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3.3 Periphere Verschriftlichungsprozesse

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Vor dem Hintergrund der beschriebenen Entwicklungen auf der Ebene der Gesamtgesellschaft sind nun Veränderungen in der literarischen Kommunikation in den einzelnen Bereichen zu untersuchen. Bei den frühesten hier relevanten Ereignissen handelt es sich um mögliche Verschriftlichungen bestehender Gattungen – wenn überhaupt: Bis zu Cato dem Älteren am Ende der hier betrachteten Periode kennen wir für die meisten Bereiche nur in sich jeweils problematische „Ausnahmen“. Von Ap. Claudius Caecus, einem der wichtigsten Politiker und Reformer am Übergang vom vierten zum dritten Jahrhundert, wurde in Ciceronianischer Zeit eine Rede, nämlich die gegen Kineas, den Chefdiplomaten des Pyrrhus, aus dem Jahre 280 v. Chr., gelesen.19 Was man auch immer an Hypothesen gegen die Authentizität oder für eine sehr viel spätere Publikation vorbringen mag, es reicht festzuhalten, dass der Vorfall isoliert blieb. In nennenswertem Umfang kennen wir Reden erst von Cato dem Älteren, und auch hier handelt es sich wohl eher um Reden, die Cato selbst in sein Geschichtswerk einflocht und die daher erst sekundär selbständig überliefert wurden.

Verschriftlicht wurden in Einzelfällen auch Leichenreden; Plinius der Ältere konnte aus der im Jahr 221 v. Chr. gehaltenen Rede des Sohnes für den verstorbenen Pontifex maximus L. Caecilius Metellus zitieren. Für die laudatio funebris legt sich eine familieninterne Tradierung nahe, da man an eine Wiederverwendung (unter Nachtrag des jeweils jüngst Verstorbenen) denken konnte. Eine „Publikation“ leistet eine Repräsentierung eines gerade in Hinblick auf die Konkurrenz der gentes um Prestige zentralen Elements des Rituals – vielleicht das entscheidende Motiv für einen solchen Schritt. Auf jeden Fall muss gerade für den rhetorischen Bereich zwischen Produktionsschriftlichkeit, die wenigstens Ende des zweiten Jahrhunderts v. Chr. üblich geworden zu sein scheint, und einer auf Dokumentation und/oder zusätzliche Verbreitung zielenden Schriftlichkeit unterschieden werden. Der letzte Schritt ist erst nach Cato allgemein erreicht worden.

Erwähnt werden müssen auch die Sentenzen, die carmina des Ap. Claudius Caecus, Sprüche, deren Verschriftlichungsdatum aber nicht näher zu bestimmen ist; bekannt sind sie seit der späten Republik. Eine originäre Verbreitung als kohärente Sammlung ist unwahrscheinlich, eher ist an mündliches Traditionsgut zu denken, dass sich – wie im Falle der carmina Marciana – unter bestimmten Bedingungen einen Verfasser sucht.20

Das Medium der Schrift führt – für uns seit der Mitte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts zu erkennen – zu einer steigenden Verbreitung von Grabinschriften, ein Prozess, der erst in Augusteischer Zeit einen ersten Höhepunkt erfährt. Möglicherweise knüpfen solche Inschriften an die tituli an, mit denen die Ahnenmasken im Atrium seit einem unbekannten Zeitpunkt versehen wurden. Kommunikation erfolgt hier unter bewusster Absehung vom Verfasser; die Adressaten können an beiden Orten im Kreise von Familie, Gästen und Klienten gesucht werden, denen Anlass zur mündlichen, narrativen Entfaltung dieser Kurztexte gegeben wird.

Schriftliche Dokumentation von Entscheidungen, Vorgängen und Mitgliedschaften in Kollegien lassen sich im selben Zeitraum, der Mitte des dritten Jahrhunderts, erstmals greifen. Bahnbrechend könnte hier das Kollegium der Pontifices gewesen sein. Es ist typisch für diese Art von Aufzeichnung, dass sie auch Nichtmitgliedern frei zugänglich gewesen sein muss – wenn mir auch keine Fälle von bewusster Vervielfältigung bekannt sind. Nicht der Bildung von Geheimwissen dient dieser Typ von Verschriftlichung, sondern – der Informationsauswahl nach zu urteilen – der Dokumentation von Präzedenzfällen, der Sicherung eigener und Abwehr falscher fremder Ansprüche.21 Mit den zuletzt genannten Unternehmungen werden wichtige Entwicklungen in der Verwaltungsschriftlichkeit, vor allem aber im Umgang mit der eigenen Vergangenheit und einem zunehmenden Misstrauen gegenüber mündlichen Traditionen inauguriert. Den Bereich peripherer Verschriftlichungsprozesse haben wir damit bereits verlassen.

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