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c) (Erfolgs-)Qualifikationen wegen dauerhafter schwerer Folgen (§ 226 StGB)

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§ 226 StGB stellt als Erfolgsqualifikation bestimmte schwere Folgen der Körperverletzung besonders unter Strafe. Das setzt zunächst ein vollendetes Grunddelikt voraus; dies kann eine Körperverletzung nach §§ 223, 224, 225 oder auch 226a StGB sein.[150] Weiterhin muss die handelnde Person durch das Grunddelikt eine der genannten schwerwiegenden Folgen dauerhaft herbeigeführt haben. Diese Folgen müssen gerade bei der verletzten Person auftreten.

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§ 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst den Verlust bestimmter Funktionen des Körpers (Sehvermögen, Gehör, Sprechvermögen, Fortpflanzungsfähigkeit).[151] Die dauernde Unbrauchbarkeit eines wichtigen Körperglieds nach § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist bereits gegeben, wenn eine verbleibende Restfähigkeit praktisch wertlos ist.[152] Beim Verlust eines wichtigen Glieds des Körpers nach § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist hingegen eine Abtrennung des Körperglieds notwendig.[153] Die schwere Folge der „erheblichen Entstellung“ nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 Var. 1 StGB wird dann angenommen, wenn das äußere Erscheinungsbild der Person nachhaltig unästhetisch verändert ist.[154] Unter Siechtum wird ein chronischer, den Gesamtorganismus des*der Verletzten ergreifender Krankheitszustand verstanden, der mit dem Schwinden der körperlichen und/oder geistigen Kräfte verbunden ist und allgemeine Hinfälligkeit zur Folge hat.[155] Eine Lähmung i.S.v. § 226 Abs. 1 Nr. 3 Var. 3 StGB ist die erhebliche Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Bewegungsfähigkeit eines Körperteils.[156] Eine dauernde, erhebliche Behinderung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 Var. 5 StGB ist gegeben, wenn durch schwere Hirnverletzungen die volle geistig-intellektuelle Leistungsfähigkeit nicht mehr erreicht werden kann und das Tatopfer anhaltend auf Hilfe und Pflege angewiesen sein wird.[157]

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Ein Körperglied i.S.v. § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist ein nach außen in Erscheinung tretendes Körperteil, das eine in sich abgeschlossene Existenz mit besonderer Funktion im Gesamtorganismus erfüllt.[158] Ein Körperteil wird als wichtig eingestuft, wenn der Verlust eine wesentliche Beeinträchtigung des Körpers in seinen regelmäßigen Verrichtungen bedeutet.[159] Die frühere Rechtsprechung nahm die Wichtigkeit eines Glieds nur dann an, wenn der Verlust für jeden normalen Menschen („jedermann“) eine wesentliche Beeinträchtigung bedeutet, wobei es auf besondere Verhältnisse der verletzten Person nicht ankam.[160] Für die herrschende Lehre hingegen müssen auch die individuellen Verhältnisse bei der Bestimmung der Wichtigkeit Berücksichtigung finden.[161] § 226 StGB schütze zwar keine individuellen Interessen, allerdings handelt es sich um ein konkretes Verletzungsdelikt, sodass der Körperverletzungserfolg mit Blick auf die betroffene Person zu bestimmen sei. Bei der Bestimmung, ob ein Körperverletzungserfolg i.S.v. § 226 StGB bei der konkret betroffenen Person eingetreten ist, müssen demnach individuelle Voraussetzungen mit in die Betrachtung einbezogen werden. Auch stünde nur diese Auslegung im Einklang mit dem heutigen Verständnis eines gleichberechtigten Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher körperlicher Beschaffenheit.[162] Dieser Ansicht folgt auch die neuere Rechtsprechung und beachtet nunmehr individuelle Körpereigenschaften inklusive Vorschädigungen.[163] Inwieweit auch soziale Faktoren – wie beispielweise der Beruf – Berücksichtigung finden sollen, ist nicht abschließend beantwortet.[164]

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Die vom Tatbestand geforderten Beeinträchtigungen sind dauerhaft, wenn sie auf unbegrenzte oder unabsehbare Zeit andauern. Diese Dauerhaftigkeit des Verlustes ist bei der Wahrscheinlichkeit einer natürlichen Heilung zu verneinen.[165] Allerdings setzt der Tatbestand nicht Unheilbarkeit voraus, sodass eine mögliche medizinische Korrektur den Tatbestand nicht zwingend ausschließt. Nach lange Zeit überwiegender Auffassung musste die medizinische Korrektur dem Opfer zumutbar sein, um die Dauerhaftigkeit verneinen zu können.[166] Nach neuerer Rechtsprechung soll es bei Beurteilung der Dauerhaftigkeit der Gebrauchsfähigkeit eines Körperglieds hingegen nicht darauf ankommen, ob das Opfer eine ihm mögliche medizinische Behandlung, welche die Gebrauchsunfähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit abgewendet hätte, nicht wahrgenommen hat. Dem ohnehin schon außerordentlich schwer getroffenen Opfer dürfe keine Obliegenheit auferlegt werden, sich beschwerlichen Heilmaßnahmen zu unterziehen.[167] Stimmen in der Literatur hingegen wollen bei Weigerung des Opfers, sich einer – nach objektivem Maßstab – zumutbaren Behandlung zu unterziehen, die Strafbarkeit nach § 226 Abs. 1 StGB entfallen lassen.[168] Surrogate wie Brillen, Hörgeräte o.Ä. können die schweren Folgen nicht aufheben.[169]

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Die Norm setzt einen spezifischen Gefahrverwirklichungszusammenhang zwischen Grunddelikt und der schweren Folge voraus. Wie genau dieser Zusammenhang zwischen Grunddelikt und Erfolg ausgestaltet sein muss, ist umstritten. Die heutige wohl überwiegende Meinung lässt es auf den grunddeliktischen Gefahrzusammenhang ankommen. Es muss sich in der besonderen Folge gerade die in der Grunddeliktsbegehung liegende tatbestandsspezifische Gefahr verwirklichen.[170] Die schwere Folge muss durch die in der Körperverletzung liegende Fahrlässigkeit verursacht worden sein. Es sollen nur solche Körperverletzungen erfasst werden, denen die spezifische Gefahr der schweren Folge anhaftet.[171] Dieser auch vom BGH geforderte enge Zusammenhang lässt sich auf die hohe Strafandrohung zurückführen.

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Subjektiv muss hinsichtlich der schweren Folge wenigstens Fahrlässigkeit (§ 18 StGB) vorliegen. Handelt der*die Täter*in mit Absicht oder wissentlich (d.h. dolus directus 1. bzw. 2. Grades, kein Eventualvorsatz), so ist § 226 Abs. 2 StGB mit einem erheblich erhöhten Mindestmaß von drei Jahren Freiheitsstrafe erfüllt.

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