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3.7 Geschichtsschreibung
ОглавлениеDer griechisch gebildete Literatur-Profi verfügte durchaus über ein breiteres Angebot als nur Epik. Es stellt sich die Frage, ob wir uns nicht auch eine Reihe von anderen Texten und vor allem: anderen Gattungen des Ennius auch als in symposiastischem Kontext zu Gehör gebracht vorstellen müssen. Wer etliche Jahre Zeit zu Annales-Fortsetzungen fand, mochte zwischendurch auch anderes, auch Prosaisches ausprobieren. Wenigstens als Hypothese sei das hier geäußert; es würde dem vielleicht ersten hexametrischen Gedicht in lateinischer Sprache, den Hedyphagetica, den „Delikatessen“, einem kulinarischen Gedicht,34 ebenso dem – in der Zählung Vahlens – letzten Fragment des Euhemerus, das aus dem Wort gluma besteht und somit in Feinheiten des Getreideanbaus führt,35 einen plausiblen Ort geben.
Die Alternative zur symposiastischen römischen Epik professioneller italischer Dichter war Geschichtsschreibung aus der Hand von Angehörigen der Oberschicht selbst. Die Leistungen waren vergleichbar, sowohl im Sinne des „Netzanschlusses“ als auch – und zwar deutlich stärker als im Epischen – im Sinne der Systematisierung insbesondere chronologischer Art.36 Warum aber schrieben die ersten römischen Geschichtsschreiber, die großen Chronologen Fabius Pictor und Cincius Alimentus, wenn meine literaturgeschichtliche Einordnung stimmt, in griechischer Sprache? Die Antwort, vermute ich, liegt im Ort der damit angezielten literarischen Kommunikation begründet: Griechische Prosa war kaum Rezitationsstoff für Symposien. Griechisch war aber die Sprache von Büchern, genauer: Buchrollen. Wir müssen uns klarmachen, dass praktisch all die Texte, von denen bislang die Rede war, mündlich rezipiert wurden. Drama war etwas im Theater zu Erlebendes, Epos etwas im Bankett zu Hörendes. Nahm man dagegen eine Schriftrolle in die Hand, war sie mit hoher Wahrscheinlichkeit griechisch geschrieben – von ein paar Aufzeichnungen amtlicher Natur vielleicht abgesehen, die aber eher auf Täfelchen oder gar – für ganz profane Zwecke – auf Codices standen. In der narrativen Gattung der Geschichtsschreibung besaßen die Römer die erste Form von Texten, die primär zur Lektüre (und zwar für römische Leser) bestimmt waren.37 Das Lateinische wurde „Buchsprache“ erst zwei Generationen später mit den Origines des Cato.