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3. Kausalität und Produkthaftung

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Für die Vollendung des Tatbestands ist bei allen Körperverletzungsdelikten der §§ 223 ff. StGB eine kausale Beziehung zwischen Tathandlung und dem eingetretenen tatbestandlichen Erfolg notwendig, da – abgesehen von § 231 StGB – sämtliche dieser Delikte Erfolgsdelikte sind. Im Regelfall ist bei einfachen tatsächlichen Umständen ohne große Probleme feststellbar, dass eine bestimmte Handlung für die Verletzung ursächlich geworden ist, also nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Es gibt jedoch verschiedene Fallgruppen, bei denen der Nachweis der Kausalität Probleme bereitet.

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Als problematisch erweisen sich bei der Körperverletzung insbesondere Fälle der Übertragung von Virus-Krankheiten, wie insbesondere das AIDS-Virus (HIV), aber auch Hepatitis-Viren der verschiedenen Gruppen (A, B und C).[303] Dies gilt vor allem auch, da die (teils unbemerkte) Infektion und der Ausbruch der Krankheit oftmals zeitlich auseinanderfallen. Grundsätzlich erfüllt bereits die Übertragung eines solchen Virus nach überwiegender Auffassung den Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB, des § 224 Abs. 1 Nr. 1 und ggf. auch Nr. 5 StGB.[304] Abhängig von dem eingetretenen Erfolg und der subjektiven Komponente können auch eine schwere Körperverletzung (§ 226 StGB) sowie eine Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) verwirklicht sein.[305] Ebenso ist eine fahrlässige Körperverletzung möglich, etwa wenn mit Hepatitis B infiziertes ärztliches Personal eine Operation vornimmt und den Virus auf den*die Patienten*Patientin überträgt.[306] Nach überwiegender Auffassung ist die Gesundheitsschädigung mit der Infektion vollendet. Das gilt unabhängig davon, ob der Krankheitsausbruch ungewiss oder voraussehbar lange dauern wird, da mit abgeschlossener Übertragung bereits ein Zustand einer andauernden und irreparablen Infektion vorliegt.[307]

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Die Kausalität erweist sich – neben Fragen des Vorsatzes und der Selbstgefährdung – bei diesen Fällen insofern als problematisch, als nachzuweisen ist, dass das jeweilige Handeln – bei HIV häufig Geschlechtsverkehr einer infizierten Person mit einer nicht infizierten Person – tatsächlich den konkreten Erfolg, also die Infektion mit dem Virus, verursacht hat. Dies ist meist nicht möglich, da der konkrete Infektionsweg im Nachhinein in der Regel nicht rekonstruiert werden kann und andere Infektionsmöglichkeiten nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden können, sodass eine Strafbarkeit wegen eines vollendeten Körperverletzungsdelikts regelmäßig scheitert.[308] Es bleibt daher bei der Strafbarkeit wegen Versuchs. Um diese vermeintliche Strafbarkeitslücke zu füllen, schlägt Herzberg vor, die Vollendung schon mit dem gefährlichen und unaufgeklärten Körperkontakt zu bejahen.[309] Er stellt dabei auf den rechtsgutsbezogenen Irrtum ab, da die rechtsgutsinnehabende Person nichts über die Infektionsgefährlichkeit wusste. Dies sei vergleichbar mit dem ärztlichen Heileingriff ohne Aufklärung der zu behandelnden Person. Dieser Vergleich ist allerdings insofern nicht zutreffend, als bei der Übertragung des HI-Virus, anders als bei dem ärztlichen Heileingriff, keine Substanzveränderung bei unaufgeklärtem Sexualkontakt vorgenommen wird. Die Übertragung des HI-Virus erfolgt durch Kontakt der Körperflüssigkeiten und nicht durch unmittelbare körperliche Beeinträchtigung. Der § 223 StGB würde zu einem Gefährdungstatbestand umgedeutet, da im Zeitpunkt des Geschlechtsaktes noch nicht feststeht, ob das Virus tatsächlich übertragen wurde. Ein solcher Gefährdungstatbestand entspricht aber nicht dem Wortlaut der Norm als Verletzungsdelikt. Vielmehr bräuchte es dafür ein „allgemeines Gesundheitsgefährdungsdelikt“[310] im StGB. Dafür besteht jedoch keine Notwendigkeit, da die Versuchsstrafbarkeit möglich ist und Beweisschwierigkeiten in Einzelfällen keine abstrakt-generelle Neuregelung entgegen der Systematik der Körperverletzungsdelikte erforderlich machen.

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Bei der fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) muss das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt für den eingetretenen Taterfolg kausal geworden sein. Wäre der Erfolg auch bei verkehrsgerechtem Verhalten eingetreten, so entfällt die Kausalität.[311] Anhand der Feststellung des konkreten Pflichtverstoßes muss zunächst das pflichtgemäße Handeln bestimmt und dann überprüft werden, ob dies zum Ausbleiben des Erfolges geführt hätte.[312] Das hypothetische Verhalten Dritter, das auch bei pflichtgemäßem Handeln des*der Täters*Täterin zum tatbestandlichen Erfolg geführt hätte, ist allerdings nicht beachtlich, wenn dadurch ein komplett anderes Unfallgeschehen entstanden wäre.[313] Daher können sich nach der Rechtsprechung Ärzte*Ärztinnen eines psychiatrischen Krankenhauses durch eine sorgfaltspflichtwidrige Gewährung von Lockerungen im Maßregelvollzug nach § 229 StGB strafbar machen, wenn ein*eine Untergebrachte*r im Rahmen der Lockerungen entsprechende Straftaten begeht und dies vorhersehbar war.[314]

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Probleme ergeben sich im Kausalitätsbereich häufig in Fällen der Produkthaftung, bei denen zu klären ist, ob durch Produktfehler Körperverletzungen eingetreten sind.[315] Zwar kommt hier je nach Fallgestaltung auch eine vorsätzliche Körperverletzung in Betracht, die Praxis geht aber zumeist von § 229 StGB aus. In beiden Konstellationen stellen sich die gleichen Probleme, nämlich erstens ob und inwiefern das Handeln der verantwortlichen Personen bei dem*der Produkthersteller*in – der*die Zwischenhändler*in ist mit dem Fehler in der Regel mangels Überprüfungspflichten nicht in Verbindung zu bringen – für den bei dem*der Verbraucher*in eingetretenen Erfolg ursächlich geworden ist. Zweitens erweist es sich regelmäßig als problematisch, dass der Erfolg nicht nur auf eine, sondern auf mehrere mögliche Ursachen zurückgeführt werden kann. In Fällen der alternativen Kausalität bestehen mehrere Ursachen, die jede für sich ausreichend gewesen wären. Insbesondere bei der kumulativen Kausalität, d.h. wenn mehrere Ursachen erst gemeinsam zu einem Erfolg führen und für sich genommen nicht ausgereicht hätten, führen die Kausalitätstheorien zu kontroversen Ergebnissen.[316] Schon im Conterganfall stellten sich an dieser Stelle erhebliche Probleme bei der Bewertung, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse überhaupt fachlich anerkannt sind und vom Gericht bei der Bewertung der Kausalität angewendet werden dürfen.[317] Grundsätzlich ist bei diesen Gemengelagen verschiedener Handlungen und potentieller Schadensursachen vom Gericht einerseits zu klären, ob hinreichend sicher eine (Mit-)Verursachung durch das jeweilige Produkt festgestellt werden kann und andererseits, wie diese festgestellte Kausalität im Rahmen der Unterscheidungen zwischen aktivem Tun/Unterlassen und Täterschaft/Teilnahme zu bewerten ist.

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Im sog. Ledersprayfall entwickelte der BGH unter Rückgriff auf eine „generelle Kausalität“[318] eine Richtlinie für die tatrichterlichen Feststellungen bei komplexen Produkthaftungsfällen. Danach reicht es für die Feststellung des Kausalverlaufs und die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen in Mittäterschaft aus, dass „die, wenn auch nicht näher aufzuklärende inhaltliche Beschaffenheit des Produkts, schadensursächlich war“[319]. Es muss nicht aufgeklärt und nachgewiesen werden, welcher konkrete Wirkstoff oder welche Substanz des Produkts zu der Schädigung geführt hat, auf welchem Weg die Körperverletzung also konkret verursacht wurde.[320] Es müssen jedoch alle anderen potentiellen Schadensursachen ausgeschlossen werden können, sodass die Schädigung in irgendeiner Weise („generell“) auf das Inverkehrbringen des in Rede stehenden Produkts zurückgeführt werden kann.[321]

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Der Ledersprayfall deutete zudem Kausalitätsprobleme bei Gremienentscheidungen an.[322] Solche Probleme bei Kollegialentscheidungen stellen sich vor allem deshalb, weil nach der c.s.q.n.-Formel der tatbestandliche Erfolg gerade nicht entfallen muss, wenn es auf die einzelne Stimme bei Mehrheitsentscheidungen ohne Einstimmigkeitserfordernis nicht ankommt. Im Ledersprayfall wurde einstimmig gegen einen Produktionsstopp oder andere Vorgehensweisen entschieden, sodass hier die Kausalität nicht problematisch war. Es stellen sich aber auch gerade mit Blick auf den Rückruf von potentiell schädlichen Produkten schwierige Probleme der (Quasi-)Kausalität beim Handeln bzw. Unterlassen. Grundsätzlich kommt es bei Gremienentscheidungen auf die einzelfallorientierte Bewertung von Tatbeiträgen an, die sowohl die Voraussetzungen der Beschlussfassung (Mehrheit ausreichend oder Einstimmigkeit nötig) und sodann das individuelle Stimmverhalten (Gegenstimme, Enthaltung, Zustimmung) berücksichtigen muss.[323]

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Mit dem Problem der schwierigen Feststellbarkeit der Wirkung von Einzelursachen in einer Gemengelage verschiedener potenzieller Ursachen musste sich der BGH im sog. Holzschutzmittelfall befassen. Insbesondere ging es um die Frage, ob und wie der*die Tatrichter*in Feststellungen zu Kausalverläufen treffen kann, auch wenn die wissenschaftliche Diskussion sehr umstritten ist und im Verfahren durch Sachverständige nicht eindeutig geklärt werden konnte. In dieser Lage bedarf es nach dem BGH zumindest konkreter Feststellungen zu einer Mitverursachung des in Frage stehenden Stoffes an der kausalen Bewirkung des Taterfolges,[324] was letztlich eine typische Forderung aus der dogmatischen Kategorie der kumulativen Kausalität darstellt.[325] Bei der Bewertung der in der Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnisse eröffnet der BGH aber einen Beurteilungsspielraum. Danach hat der*die Richter*in alle Erkenntnisse verschiedener Fachrichtungen sowie alle relevanten Indizien in einer Gesamtschau zu würdigen, wobei nach Maßstab des § 261 StPO die richterliche Überzeugungsbildung keine absolute Gewissheit, sondern ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit voraussetzt, das keinen vernünftigen Zweifel bestehen lässt.[326] In anderen Worten reicht es für die richterliche Feststellung zur kausalen Bewirkung eines Körperverletzungserfolges durch ein komplex wirkendes Produkt aus, wenn das Gericht in einer Gesamtwürdigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse überzeugt davon ist, dass ein bestimmtes Produkt zu einem bestimmten Körperverletzungserfolg geführt hat, auch wenn zu den Details des Wirkungsvorganges in der Wissenschaft keine eindeutige Meinung festzustellen ist. Dies gilt, solange die Annahme nicht den Gesetzen der Logik und dem gesicherten wissenschaftlichen Erfahrungswissen widerspricht.[327] Zudem darf die verbleibende Unsicherheit nicht zu Lasten des*der Angeklagten gehen. Praktisch wird somit betont, dass eine Verurteilung ausschließlich auf dem Überzeugungsbild des Gerichts (§ 261 StPO) beruht und möglich ist, auch wenn die sachverständige Wissenschaft den Sachverhalt nicht einhellig bewertet. Die Klärung von komplexen wissenschaftlichen Fragestellungen ist nicht Aufgabe des Strafverfahrens.

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