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Kapitel 1 Räume literarischer Kommunikation in der Formierungsphase römischer Literatur 1. Literarische Kommunikation
ОглавлениеLiterarische Kommunikation ist Kommunikation mit Hilfe von Texten, umfangreicheren Äußerungen, die eine einigermaßen kohärente und stabile Form aufweisen. Diese Texte sind ebenso wie die auf ihnen aufbauenden Kommunikationsformen Bestandteil einer Kultur und selbst dann, wenn ihnen die sprachliche Situation einen gewissen Monopolistenschutz bietet, Veränderungen der gesamten Kultur mit ausgesetzt. Die Folgen können sich in den Texten widerspiegeln, die verändert, ersetzt oder gesichert werden, sie können sich aber auch im Umgang mit den Texten und im Gesamtsystem literarischer Kommunikation widerspiegeln. Auch Geschichtsdarstellungen, Historiographie, sind Teil eines solchen Kommunikationssystems, erhalten ihre Kommunikationsmöglichkeiten und Rezeptionschancen in der Konkurrenz wie wechselseitigen Stützung literarischer Kommunikation in Gattungsvielfalt.
Auch wenn die Verbreitung des Textes als Rezitation, in Mündlichkeit, als Re-Oralisierung stattfindet, lenkt der Begriff der „literarischen Kommunikation“ den Blick auch auf die Produktionssituation. Geschichtsschreibung ist, wie Michel de Certeau gezeigt hat, ein höchst komplexer Prozess, in dem primär nach den Akteuren, ihrem institutionellen Ort, ihren Techniken und erst dann nach dem resultierenden Text gefragt werden muss.1 Für die in diesem Teil behandelte Epoche ist dieses Programm allenfalls in Ansätzen einzulösen.
Ohne Zweifel gehört der Prozess der Hellenisierung Roms im dritten und zweiten Jahrhundert v. Chr. zu den ausgeprägtesten Phasen beschleunigten Wandels in der Geschichte der römischen Kultur. Nichtrömer aus dem hellenistischen Kulturraum der Magna Graecia beginnen durch Übersetzerarbeit griechische Gattungen populär zu machen. Das ist schwierig genug und nicht immer erfolgreich: Die Vielfalt der Gattungen der Ennianischen Literaturproduktion wird erst wieder in spätrepublikanisch-augusteischer Zeit erreicht.
Eine solche Betrachtung wird der Komplexität der Entwicklungen aber nicht gerecht. Indem ich nicht den Sprachwechsel, sondern den Medienwechsel und die Frage nach dem „Sitz im Leben“ in den Vordergrund rücke, möchte ich mich von einzelnen Gattungsgeschichten im Übergang von Griechenland nach Rom lösen und nach der Geschichte und Verflechtungsgeschichte des literarischen Systems insgesamt in einer Gesellschaft fragen, die trotz jahrhundertelanger Kenntnis der Schrift in den allermeisten Bereichen ganz auf orale Kommunikationstechniken abgestellt hat.2 Die Gefahr, Funktionsänderungen von „Gattungen“ zu übersehen, soll durch die Analyse von Kommunikationsräumen überwunden werden: Vorbereitende und parallel laufende Prozesse, die möglicherweise funktionale Äquivalente bereitstellen, müssen ebenso einbezogen werden wie entgegengesetzte Prozesse, Ablehnungen und Verzögerungen. Es gilt aber auch zu bedenken: Die Literatur stellt nur einen Bereich des Hellenisierungsprozesses dar. Ein Blick auf die politische und kulturelle Gesamtentwicklung ist unabdingbar.