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I. Verfassungsrechtliche Vorgaben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG

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Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verbürgt als Grundrecht die körperliche Unversehrtheit verfassungsrechtlich, unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Diese Verankerung des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit ist verfassungshistorisch relativ neu, der einfachrechtliche Rechtsgüterschutz ist älter. So ist das ausdrückliche Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtliches Novum des Grundgesetzes, bis dahin erfolgte der Schutz des Rechtsguts nur einfachrechtlich durch das Strafrecht.[8] Gleichwohl war das Recht auf körperliche Unversehrtheit auch vor dem Grundgesetz verfassungsrechtlich nicht irrelevant, sondern wurde als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Diese wurde jedoch durch die nationalsozialistischen Herabwürdigungen, beispielsweise des sog. lebensunwerten Lebens, in extremer Weise untergraben, weshalb sich eine ausdrückliche Normierung im Grundgesetz empfahl.[9]

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Als Grundrecht ist Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in erster Linie ein Abwehrrecht, das vor nicht nur geringfügigen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit schützt.[10] Damit besteht auch außerhalb des strafrechtlichen Verbotes der §§ 223 ff. StGB ein grundgesetzlicher Abwehranspruch bezüglich Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit zumindest gegenüber dem Staat.[11] Neben dem Abwehranspruch folgt aus dem Grundrecht aber auch ein Schutzanspruch der einzelnen Person, welcher sowohl durch präventive polizei- und ordnungsrechtliche Vorschriften, als auch durch das repressive Strafrecht erfüllt werden kann,[12] da die herrschenden Strafzwecktheorien Straftatbeständen (auch) eine präventive Funktion[13] beimessen. Dementsprechend können die §§ 223 ff. StGB als eine konkretisierende Ausgestaltung der aus dem Grundrecht folgenden Schutzpflicht verstanden werden. In jüngerer Zeit wurde der Schutzanspruch beispielsweise durch das Gewaltschutzgesetz vom 11. Dezember 2001[14] umgesetzt, wie auch durch die polizeirechtlichen Befugnisse zur Wohnungsverweisung.[15] Zusammengefasst kann Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als Auftrag an den Gesetzgeber gelesen werden, die Bürger*innen vor rechtswidrigen Angriffen auf die körperliche Unversehrtheit auch durch das Strafrecht zu schützen, wobei die konkrete Umsetzung – wie stets – dem Gesetzgeber überlassen ist.[16]

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Die Fassung des Schutzgutes in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG entspricht dem des Rechtsguts in den §§ 223 ff. StGB, sodass die verfassungsrechtlichen Vorgaben weder eine erweiternde noch eine restriktive Auslegung der Körperverletzungstatbestände nahelegen.[17] Beispielsweise kann dem Grundrecht kein Auftrag an den Gesetzgeber entnommen werden, rein psychische Belastungen strafrechtlich als Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit zu erfassen. Die Auslegung des Grundrechts und der §§ 223 ff. StGB, die jeweils die körperliche Unversehrtheit schützen, erfolgt vielmehr synchron.[18] Dies ändert freilich nichts daran, dass das Verständnis vom Umfang des Schutzanspruchs erheblichen Veränderungen unterliegt, wie etwa die ältere Rechtsprechung des BGH zum körperlichen Züchtigungsrecht von Lehrkräften bzw. von Eltern gegenüber Kindern zeigt. Danach war die körperliche Züchtigung zwar tatbestandsmäßig, aber gerechtfertigt.[19]

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