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A. Einführung

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Die körperliche Unversehrtheit stellt in praktisch allen Rechtsordnungen ein besonders zentrales Schutzgut (auch) des Strafrechts dar. Die deutsche Rechtsordnung macht hier keine Ausnahme. Die körperliche Unversehrtheit gehört zusammen mit dem Leben und mindestens ebenso wie Eigentum und Vermögen zu den Kernrechtsgütern des StGB. Ihre Bedeutung als Schutzgut ist insbesondere durch das 6. StrRG 1998 noch einmal deutlich gestärkt worden. Mit dieser rechtlichen Wertung befindet sich der Strafgesetzgeber in weitgehender Übereinstimmung mit den gesellschaftlichen Vorstellungen und Einstellungen. Gewaltdelikte werden auch in der Bevölkerung zunehmend als besonders problematisch wahrgenommen. Aus beiden Umständen – rechtlicher wie gesellschaftlicher Bewertung – folgt die große praktische Bedeutung, die den Delikten gegen die körperliche Unversehrtheit zukommt. Neben Angriffen, Aggressionen und körperlichen Auseinandersetzungen spielen dabei auch Ereignisse im Straßenverkehr eine erhebliche Rolle.

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Die Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit sind im 17. Abschnitt des Strafgesetzbuches geregelt. Vor der Umbenennung durch das 6. StrRG lautete die Überschrift des Abschnittes „Körperverletzungsdelikte“. Damit kam die objektiv-körperliche Betrachtung der Verletzungsdelikte zum Ausdruck, welche auch nach der Umbenennung noch gilt.[2] Die dort zu findenden Tatbestände der §§ 223 ff. StGB schützen die körperliche Unversehrtheit und die Gesundheit des Menschen.[3] § 223 StGB stellt den Grundtatbestand dar. Die Qualifikationstatbestände der §§ 224, 226 Abs. 2 sowie § 340 StGB (Körperverletzung im Amt) zeichnen sich durch gesteigertes Handlungsunrecht aus. Die Erfolgsqualifikationstatbestände der § 226 Abs. 1 und § 227 StGB beinhalten ein erhöhtes Erfolgsunrecht (besonders schwere Tatfolgen). § 229 StGB regelt die Strafbarkeit der fahrlässigen Körperverletzung. § 225 StGB umschreibt einerseits Qualifikationstatbestände des § 223 StGB, enthält andererseits aber auch einen selbstständigen Anwendungsbereich, sofern es um das Verursachen seelischer Beeinträchtigungen geht.[4] Solche Beeinträchtigungen sind von § 223 StGB nicht erfasst. Der im Jahr 2013 eingefügte § 226a StGB (Genitalverstümmelung) ist ein Sondertatbestand.[5] § 228 StGB bestimmt, dass eine Einwilligung in die Körperverletzung, die gegen die guten Sitten verstößt, rechtswidrig ist. Damit wird gesetzlich die Dispositionsbefugnis des*der Rechtsgutinhabers*Rechtsgutinhaberin umschrieben und verdeutlicht, dass die Einwilligung der verletzten Person einer Körperverletzung grundsätzlich die Rechtswidrigkeit nimmt. Schließlich bestimmt § 230 StGB die Antragsbedürftigkeit der einfachen vorsätzlichen Körperverletzung (§ 223 StGB) sowie der fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB); in § 231 StGB wird die Beteiligung an einer Schlägerei unter Strafe gestellt.

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Neben den Regelungen des 17. Abschnitts gibt es weitere Regelungen, die (auch) die körperliche Unversehrtheit schützen. So kennt das StGB die Körperverletzung im Amt als Qualifikationstatbestand zu § 223 StGB (§ 340 StGB, siehe oben), die Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung (§ 109 StGB, vgl. dazu → BT Bd. 4: Henning Ernst Müller, Straftaten zum Schutz der Landesverteidigung, § 18 Rn. 16 ff.) und den Missbrauch ionisierender Strahlen (§ 311 StGB). Auch die Straßenverkehrsdelikte (§§ 315 ff. StGB) erfüllen in Teilbereichen die Funktion, die körperliche Unversehrtheit zu schützen. Im Nebenstrafrecht sind von Bedeutung insbesondere die §§ 95 ff. AMG, §§ 13, 29 Abs. 1 Nr. 6 BtMG, §§ 74 f. IfSG, § 7 KastrG, §§ 17, 25, 30 WStG, §§ 40 f. MPG, §§ 18 f. TPG und in Grenzen auch § 31 TFG.[6]

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Die Tatbestände der §§ 223 ff. StGB erfassen insbesondere wesentliche Teile der sog. (vorsätzlichen) Gewaltkriminalität. Dieser kommt in der kriminalpolitischen Debatte und in der Medienberichterstattung über Straftaten eine besonders hervorgehobene Rolle zu, die in einem gewissen Widerspruch zu ihrer quantitativen Bedeutung steht. Die Kategorie Gewaltkriminalität in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), die verschiedene Gewaltstraftaten (ohne einfache Körperverletzung) umfasst, macht mit knapp 3 % aller registrierten Straftaten nur einen geringen Anteil an der erfassten Gesamtkriminalität aus.[7] Im Gegensatz dazu werden Straßenverkehrsdelikte zwar deutlich seltener thematisiert und erscheinen demnach als ein geringeres gesellschaftliches Problem. Ihre zahlenmäßige Bedeutung im Bereich der Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit ist jedoch erheblich, namentlich die der fährlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB).

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Der rechtliche Bereich der Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit in den §§ 223 bis 231 StGB und die tatsächlichen Phänomene der Gewalt überschneiden sich großflächig, sind aber nicht deckungsgleich. Einerseits ist Gewalt auch in anderen Tatbeständen Deliktsmerkmal, sodass diese Normen ebenfalls Gewalt bestrafen. Andererseits definieren sich die Körperverletzungsdelikte über das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit und erfassen somit auch Handlungen, die nicht der klassischen Gewaltkriminalität zugeordnet werden, wie etwa Verletzungen im Straßenverkehr. Seit jeher besteht im deutschen Rechtskreis die Tendenz, die Verletzungsdelikte auf körperliche Eingriffe zu beschränken und seelische Verletzungen außer Betracht zu lassen. Eine Ausnahme hiervon bildet lediglich der Tatbestand des § 225 StGB (1933 eingeführt als § 223b StGB). Die jüngere Entwicklung deutet allerdings auf eine Änderung in dieser Frage zumindest außerhalb der klassischen Körperverletzungsdelikte hin, wie der Tatbestand der Nachstellung (§ 238 StGB, vgl. Rn. 120 f.) und die Rechtsprechung zu Mobbing-Fällen (Rn. 36) zeigen.

1. Abschnitt: Schutz von Leib und Leben§ 4 Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit › B. Grundlagen

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