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aa) Sicht des BVerfG

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Seit seinem Urteil zur Gruppenuniversität[12] interpretiert das BVerfG die Wissenschaftsfreiheit nicht nur als Abwehrrecht, sondern auch als „wertentscheidende Grundsatznorm“.[13] Das Grundgesetz enthalte in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG eine Wertentscheidung, die auf der Schlüsselfunktion freier Wissenschaft für die Selbstverwirklichung des Einzelnen und für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung beruhe. Dies umfasse „das Einstehen des Staates, der sich als Kulturstaat versteht, für die Idee einer freien Wissenschaft und seine Mitwirkung an ihrer Verwirklichung“.[14] Der Staat müsse, mit personellen, finanziellen und organisatorischen Mitteln schützend und fördernd einer Aushöhlung der Wissenschaftsfreiheit vorbeugen und funktionsfähige Institutionen für den Wissenschaftsbetrieb zur Verfügung zu stellen. Dies folgert das Gericht daraus, dass ohne institutionelle Voraussetzungen freie Forschung und Lehre nahezu unmöglich sei, der Staat bei ihrer Gewährleistung aber ein faktisches Monopol habe.[15] Auf den Erlass entsprechender, wissenschaftsadäquater Organisationsregeln habe der einzelne Wissenschaftler einen grundrechtlich fundierten Anspruch.[16] Hierfür hätten – wie das BVerfG in späteren Entscheidungen im Einzelnen herausgearbeitet hat – insbesondere funktionsfähige universitäre Kollegialorgane, die die Hochschulleitung bei allen wissenschaftsrelevanten Entscheidungen hinreichend effektiv kontrollieren können, Bedeutung.[17]

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Diese Anforderungen an die Hochschulgesetzgebung relativierte das BVerfG allerdings: Die Wissenschaftsfreiheit garantiere weder das überlieferte Strukturmodell der Universität, noch überhaupt eine bestimmte Organisationsform des Wissenschaftsbetriebes.[18] Der Gesetzgeber dürfe innerhalb der Grenzen des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG die Organisation der Hochschulen nach weitgehend freiem Ermessen gestalten und aktuellen gesellschaftlichen und wissenschaftssoziologischen Gegebenheiten anpassen.[19] Dabei seien auch Auflösungen und Zusammenlegungen bestehender Einrichtungen wie z.B. die Fusion von Hochschulen zulässig.[20] Begrenzt sei die Freiheit des Gesetzgebers lediglich bei Angelegenheiten, die Forschung und Lehre unmittelbar berührten wie die Planung von Forschungsvorhaben und des Lehrangebots sowie Personalentscheidungen in Angelegenheiten der Professoren und der wissenschaftlichen Mitarbeiter.[21] Die Frage, ob auf das Selbstverwaltungsrecht besondere Rücksicht zu nehmen sei, weil Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG auch das „Grundrecht der deutschen Universität“[22] beinhalte, ließ das BVerfG offen[23] und bemerkte etwas sibyllinisch: „Kriterium für eine verfassungsgemäße Hochschulorganisation kann […] nur sein, ob mit ihr freie Wissenschaft möglich ist und ungefährdet betrieben werden kann“.[24]

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Näher präzisiert hat das BVerfG die in der Grundrechtsdogmatik wohl singuläre Formulierung „wertentscheidende Grundsatznorm“ kaum. Bis zur Entscheidung über das Brandenburgische Hochschulgesetz im Jahre 2004[25] wurde aber vielfach angenommen (auch wenn die einschränkenden Formulierungen in BVerfGE 35, 79 in die entgegen gesetzte Richtung deuteten), das BVerfG erkenne in gewissem Umfang eine Einrichtungsgarantie der akademischen Selbstverwaltung an.[26] In der Brandenburg-Entscheidung nahm das BVerfG diesen Auslegungen seiner Rechtsprechung jedoch den Wind aus den Segeln: Zwar stellte es erneut die Pflicht des Staates heraus, wissenschaftsadäquates Hochschul(organisations)recht zu schaffen.[27] Inadäquanz in diesem Sinne sei anzunehmen, wenn von einer hochschulorganisatorischen Entscheidung eine „strukturelle Gefährdung“ der Wissenschaftsfreiheit ausgehen könne, rein hypothetische Gefährdungen reichten nicht aus.[28] Das Gericht betonte jedoch noch einmal ausdrücklich, dass es keine Pflicht des Gesetzgebers gäbe, die Hochschulen nach dem Selbstverwaltungsmodell zu organisieren.[29] Ebenso wenig sei Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ein Vorrang von Kollegialorganen vor monokratischen Leitungsorganen zu entnehmen.[30]

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Auch in den seit der Brandenburg-Entscheidung ergangenen Urteilen hat sich das BVerfG nicht zu einer Verankerung der Hochschulselbstverwaltung auf der Ebene des Grundgesetzes bekannt. Ausführungen im Urteil zur Fusion der Technischen Universität Cottbus mit der Hochschule Lausitz[31] deuten sogar eher noch klarer als die entsprechenden Passagen in der Brandenburg-Entscheidung darauf hin, dass das Gericht eine Einrichtungsgarantie der akademischen Selbstverwaltung allein auf der Ebene der Landesverfassungen ansiedelt. Zumindest gelang es dem BVerfG aber, v.a. in den Urteilen zum Hamburgischen Hochschulgesetz[32] und zur Medizinischen Hochschule Hannover,[33] die Maßstäbe dafür, wann (insbesondere bei der Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Kollegial- und Leitungsorgan der Hochschule) eine verfassungswidrige „strukturelle Gefährdung“ der Wissenschaftsfreiheit vorliegt zu konkretisieren (näher s.u. Rn. 191–193).

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Ebenso wurden im bereits erwähnten Beschluss zur Hochschulfusion in Brandenburg die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Zusammenlegung und Auflösung von Hochschulen näher herausgearbeitet. Insbesondere betonte das BVerfG unter Bezug auf seine Wesentlichkeitstheorie, dass der Gesetzgeber wegen der Relevanz für die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG die wesentlichen Fragen derartiger Maßnahmen selbst regeln müsse.[34] Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens für ein entsprechendes Fusions- oder Auflösungsgesetz seien dann u.a. die Auswirkungen auf die Wissenschaftsfreiheit zu berücksichtigen (durch die konkrete Ausgestaltung der Fusion/Auflösung dürfe keine strukturelle Gefährdung bewirkt werden). Ein zusätzliches, über die ohnehin bestehende Bindung des Gesetzgebers an Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG hinausgehendes Beteiligungs- bzw. Anhörungsrecht der betroffenen Hochschule/n, ihrer Fakultäten und/oder Wissenschaftler aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG lehnt das BVerfG aber ausdrücklich ab. Ein solches Recht folge auch nicht aus einer Parallele zur in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG garantierten kommunalen Selbstverwaltung.[35] Wörtlich heißt es in der Entscheidung: „Die Grundsätze zur Neugliederung von Gemeinden sind jedoch wegen der Unterschiede zwischen Hochschulen und Kommunen nicht auf Hochschulfusionen übertragbar. Die Verbürgung kommunaler Selbstverwaltung in Art. 28 II 1 GG ist als Einrichtungsgarantie gefasst, die sich zudem grundsätzlich auf alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft erstreckt und damit unmittelbar sämtliche Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinde einschließt; demgegenüber erfüllt die Hochschule einen inhaltlich umgrenzten, eigenständigen Sachauftrag durch und für einen durch die Hochschulmitgliedschaft beschränkten Personenkreis“. Die Frage, ob aus landesverfassungsrechtlichen Garantien der akademischen Selbstverwaltung (wie Art. 138 Abs. 2 BV) besondere Beteiligungsrechte der Hochschulen bei Hochschulfusionen folgen, ließ das BVerfG ausdrücklich offen.[36]

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