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Missa pro defuncto archiepiscopo …
ОглавлениеRund zehn Monate nach diesem Sterbefall in der Familie Haydn, am 16. Dezember 1771, verschied der Fürsterzbischof, Graf Sigismund von Schrattenbach. Knapp zwei Wochen später, am 31. Dezember 1771, führte Haydn im Salzburger Dom sein Requiem in c-Moll als »Missa pro defuncto Archiepiscopo Sigismundo« auf. Auch die beiden Mozarts, Vater und Sohn, wirkten als Mitglieder der Hofmusik bei der Aufführung im Dome mit. Das monumentale Werk erregte sofort Aufsehen, es wurde bei so manchen ernsten Anlässen gesungen, nicht nur in Salzburg. Michael Haydn hatte sein erstes bedeutsames Chorwerk komponiert, sein Ruhm verbreitete sich in Österreich und in Süddeutschland. Sowohl sein Bruder wie Mozart zitierten kurze Zeit später das Thema der Schlussfuge »Cum sanctis tuis« in Kammermusikwerken.
Alle Musikologen wundern sich über die Ausdruckstiefe des Werkes, über die plötzliche Meisterschaft des 34-jährigen Haydn und über die unglaubliche Schnelligkeit der Komposition. Es gibt dafür nur eine plausible Erklärung: Michael Haydn hat das Werk, wenigstens teilweise, schon früher geschrieben, unter dem unmittelbaren Eindruck des Verlustes seines eigenen Kindes. Kein Text kam seiner seelischen Verfassung so entgegen wie die pathetischen Bitten um ewige Ruhe oder die düstere Weltgerichtsstimmung der Dies-irae-Sequenz. Die altehrwürdigen Verse, die ihm schon seit seiner Zeit als Sängerknabe vertraut waren, griffen unmittelbar ans Herz, aus ihnen schöpfte Haydn Trost und Hoffnung. Als der Erzbischof starb, brachte er sein Requiem schnell zum Abschluss. Die Trauerfeier für den Fürsten war die willkommene Gelegenheit, die insgeheim private Totenfeier bei einem »erlauchten« Anlass zur öffentlichen Aufführung zu bringen. Zu dieser Zeit hatte man wenig Sinn für den persönlichen Schmerz eines Untergebenen, eines nichtadligen Menschen. Nur hohe Persönlichkeiten hatten einen Anspruch auf eine große Trauerfeier. Unter dem Deckmantel des Namens des Erzbischofs war es Haydn vergönnt, die Trauer um seine Tochter gebührend auszudrücken. Andrerseits wäre es für den Musiker auch finanziell nicht leicht gewesen, den festlichen Klangkörper, Soli, Chor und Orchester mit Trompeten, Posaunen und Pauken für eine eigene Aufführung zu engagieren, als »Totenmesse für das verstorbene Töchterchen Aloisia Josefa«, wie er das Werk vermutlich in seinem Herzen nannte.
Requiem. Erste Seite der autographen Partitur