der sogenannten späten orientalisierenden Periode (um 650/40 v. Chr.)2 an und wurde durch drei miteinander verwobene Prozesse gekennzeichnet. Zuerst die Befestigung des Forum Romanum mit gestampfter Erde, wofür einige Hütten eigens von diesem Ort entfernt wurden, gefolgt von der Pflasterung um 625 v. Chr. Der zweite Schritt war im sechsten Jahrhundert die Schaffung der Cloaca maxima, einem monumentalen Tunnel, der das Gebiet entwässern sollte. Entwicklungen der häuslichen Architektur als dritter Schritt sind schwer zu datieren, waren aber zumindest in dieser Zeit auch schon durch Steinhäuser mit Ziegeldächern anstelle von Schilfdächern gekennzeichnet, die sich an den Hängen des Palatin und Velia befanden. Ihr Aussehen ist der Vorläufer zu den späteren Häusern mit Atrien, bei denen mehrere Räume um einen Innenhof angelegt wurden; diese massiven und daher wertvollen Häuser wurden wahrscheinlich für Jahrhunderte bewohnt.

Das Forum selbst wurde sehr schnell monumentalisiert. Ein Versammlungsbereich in Kreisform, vergleichbar mit den politischen Versammlungsplätzen Griechenlands, wurde geschaffen.3 Gegenüber diesem Comitium („Zusammenkommen“) wurde um 600 v. Chr. ein Gebäude in Stein errichtet, das sich als erste curia, als ersten Versammlungsort des Senats, betrachten lässt. Die erste aus Stein erbaute Kultstätte folgte um das Jahr 580 v. Chr. auf dem Comitium. Hier wurde ein fünfseitiger Steinblock mit Inschriften (cippus) gefunden, der einen der ersten lateinischen Texte, eine den König betreffende Verordnung (recei [sacrorum?]), enthielt.4 Die Fundamentschicht unter diesem Stein beinhaltet auch das Fragment einer attisch-schwarzfigurischen Vase, datiert auf 575–550 v. Chr., die den griechischen Schmiedegott Hephaistos auf einem Esel reitend zeigt. Dies deutet darauf hin, dass man das Bauwerk als Kultstätte für den Gott Vulcan, als Volcanal, deuten kann – ein bedeutsames Kennzeichen für die materielle und geistige Präsenz griechischer Kultur und Religion schon in der Anfangszeit römischer Religion.5

Ein weiteres Gebäude bildete die südliche Begrenzung des Forumsbereiches; der spätere Name Regia, also königlicher Palast, könnte ausweisen, dass dieses Kultzentrum in seiner Anfangszeit für den rex sacrorum und den pontifex maximus vorgesehen war.6 Des Weiteren wurde um 580 v. Chr. der erste vollwertige Podiumstempel an der nördlichen Ecke des Forum Boarium, dem Viehmarkt nahe des Tiberufers, errichtet, das später, möglicherweise erst wesentlich später, zum Kern des Doppelheiligtums für Fortuna und Magna Matuata werden sollte. In der Mitte des sechsten Jahrhunderts wurde dieser Tempel mit Terrakottastatuen des griechischen Herakles und der Athene/Minerva dekoriert.7 Auf dem Forum war das spätere Haus der Vestalinnen (atrium Vestae) eines der ersten Gebäude aus Stein.8

Religiöse Monumentalisierung fand ihren ersten Höhepunkt im Bau des Tempels auf dem Kapitol. Am Ende des sechsten Jahrhunderts fertiggestellt, hatte das Capitolium ein Grundmaß von 61 x 55 Metern und muss damit im Mittelmeerraum einer der größten Tempel seiner Zeit gewesen sein. Wegen seiner Größe, Sichtbarkeit und der Auswahl der Gottheiten war das Heiligtum ein Zeichen für die dominierende griechische Kultur des östlichen Mittelmeeres, die in Italien auch an Orten wie Gravisca und Pygri vorherrschte, eine Globalisierung unter griechischem Vorzeichen. Der Tempel war Iuppiter Optimus Maximus, dem „besten und größten Juppiter“, Iuno und Minerva geweiht und konnte sich mit den größten griechischen Heiligtümern in Städten wie Athen, Korinth und Olympia (Athene, Hera, Zeus) messen. Die Investition in hohe Qualität von Terrakotta-Plastiken weist auf die gleiche Intention, auf bewussten Wettbewerb, hin.9 Der Tempel der Dioskuren, der auf dem Forum zu Beginn des fünften Jahrhunderts geweiht wurde, war zwar kleiner, in seinen Ausmaßen von etwa neunundzwanzig Metern Breite bei etwa neununddreißig Metern Tiefe aber nicht weniger beeindruckend.10 Eine vergleichbare neue Woge monumentaler Erweiterungen des Stadtkerns gab es erst nach der politischen Neuordnung am Ende des vierten Jahrhunderts.

Die außergewöhnliche Größe der Stadt am Ende des sechsten Jahrhunderts, die eine Hauptstadt mit rund dreißigtausend Einwohnern bildete, setzt wirtschaftlichen Erfolg und regionale militärische Expansion voraus. Ökonomischer Erfolg kann durch die Spuren etruskischer und griechischer Präsenz auf dem Forum Boarium, wie zuvor erwähnt, nachgewiesen werden. Das wachsende militärische Format Roms als regionale Militärmacht wird durch den Text eines Vertrages deutlich, der durch den griechischen Historiker Polybios überliefert ist, der in der Mitte des zweiten Jahrhunderts ein Geschichtswerk verfasste, um anderen Griechen den Weg Roms zum Weltreich zu erläutern.11 Der Vertrag wurde von Rom als regionaler Macht und der Weltmacht der Karthager gegen Ende des sechsten Jahrhunderts geschlossen. Letztere dominierten als Nachfahren der Phönizier, die seit dem späten zweiten Jahrtausend v. Chr. das Mittelmeer durchsegelten, nicht nur Sizilien und das westliche Mittelmeer, sondern waren auch an den Küsten Zentralitaliens bekannt. Punische und etruskische Texte auf den goldenen Täfelchen aus Pygri zeigen, dass die Karthager den Kult der Astarte in dieser Stadt pflegten, die nur fünfzig Kilometer von Rom entfernt war.12

Die schriftliche Überlieferung, wie sie von Historikern des zweiten Jahrhunderts v. Chr. und in der Folgezeit gesichert oder erfunden wurde, gibt uns einen detaillierten, mitunter sogar übergenauen Blick auf die frühe römische Geschichte. Hier gilt es, quellenkritisch skeptisch zu bleiben – zumal dort, wo die „Überlieferung“ über solche Traditionen hinausgeht, die eng mit Institutionen verbunden und durch sie gestützt und so über längere Zeiträume erhalten worden sein könnten. Ich denke bei Letzteren vor allem an Tempel, Gesetze und manche genealogische Erzählungen. Nichtsdestoweniger ist eine rasche Skizze der politischen Entwicklungen vom sechsten bis zum vierten Jahrhundert möglich.

Die Phase der Herrschaft durch Könige (reges), zum Teil etruskischer Herkunft, wurde 509 v. Chr. beendet und durch ein System der Aristokratenherrschaft ersetzt, in dem Versammlungen von römischen Bürgern das Recht zufiel, zwischen verschiedenen Kandidaten zu wählen, insbesondere für das höchste Amt der schließlich zweijährlich gewählten Konsuln, gelegentlich auch das Recht, Gesetzen (leges) zuzustimmen. Für die Innenpolitik berichtet die Schrifttradition vor allem von einem Konflikt zwischen der „patrizischen“ Noblitität (die ihrerseits erst im Übergang von der Monarchie Gestalt angenommen haben mag)13 und einer neuen „plebejischen“ Elite: Mögliche Lösungen dieses Konflikts führten zu bestimmten institutionellen Veränderungen, die entweder die nichtpatrizische Elite in die bestehende Struktur öffentlicher Autorität vereinnahmten oder plebejischen Institutionen ähnlichen Stellenwert einräumten, wie sie die übrigen Institutionen besaßen; Beispiele solcher Wandlungsprozesse beinhalten Versuche von geteilter Herrschaft – das wären die Militärtribune – und vollständige Beteiligung der Plebejer am Konsulat. Dieser Prozess wurde erst mit Beginn des dritten Jahrhunderts mit Hilfe der Öffnung von Priesterämtern für die Plebejer (lex Ogulnia) und die Akzeptanz der Bindungswirkung der Volksabstimmung (lex Hortensia) beendet. Wohl schon in der Mitte des fünften Jahrhunderts fand eine Kodifikation von Gesetzen statt, auch wenn der (heute fragmentarische) Text der sogenannten Zwölf Tafeln nur durch die Kommentare des zweiten Jahrhunderts wirklich stabil geworden sein mag.

In regionaler Perspektive zeigen die Eroberung der etruskischen Stadt Veji, die nur fünfzehn Kilometer von Rom entfernt lag, zu Beginn des vierten Jahrhunderts und die Plünderung Roms durch die Gallier kurz danach das wechselnde militärische Glück. Es war wohl erst die entscheidende Niederlage des Bundes der latinischen Städte in den „Latinerkriegen“ (340–338 v. Chr.), die den Beginn der römischen Vorherrschaft über Zentralitalien markierte. Mit dieser wurden die Bündnisse der latinischen Städte aufgelöst und die Latiner in die römische Hegemonie eingegliedert. Die Vorherrschaft Roms über seine Nachbarn wurde von da an in den nächsten Jahrhunderten über die gesamte Halbinsel ausgeweitet.

Römische Religion in republikanischer Zeit

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