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2. Die freigeistige Irrlehre im Schwäbischen Ries (1270/73)

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Aus einem Gutachten238 Alberts des Großen (1193/1200 – 1280) über ungefähr 100 Aussagen von sog. Ketzern aus dem schwäbischen Ries (Bistum Augsburg), können wir die Tragweite erahnen, welche die freigeistige Lehre in den religiösen Bewegungen eingenommen hat. Dass das freigeistige Denken auch mit den religiösen Frauenbewegungen in Verbindung gebracht wurde, zeigt Alberts Kommentar zu den Berichten über teils wahnhaft religiöse Übersteigerungen von Frauen, z.B. Schwangerschaftssymptome oder Aussagen, sie hätten Christus selbst gesäugt. Dazu bemerkt Albert nur lapidar, „das sei keine Ketzerei, die man widerlegen, sondern eine Albernheit, die mit Prügel bestraft werden müsste.“239 Solche Übersteigerungen endeten aber nicht selten in der theologisch und historisch bedeutsamen Aussage von der „Vergottung des Menschen“240: „Der Mensch kann Gott werden, … und die Seele kann in der Vereinigung mit Gott göttlich werden.“241 Dieser mit Gott vereinte, vergöttlichte Mensch steht im Brennpunkt aller Aussagen der im Ries verurteilten Ketzer.

Der Gedanke von der Vergottung des Menschen ist jedoch nicht neu242, allerdings meinten wohl einige Irrlehrer, der Mensch könne naturaliter, d.h. aus eigener Kraft, Gott werden und er sei mit Gott identisch. Die rechtgläubige katholische Mystik vertrat dagegen die Meinung, der Mensch könne nur aus Gnade vergottet werden.243 Die Irrlehren im Ries haben die dogmatische Scheidung von Natur und Gnade nicht eindeutig formuliert.244 Diese in den der Ketzerei verurteilten Kreisen nicht gelöste Frage war jedoch an sich nichts Ungewöhnliches. Auch in der Frauenmystik des 13. Jahrhunderts ist die Unterscheidung zwischen Gnade und Natur auf den ersten Blick nicht immer so eindeutig feststellbar.245 Mechthild von Magdeburg spricht beispielsweise davon, dass die Seele des Menschen „mit Gott ein Gott“246 werden kann, „ein menschlicher Gott mit Christus“247 und „ein geistlicher Gott mit dem Heiligen Geist“248 – kurz: „eine ganze Person mit der Heiligen Dreifaltigkeit“249. Das geht so weit, dass Mechthild den Eindruck vermittelt, zwischen Gott und Mensch gäbe es eine vollkommene Identität in der Natur: „Ich muss von allen Dingen weg zu Gott hingehen, der mein Vater ist von Natur.“250 Und den Bräutigam ihrer Seele, Christus, lässt sie schließlich antworten: „Frau Seele, ihr seid so sehr in mich hineingestaltet, dass zwischen Euch und mir nichts sein kann.“251 Ein der Irrlehre Verdächtiger hätte das genauso sagen können. Möglichen Vorwürfen, sie verstoße gegen die katholische Gnadenlehre, antwortet Mechthild:

„Ich sprach in diesem Buche an einer Stelle darüber, dass Gott von Natur mein Vater ist. Dies hast du nicht verstanden und sagst: ‚Alles, was Gott mit uns getan hat, ist von Gnaden und nicht von Natur.‘ Du hast Recht, und ich habe auch Recht. Nun höre ein Gleichnis: Wie gute Augen ein Mensch auch hat, er kann über eine Meile Weges nicht hinaussehen. Wie scharfe Verstandessinne der Mensch auch hat, er kann unsinnliche Dinge nur mit dem Glauben verstehen, (sonst) tappt er wie ein Blinder in der Finsternis. Die liebende Seele, die alles liebt, was Gott liebt, und alles hasst, was Gott hasst, besitzt ein Auge, das Gott erleuchtet hat. Damit sieht sie in die ewige Gottheit, wie die Gottheit mit ihrer Natur in der Seele gewirkt hat. Er hat sie nach sich selbst gebildet, er hat sie in sich selbst eingepflanzt, er hat sich ihr unter allen Geschöpfen am allermeisten vereint; er hat sie in sich geschlossen und hat von seiner göttlichen Natur so viel in sie gegossen, dass sie nichts anderes sagen kann, als dass er in aller Vereinigung mehr als ihr Vater ist.“252

Von einer Identität zwischen Gott und Mensch, so Mechthild, kann nur im Sinne einer Identität des Willens gesprochen werden, „so dass das, was er [Gott] will, (auch) sie [die Seele] will, und anders können sie nicht in ganzer Einung vereint sein.“253

Im Unterschied zu den Ketzern im schwäbischen Ries ließen sich Mechthild und andere Beginen oder Klosterfrauen aber auf geistliche Begleitung ein, um nicht im Gegensatz zur Kirchenlehre zu stehen.254 Gerade dieser Dialog zwischen neuer Frauen- bzw. Laienspiritualität und kirchlicher Lehr- und Ordenstradition befruchtete das geistliche Leben der Kirche.255

Die Rieser Irrlehren wurden, wie das Gutachten Alberts weiter zeigt, von verschiedenen Seiten aus beeinflusst. Sie sind nicht einfach aus den Erfahrungen von ekstatischen Frauenerlebnissen zu erklären.256 Es finden sich Einflüsse der Amalrikaner; es gibt Übereineinstimmungen mit Katharern:

„Wie die Katharer haben die Ketzer im Ries gesagt, Christus habe bei seiner Passion nicht gelitten und sei nicht verletzt worden; auch über den Fall der Engel haben sie ähnliche, wenn auch unter sich nicht widerspruchslose Ansichten geäußert wie die Katharer, die mit den Gedanken der Frauenmystik und mit dem Vergottungserlebnis nicht das geringste zu tun haben. Andere Anschauungen haben die Rieser Ketzer ebenso mit den Katharern wie mit den Amalrikanern gemeinsam, teilweise sogar auch mit den Waldensern: sie glauben nicht an die Hölle und Fegefeuer, halten Engel und Dämonen nur für moralische Personifikationen menschlicher Tugenden und Laster, glauben nicht an die Auferstehung, auch nicht an die Auferstehung Christi.“257

Die im Ries als Ketzer Verurteilten vertraten, entgegen katharischer Lehre, keinen Dualismus von Gut und Böse, von Gott und Materie und einer daraus gefolgerten Läuterungsethik, sondern einen Pantheismus und teilweise wohl einen moralischen Indifferentismus258, welcher der Rechtfertigung einer bloßen Willkür dienen konnte.259

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