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a) Grundtatbestand des § 223 Abs. 1 StGB

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Der Grundtatbestand in § 223 Abs. 1 StGB ist ein Erfolgsdelikt und verlangt als Verletzungserfolg die körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung einer anderen Person. Die beiden Tatmodalitäten stehen selbstständig nebeneinander.[83] Sie überschneiden sich in erheblichen Teilen; für die Tatbestandsverwirklichung ist es wegen der Gleichwertigkeit ohne Belang, welche Modalität verwirklicht ist; ebenso ist daher Wahlfeststellung möglich.[84] Liegen beide Modalitäten vor, handelt es sich gleichwohl nur um eine Körperverletzung und keinen Fall der Idealkonkurrenz.[85] Zudem ist bei beiden Tatbestandsmodalitäten die Erheblichkeitsschwelle zu beachten, um strafrechtsrelevante Handlungen von straflosen Bagatellfällen abzugrenzen (vgl. Rn. 72 ff.).

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Nach allgemeiner Auffassung gilt als körperliche Misshandlung jedes üble, unangemessene Behandeln, das entweder das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt.[86] Das körperliche Wohlbefinden ist der Zustand des Körperempfindens vor der negativen Beeinträchtigung des Empfindens. Es genügen auch nur vorübergehende Beeinträchtigungen.[87] Bei Schmerzzufügungen ist eine Beeinträchtigung im Regelfall gegeben.[88] Das Auftreten von Schmerzen ist allerdings keine notwendige Voraussetzung, nach der Rechtsprechung reicht auch das Abschneiden von Haaren aus.[89] Die körperliche Unversehrtheit ist bei nachteiligen Einwirkungen auf die körperliche Integrität des Opfers beeinträchtigt.[90] Insofern ist, wie beim körperlichen Wohlbefinden auch, die aktuelle körperliche Verfassung mit derjenigen Verfassung zu vergleichen, die ohne die Einwirkung bestünde.[91] Die nachteilige Einwirkung muss in der Regel substanzverletzend auf den Körper wirken.[92] Dies umfasst gravierende Substanzverluste (wie etwa den Verlust eines Zehs), die Herabsetzung der Körperfunktionen (z.B. Ausfall von Funktionen innerer Organe) sowie lokale Substanzschädigungen mit örtlich und zeitlich begrenzter Wirkung, wie Schwellungen, Beulen oder Prellungen.[93] Auf die Regenerierbarkeit der beeinträchtigten Körpersubstanz (z.B. Haare) kommt es nicht an.[94] Auch verursachte Überanstrengungen im Sinne des Erreichens der physischen Grenzen können körperliche Misshandlungen sein.[95]

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Unter einer Gesundheitsschädigung wird das Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen Zustands verstanden, der vom Normalzustand der körperlichen und seelischen Funktionen nachteilig abweicht.[96] Die Beeinträchtigung muss nicht von Dauer und nicht von Schmerzen geprägt sein.[97] Eine Gesundheitsschädigung kann auch ohne körperliche Misshandlung verursacht werden, z.B. durch das Inverkehrbringen gesundheitsschädlicher Stoffe (vgl. hierfür auch Rn. 41, 84 ff.) oder durch das Verunreinigen der Luft oder des Wassers durch Giftstoffe.[98] Ebenso hat die Rechtsprechung eine Gesundheitsschädigung bei der Infizierung mit dem HI-Virus (und nicht erst bei Ausbruch der Krankheit) bejaht, da bereits die Infizierung den objektiven körperlichen Normalzustand des Opfers tiefgreifend verändere.[99] Mit der gleichen Argumentation nahm der BGH eine Gesundheitsschädigung bei übermäßigen, medizinisch nicht indizierten Röntgenaufnahmen an, da die Einwirkung von Röntgenstrahlen zu somatisch fassbaren Veränderungen der Körperbeschaffenheit führe und dadurch die Gefahr von Langzeitschäden nicht nur unwesentlich erhöht werde.[100]

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Die Frage, inwieweit das Hervorrufen einer psychischen Krankheit durch die Handlung eines anderen als Schädigung der Gesundheit eingeordnet werden kann, ist bislang nicht hinreichend geklärt.[101] Während die Rechtsprechung sich stark an den körperlich erfassbaren Auswirkungen orientiert, gibt es Stimmen in der Literatur, die eine ausschließliche psychische Störung ausreichen lassen wollen.[102] Da es eine Vielzahl an psychischen Erkrankungen gibt, die sich stark auf den Körper auswirken (z.B. Essstörungen, Schlafstörungen, Angststörungen, Psychosen), ist eine strikte Trennung von Physis und Psyche wenig realitätsnah. In der Praxis werden psychische Einwirkungen jedenfalls dann als Gesundheitsschädigung gewertet, wenn sie einen Krankheitswert haben, d.h. wenn durch eine psychische Belastung ein somatisch objektivierbarer pathologischer Zustand hervorgerufen wird.[103] Erfasst sind angesichts dessen (erhebliche) psycho-vegetative Störungen wie beispielsweise depressive Zustände mit Schlaf- und Konzentrationsstörungen und Selbstmordgedanken als Folge von langanhaltendem Nachstellen und Bedrohen[104] und erhebliche Magenschmerzen als Reaktion auf eine massive Bedrohung.[105] Fälle des Mobbings als Aufbauen einer psychisch zermürbenden Atmosphäre der Feindseligkeit etwa am Arbeitsplatz, in der Schule oder in Vereinen können tatbestandlich erfasst sein;[106] auch hier gilt jedoch, dass somatische Auswirkungen notwendig sind.[107] Auch durch erheblichen Lärm eines Open Air-Konzertes können im Einzelfall psycho-vegetative Störungen mit Köperverletzungscharakter hervorgerufen werden.[108] Ebenso soll die Verstärkung einer Neurose infolge enormen Arbeitslärms einer benachbarten Fabrik zur Bejahung einer Gesundheitsschädigung genügen.[109] Nicht näher spezifizierte „latente Angstgefühle“ und „starke Gemütsbewegungen“ sollen demgegenüber nicht ausreichen.[110] Gleiches gilt für reine Befindlichkeitsstörungen ohne Krankheitswert aufgrund von ständigen nächtlichen Telefonanrufen.[111] Ein Grenzfall ist die Hypnose. Diese ist, wenn kunstgerecht durchgeführt, mangels Hervorrufen eines krankhaften Zustandes grundsätzlich nicht strafbar.[112]

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Subjektiv verlangt § 223 Abs. 1 StGB Vorsatz, wobei Eventualvorsatz genügt. Der Vorsatz muss sowohl die Körperverletzungshandlung als auch den Körperverletzungserfolg umfassen.[113] Er setzt Kenntnis der Tatumstände voraus. Ziele und Motivationslage des*der Täters*Täterin sind nicht beim Vorsatz, sondern erst auf der Ebene der Strafzumessung zu berücksichtigen.[114] Auch „wohlmeinende“ körperliche Misshandlungen oder Gesundheitsschädigungen – wie etwa erzieherische Züchtigungen oder auch die religiöse Beschneidung von Jungen – sind somit tatbestandsmäßig.[115]

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Schwierigkeiten können sich im Einzelfall bei der Abgrenzung des (bedingten) Vorsatzes zur bewussten Fahrlässigkeit ergeben. Nach ständiger Rechtsprechung handelt der*die Täter*in dann vorsätzlich, wenn er*sie den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht fernliegend erkennt und damit so einverstanden ist, dass die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf genommen oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihr abgefunden wird, auch wenn der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein mag. Bewusste Fahrlässigkeit hingegen liegt vor, wenn der*die Täter*in mit der als möglichen erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft darauf vertraut, der Erfolg werde nicht eintreten.[116] Um ein bedingt vorsätzliches Handeln annehmen zu können, genügt der bloße Verweis auf die Gefährlichkeit der Handlung und den Grad der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts grundsätzlich nicht.[117] Ebenso müssen zum Vorsatz besondere Feststellungen getroffen werden, wenn angenommen wird, dass bei Verwendung eines ungefährlichen Gegenstandes – beispielsweise das kräftige Entgegendrücken eines Schnittbrotes mit bewirktem Umknicken eines Fingernagels – ein Verletzungserfolg billigend in Kauf genommen werde.[118] Nur bei äußerst gefährlichen Handlungen kann ausnahmsweise anhand des objektiven Geschehens auf das Vorliegen eines Verletzungsvorsatzes geschlossen werden.[119]

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Für neuerliche Diskussionen zur Frage der Feststellung des Vorsatzes haben in jüngerer Vergangenheit die sog. Raserfälle[120] gesorgt, also illegale Autorennen mit schweren Folgen für die körperliche Unversehrtheit oder sogar mit tödlichem Ausgang. Nach der Rechtsprechung kann selbst in krass gelagerten Fällen mit hochriskanten Verhaltensweisen nicht ohne weiteres von der objektiven Gefährlichkeit des Handelns auf ein vorsätzliches Handeln geschlossen werden.[121] Mit dem im Oktober 2017 in Kraft getretenen § 315d StGB (Verbotene Kraftfahrzeugrennen) hat die Diskussion an Relevanz verloren.

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