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1.3 Bauordnungsrecht ist Landesrecht
ОглавлениеDas Grundgesetz der Bundesrepublik weist das Bauordnungsrecht als Sicherheitsrecht den Bundesländern zu. Demzufolge gibt es eine Nordrhein-Westfälische Bauordnung oder eine Bayerische Bauordnung. Damit aber gleichgeartete Fälle [18]vergleichbar geregelt werden können, stützen sich die Landesbauordnungen auf eine so genannte Musterbauordnung. Dieses Muster wird von der Fachkommission Bauaufsicht – einer Arbeitsgemeinschaft der Obersten Bauaufsichtsbehörden der Länder – erarbeitet und wird von ihr permanent fortgeschrieben. Hier legen Baufachleute und Juristen unter Beiziehung von Sachverständigen den materiellen und formellen Inhalt der Bauordnungsrechtsbestimmungen fest. In Abständen wird ein verbindliches Muster von der Innenministerkonferenz beschlossen. Über dieses Muster haben dann die legislativen Körperschaften der jeweiligen Bundesländer bei der Umsetzung in Landesrecht zu befinden. Im Folgenden soll daher immer auf die Bestimmungen der Musterbauordnung Bezug genommen werden, wobei weniger Einzelbestimmungen als vielmehr Grundsätze in den Vordergrund gestellt werden.
Entgegen dem üblichen Sprachgebrauch bedeutet »grundsätzlich« oder »im Grundsatz« in Rechtsbestimmungen so viel wie »es gibt Ausnahmen«. Darauf möge der nicht Rechtskundige bei den Ausführungen achten.
Anstelle den früher verwendeten Begriffen »Ausnahmen und Befreiungen« kennt die jetzige Musterbauordnung nur die »Abweichung«. § 67der MBO lautet:
»Die Bauaufsichtsbehörde kann Abweichungen von Anforderungen dieses Gesetzes und aufgrund dieses Gesetzes erlassener Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen […] vereinbar sind […].«
Öffentliche Belange sind insbesondere die öffentliche Ordnung und der Schutz von Leben oder Gesundheit. Auch der Umweltschutz gehört zu den öffentlichen Belangen. Abweichungen beziehen sich immer auf materielle Vorschriften. Daneben gibt es den Begriff der Abweichung von technischen Baubestimmungen. Eine Abweichung kann zugelassen werden, sie kann mit kompensierenden Auflagen zugelassen werden, oder sie kann nicht zugelassen werden. Dies erlaubt eine elastischere und auf den Einzelfall eingehende Behandlung der Fälle.
Dennoch könnte man mit der Bauordnung allein nicht bauen. Wie jedes andere Gesetz bedarf eine Bauordnung der »Ausfüllung« zur Verwirklichung und näheren Bestimmung (Konkretisierung) ihrer allgemeinen Anforderungen. Die Bauordnung ermächtigt daher die Obersten Baubehörden zum Erlass von Rechtsverordnungen auf dem Verwaltungswege.
Solche Rechtsverordnungen sind insbesondere Durchführungsverordnungen zu den Länderbauordnungen, Garagenverordnungen und Feuerungsverordnungen, für [19]die jeweils eine Musterverordnung die Grundlage bildet. Sie konkretisieren unbestimmte Rechtsbegriffe.
Die Bauordnungen der Länder unterscheiden Gebäude nach ihrer Gebäudeklasse und der Nutzung als Standardbau, Sonderbau oder Mittel- und Großgarage.
Gebäudeklasse 1:
freistehende Gebäude mit einer Höhe bis zu 7 m und nicht mehr als zwei Nutzungseinheiten von insgesamt nicht mehr als 400 m² und freistehende land- oder forstwirtschaftlich genutzte Gebäude,
Gebäudeklasse 2:
Gebäude mit einer Höhe bis zu 7 m und nicht mehr als zwei Nutzungseinheiten von insgesamt nicht mehr als 400 m²,
Gebäudeklasse 3:
sonstige Gebäude mit einer Höhe bis zu 7 m,
Gebäudeklasse 4:
Gebäude mit einer Höhe bis zu 13 m und Nutzungseinheiten mit jeweils nicht mehr als 400 m²,
Gebäudeklasse 5:
sonstige Gebäude einschließlich unterirdischer Gebäude.
Standardbauten sind nach einem Ausschlussprinzip Gebäude, die weder Sonderbau noch Mittel- oder Großgarage sind. Es handelt sich hierbei um den Großteil der Gebäude, wie übliche Wohngebäude, kleinere Bürogebäude oder landwirtschaftliche Gebäude. |
Sonderbauten sind Anlagen oder Räume besonderer Art oder Nutzung, die einen der nachfolgenden Tatbestände erfüllen:
1 Hochhäuser (mit einer Höhe von mehr als 22 m),
2 bauliche Anlagen mit einer Höhe von mehr als 30 m,
3 Gebäude mit mehr als 1.600 m² Grundfläche des Geschosses mit der größten Ausdehnung, ausgenommen Wohngebäude und Garagen,
4 Verkaufsstätten, deren Verkaufsräume und Ladenstraßen eine Grundfläche von insgesamt mehr als 800 m² haben,
5 [20]Gebäude mit Räumen, die einer Büro- oder Verwaltungsnutzung dienen und einzeln eine Grundfläche von mehr als 400 m² haben,
6 Gebäude mit Räumen, die einzeln für die Nutzung durch mehr als 100 Personen bestimmt sind,
7 Versammlungsstättenmit Versammlungsräumen, die insgesamt mehr als 200 Besucher fassen, wenn diese Versammlungsräume gemeinsame Rettungswege haben,im Freien mit Szenenflächen sowie Freisportanlagen jeweils mit Tribünen, die keine Fliegenden Bauten sind und insgesamt mehr als 1.000 Besucher fassen,
8 Schank- und Speisegaststätten mit mehr als 40 Gastplätzen in Gebäuden oder mehr als 1.000 Gastplätzen im Freien, Beherbergungsstätten mit mehr als 12 Betten und Spielhallen mit mehr als 150 m² Grundfläche,
9 Gebäude mit Nutzungseinheiten zum Zwecke der Pflege oder Betreuung von Personen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung, deren Selbstrettungsfähigkeit eingeschränkt ist, wenn die Nutzungseinheiteneinzeln für mehr als 6 Personen oderfür Personen mit Intensivpflegebedarf bestimmt sind odereinen gemeinsamen Rettungsweg haben und für insgesamt mehr als 12 Personen bestimmt sind,
10 Krankenhäuser,
11 sonstige Einrichtungen zur Unterbringung von Personen sowie Wohnheime,
12 Tageseinrichtungen für Kinder, Menschen mit Behinderung und alte Menschen, ausgenommen Tageseinrichtungen einschließlich Tagespflege für nicht mehr als zehn Kinder,
13 Schulen, Hochschulen und ähnliche Einrichtungen,
14 Justizvollzugsanstalten und bauliche Anlagen für den Maßregelvollzug,
15 Camping- und Wochenendplätze,
16 Freizeit- und Vergnügungsparks,
17 Fliegende Bauten, soweit sie einer Ausführungsgenehmigung bedürfen,
18 Regallager mit einer Oberkante Lagerguthöhe von mehr als 7,50 m,
19 bauliche Anlagen, deren Nutzung durch Umgang oder Lagerung von Stoffen mit Explosions- oder erhöhter Brandgefahr verbunden ist,
20 Anlagen und Räume, die in den Nummern 1 bis 19 nicht aufgeführt und deren Art oder Nutzung mit vergleichbaren Gefahren verbunden sind.
[21]In § 51 MBO wird ergänzt:
»An Sonderbauten können im Einzelfall zur Verwirklichung der allgemeinen Anforderungen […] besondere Anforderungen gestellt werden. Erleichterungen können gestattet werden, soweit es der Einhaltung von Vorschriften wegen der besonderen Art oder Nutzung baulicher Anlagen oder Räume oder wegen besonderer Anforderungen nicht bedarf.«
Die Anforderungen und Erleichterungen […] können sich insbesondere erstrecken auf
Brandschutzanlagen, -einrichtungen und -vorkehrungen,
die Löschwasserrückhaltung,
die Anordnung und Herstellung von Aufzügen, Treppen, Treppenräumen, Fluren, Ausgängen und sonstigen Rettungswegen,
die Beleuchtung und Energieversorgung,
die Lüftung und Rauchableitung,
die Feuerungsanlagen und Heizräume,
Umfang, Inhalt und Zahl besonderer Bauvorlagen, insbesondere eines Brandschutzkonzeptes,
den Betrieb und die Nutzung einschließlich der Bestellung und der Qualifikation eines Brandschutzbeauftragten.
Um den Ermessensspielraum der Unteren Bauaufsichtsbehörden einzugrenzen und um dadurch eine Gleichbehandlung der Fälle zu erreichen, auf die der Bauherr ein Recht hat, erlassen die Obersten Baubehörden der Länder Verordnungen, z. B. über den Bau und Betrieb von Verkaufsstätten, über den Bau und Betrieb von Versammlungsstätten usw. Auch diese Verordnungen stützen sich inhaltlich auf die entsprechenden Musterverordnungen der Fachkommission Bauaufsicht. Ist eine der im § 2 MBO aufgelisteten baulichen Anlagen durch Verordnung konkret geregelt, so können weitergehende Anforderungen zu den Regelungspunkten mit der Bauordnung nicht mehr begründet werden.
Wie lauten nun die »allgemeinen Anforderungen« der MBO?
»Anlagen sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden.«
Ergänzend heißt es im § 85 a MBO: »Die Anforderungen nach § 3 können durch Technische Baubestimmungen konkretisiert werden. Die Technischen Baubestimmungen sind zu beachten. [...]«
[22]Unter diese Generalklausel stellt der Gesetzgeber das Baugeschehen in der Bundesrepublik Deutschland. Er schränkt damit bestimmte Grundrechte der persönlichen Freiheit im Interesse des Gemeinwohls ein. Neben dem Schutz gegen Gefahren für Leben oder Gesundheit beinhaltet die öffentliche Sicherheit auch den Schutz der Rechtsgüter Eigentum und Besitz sowie der natürlichen Lebensgrundlagen, also die Umwelt.
Zu den Hauptgefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum und Besitz ist, wie oben ausgeführt, insbesondere die Brandgefahr zu zählen. Aus diesem Grunde widmet das Baurecht den Anforderungen zur Abwendung von Brandgefahren einen breiten Raum in seinen materiellen Bestimmungen. Diese Vorkehrungen zur Abwendung von Brandgefahren bezeichnen wir gewöhnlich mit dem Ausdruck »Vorbeugender baulicher Brandschutz«.
Neben der reinen Bausubstanz steht die Nutzung des Gebäudes. Sie bestimmt zunächst den Umfang der erforderlichen Schutzmaßnahmen. Gerade aus der Nutzung erwachsen Brandgefahren und damit eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Auch diesen Gefahren muss vorgebeugt werden, sodass der Begriff des »Vorbeugenden baulichen Brandschutzes« auf den allgemeineren Begriff »Vorbeugender Brandschutz« erweitert werden muss. Er schließt dann auch betriebliche Maßnahmen ein. Hier ist anzumerken, dass zwar die Verordnungen, nicht aber die Bauordnungen selbst, Betriebsvorschriften kennen.
Da die Erfahrung lehrt, dass selbst die besten vorbeugenden baulichen und betrieblichen Brandschutzmaßnahmen nicht verhindern können, dass es zu Bränden kommt, gehört zum »Vorbeugenden Brandschutz« auch die Vorbereitung für die Maßnahmen des »Abwehrenden Brandschutzes«. Der »Abwehrende Brandschutz« – worunter ganz allgemein die Brandbekämpfung und die Menschenrettung durch die Feuerwehr zu verstehen ist – steht in einer engen Wechselbeziehung zum Vorbeugenden Brandschutz. Ohne vorbeugende Maßnahmen am Objekt (Feuermeldung, Zugänglichkeit, Angriffsweg, Löschwasserversorgung usw.) ist ein wirksamer Lösch- oder Rettungseinsatz im Allgemeinen nicht möglich.
Bild 2: Regelkreis des Brandschutzes (Quelle: Bachmeier, BF München)
Um die Forderungen der Generalklauseln im Hinblick auf die Brandgefahren auszufüllen, bestimmt § 14 der Musterbauordnung im Abs. 1:
»Bauliche Anlagen sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer und Rauch (Brandausbreitung) vorgebeugt wird und bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten möglich sind.«
[23]Dieser Kernsatz bildet die Grundlage für alle Bestimmungen des Vorbeugenden baulichen Brandschutzes und gibt gleichzeitig für die Praxis eine übersichtliche Gliederung, nach welchen Schutzzielen die zu treffenden vorbeugenden Maßnahmen auszurichten sind.