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2. Eigenverantwortliche Selbstgefährdung und
einverständliche Fremdgefährdung

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Da die §§ 223 ff. StGB nur die Verletzungen anderer Personen erfassen, ist die Selbstverletzung grundsätzlich straflos (siehe oben Rn. 31). Auf der Ebene des Tatbestandes führt dies zu der Problematik, dass das Ermöglichen oder Fördern einer eigenverantwortlich gewollten und verwirklichten Selbstgefährdung – die mangels tauglicher Haupttat grundsätzlich straflos ist – von der strafbaren, möglicherweise aber einverständlichen Fremdgefährdung abzugrenzen ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH erfüllt „eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung“ grundsätzlich nicht den Tatbestand eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. „Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist.“[285] Fremdgefährdung meint hingegen Fälle, in denen sich eine Person nicht selbst gefährdet, sondern sich im Bewusstsein des Risikos von einer anderen Person gefährden lässt.[286] Exemplarisch für die sich daraus ergebenden Abgrenzungsprobleme sind Konstellationen, in denen gefährliche Wirkstoffe von anderen bezogen und anschließend wissentlich eingenommen werden – vor allem Medikamente und sonstige Betäubungsmittel, auch im Rahmen der Sterbehilfe – und Fälle, in denen gemeinsame Unternehmungen zu Schädigungen Einzelner führen, wie z.B. Unfälle bei Autorennen mit Mitfahrer*innen.

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Die Unterscheidung von Selbst- und Fremdgefährdung erfolgt im Grundsatz anhand der Betrachtung des „Gefahrenherdes“. Da die Grenze zwischen Selbst- und Fremdgefährdung im Einzelfall schwierig zu ziehen sein kann, es jedoch um Strafbarkeit und Straflosigkeit geht, bedarf es möglichst konkreter Kriterien zu ihrer Bestimmung. Die Rechtsprechung wendet für die Unterscheidung zwischen den beiden Konstellationen die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme an. Danach soll es darauf ankommen, wer bei dem jeweiligen Geschehensablauf die Tatherrschaft innehat, die auch als „Gefährdungsherrschaft“ oder „Handlungsherrschaft“ bezeichnet wird.[287] Grundsätzlich ist dabei auf diejenige Handlung abzustellen, die im Sinne eines aktiven Tuns den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs verursacht.[288] Wird diese Handlung vom Opfer durchgeführt und kontrolliert, liegt eine Selbstgefährdung vor, wird sie von der mitwirkenden Person vorgenommen, handelt es sich um einen Fall der Fremdgefährdung.[289] Oftmals sind allerdings sowohl Handlungen des Opfers, als auch der mitwirkenden Person kausal für den Erfolgseintritt. Hier sind die jeweiligen Beiträge nach Tatherrschaftskriterien zu bewerten. Vom BGH wurde beispielsweise angenommen, dass bei einem illegalen Autorennen der*die Fahrer*in die Mitfahrer*innen fremdgefährde, selbst wenn diese das Rennen filmen und das Startzeichen geben, da die wesentliche Kontrolle über die Gefahr von dem*der Lenkenden ausgehe, was als tatherrschaftlich zu bewerten sei.[290] Ebenso liege ein Fall der Fremdgefährdung vor, so das OLG Koblenz, wenn ein*e alkoholbedingt fahruntüchtige*r Kraftfahrer*in bei einem Verkehrsunfall eine*n Mitfahrer*in verletzt oder tötet, auch wenn diese*r Mitfahrer*in den Zustand des*der Fahrers*Fahrerin bei Fahrtantritt gekannt und das Risiko billigend in Kauf genommen hat.[291]

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Die Straflosigkeit der Mitwirkung an einer Selbstgefährdung gilt allerdings nur so lange, wie die Selbstgefährdung eigenverantwortlich erfolgt und nicht durch eine andere, überlegene mitwirkende Person herbeigeführt wird. Umstritten ist, wann die Eigenverantwortlichkeit der Selbstgefährdung angenommen werden kann. Ein Teil der Literatur zieht als Maßstab für die Beurteilung dessen die im Strafrecht geltenden Exkulpationsregelungen (§§ 20, 35 StGB, § 3 JGG) heran (sog. Exkulpationslösung).[292] Danach handelt die sich selbst gefährdende Person nur dann nicht eigenverantwortlich, wenn ihr Handeln nach einer der genannten Normen als nicht schuldhaft einzustufen wäre. Demgegenüber gelangt die sog. Einwilligungslösung häufiger zu einer strafrechtlichen Verantwortung von Dritten, die auf die handelnde Person einwirken. Nach dieser verbreiteten Ansicht[293] ist die Eigenverantwortlichkeit anhand derjenigen Maßstäbe zu bestimmen, die auch sonst bei der Disposition über eigene Rechtsgüter im Strafrecht gelten. Konkret werden die Anforderungen gestellt, die auch für eine wirksame Einwilligung gelten (vgl. Rn. 92), um von einem eigenverantwortlichen Handeln ausgehen zu können. Dies soll auch bei der Substitutionsbehandlung von Drogenabhängigen gelten, sodass die Substitutionsmaßnahme grundsätzlich zumindest bezüglich der Körperverletzungsdelikte straffrei ist.[294] Zwar kann auch bei Drogenabhängigen selbst nach dem Maßstab der Einwilligungslösung nicht pauschal von einer Unwirksamkeit der Einwilligung ausgegangen werden.[295] Im Einzelfall können jedoch besonders schwere Einschränkungen bei der Willensbildung die Unwirksamkeit der Einwilligung bewirken.

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Die Rechtsprechung[296] geht von einer straflosen Mitwirkung an einer Selbstgefährdung dann aus, wenn die sich selbst gefährdende Person das Risiko im selben Maße überblickt wie die mitwirkende Person.[297] Im Grundsatz beginnt die Strafbarkeit daher dort, wo die mitwirkende Person kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der*die sich selbst Gefährdende.[298] Dabei ist jedoch kein exaktes Fachwissen notwendig – etwa Kenntnis, ob drei Fläschchen Methadon zum Tode führen können. Vielmehr ist maßgebend, ob der*die sich selbst Gefährdende das rechtsgutsbezogene Risiko seines*ihres Verhaltens richtig eingeschätzt hat – z.B. grundsätzliche Kenntnis über Anwendung von Methadon.[299] Die Eigenverantwortlichkeit entfällt beispielsweise bei der Täuschung über die Art des Getränks bei einem Wetttrinken (Gastwirt*in trinkt nur Wasser, Opfer hochprozentigen Tequila), da somit das Risiko der eigenen Handlung nicht mehr adäquat bemessen werden kann.[300] Überlegenes Sachwissen soll auch bei der Verschreibung von kontraindizierten weiteren Medikamenten bei schon bestehender Medikamentierung bestehen.[301] Die Eigenverantwortlichkeit kann auch erst durch nachträgliches Unvermögen der Risikobeurteilung entfallen, etwa durch extremes Herabsinken der Vitalfunktionen und den Eintritt in das Sterbestadium. Dies kann zur Strafbarkeit eines*einer dies bemerkenden Garanten*Garantin führen, wenn dieser*diese die notwendigen Rettungsmaßnahmen unterlässt.[302]

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