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III. Praktische Bedeutung des Bereichs

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Die praktische Bedeutung der §§ 223 ff. StGB ist erheblich. Jährlich werden in der PKS etwa 550 000[28] Fälle aus diesem Deliktsbereich erfasst. Für eine genauere Bewertung ist zwischen den verschiedenen Deliktsformen in diesem Bereich zu unterscheiden.

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Die §§ 223 ff. StGB erfassen zunächst einen erheblichen Teil der sog. Gewaltkriminalität. Hierbei handelt es sich um eine statistische Kategorie aus der PKS, die besonders gravierende Gewaltdelikte gegen Personen umfasst (Mord, Totschlag, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, Raub, räuberische Erpressung, Körperverletzung mit Todesfolge, gefährliche und schwere Körperverletzung, erpresserischer Menschenraub u.a.).[29] Nicht berücksichtigt werden u.a. die einfache und die fahrlässige Körperverletzung. Die in dieser Form zusammengefasste Gewaltkriminalität stellt nur einen geringen Anteil von 3 % an der Gesamtkriminalität dar. Wesentlich bedeutsamer ist demgegenüber die vorsätzliche einfache Körperverletzung, die einen Anteil von ca. 6,4 % der Gesamtkriminalität ausmacht.[30] Bis 2007 war im Hellfeld ein kontinuierlicher Anstieg der Gewaltdelikte zu verzeichnen. Seit 2008 folgte ein leichter Rückgang der registrierten Fälle. Ab 2015 steigt die Zahl jedoch wieder geringfügig an und es gibt eine Zunahme insbesondere im Bereich der „gefährlichen und schweren Körperverletzung“ sowie bei der „einfachen vorsätzlichen Körperverletzung“. Dagegen hat die Anzahl der Fälle der „Raubdelikte insgesamt“ abgenommen.[31]

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Diese Hellfeldzahlen lassen alleine keine Schlüsse bezüglich der tatsächlichen Entwicklung dieses Deliktsbereichs zu, da sie das Dunkelfeld nicht bekanntgewordener Taten nicht berücksichtigen. Welche und wie viele Fälle in das Hellfeld gelangen, ist insbesondere abhängig vom Anzeigeverhalten der Bevölkerung, der Intensität polizeilicher Kontrolle und unterliegt zahlreichen Verzerrungsfaktoren.[32] Eine umfassendere Kenntnis über das tatsächliche Kriminalitätsaufkommen kann nur durch eine gemeinsame Analyse von Hell- und Dunkelfeld erlangt werden. Das Dunkelfeld kann durch Dunkelfeldstudien (Täter*innen- wie Opferbefragung) teilweise aufgehellt werden. Bei der Erhebung von Delikten im sozialen Nahbereich ist dies sehr anspruchsvoll, da in eine Tabuzone vorgedrungen wird.[33] Im deutschen Viktimisierungssurvey aus dem Jahr 2012 gaben 2,8 % der Befragten an, in den vorangegangenen zwölf Monaten mindestens einmal Opfer eines Körperverletzungsdelikts geworden zu sein.[34] Bezogen auf die berichteten Fälle von Körperverletzungen (hier sind auch mehrere Fälle pro Person erfasst) ergab sich für den gleichen Zeitraum eine Belastung von 50 Vorfällen pro 100 000 Einwohner*innen.[35] Zu ähnlichen Ergebnissen gelangten in Niedersachsen und Schleswig-Holstein durchgeführte repräsentative Dunkelfeldstudien, bei denen zwischen 1,9 und 2,3 % der Bevölkerung angaben, im Vorjahr Opfer einer Körperverletzung geworden zu sein (Niedersachsen: 2012 2,3; 2014 1,9; 2016 2,3; Schleswig-Holstein: 2014 2,0; 2016 2,3).[36]

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Im Rahmen einer repräsentativen Bochumer Studie wurden zu vier verschiedenen Messzeitpunkten (1975, 1986, 1998, 2016) Daten bezüglich der Dunkelfeldkriminalität erhoben.[37] Dabei konnte festgestellt werden, dass bei den Körperverletzungen[38] die Anzahl der angezeigten und nicht angezeigten Körperverletzungen zwischen 1975 und 1986 weitgehend konstant blieb, zwischen 1986 und 1998 wurde indes ein deutlicher Anstieg verzeichnet. Dabei nahmen allerdings vor allem die Hellfelddaten zu und zwar um über 100 %, während die Hell- und Dunkelfelddaten insgesamt nur um 20 % stiegen. Der starke Anstieg im Hellfeld beruhte größtenteils auf einer erhöhten Anzeigebereitschaft in der Bevölkerung.[39] Danach haben Anti-Gewalt-Aufrufe, Anzeigeverpflichtungen der Schulen sowie das Gewaltschutzgesetz u.Ä. zu einer zunehmenden Sensibilisierung der Bevölkerung geführt und sich so auf das Anzeigeverhalten ausgewirkt.[40]

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Nach den vorliegenden Erkenntnissen aus dem Hell- und Dunkelfeld geht die Kriminologie davon aus, dass Gewaltdelinquenz und damit auch Körperverletzungsdelikte in der deutschen Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt zurückgegangen sind.[41] Die in der Vergangenheit zu beobachtende Zunahme von Gewaltdelinquenz im Hellfeld wird nicht auf einen tatsächlichen Anstieg von Delikten, sondern auf ein geändertes Anzeigeverhalten zurückgeführt, das durch die gewandelte gesellschaftliche Wahrnehmung von und die Sensibilisierung für Gewalt bedingt ist. Unbeschadet dessen sind insbesondere leichte Formen von Gewalt nach wie vor weit verbreitet und können bis zu einem schwer bestimmbaren Grad als normale Form der Auseinandersetzung verstanden werden. Bei der Anwendung von Gewalt in Form von Körperverletzungshandlungen sind sowohl schicht- als auch altersspezifische Unterschiede festzustellen. Insbesondere gelten leichte Erscheinungsformen von Gewaltdelinquenz im Jugendalter als normal.[42]

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Zunehmende Aufmerksamkeit hat in der jüngeren Vergangenheit das gesellschaftliche Problem der „häuslichen Gewalt“ gefunden (Näheres vgl. Rn. 122 ff.). Seit 2012 stellt das BKA das Lagebild zur „Partnerschaftsgewalt“ bereit. Als „häusliche Gewalt“ werden dabei bestimmte Delikte erfasst (u.a. Mord und Totschlag, Körperverletzung, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Bedrohung, Stalking), wenn diese zwischen „Ehepartnern“, „Partnern nichtehelicher Lebensgemeinschaften“, in einer „eingetragenen Lebenspartnerschaft“ oder in einer „ehemaligen Partnerschaft“ verwirklicht worden sind. Für das Hellfeld ergibt sich für die oben aufgezählten Straftaten eine Gesamtzahl von insgesamt 133 080 Opfern (2016) von vollendeten und versuchten Delikten.[43]

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Einen eigenständigen Bereich des strafrechtlichen Schutzes der körperlichen Unversehrtheit stellt der Straßenverkehr dar, wo der fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) eine erhebliche praktische Bedeutung zukommt.[44] Zwar werden Straßenverkehrsdelikte seit 1963 nicht mehr in der PKS aufgeführt, dafür sind sie aber in der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes zu finden. Von der Gesamtzahl aller Abgeurteilten wurden im Jahr 2016 1,5 % der Personen wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) im Straßenverkehr abgeurteilt.[45]

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