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3.6 Epos

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Drei epische Texte sind, mit einer steigenden Zahl von Fragmenten, aus der hier interessierenden Epoche bekannt: die Odussia des Livius Andronicus, das Bellum Poenicum des Naevius und – in den 180er und 170er Jahren verfasst – die Annales des Ennius. Die Chronologie der beiden frühen Texte ist umstritten; da in allen Fällen die dramatische Produktion die Schaffensbasis in Rom bot, wird man die Epen nicht zu früh ansetzen, andererseits ist selbst ein Alterswerk des kaum deutlich nach 280 geborenen Naevius nicht notwendig erst an das Ende oder gar nach den Zweiten Punischen Krieg zu datieren.

Für die Frage nach dem Kommunikationssystem ist vor allem zu klären, welchen sozialen Ort das frühe römische Epos besaß und welche Rolle die Schriftlichkeit spielte. Wenn man die Verbreitung über einen praktisch mit der Odussia importierten Buchhandel für ausgeschlossen und auch die Verwendung eines so innovativen Epos für den Schulunterricht Mitte des dritten Jahrhunderts für unwahrscheinlich (oder zumindest nicht primär) hält, lässt sich zumindest die zweite Frage schnell klären: Schriftlichkeit muss hier wesentlich Produktionsschriftlichkeit gewesen sein. Mustert man die Kommunikationsräume, die für eine Rezitation, die nun als primäre Verbreitungsform übrig bleibt, in Frage kämen, lässt sich schon im negativen Ausschlussverfahren – wo ist die monologische Rezitation eines längeren Texten überhaupt vorstellbar? – das Bankett als der wahrscheinlichste Ort bestimmen, wie im nächsten Kapitel ausführlich begründet werden soll.

Die Leistung dieser Texte besteht darin, der Kultur ihrer unmittelbaren Rezipienten einen Ort in den internationalen Traditionen der Mittelmeerwelt, insbesondere der griechischen Mythologie und Geschichte, zu geben: Das ist der Welt- und Rechtfertigungshorizont (wenn auch nicht die konkrete Zuhörerschaft), den literarische Kommunikation einschließt.30

Diese Einbettung, die ihrerseits den Zugriff auf schriftliche Formen des angeeigneten Wissens zur Voraussetzung hat, wird ergänzt durch eine zweite Leistung, die ihrerseits erst mit Hilfe von Produktionsschriftlichkeit in solchem Umfang möglich ist: die Systematisierung und Detaildokumentation der eigenen kulturellen Ressourcen. Das ist einerseits Voraussetzung zur Integration oder klaren Distanzierung fremder Elemente, zugleich aber erst Folge der neu rezipierten Modelle und Kategorien.31 Insgesamt ist damit die Möglichkeit zur deutlichen Erweiterung des eigenen Wissensvorrates gegeben. Systematisierung heißt aber auch – kulturintern – die Systematisierung der vor allem durch die Leistungen der Vorfahren erworbenen Ansprüche der konkurrierenden gentes.32 Der schiere Umfang epischer Gedichte (von Naevius noch in einen Abend gepresst, von Ennius didaktisch klüger als wohlproportioniertes Großepos gestaltet) ermöglicht hier die Berücksichtigung vielfältiger Interessen und ihre narrative Austarierung: eine Voraussetzung für die breite Rezeption der Texte und ihre schulische Verwendung. Als Gattung historialer Erinnerung und Identitätsbildung kommt dem Epos zentrale Bedeutung zu.

Metrische Texte dieses Umfangs produzieren nicht mehr die am Bankett teilnehmenden nobiles, sondern Berufsdichter. Für sie als Außenseiter ist es schwierig den richtigen Ton zu treffen. Was wir haben, sind die Texte der Erfolgreichen (oder wenigstens deren Fragmente). Aber auch vom Umgang mit weniger Glücklichen vermittelt eine zufällige Quelle eine Vorstellung. So überliefert Gellius ein Zitat Catos des Älteren, in dem jener die Bezeichnung grassatores für symposiastische Dichter verwendet: „Schmeichler“.33 Kein Wunder, dass Ennius seine eigene wichtige Funktion für die Verbreitung des Ruhmes der nobiles sehr offensiv in seinen Texten vertritt.

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