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4. Strafrahmen und Strafzumessung in der Praxis

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Der Strafrahmen für die einfache Körperverletzung (§ 223 StGB) umfasst Geldstrafe und Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu fünf Jahren. Die maximale Höhe der Freiheitsstrafe wurde 1994 durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz von drei auf fünf Jahre angehoben.[238] Begründung dafür war die Aufwertung des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit im Verhältnis zu den Eigentums- und Vermögensdelikten.[239] Die unterschiedlichen Strafrahmen der Körperverletzungsdelikte entsprechen der varianten Phänomenologie des Deliktsbereichs. Sie reichen von Geldstrafe (§ 223 Abs. 1 und § 229 StGB) über Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren (§ 224 Abs. 1 StGB, § 225 Abs. 1 StGB und § 226 Abs. 1 StGB) bis zu einer empfindlichen Mindestfreiheitsstrafe nicht unter drei Jahren (§ 226 Abs. 2 StGB), im Fall des § 227 StGB im Höchstmaß bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe (§ 38 Abs. 2 StGB). Zu beachten sind zudem Varianten wie minder schwere Fälle (etwa § 226 Abs. 3 StGB). Wegen der Weite des möglichen Sanktionsarsenals kommt es in der Praxis der Strafzumessung in besonderer Weise auf die Umstände des Einzelfalles an.

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Der Strafverfolgungsstatistik lässt sich für 2016 entnehmen, dass wegen Straftaten der §§ 223–231 StGB insgesamt 97 784 Personen abgeurteilt und 66 117 verurteilt wurden.[240] Bezüglich der nach allgemeinem Strafrecht verhängten Strafen (insgesamt 54 056) überwiegt die Geldstrafe mit 37 746 gegenüber der Freiheitsstrafe mit 16 310 Fällen (12 508 mit Strafaussetzung zur Bewährung).[241] Bei der Geldstrafe wurden am häufigsten 16–30 (8439 Fälle) und 31–90 Tagessätze (22 831 Fälle) ausgeurteilt.[242] Die ausgeurteilten Freiheitsstrafen verteilten sich wie folgt: 2350 Strafen unter sechs Monaten, 2863 auf sechs Monate, 4664 auf sechs bis neun Monate, 3181 auf neun bis zwölf Monate, 2431 auf ein bis zwei Jahre, 465 zu zwei bis drei Jahren, 284 zu drei bis fünf Jahren und 72 zu fünf bis zehn Jahren.[243] In der Strafzumessungspraxis werden – um nur einige Tendenzen zu nennen – ärztliche Heileingriffe ohne genügende Einwilligung regelmäßig mit Geldstrafe belegt, grobe ärztliche Kunstfehler mit gravierenden Tatfolgen hingegen regelmäßig mit Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird.[244] Bei besonders roher Tatbegehung wird zumindest bei Wiederholungstäter*Wiederholungstäterinnen oft eine Freiheitsstrafe ohne Aussetzung zur Bewährung ausgeurteilt.[245] Insgesamt werden nach den statistischen Befunden überwiegend Strafen im unteren und mittleren Bereich verhängt, wie dies auch in anderen Deliktsbereichen üblich ist.

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Die konkrete Strafzumessung hat nach § 46 Abs. 1 StGB auf die Schuld des*der Täters*Täterin und die Umstände des Einzelfalles abzustellen; die Strafzumessungsschuld des*der Täters*Täterin kann anhand der Feststellungen zum Handlungs- und Erfolgsunwert bestimmt werden.[246] Im Bereich der §§ 223 ff. StGB ist bezüglich des Handlungsunrechts beispielsweise die Verwendung eines besonders gefährlichen Werkzeugs und eine besonders gefährliche Begehungsweise strafschärfend zu berücksichtigen.[247] Auch eine besonders brutale, rohe und grausame Tatbegehung ist strafschärfend einzubeziehen.[248] Bei einer brutalen Vorgehensweise muss das Opfer (ggf. unter Verwendung eines gefährlichen Werkzeuges) vom*von der Täter*in in roher, gefühlloser, gewalttätiger, schonungsloser und rücksichtsloser Weise behandelt worden sein.[249] Die Art der Tatausführung darf dem*der Täter*in allerdings nicht ohne Weiteres strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn die Ursache für die Tatbegehung in einer von ihm*ihr nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenen geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt, d.h. liegt eine verminderte Steuerungsfähigkeit nach § 21 StGB vor, so darf die dem*der Täter*in vorgeworfene Intensität der Tat davon nicht betroffen sein.[250] Umstritten ist, ob das mehrfache Erfüllen von Tatmodalitäten, etwa des § 224 Abs. 1 StGB, strafschärfend wirken soll.[251] Ist der*die Täter*in strafbefreiend von einem Tötungsversuch zurückgetreten, darf der auf den Versuch gerichtete Vorsatz bei dem vollendeten Körperverletzungsdelikt nicht strafschärfend berücksichtigt werden.[252] Dilettantisches Vorgehen wirkt sich regelmäßig strafmildernd aus.[253] Ebenso kann die Anwendung von nur geringer Gewalt strafmildernd wirken.[254]

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Hinsichtlich des Erfolgsunrechts können die Schwere, die Anzahl und das Ausmaß der verursachten Verletzungen strafschärfende Gründe sein.[255] Auch die zu erwartende Dauer des zugefügten Leids und der Umfang der Beeinträchtigungen ist hier bedeutsam;[256] beispielsweise soll bei § 226 StGB ein langjährig zu erwartendes Leiden eines nur neunmonatigen Kindes strafschärfend sein.[257] Dabei soll es auch auf die individuelle Bedeutsamkeit der erlittenen Verletzungen ankommen (z.B. Gehörverlust bei einem Dirigenten[258]). Auch können übermäßig nachteilige Tatfolgen, die nicht bereits tatbestandlich verankert sind, berücksichtigt werden, etwa zumindest vorhersehbare seelische Schäden bei § 226 StGB.[259] Sind die Verletzungen jedoch nur leicht, so kann dies strafmildernd zu berücksichtigen sein.[260]

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Im Rahmen von Fahrlässigkeit ist besonderes Augenmerk auf das Maß der Pflichtwidrigkeit und auf ein etwaiges Mitverschulden des Opfers (z.B. eigene Verstöße gegen Vorsichtsmaßnahmen) zu legen.[261] Ohnehin kann das Opferverhalten eine strafmildernde Rolle spielen, gerade bei Provokationshandlungen.[262] Auch wenn das Opfer kein eigenes Bestrafungsinteresse bekundet, kann dies strafmildernd wirken.[263] Bei Körperverletzungsdelikten erscheint zudem die Möglichkeit eines Täter*in-Opfer-Ausgleichs oder einer sonstigen Schadenswiedergutmachung oftmals nahezuliegen, was nach § 46 Abs. 2 StGB in die Zumessungsentscheidung einbezogen werden kann.

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Das einschlägig straffällige Vorleben des*der Täters*Täterin soll bei Wiederholungstätern*Wiederholungstäterinnen von Körperverletzungsdelikten besonders strafschärfend einzubeziehen sein.[264] Strafmildernd kann bei § 231 StGB ein Deeskalationsverhalten durch das Entwinden eines Messers eines*einer an der Schlägerei Beteiligten gewertet werden.[265] Ein Migrationshintergrund hat auch bei Körperverletzungsdelikten per se keinen Einfluss auf die Strafzumessung.[266] Alkoholisierung als häufiger Täter*innenzustand bei Körperverletzungsdelikten ist bei der Vorwerfbarkeit der Tat zu berücksichtigen, auch unterhalb der Grenzen der §§ 20, 21 StGB. Eine Strafmilderung nach § 21 StGB kommt nur in Frage, wenn der*die Täter*in im Unwissen war, dass er*sie unter massiver Alkoholisierung zu Körperverletzungshandlungen tendiert.[267]

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Das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB schließt Erwägungen aus, die z.B. die Nichtachtung der Schutzgüter der §§ 223 ff. StGB besonders bestrafen wollen oder pauschal die Gefährlichkeit der Tat strafschärfend berücksichtigen, obwohl dies schon von einer Modalität, beispielsweise des § 224 Abs. 1 StGB, erfasst wird.[268]

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